Der Zwerg macht es alleine: Borussia geht in Barcelona baden
Das letzte Auswärtsspiel der Gruppenphase 2019/20 hatte die Losfee nach Barcelona gelegt. Bei betem Wetter ließen es sich gut 5.000 Borussen am Strand gut gehen, schwangen das Tanzbein zu spanischem Fangetränk, spazierten durch Sagrada Familia & Co oder futterten sich durch die Etablissements der örtlichen Markthalle. Das sensationelle 3:2 gegen Inter Mailand hatte zwar nicht den Sieg im direkten Vergleich mit den Italienern gebracht, wohl aber eine komfortable Situation geschaffen: vor Inter stehend, würde ein Sieg gegen das schwächste Barca der vergangenen Jahre ausreichen, um das Überwintern in der Champions League einzutüten und im verbleibenden Heimspiel gegen Slavia Prag ein Ausrufezeichen zu setzen. Leider ist der Fußballgott so, wie er ist: im Hinspiel dominierten Borussia Barcelona quasi nach Belieben, ohne es jedoch aus dem Stadion zu schießen. Da sich in der Zwischenzeit nicht nur Lionel Messi deutlich in seiner Form verbessert hatte, sondern der BVB auch in eine veritable Krise gerutscht war, war eine Klatsche recht wahrscheinlich.
Das Traumlos an der spanischen Mittelmeerküste nutzten viele Fans für einen längeren Aufenthalt. Gut gelaunt wurde der Kurzurlaub bereits am Sonntag eingeläutet und die Stadt erkundet. Die Kunstmuseen der Stadt – von Picasso bis Miró – und Gaudis Bauten wussten wie erwartet zu gefallen, am Strand herrschte bei strahlend blauem Himmel reger Betrieb. Der Fassanstich erfolgte pflichtschuldig bereits am Abend, um Lücken in den gängigen Getränkeapps zu schließen – im Pub des Vertrauens, an dem Dienstagabend die Decke wegfliegen sollte, zeigten karaokewillige Künstler ihr Können bei interessanten musikalischen Darbietungen. Die gängigen Präsentationen fanden viel Anklang, auch die Organisatoren zeigten sich mit dem Abend zufrieden.
Am Spieltag gab es keinen offiziellen Treffpunkt, doch trafen sich tagsüber mehrere hundert Fans rund um den Placa Reial in Nähe der Rambla. Größeren Stress mit den in Spanien gerne mal etwas übermotivierten Sicherheitskräften gab es nicht, tatsächlich war ihr Auftreten nicht einmal halb so dominant, wie man es hätte erwarten können. Auch die Nachwuchskicker begeisterten den Dortmunder Anhang im Estadi Johan Cruyff – nicht nur klappte es mit dem Besuch eines zweiten sehenswerten Stadions, sondern auch mit einem Auswärtssieg. Aufgrund des frühen Spielbeginns um 14 Uhr und dem späten Termin um 21 Uhr bei den Profis, schaffte es der eine oder andere sogar noch mit einem dritten Spiel um 17:30 Uhr: den Kick L’Hospitalet – CF Badalona im Halbfinale der Copa Catalunya entschieden die Hausherren 5:4 im Elfmeterschießen für sich.
Aus der Stadt ging es in einer knappen Viertelstunde mit der U-Bahn zum Camp Nou, der monströsen Schüssel des FC Barcelona. Mit bis zu vier Oberrängen war der Tempel bis auf den letzten Platz gefüllt, die Kapazität von 97.000 Plätzen soll in Kürze aufgestockt werden. Ein mächtiger Anblick, der allerdings lange nicht mit so etwas wie einer Fußballstimmung belohnt worden wäre: ein feines Operettenpublikum hat man sich in Katalonien herangezüchtet, mit Ausnahme eines kleinen Bereichs hinter dem Tor hielt es niemand für nötig, sich zu einer Gefühlsbekundung hinreißen zu lassen. Nur einmal wurde es laut, als zu fortgeschrittener Spieldauer für ein paar Sekunden Messi, Messi, Messi durchs Stadion schallte.
Leider war auch der Gästeblock über weite Strecken des Spiels nicht zu vernehmen: optisch, weil nahezu alle Fanutensilien verboten worden waren und akustisch, weil eine große Plexiglasbarrikade einen guten Teil der Gesänge einfach verschluckte und ein leider doch recht großer Teil des Gästeblocks beharrlich schwieg. Trotz Materialverbot konnte man so deutlich wie lange nicht mehr die Bereiche unterscheiden, in denen sich die Szene durch Hüpfen und Gesänge bemerkbar machte und in denen das restliche Publikum meist schweigend und sitzend erstarrte.
Der BVB änderte die Aufstellung auf drei Positionen: Mahmoud Dahoud, Paco Alcacer und Jadon Sancho fehlten nach der Blamage gegen Paderborn in der Startelf, für sie rückten Achraf Hakimi, Manuel Akanji und Lukasz Piszczek nach. Alcacer hatte die Reise krankheitsbedingt gar nicht erst angetreten, Dahoud gegen Paderborn nicht unbedingt überzeugt und Sancho sich einen weiteren Ausfall geleistet: neben Frühstück und Teambesprechung verpasste er auch die letzte Trainingseinheit vor dem Spiel. Beeindruckend, mit welcher Regelmäßigkeit der Jüngling mittlerweile seine „Mentalität“ und Eignung für den Profifußball an den Tag legt. Und interessant zu beobachten, ob Aki Watzke seinen hehren Versprechen treu bleibt, ein Wegstreiken von Spielern keinesfalls mehr zuzulassen und entsprechende Versuche selbst bei gewaltigen finanziellen Einbußen mit einer Dauerkarte auf der Tribüne zu belohnen.
Das Spiel begann flott und beinahe mit einer großen Überraschung. Ivan Rakitic, der sich in Barcelona zunehmend unverstanden fühlt, schoss direkt nach Spielbeginn einen Bock – Julian Brandt schickte Hakimi, der statt eines Durchmarschs lieber den ebenso frei stehenden Nico Schulz anspielte. Schulz, offensichtlich mit der Situation überfordert, stellte Marc-André ter Stegen nicht vor Probleme.
Es dauerte einige Minuten, bis Barca ins Spiel gefunden hatte. Je größer die Räume wurden, die Messi riss, und je besser der Ball zirkulierte, desto weniger hielten die Schwarzgelben dagegen und stärker verfielen in den Trott der vergangenen Wochen. Spätestens in der 22. Minute, als der Ball erstmals im Tor zappelte (Messi auf Luis Suarez, abseits) war der Weg dann vorgezeichnet. Das tatsächliche 1:0 fiel nur wenig später und war nicht zu verteidigen: Akanji hatte den Ball aus dem Strafraum befördert, ihn dabei aber direkt vor Messis Füßen abgelegt – es folgte ein steiler Pass in den Strafraum und Suarez erledigt den Rest. Weitere vier Minuten später der nächste Geniestreich Messis: Hummels spielte ohne große Not einen leichtfüßigen Pass direkt in Suarez Beine, der diesmal auf Messi ablegen und das 2:0 erzielen konnte. Der BVB war in dieser Phase vor allem auf die Rolle des Zuschauers festgelegt, auch wenn Hakimi zwischenzeitlich eine weitere Großchance vorbereitet und Schulz diese viel zu leichtfertig vergeben hatte (23.).
Die zweite Hälfte begann nicht mehr ganz so druckvoll, wie sich die erste entwickelt hatte. Barcelona hatte in diesen Minuten spürbar nachgelassen, war aber immer noch stark genug, um regelmäßig vorne aufzutauchen. Gleich nach Wiederbeginn hätte so das 3:0 fallen können, doch ebenso wie bei einer lustlosen Schwalbe in der 52. Minute (gelbe Karte Messi) blieb der BVB im Glück. Ebenso half das Glück in der 66. Minute, als der BVB so behebe agierte, dass der zwergenhafte Messi nach knapp zehn Metern Anlauf abspringen und zu einem wuchtigen Kopfball (!) ansetzen konnte, der den Kasten nur um wenige Zentimeter verfehlte. Sekunden später zappelte der Ball dann aber doch wieder im Netz: Antoine Griezmann, in Barcelona bislang hinter den Erwartungen zurückgeblieben, verwandelte einen mustergültigen Konter nach Messis Freispiel gnadenlos.
Während Barcelona jetzt noch weiter zurückschaltete und kaum mehr als 50 Prozent seiner vorher gezeigten Leistung auf den Platz brachte (was noch einmal weniger war, als dieser so hart kritisierte Kader es wohl tatsächlich vermag), durfte Delinquent Sancho (war für Schulz ins Spiel gekommen) neben Mats Hummels, der mit zwei starken Zweikämpfen seinen Riesenbock vor dem 2:0 wenigstens teilweise wieder ausbügelte, dem Spiel seinen Stempel aufdrücken. Nur zwei Minuten nach einem Freistoß, den Messi butterweich ans Lattenkreuz gestreichelt hatte, zog der Engländer nach Hereingabe von links aus etwa 15 Metern ab – „nur noch“ 3:1, unhaltbar für ter Stegen. Etwas besser sah es für ter Stegen dann wieder in der 87. Minute aus, als er tatsächlich den Dortmunder Anschlusstreffer verhindern konnte, der das Spiel wohl ebenso auf den Kopf gestellt, wie noch einmal spannend gemacht hätte: abermals kam der Ball von der linken Seite, Raphael Guerreiro ließ den Ball passieren und Sancho zum Abschluss kommen, bevor ter Stegen glänzend den Ball an die Latte lenkte.
Blieb am Ende die Frage: was machen wir nun mit diesem Spiel und seinem Ergebnis? Es kann nicht der Anspruch Borussia Dortmunds sein, dem Gegner das erste leichte Spiel der Champions League Saison auf dem Silbertablett serviert zu haben. Das Aufbäumen im Schlussspurt kann schwer als Erfolg gewertet werden, war es doch letztlich zu wenig und zu spät. Hätte mit einem Sieg die Tür zum Achtelfinale weit aufgestoßen werden können, ist ein Abrutschen in die Europa League nunmehr zum Greifen nahe. Andererseits hat sich der BVB nicht so vom Platz jagen lassen, wie es sicherlich im Rahmen des Möglichen gestanden hätte. Und ist Barcelona eben ein Ort, an dem man sich für eine 3:1 Niederlage nicht schämen muss.
Es bleibt die Hoffnung, dass sich die Verantwortlichen beim BVB hier nicht die Sinne vernebeln lassen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen werden. Sowohl in der Trainerfrage, als auch im Umgang mit Sancho oder jenen Spielern, die am Mikrofon regelmäßig die richtigen Analysen parat haben, ihren Worten bei nächster Gelegenheit aber doch wieder keine Taten folgen lassen. Beim BVB ist der Wurm drin – der muss raus.
Statistik:
FC Barcelona: Ter Stegen - Sergi Roberto, Umtiti, Lenglet, Junior Firpo - De Jong, Busquets, Rakitic - Messi, Luis Suarez, Dembele
Wechsel: Griezmann für Dembele (26.), Vidal für Rakitic (78.), Wague für Suarez (90.)
BVB: Bürki - Piszczek, Akanji, Hummels, Schulz - Witsel, Weigl - Hakimi, Reus, Guerreiro - Brandt
Wechsel: Sancho für Schulz (46.), Zagadou für Piszczek (76.), Götze für Weigl (85.)
Tore: 1:0 Suarez (29.), 2:0 Messi (33.), 3:0 Griezmann (67.), 3:1 Sancho (77.)