Gelungener Auftakt in die „Wochen der Wahrheit“
Zugegeben, wenn man mit dem Verfassen des Spielberichts beauftragt wird, macht man sich natürlich im Vorfeld ein paar Gedanken über den möglichen Verlauf des Spiels. Meine Befürchtungen drehten sich daher hauptsächlich darum, wie man im Falle eines erneuten Unentschiedens oder gar einer Niederlage den nächsten „Tiefpunkt“ beschreiben soll - ohne meine Vorredner der Begegnungen gegen Freiburg, Bremen und Frankfurt stumpf wiederholen zu wollen. Eine ähnliche Stimmungslage konnte man auch vor dem Spiel in und um das Westfalenstadion wahrnehmen.
Spätestens nach Bekanntgabe der Suspendierung von Jadon Sancho am Spieltag wurde dann deutlich, wie viel Druck bereits auf dem Dortmunder Kessel lastet. Dieser erschien anscheinend nicht rechtzeitig zum Zapfenstreich aus der Länderspielpause zurück und wurde von Lucien Favre prompt aus dem Kader gestrichen. Sogleich entbrannten die Diskussionen, ob der BVB sich in der aktuellen Phase diesen Luxus denn überhaupt leisten könne. Dass man die unterschiedlichen Lager aber ziemlich zielsicher in Favre-Befürworter und Favre-Gegner einteilen konnte und es also offenbar weniger um die Verfehlung des englischen Youngsters selbst ging, mag jedoch nur meine Interpretation sein. Dieses Verhalten entsprechend zu sanktionieren und dabei eben keine Rücksicht auf den Status des Spielers zu nehmen, scheint mir die richtige Lösung zu sein, um als Trainer nicht seine Glaubwürdigkeit zu verlieren und den eigenen Kritikern Vorschub zu leisten.
Die Aufstellung der (wahren) Borussia kam allerdings auch aufgrund anderer personeller Faktoren in einem durchaus ungewöhnlichen Gewand daher. Paco Alcácer (Achillessehnenprobleme) sowie Mario Götze (grippaler Infekt) fielen verletzungsbedingt aus, gleichzeitig kehrte Nico Schulz von seiner Fußverletzung zurück. Das alles mündete dann in einem ungewohnten 4-4-2-System, mit einer Innenverteidigung aus Mats Hummels und Julian Weigl, Manuel Akanji als rechtem Außenverteidiger, so dass Achraf Hakimi einmal mehr seiner neu gewonnenen offensiven Rolle als rechter Flügelspieler nachgehen konnte. Im Angriff sah man außerdem aufgrund der Ausfälle zum ersten Mal Thorgan Hazard, Julian Brandt und Marco Reus von Beginn an zusammen auf dem Platz.
VARrückte Abseitspositionen und Erlösung durch Marco Reus
Sodann entwickelte sich ein recht munteres Abtasten auf beiden Seiten, welches beiden Torhütern die Möglichkeit bot, sich gut in Szene zu setzen. Roman Bürki muss da aber zweifellos hervorgehoben werden, da er alleine gegen Embolo in der 29. und 41. Minute mit vollem Risiko den Ball klärte und zumindest bei mir einen nervösen Blick auf den Schiedsrichter auslöste (und ein tobendes Westfalenstadion).
Damit wären wir schon beim Aufreger des Spiels in der 33. Minute angekommen. Nach einem etwas glücklichen Treffer von Thorgan Hazard (der gegen seinen früheren Club im Übrigen eine extrem engagierte Leistung ablieferte) staunte das Stadion nicht schlecht, als dieser nach Eingriff der Kölner Kellerkinder zurückgenommen wurde. Grund war eine Abseitsposition von Marco Reus einige Stationen zuvor, der wohl mit einer halben Stolle seines Schuhwerks im Abseits gestanden haben muss.
Im zweiten Abschnitt erlöste uns jedoch Marco Reus in der 58. Minute, der nach Vorlage von Hazard den Gladbacher Torhüter Yann Sommer lässig tunnelte und einen durchaus überlegenen Start der Schwarzgelben in die 2. Halbzeit krönte. Gladbach reagierte prompt mit zwei Wechseln (Herrmann für den an Bürki verzweifelten Embolo und Neuhaus für Benes im Mittelfeld) und auch der BVB musste leider verletzungsbedingt in der 71. Minute wechseln. Der bis dahin überragende Bürki kam nach einer schönen Faustabwehr ziemlich blöd auf und konnte nicht mehr weitermachen, so dass durch die Einwechslung von Marvin Hitz in einem Bundesligaspiel gleich drei Schweizer Torhüter zum Einsatz kamen.
Die hektische Schlussphase
In den letzten 20 Minuten standen einmal mehr die Schiedsrichter inklusive aller (Video-)Assistenten im Mittelpunkt. In der 72. Minute klärt Hummels durchaus diskutabel einen Abschluss von Patrick Herrmann - ein Pfiff blieb glücklicherweise aus. Wenn man das Ganze neutral beobachtet, darf aber im Zusammenhang mit der oben angesprochenen Szene sicherlich die Frage erlaubt sein, ob es Sinn der Sache ist, millimetergenaue Abseitspositionen zig Stationen vor dem Tor zu ermitteln, aber gleichzeitig ein relativ robustes Einsteigen im Strafraum nicht weiter zu überprüfen. In der 84. Minute mutierte das Spiel aus unserer Sicht ein bisschen zu Geschlechtsverkehr ohne Höhepunkt, denn ein weiterer Treffer, diesmal von Julian Brandt, wurde aufgrund einer erneuten Abseitsstellung von Marco Reus aberkannt, der Yann Sommer wohl die Sicht geraubt haben soll.
Spätestens jetzt war ordentlich Action im Stadion angesagt, so dass selbst der sonst so gelassene Lucien Favre wild gestikulierend und rumspringend in der Gladbacher Coachingzone vorbeischaute und sich auf der anderen Seite Trainer Marco Rose eine gelbe Karte abholte. Auch Marvin Hitz nutzte nun die Gelegenheit um seine Klasse als Ersatztorhüter zu demonstrieren und warf sich in der 89. Minute in einen Schuss von Florian Neuhaus. So wurde die knappe Führung schließlich über die Zeit gebracht, wobei der BVB von seinem Wechselkontigent in der Nachspielzeit noch mit zwei defensiven Auswechslungen Gebrauch machte und Dan-Axel Zagadou für Brandt sowie Lukasz Piszczek für Thorgan Hazard brachte. Der Jubel nach Abpfiff, der ein wenig dem eines K.O.-Sieges entsprach, machte die Erleichterung der Borussenseele deutlich.
Was bleibt also vom Spiel hängen?
Sicherlich ist beim BVB spielerisch nach wie vor nicht alles wunderbar und vor allem die zum Teil etwas unkoordiniert anmutenden Offensivbemühungen und die nach wie vor nicht abgestellten Defensivaussetzer geben Anlass zu Sorge. Gleichzeitig hat man einen enorm wichtigen Sieg gegen den Tabellenführer errungen (gleichzeitig spielten München und Leipzig unentschieden, was auch nicht unerwähnt bleiben soll) und endlich einmal eine Führung über die Ziellinie gebracht. Das sollte Mut für die kommenden Aufgaben machen, denn natürlich richten sich trotz der Champions League-Begegnung bei Inter Mailand kommende Woche schon jetzt die Augen auf das Derby am nächsten Samstag. Dies wurde der Mannschaft von einer träumend im Gras liegenden Südtribüne auch entsprechend mit auf den Weg gegeben…
Stimmen zum Spiel
„Das gefällt mir total, mit 1:0 zu gewinnen.“
(Lucien Favre)
Die Aufstellungen
Dortmund: Bürki (71. Hitz) - Akanji, Weigl, Hummels, Schulz - Hakimi, Witsel, Delaney, Hazard (90. + 6 Piszczek) - Reus, Brandt (90. + 2 Zagadou)
Gladbach: Sommer - Wendt (78. Stindl), Elvedi, Jantschke, Lainer - Zakaria, Kramer, Benes (63. Neuhaus) - Plea, Embolo (63. Herrmann), Thuram