Dummels und die Backstreet Boys
Es ist die 43. Minute im eisig kalten Berliner Olympiastadion: Davie Selke läuft mit Tempo auf den bereits verwarnten Dortmunder Abwehrchef Mats Hummels zu, legt den Ball an ihm vorbei und wird dann dumm von den Beinen geholt. Mit gesenktem Haupt verlässt Hummels den Platz, ab diesem Moment spielt die Borussia in Unterzahl. Doch der Reihe nach.
Um 06:09 Uhr begab sich der von schwatzgelb.de und dem Unnaer Fanclub "Goldener Oktober" gemeinsam organisierte Bus vom Dortmunder Hauptbahnhof in Richtung Nordosten auf den Weg. Die zuvor mühevoll erstellte Playlist begleitete fachmännische Gespräche und diverse Partien des Würfelspielklassikers "Schocken" mit Hits der 90er Jahre - und auch Vanni durfte sich an den Unterhaltungen beteiligen. ("Ey!", Anmerkung von Vanni) Zu den Themen zählten vor allem diverse Reiseerlebnisse aus Barcelona, wo doch ein Teil der Mitfahrer erst wenige Stunden vor Abfahrt des Busses wieder in Deutschland angekommen war. (Aus Jugendschutzgründen können wir an dieser Stelle keine detaillierteren Auskünfte darüber geben. Dildo Anmerkung des Autors) Nach einer sehr kurzweiligen Fahrt über die Zwischenhalte Unna und Oelde erreichte der Bus das Olympiastadion frühzeitig mit guter Laune bei der gesamten Besatzung, die die Wartezeit im Biergarten des Preußischen Landwirtshauses überbrückte. Diskussionen, ob es dort oder im Stadion kälter war, dauern zur Stunde noch an. Bis zum Spiel war der Tag auf jeden Fall schon ein Erfolg!
Hinter den Toren hat die Hertha inzwischen eine affige, provokant in blau und weiß gehaltene Fantrennung installiert, die den üblichen Weg vom Eingang zu den Blöcken behindert und für reichlich Konfusion an den Drehtoren sorgte. Konnte man sich in Berlin bisher frei um das imposante Bauwerk bewegen, muss man nun über die Wiese außen herum direkt zum Gästeblock latschen. Wäre das Wetter feuchter gewesen, wäre das kein angenehmes Unterfangen geworden.
Im Block wuchs hingegen die Erkenntnis, dass Norbert Dickel doch nicht der peinlichste Stadionsprecher der Welt ist. Sein Berliner Pendant Wichsmann von Wachsmann forderte vor dem Spiel nicht nur alle Hertha-Fans zur Mitarbeit auf, sondern auch alle anwesenden Berliner und Brrrrrandenburger - präsentiert von Lada. Und das in einem Tonfall, der in diesem Stadion vor 80 Jahren regen Zuspruch erhalten hätte. In der Ostkurve darf sich Frank Zander(-strack) währenddessen darüber freuen, dass er dank miserablem Playback wieder ein regelmäßiges Einkommen hat. Nur im Rhythmus, nur im Rhythmus, nur im Rhythmus singt er nicht!
Der Gästeblock war zu Spielbeginn hingegen noch recht spärlich gefüllt: Aufgrund einer Buspanne trafen die Ultras des BVB erst kurz nach Anpfiff ein und konnten ihre "Arbeit" auch erst nach einigen Minuten Positionierung und Aufbau aufnehmen, ehe dann endlich ein koordiniertes "Heja BVB" durch das weite Rund schallte.
Auf dem Rasen sollte Lucien Favre für einige Überraschungen sorgen: Der BVB trat in Berlin in einer 3-4-3-Grundordnung an, bei der Akanji, Hummels und Zagadou ( Ohne dich geht jeder Angriff rein...) die Dreierkette bilden durften. Davor waren Witsel defensiv und Brandt verbindend im Zentrum angeordnet und wurden von Hakimi und Guerreiro flankiert, während Skandalnudel Sancho, Terrier Hazard und der unsichtbare Reus den flexiblen Angriff formten.
Das hatte durchaus positive Auswirkungen auf die in Barcelona beeindruckend unbewegliche Statik des BVB. Das Angriffstrio wechselte regelmäßig die Positionen und auch Brandt war zu Beginn nahezu überall zu finden. Und so war auch er es, der für den ersten Geniestreich sorgte. In der 15. Minute spielte er einen brillanten Diagonalpass aus dem Halbfeld an die linke Strafraumkante, wo Sancho annahm und dann - fast so eiskalt wie das Wetter - zum 0:1 vollendete. Das erste BVB-Tor in Halbzeit eins seit zwei Monaten!
Darauf folgte ein wirklich ungewohntes Bild: Borussia machte weiterhin Druck und erzwang nur 103+1 Sekunden nach der Führung den zweiten Treffer. Hakimi ließ einem Flügellauf eine scharfe, flache Hereingabe folgen, die Hazard aus Mittelstürmerposition vollendete und dann zum ausgelassenen Jubel vor dem Gästeblock abdrehte. Was war denn hier los?
Der Frust bei den Gastgebern stieg: Darida trat Reus von hinten das Standbein weg und war mit dem gelben Karton durchaus gut bedient. Ein Foul der Marke: Der Ball war immerhin im Blickfeld. Zwei Minuten später überraschte Borussia die Berliner mit einem Freistoßtrick. Reus täuschte die schnelle Ausführung an, sodass sich Mitspieler und Gegner kurz auf den Weg zum Tor machten. Während sich alle wieder neu positionierten, schlich sich Guerreiro auf dem linken Flügel davon, erhielt den Ball und flankte direkt in die Mitte: Akanjis Kopfball verpasste das 0:3 nur knapp.
Leider verfiel der BVB dann doch wieder in altbekannte Muster der Passivität. Bürki konnte erst einen Schuss von Lukebakio parieren, ehe er sich einem zweiten geschlagen geben musste. In der 34. Minute zog der kongolesische Belgier vom rechten Flügel an der Strafraumlinie nach innen, wurde von mehreren Borussen nicht entscheidend gestört und zog dann ab - Darida stand am Elfmeterpunkt und drückte den Ball ins linke Toreck, während Bürki auf dem Weg ins andere war. Der Anschlusstreffer, der die Borussia weiter verunsichern sollte.
Der erhöhte Druck der Herthaner führte dann auch zum eingangs geschilderten Platzverweis Dummels'. Bis zum Pausenpfiff gab es im Gästeblock daraufhin bereits Befürchtungen und fiktive Szenarien, nach denen der BVB diese eigentlich souveräne 0:2-Führung verspielen würde.
Nach einer ausgiebigen Pyroshow im unteren Teil des Gästeblocks wurde ein Teil der pessimistischen Vorhersage dann in der 48. Minute auch fast wahr: Selke wurde via Steilpass in den Strafraum geschickt, lief Akanji davon und netzte platziert im rechten unteren Toreck ein. Lauter Jubel im Olympiastadion und Resignation im Gästeblock. Während sich beide Mannschaften schon für den Wiederanpfiff bereit hielten, wurde Schiedsrichter Jablonski aus dem Kölner Keller darüber informiert, dass Selke beim Zuspiel ungefähr 3,14159 cm im Abseits stand und nahm das Tor unter Jubel im Gästeblock wieder zurück.
In der Folge verschob Borussia clever und ließ den Herthanern nahezu keine Gelegenheit, gefährlich vor das Tor von Roman Bürki zu gelangen. Zagadou und Akanji konnten die meisten Flanken und langen Bälle problemlos klären, während vor allem Hazard so lang Lücken schloss, bis er Krämpfe bekam. Dass der eingewechselte Ibisevic für seinen Versuch, Hazard dabei vom Platz zu schleppen (oder sein späteres Foul an Witsel) nicht vorzeitig duschen gehen durfte, ist auch nur bedingt nachvollziehbar.
Nachdem Piszczek den angeschlagenen Hazard ersetzte und Publikumsliebling Schmelzer für Sancho ins Spiel kam, beendete Favre in der Nachspielzeit auch endlich die doppelte Unterzahl des BVB, indem er Götze für Reus brachte. Der eingewechselte Weltmeister hatte in den zweieinhalb Minuten nach seiner Einwechslung einen größeren Aktionsradius als der Kapitän in der gesamten zweiten Halbzeit.
Und doch sollte die Führung halten. Zwei beeindruckende Minuten in der ersten Hälfte und eine mannschaftlich geschlossene Verteidigungsleistung in der zweiten Halbzeit sollten reichen, um eine schwache Hertha im ersten Spiel ihres neuen Trainers zu besiegen. Ein positives Signal für die Zukunft, aber das dachte man nach der zweiten Halbzeit gegen Inter im Westfalenstadion bereits. Drei wichtige Punkte im Kampf um die Qualifikation zur Königsklasse, aber sicher noch kein Brustlöser oder keine Trendwende. Durch Hummels' Sperre, die sich dank seiner vier gelben Karten kurzfristig wiederholen könnte, könnte Zagadou nun häufiger die Chance erhalten, seine starken Auftritte zu bestätigen. Marco Reus hingegen könnte eine Pause gut vertragen. Der Stuhl von Lucien Favre wackelt weiter - auch wenn er mit seiner Umstellung vom 4-2-3-1 zum 3-4-3 zweifelsohne Anteil an diesem Auswärtssieg trägt und gewillt scheint, alles zu tun, um die Borussia wieder in die Spur zu bringen. Wir wünschen ihm dabei viel Erfolg.
Die Rückfahrt verlief zuerst ereignislos. Man feierte den Mann des Spiels wie es sich gehört mit seinem Lied:
Ohne dich geht jeder Angriff rein
Ohne dich fahrn wir null Punkte ein
Ohne dich hat Bürki keine Ruh
Dan-Axel Zaaaaaaaagadou
Dann jedoch wurde die friedliche Fahrt jäh unterbrochen, als einige schlecht vermummte Oktoberisten einen feigen Angriff auf die anwesende schwatzgelb.de-Redaktion und damit mittelbar auch auf die Pressefreiheit unternahmen. Dabei wurde sogar ein Mülleimer umgekippt.
Unsere Rache hatte es aber in sich. Während der restlichen Fahrt wurde der Bus von den anwesenden Redakteuren und Angehörigen (4 von 6 nüchtern) mit laut mitgegrölten Backstreet Boys und Spice Girls Lieder terrorisiert, bis die Angreifer um Gnade winselten.
Stimmen
Alexey
Schon nach der letzten gemeinsamen Fahrt von schwatzgelb.de und "Goldener Oktober" haben wir gesagt, dass wir in der Saison 19/20 eine weitere Fahrt unternehmen werden. Da ich ab August auch Mitglied bei der berühmten "Lügenpresse" bin, habe ich mich umso mehr auf die Fahrt gefreut. Als Ziel haben wir uns dieses Mal Berlin ausgesucht. Dieses Jahr bin ich bisher zu fast allen Spielen mit dem Zug gefahren und vor allem bei den letzten Spielen war es so, dass die Fahrt und das Drumherum deutlich besser waren als das Spiel.
Um 6 Uhr morgens ging es vom Dortmunder Hauptbahnhof nach Berlin. Schon die Hinfahrt war super. Einige MitfahrerInnnen hatten Schockbecher dabei, so dass relativ viel geschockt werden konnte. Die gute Musikmischung sorgte für eine gute Stimmung. Dieses Mal hat Borussia ein ordentliches Spiel gegen sehr schwache Berliner geliefert und gewonnen. Dadurch war die Stimmung im Bus auch nach dem Spiel hervorragend. Vielen Dank an die Orga, vor allem an Fabi und Seb, und ich freue mich schon auf weitere gemeinsame Fahrten.
Michael
Nie hat jemand behauptet, dass Auswärtsbusfahrten einfach sind. Dass man sich aber am Ende nicht sicher ist, ob einen der Musikgeschmack oder der Inhalt der verwackelten Barcelona-Handyvideos der Mitreisenden mehr schockierte, lässt mich dann doch fassungslos zurück. Aber, wie ein großer Philosoph mal sagte: "Wie wenig schlimm das alles ist, wenn man mal gewonnen hat." Große Worte, gelassen ausgesprochen. Und so bleibt mir nur noch zu sagen: "Schalalalalalalalala Jürgen Klinsmann raus, Klinsmann raus, Jürgen Klinsmann raus."
Nadja
Wenn man nüchtern ist, dann hat man es oft nicht leicht. Dass sich die Nüchternen auf dieser Fahrt als die Betrunkensten erwiesen, ist für mich die schönste Erkenntnis des Tages (mal abgesehen von der Tatsache, dass der BVB noch gewinnen kann). Eines Tages mit einer Fahrt, die nicht nur perfekt organisiert war, sondern auch von der perfekten Playlist begleitet wurde. So kann ich nur sagen: "I like it thaaaaaaaaaaaaaaaaaaat way!"
Vanni
"Das ist alles viel weniger schlimm, wenn man nicht verliert“, sagte ich gestern nachdem ich aus Mailand und München ohne Punkte wieder nach Hause kam. So entstand eine mehr als launige Fahrt mit ausgelassener Stimmung. Auf dem Hinweg hätte es mich nicht überrascht, wenn ich das letzte Spiel von Lucien Favre als BVB-Trainer sehen würde. Stattdessen sah ich eine disziplinierte und gute Leistung, die wieder Hoffnung machte. Und nur für das Protokoll: der Biergarten war am kältesten.
Seb
Ich denke, dass wir gut in den Bus reingekommen sind. Bier und Cider in der Startaufstellung haben unserer Fahrt in vielerlei Hinsicht gut getan hat. Gerade auf der Position des Mitsängers konnten wir diesmal deutlich mehr Druck ausüben, so dass wir peu a peu besser gelaunt in Berlin ankamen. Zu den weiteren Vorfällen möchte ich mich ungern äußern. Das müssen wir intern aufarbeiten, damit in letzter Konsequenz auch wieder mehr Disziplin am Glas herrscht.
Neusser
Nach dieser anstrengenden Woche in Barcelona war es natürlich eine besondere Herausforderung, nachts um vier bereits nach Berlin aufzubrechen. Wir hatten nicht viel Zeit, uns für die Fahrt vorzubereiten und sind dementsprechend auch ein wenig zu passiv gestartet. Aber nach einer ruhigen Anfangsphase haben wir relativ gut in unseren Fluss gefunden und dann beim Schocken auch wirklich eine gute Leistung gezeigt. In der zweiten Hälfte haben wir dann eine besondere mannschaftliche Geschlossenheit an den Tag gelegt, als die Playlist uns mit ihren anspruchsvollen Hits der 90er-Jahre gefordert hat. Wir können wirklich stolz auf unsere Leistung auf der Rückfahrt sein, wo jeder für den Anderen dahin ging, wo es wehtat. Wir haben nicht nur einen hervorragenden Spielbericht geschrieben, sondern auch jeden Boyband-Song hervorragend performt. Play as a team, win as a team, celebrate as a team - I want it that way!