Pflichtsieg beim Traumlos: BVB holt 3 Punkte in Prag
Madrid, London oder vielleicht doch mal Monaco? Die Champions League bietet seit Jahren kaum mehr Anlass zu großen Überraschungen, wenn da nicht der Lostopf 4 wäre. In diesem Jahr meinte es das Losglück besonders gut mit uns und bescherte dem BVB mit Slavia Prag ein echtes Traumlos. Knapp 1.000 mitgereiste BVB-Fans – mehr Tickets gab das winzige Stadion nicht her – testeten so manche Kneipe an und brachten sich in Stimmung, die sich während des Spiels durchaus sehen und hören lassen konnte. Das Spiel war für den BVB nach einigen mauen Auftritten ein Schritt in die richtige Richtung, wie Marco Reus nach Spielende feststellte, aber eben auch nicht viel mehr. Über weite Phasen des Spiels, insbesondere in der zweiten Halbzeit, wirkte das schwarzgelbe Treiben mehr nach Arbeit, als so manchem Beobachter lieb gewesen wäre.
Die Ausgangssituation war denkbar ungünstig: nachdem Borussia Barcelona im ersten Gruppenspiel phasenweise nach Belieben dominiert, aber keine Tore erzielt hatte, war ein Sieg in Prag Pflicht, wenn eine realistische Hoffnung auf ein Überwintern in der Champions League am Leben gehalten werden sollte. Nach mauen Darbietungen gegen Eintracht Frankfurt und Werder Bremen, als deutlich schwächeren Gegnern ein ums andere Mal die Chancen auf dem Silbertablett serviert wurden, fiel Slavia Prag in eine ähnliche Kategorie: leicht überdurchschnittliches Bundesliganiveau, mäßig prominente Spieler und stets die Gefahr, eben diese zu unterschätzen. Mats Hummels, nach kurzer Verletzungspause wieder ins Team zurückgekehrt, beantwortete die obligatorische Mentalitätsfrage am Vortag des Spiels mit einem Verweis auf Stellungsfehler: „Wenn einem sonst nichts einfällt, kann man immer davon sprechen, auch wenn es den Kern nicht trifft.“ Was den Kern tatsächlich treffen könnte, verriet Hummels gleichwohl nicht.
In der Stadt herrschte geschäftiges Treiben. Einige besuchten das Youth League Spiel, um sich auf den abendlichen Kick einzustimmen. Andere reisten zum Strahov-Stadion, das als größtes Stadion aller Zeiten gilt und jedem ans Herz gelegt sei, der einmal in der Stadt ist. Beeindruckend ist nicht nur die Größe des Baus, sondern auch der natürliche Verfall, der mit der sich ausbreitenden Natur einen besonderen Charme versprühte. Der Zugang war problemlos möglich, man merkte jedoch recht schnell, dass man hier auf den baulich durchaus angeschlagenen Tribünen nur auf eigene Gefahr unterwegs war (was den Gesamteindruck aber in keinster Weise trübte). Die wieder nächsten blieben direkt im Stadtzentrum, in dem selbst die üblichen Tourifallen mit vergleichsweise erschwinglichen Preisen aufwarteten, und erfreuten sich an den heimischen Fangetränken. Nicht einmal überfordertes Thekenpersonal, das im bumsvollen Schuppen tatsächlich um Punkt Mitternacht die Zapfanlagen abklemmte (und diesen Quatsch am Abend nach dem Spiel tatsächlich noch einmal unter Zurschaustellung beeindruckender Inkompetenz beim Kassieren durchzog), konnte der Stimmung etwas anhaben. So konnte man alles in allem kann sagen: der Ausflug nach Prag lief ziemlich genau so ab, wie man ihn sich im Vorfeld wünschen konnte.
Vom Treffpunkt am Altstädter Ring ging es für den schwarzgelben Mob bereits ungewohnt früh in Richtung Stadion, einem recht ansehnlichen Bau mit Holzverkleidung an der Dachunterseite und einem Medieneingang durch den im Stadion integrierten McDonald‘s. Da in der Nacht Karel Gott nach langer Krankheit verstorben war (ein Staatsbegräbnis ist wohl in Planung, der Präsident würdigte ihn als einen der größten Tschechen der Geschichte – auch bekannt wurde die goldene Stimme Prags als Sidekick Nobby Dickels, wie Facebook-Nutzer u.a. hier sehen können), fand bereits 20 Minuten vor Spielbeginn eine Erinnerung mit der tschechischen Version der Biene Maja sowie der deutschen BVB-Fassung statt. Eine gute Aktion, die von allen Tribünen entsprechend positiv aufgenommen wurde. Tatsächlich schien der Vorfall vielen Zuschauern nahe zu gehen, auch die Zeitungen kannten auf ihren Titelseiten kaum ein anderes Thema.
Wie heiß das Publikum auf das Spiel war, zeigte sich in den folgenden Minuten. Der Gästeblock machte seine Sache so ordentlich, dass es nach Spielende von tschechischen Fans Applaus geben sollte. Die Heimseite machte ebenso mächtig Radau und feuerte Choreos ab, die sonst locker für eine ganze Saison reichen könnten. Eine Papptafelchoreo, die das Motto „Never give up“ übergroß erscheinen ließ, weitere Papptafeln zum alten Stadionnamen Eden auf der Hintertortribüne, und eine Blockfahne, die eben diese Tribüne während des Spiels für knappe fünf Minuten verhüllte und anschließend den Blick auf komplett in weiße bzw. rote Capes gehüllte Fans freilegte, war schon ganz ok.
Beide Mannschaften begannen im 4-2-3-1 und waren bemüht, keine Fehler zu machen. Slavia wollte nicht direkt Gegentore fressen, der BVB keinen falschen Eindruck entstehen lassen und direkt von Beginn weg das Spiel dominieren. Es klappte leidlich gut: zwar hatte Borussia mehr vom Spiel und wirkte zumindest überlegen, leistete sich aber immer wieder kuriose Böcke und bisweilen riesige Lücken in der Defensive, die von einem Gegner der Gewichtsklasse FC Bayern unter Garantie zu Gegentreffern geführt hätten. Dass Roman Bürki einen Sahnetag hatte und wiederholt (21., 24.) in höchster Gefahr parierte, konnte jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mehr als nur ein bisschen Glück im Spiel war. Auch in der Offensive gab es wieder ein Best of der altbekannten BVB-Probleme zu bestaunen: bis zum Strafraum lief es flüssig, doch fehlte dann derjenige, der den Ball einmal aufs Tor hätte schießen können (und wollen). Alleine in der ersten Halbzeit gab es gleich mehrere Situationen, in denen ein bisschen mehr Mut zum Abschluss nicht geschadet hätte.
Die löbliche Ausnahme bildete an dieser Stelle Achraf Hakimi, der nicht nur wahnsinnige Sprints zeigte, sondern tatsächlich auch in Richtung des gegnerischen Kastens schoss. Seine ersten Versuche verfehlten das Tor noch knapp, nach einem starken Pass Julian Brandts wirbelte er dann wie ein Derwisch durch den Prager Strafraum und bugsierte den Ball mit links zum Führungstreffer in die Maschen (35.). Der BVB behielt in der Folge die optische Überlegenheit, ohne jedoch etwas Zählbares zu erreichen. Jadon Sancho, der ebenso wie Reus einen eher schwarzen Tag erlebte, vergab kurz nach Beginn der zweiten Hälfte das beinahe sichere 2:0, weil er sich den Ball so weit vorlegte, dass der gegnerische Torwart ihn mal eben hatte aufnehmen können.
Es entwickelte sich das typische Spiel der vergangenen Wochen: in der Gewissheit sportlicher Überlegenheit stellte Borussia das kreative Spiel weitgehend ein, verwaltete die hauchdünne Führung und verließ sich darauf, dass hinten schon keiner reingehen werde. Gleich mehrfach kamen die Tschechen jedoch vor Bürkis Tor, trafen das Außennetz (52.), ließen bei Standardsituationen das schwarzgelbe Herz in die Hose rutschen (65.) oder nutzten einfach jede Gelegenheit, um auch mal aus größerer Entfernung draufzuhauen (66., 70.).
Lucien Favre hielt es da nicht mehr auf seiner Trainerbank, er tigerte durch seine Coachingzone und trieb seine Spieler (für seine Verhältnisse) hoch emotional nach vorne. Es scheint einstweilen bei ihm angekommen zu sein, dass mentalitäts- bzw. stellungsfehlerherausgeforderten Spielern gelegentliche Antriebsversuche von der Seitenlinie helfen könnten. Noch nicht ganz bis zu Favre durchgedrungen scheint hingegen die Erkenntnis, dass Einwechslungen auch vor der Schlussphase ein zulässiges Mittel sein können, um einer sich selbst verwaltenden Mannschaft neue Impulse zu geben. Um in der Nachspielzeit auf den Platz zu kommen und nur ein paar Sekunden von der Uhr zu nehmen, sind Dan-Axel Zagadou und insbesondere Mario Götze jedenfalls zu teuer.
Dass es am Ende doch noch für einen zweiten Treffer reichte, war neben einer Riesenportion Glück wieder Brandt und Hakimi zu verdanken: ein sauber Konter, schön gesehen und ebenso eiskalt abgeschlossen, ließ den Dortmunder Anhang jubeln und sorgte für ein Grundmaß an Optimismus, die derzeitige Schwächephase mit einer ordentlichen Leistung in Freiburg beenden zu können. Der Gästeblock feierte jedenfalls mit den Spielern und gab ihnen einiges an Energie mit auf den Weg, während sich auch die einheimischen Fans in beeindruckender Lautstärke bei ihren Spielern bedankten. Manchmal muss ein Spiel eben nicht perfekt sein, sondern sind Fans bereits zufrieden, wenn sich ihre Spieler den Arsch aufgerissen haben – auch das eine Erkenntnis, die sich am Samstag bei der nächsten Pflichtübung in Freiburg in einer stärkeren und konzentrierteren Leistung spiegeln sollte. Eine Auswärtsfahrt nach Prag hingegen darf sich jederzeit gerne wiederholen.
Statistik
Slavia: Kolar – Coufal, Kudela, Hovorka, Boril – Soucek, Sevcik – Masopust, Stanciu, Olayinka – Tecl
Wechsel: van Buren (59.) für Tecl, Zeleny (76.) für Masopust, Skoda (83.) für Stanciu
BVB: Bürki – Guerreiro, Akanji, Hummels, Piszczek – Witsel, Delaney – Hakimi, Brandt, Sancho – Reus
Wechsel: Hazard (74.) für Sancho, Hakimi (90.) für Zagadou, Götze (91.) für Brandt
Tore: 0:1 Hakimi (35.), 0:2 Hakimi (89.)
Gelbe Karten: Sevcik, Hovorka – Piszczek
Zuschauer: 19.370