Spielbericht Profis

Verstehen Sie Spaß?

31.10.2019, 18:42 Uhr von:  Michael
Verstehen Sie Spaß?

Julian war sauer. „Wir müssen das hier beenden, Guido. Das wird sonst böse enden.“ Trotz der Wärme in der VIP-Loge des Westfalenstadions war die Stimmung frostig. Guido schüttelte seinen Kopf. „Wir müssen das durchziehen. Umso länger, umso größer wird der Knalleffelkt und am Ende auch dein persönlicher Nutzen.“ „Es ging mir nie um meinen persönlichen Nutzen. Das sollte ein lustiger Gag sein. Nicht mehr. Es konnte ja keiner ahnen, dass das so dramatisch wird. Und jetzt steht es hier nach 45 Minuten 0:0 gegen eine Gladbacher Mannschaft, bei der Leute auf dem Platz stehen, deren Namen ich noch nie gehört habe.“ Eine Minute lang sagte keiner was. Julian überlegte. Guido Cantz hatte ihn damals auf dem Parkplatz abgepasst. Ob er Spaß verstehen würde. Was für eine Frage, natürlich. Dann hatte Guido ihn eingeweiht. Ein halbes Jahr lang sollte Julians Zwillingsbruder die Spiele für ihn bestreiten. Der war zwar fußballerisch völlig untalentiert, aber mal ehrlich, was sollte denn schon passieren. Die Dortmunder Mannschaft war so gut aufgestellt, das mit dem Meistertitel würde auch mit seinem Bruder passen. Und er hatte auch nicht so wirklich was dagegen, die Spieltage bei Häppchen und Bier im VIP-Bereich zu verbringen.

Vor der Winterpause hätte es dann nach dem Gewinn der Herbstmeisterschaft noch im Stadion die große Auflösung gegeben. Am meisten hatte er sich auf das Gesicht von Michael Zorc gefreut. Von wegen „Bla bla, Julian, wir beobachten dich schon ewig, wir kennen dich in- und auswendig...“ am Arsch. Der hatte ja noch nichtmal gemerkt, dass den Vertrag auch sein Zwillingsbruder unterzeichnet hatte. An dem Tag war im Freibad Leverkusen freier Eintritt für alle unter 16 gewesen und bislang hatte war er immer noch umsonst reingekommen.

Leider war der Plan böse in die Hose gegangen. Der Durchmarsch durch die Bundesliga glich eher dem Laufweg von Mario Basler nach 3 Kisten Weizenbier. Und dass sein Bruder untalentiert war, das wusste Julian. Aber dass er so untalentiert war, hatte ihn dann doch überrascht. So langsam kippte die Stimmung, auch ihm gegenüber. Fehleinkauf war da noch die nettere Bezeichnung, die im Forum des Todes zu lesen war. Schlechteres Defensivverhalten als Bergdölmo hatte jemand über ihn gesagt.

Wenn doch wenigstens das Tor seines Zwillingsbruders gegen Gladbach in der Bundesliga gezählt hätte. Das hätte den Druck etwas rausnehmen können. Aber der Reus musste ja wie halbgescheit im Weg rumhampeln.

„Guido,“ Julian versuchte es noch einmal. „Du hattest doch schon den Auftritt von uns in der Sendung. Das merkt überhaupt keiner, wenn wir das hier still und heimlich beenden.“ „Nee Julian, ernsthaft. Das hier ist ein Ding wie damals der Titanic-Typ mit den Buntstiften bei Wetten dass. Wir könnten mit dem Knaller erreichen, dass auf einen Schlag auch wieder Menschen unter 73 öffentlich-rechtlich schauen. Das Ding wird durchgezogen. Koste es, was es wolle.“

Koste es, was es wolle. Wieder grübelte Julian. Als erstes wahrscheinlich den Kopf von Favre. Eigentlich mochte Julian den Mann. Immer nett, immer höflich. Er wusste das echt zu schätzen. Mit Grauen erinnerte er sich an Roger Schmidts kinskiesken Kabinenansprachen. Siedend heiß fiel ihm ein, dass Schmidt vertragslos war. Nein, das durfte er nicht riskieren. Er fasste einen Entschluss. „Ich hol mal Bier“ nuschelte er und huschte aus der Loge.

Jetzt hieß es schnell sein. Er hastete Richtung Kabinengang. Ein Ordner stellte sich ihm in den Weg. Julian setzte alles auf eine Karte. „Ich bin’s, Julian Brandt.“ Verdammt, das konnte nicht funktionieren. Der Ordner musterte ihn kurz. Dann gab er wortlos den Weg frei. Schien sich nicht so wirklich für die Aufstellung der Borussia interessiert zu haben, der gute Mann.

Kurz vor der Kabine hörte Julian Alustollen auf dem Boden klackern. Die Mannschaften kamen aus der Kabine. Julian drückte sich in eine dunkle Ecke. Wo war sein Bruder? Da. Glück gehabt. Als letzter schlurfte er mit hängenden Schultern aus der Kabine. Julian wartete kurz und zog ihn dann in die Ecke. „Was...wie...“ stammelte sein Bruder. „Schnauze.“ sagte Julian „Gib mir die Fußballsachen.“ „Aber...“ „Kein aber. Schluss mit dem Theater.“ Julians Bruder zog sich das Trikot über den Kopf. „Gott sei Dank. Ich kann nicht mehr. Hast du das Geraune gehört, als mir der Ball am Strafraum versprungen ist? Ich dachte die fressen mich hier auf. Selbst der Favre hat mich in der Halbzeit angezählt. Richtig emotional ist der geworden. Also emotional für ihn. Der hat sogar die Augenbraue hochgezogen als er mich ermahnt hat, konzentriert zu sein.“ In Windeseile hatten beide die Kleidung getauscht. „Aber was sag ich denn dem Cantz?“ fragte sein Bruder in Julians Richtung. Julian grinste. „Frag ihn einfach, ob er Spaß versteht.“ Sein Bruder grinste auch. „Wird gemacht, Bro.“ Dann war er verschwunden.

Julian schloß die Augen. Er hörte die verhallenden Schritte. Den Applaus der Fans draußen, als die Spieler zur zweiten Halbzeit zurück auf den Platz trabten. Dann atmete er tief durch und betrat den Spielertunnel.

Für die Puristen

Ergebnis: 2:1

Aufstellung, Torschützen, Karten: Könnt ihr beim kicker oder sonstwo nachlesen.

Zuschauer: DA IST DAS DING!!!!! 79.800 Zuschauer bedeuten Rekord für ein Spiel in diesem Wettbewerb in dieser Runde zwischen diesen Mannschaften an diesem Datum um diese Uhrzeit bei diesen Temperaturen. Oder so.

Die Einzelkritik

Hitz: Weitestgehend solide, beim Tor schuldlos. Hatte in der ersten Halbzeit Bock, vom Social Media-Team des BVB abgefeiert zu werden und rettete sein eigenes missratenes Dribbling zur Ecke.

Piszczek: Derzeit wieder in etwas schwächerer Verfassung.

Akanji: Scheint einen Vertrag mit dem Kardiologenverband zu haben. Sorgt zumindest immer wieder für Herzrasen bei mir.

Zagadou: Zeit für einen Evergreen:

Ohne dich geht jeder Angriff rein,

ohne dich fahr'n wir null Punkte ein,

ohne dich hat Bürki keine Ruh,

DAN-AXEL ZAGADOU!

Schulz (bis 78.): Kommt bislang noch nicht über solide hinaus. Eine gefährliche Hereingabe ist gegen eine angeschlagene Gladbacher Mannschaft zu wenig. Verweigerte in der zweiten Halbzeit in einer Situation die Rückwärtsbewegung komplett.

Weigl: Das war schonmal besser.

Witsel: Deutlich verbessert im Gegensatz zum Derby, aber noch weit entfernt von seiner „Bosstime“ vor einem Jahr.

Hazard: Sehr bemüht, teilweise glücklos. Aber der Trend geht in die richtige Richtung.

Brandt: Der Zwillingsbruder: ouh ouh ouh. Julian: Chapeau!

Sancho: Wie zuletzt mit Licht und Schatten. Hätte das 1:1 nach Vorlage von Brandt machen müssen.

Bruun Larsen (bis 63.): Siehe ersten Teil von Hazard.

Hakimi (ab 63.): Direkt präsent und engagiert.

Götze (ab 78.): Deutlich besser im Spiel eingebunden als Bruun Larsen. Was aber auch kein Wunder ist.

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