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#KeineSchwäche - "Als seien die Kinder eine Ware." Bartosz Maslon über Druck im Jugendfußball (Teil 1)

26.12.2019, 10:28 Uhr von:  Michael Malte S.
#KeineSchwäche - "Als seien die Kinder eine Ware." Bartosz Maslon über Druck im Jugendfußball (Teil 1)

Bartosz Maslon, 33 Jahre, hat eine außergewöhnliche Karriere als aktiver Fußballer hinter sich. Der heutige U19-Trainer der SG Wattenscheid 09 war mehrfach auf dem Sprung nach ganz oben und musste immer wieder Rückschläge hinnehmen. Im Gespräch mit schwatzgelb.de hat uns Bartosz seine Geschichte erzählt und gleichzeitig beeindruckende und nachdenklich machende Einblicke in das Geschäft des Nachwuchsfußballs gegeben.

Im ersten Teil blickt er auf seine aktive Karriere zurück und berichtet von seinen Erfahrungen im Jugendfußball.

Du hast in der Jugend unter anderem für Rot-Weiss Essen, Rot-Weiß Oberhausen, Schwarz-Weiß Essen und die SG Wattenscheid 09 gespielt. Zudem warst du Jugendnationalspieler für die U16 in Polen. Erzähl uns doch einmal deinen fußballerischen Werdegang.

Fangen wir noch früher an. Wir kamen 1988 nach Deutschland, meine Eltern waren beide Lehrer in Polen. Sie sind mit uns nach Deutschland gezogen, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Und von Anfang an wurde uns Kindern von unseren Eltern eingeprägt: Nutzt diese Chance. Macht das Beste draus, sowohl schulisch als auch sportlich. Und meine Passion war immer der Fußball. Ich habe irgendwann auch die Schule vernachlässigt, muss ich ehrlich gestehen. Sobald ich die Chance hatte, habe ich mir einen Ball genommen und bin ab nach draußen gegangen. Das Ziel war von Anfang an klar: Ich will Fußballstar werden.

Also der ganz klassische Kindertraum.

Auf jeden Fall. Ich war besessen von diesem Ziel. Und das war auch einer der Gründe, warum ich es nie bis ganz oben geschafft habe. Eigentlich hab‘ ich es draufgehabt. Ich habe auch immer wieder große Sprünge gemacht. Ich bin als Erwachsener beispielsweise von der Kreisliga C in die Kreisliga A und von da direkt in die Regionalliga. Oder von der Bezirksliga in die Oberliga Nordrhein und von da in die zweite polnische Liga. Ich habe es immer wieder geschafft, vier oder fünf Ligen zu überspringen, weil ich so besessen war. Aber im Umkehrschluss war ich auch so angespannt und habe mich selber so unter Druck gesetzt, damit ich meine selbstgesteckten Ziele erreiche.

Spielten deine Familie und dein Umfeld da eine bestimmte Rolle?

Der Traum meines Vaters war es, seinen Sohn mal im Fernsehen zu sehen, und ich wollte wiederum meiner Familie etwas ermöglichen. Wir haben damals Sozialhilfe erhalten, ich bin in Altenessen aufgewachsen, der Fußball war der einzige Strohhalm, den ich hatte, um nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Der Fußball und vor allem der Antrieb, etwas erreichen zu können, haben mich davon abgehalten, in meiner Kindheit und der Jugend Dummes zu tun.

Springen wir noch mal an den Anfang. Vom Straßenfußball bist du dann in den Vereinsfußball gegangen.

So fing alles an. Ich hab‘ bei PSV Essen angefangen. Mein erster Trainer war ein Ex-Bundesligaspieler, der mir viel aus seiner aktiven Zeit erzählte, mir Zeitungsartikel zeigte und mich noch weiter anstachelte. Dann begannen sich in der D-Jugend Scouts für mich zu interessieren und tatsächlich habe ich in der C-Jugend das erste Geld verdient. Wobei der Weg dahin schon eine unglaubliche Geschichte war.

Der Druck nahm kontinuierlich zu und der Spaß ab.

Wir sind ganz Ohr.

Mein Trainer hat mir in der D-Jugend immer erzählt: „Du bist ein Rohdiamant. Bleib bei mir, wir bilden dich weiter aus und irgendwann gehst du nach Schalke.“ Dann kam Rot-Weiss Essen. Wie gesagt, wir haben Sozialhilfe bezogen, ich bin mit löchrigen Fußballschuhen rumgelaufen und plötzlich standen die vor mir uns sagten: „Du kriegst 150 Mark im Monat, bekommst dein Monatsticket bezahlt, deine Schuhe bezahlt.“ Für meinen Vater, der mittlerweile uns Kinder alleine großzog, und mich war das natürlich ein Riesending. Also entschied ich mich dafür, zu RWE zu gehen. Aber der PSV war extrem sauer und drohte, mir Steine in den Weg zu legen und mich zu sperren.

Eine Situation, die einen 13-Jährigen durchaus überfordern kann.

Und wie. Aus Angst habe ich mich daraufhin bei RWE wieder abgemeldet und bin zurückgewechselt. Dann kam RWE wieder und sagte: „Wir wollen dich unbedingt haben, die können dir nix, wir kümmern uns um alles und zahlen das Geld.“ Also habe ich mich wiederum beim PSV abgemeldet und bin wieder zu Rot-Weiss. Alles in einem Sommer. Mein Trainer war extrem sauer auf mich. Wenn ich ihm auf der Straße begegnet bin, bin ich ihm aus Scham ausgewichen. Andererseits war ich aber auch sehr enttäuscht von seiner Reaktion. Ich hatte irgendwie mehr Verständnis erwartet.

Bei RWE fing dann der richtige Leistungsfußball an. Wir haben Turniere gegen alle möglichen Bundesligamannschaften gespielt. Wenn ihr euch heute die Bundesligafußballer aus dem Jahrgang 1986 anschaut, gegen die meisten habe ich damals in der Zeit bei Turnieren mal gespielt.

Doch der Fußball war nicht mehr der Mannschaftssport, den ich kennengelernt hatte. Auf der Straße waren wir alle eins, da hat jeder mitgespielt, da hatten alle Spaß. Das gab es nun nicht mehr. Plötzlich ging es darum, dem Trainer zu beweisen, dass er mehr auf dich setzen soll als auf den anderen. Das war die erste Begegnung mit dem unangenehmen Jugendsport. Dazu kamen die Erwartungshaltung von Zuhause, der Druck vom Trainer und die eigenen Ziele. Der Druck nahm kontinuierlich zu und der Spaß ab. Du hast als Spieler in der Alters- und Leistungsklasse am Ende kaum noch Spaß am Spiel. Wenn jemand was anderes behauptet, der lügt. Du hast keinen Spaß mehr.

Wohlgemerkt, wir reden hier immer noch über 14-jährige.

Genau. Und es fängt mittlerweile schon früher an. Mein Sohn spielt in der F-Jugend von Wattenscheid. Wir hatten letztens ein zweitägiges Turnier in Leverkusen. Wenn man sich das Verhalten der Eltern bei solchen Turnieren anschaut, das ist teilweise krank. Die Kinder sind keine Einheit mehr, sondern gegeneinander. Die Eltern sind gegeneinander, es wird mit dem Finger auf andere gezeigt. Die ganze Magie, die ganze Schönheit des Sports geht flöten. Weil es zu sehr zum Geschäft geworden ist.

Gab es Momente in deiner Jugend, wo du am liebsten hingeschmissen hättest?

Ich hatte lange das Glück, dass ich durch meinen Ehrgeiz den Druck ausblenden konnte. Bis zur B-Jugend. Da wendete sich das Blatt. Ich bin in der B-Jugend von Rot-Weiss Essen zu ETB Schwarz-Weiß Essen gewechselt, weil ETB höher spielte und ich mich immer mit den Besten messen wollte. Ich wurde dann U16-Nationalspieler für Polen, es lief alles nach Plan.

Dann wollte mich auch noch Wattenscheid 09, meine große Liebe. Ich habe dann ein Probetraining bei der U16 gemacht und überzeugt. Als Jungjahrgang hätte ich allerdings erst noch ein Jahr in der B2-Jugend in der Westfalenliga spielen müssen. Weil ich jedoch in der höchsten Klasse spielen wollte, hab‘ ich Wattenscheid abgesagt und bin bei ETB geblieben, was mir der Trainer extrem übelgenommen hat.

Am Ende der Saison kam Wattenscheid erneut auf mich zu. Ich ging wieder zum Training und überzeugte. Kurz nach meinem Wechsel wurde der Trainer getauscht. Es wurde der, dem ich damals abgesagt hatte. Er ging nach dem Training zu meinem Vater und sagte: „Den will ich nicht haben.“ Mein Bruder hat dann mit ihm diskutiert, wie er so etwas machen kann, der Verein hatte uns schließlich die Zusage gegeben, dass ich dort spielen kann. Seine Antwort war nur: „Wer mir einmal absagt, den brauch ich nicht.“ Das sagte er einem 16-jährigen Jungen.

Das war das erste Mal, dass ich gedacht habe: Das macht mich fertig.

Zumal du ja aus einem triftigen Grund abgesagt hattest, wegen der höheren Liga …

Ganz genau. Ich bin dann trotzdem bei Wattenscheid geblieben. Vorher haben wir uns beim dortigen Jugendleiter beschwert, dann musste der Trainer mich nehmen. In der Folge hat er mich sowas von auseinandergenommen, dass ich später nicht mal einen simplen Ball zum Mitspieler klatschen lassen konnte. So eine Anspannung habe ich verspürt. Der hat mich immer wieder plattgemacht.

In der C-Jugend hatte ich in 19 Spielen 40 Tore geschossen. Im Jungjahrgang der U17, also in der Niederrheinliga mit ETB, hatte ich in 18 Spielen knapp 30 Buden gemacht. Und bei Wattenscheid in der B-Jugend-Regionalliga habe ich in zehn oder zwölf Spielen zwei Tore geschossen. Der Trainer hat mich nicht richtig eingesetzt.

Wie kann man sich das im Alltag vorstellen?

Einmal hatten wir eine Flaute, sodass der Trainer schon auf der Kippe stand, und mussten das anstehende Spiel gegen Arminia Bielefeld gewinnen. Es steht 1:0 für Bielefeld. In der 85. Minute komme ich rein, in der 87. bereite ich das Tor vor, zwei Minuten später mache ich das 2:1 selber. Wir gewinnen, danach habe ich vier Spiele nicht gespielt. Man hat nie mit mir gesprochen.

Das war mit Sicherheit nicht einfach für dich. Wie bist du damit umgegangen?

Einmal hatte ich Fieber und konnte nicht zum Training. Trotzdem war der Druck so groß, dass ich Angst davor hatte, ihn anzurufen. Jeder Fehler wurde bei ihm schließlich bestraft. Dennoch habe ich es gemacht. Danach bin ich mit Fieber eingeschlafen, wieder aufgewacht und dachte, das hätte ich nur geträumt. Danach habe ich ihn noch mal angerufen: „Trainer, ich komme heute nicht“. Er antwortete nur: „Ich weiß, du hast mich schon angerufen.“

Ich war eher der labile Typ, brauchte das Lob, anstatt dass man auf mich draufhaut. In einem Spiel haben sie dann einen Abwehrspieler in den Sturm gesetzt, damit ich nicht spiele, und der hat auch noch getroffen. Da dreht sich der Co-Trainer um und ruft mir entgegen: „Das ist ein Stürmer!“ Erniedrigung pur. Die haben mich richtig plattgemacht. Das war das erste Mal, dass ich oft geweint und gedacht habe: Ich möchte das nicht mehr. Das macht mich fertig.

Siehst du rückblickend betrachtet grundsätzliche Probleme, insbesondere bei den Trainern?

Es ist ein Problem, dass mittlerweile jeder, auch der Trainer, austauschbar ist. Dieses Gefühl wird an die Spieler weitergegeben. Und es fehlt eine Ehrlichkeit gegenüber den Spielern. Im Zweifel muss man ihnen doch erklären, wo es aktuell fehlt, und ihnen aufzeigen, wie sie an sich arbeiten können. Damals hatten wir einen 20-Mann-Kader und der Trainer hat sich nur um zwölf Spieler gekümmert. Früher haben Trainer sich gefragt: Wie kann ich dem Kind weiterhelfen. Heute steht im Mittelpunkt: Wie kann das Kind mich weiterbringen? Als seien die Kinder eine Ware.

Als Spieler weißt du, dass im Jugendbereich oft aussortiert wird. Bei uns waren es in der Winterpause gut und gerne mal fünf, sechs Spieler. Das hat man die ganze Zeit im Hinterkopf. Funktionierst du nicht so, wie der Trainer es will, dann hast du verloren. Im Regionalliga-Kader von Wattenscheid haben sich die Trainer keine Zeit genommen, die Spieler, die hinten dran waren, weiterzuentwickeln. Im Gegenteil, die wurden noch mehr mit Füßen getreten und fallen gelassen. Das ist der größte Fehler. Der Fußball ist zu sehr zu Geschäft geworden. Da habe ich mir gesagt: Sollte ich einmal Trainer sein, werde ich nie so sein.

Wie bist du dem bei Wattenscheid dann entgangen?

Ich bin zu Rot-Weiß Oberhausen gewechselt. Der Trainer hat mich aufgepäppelt und dort in der Niederrheinliga habe ich auch permanent getroffen. Trotzdem war ich müde und ausgelaugt von der ganzen Wechselei, von den Ups und Downs und dass ich mich immer durchbeißen musste.

Du hast erzählt, dein Vater habe auch einen gewissen Druck auf dich ausgeübt, weil er dich gerne als Profifußballer sehen wollte. Wie war die Stimmung bei euch zu Hause, als du in Wattenscheids B-Jugend dann deinen ersten großen Bruch erlebt hast? Stand er weiterhin hinter dir und hat gesagt: „Scheiß Situation, aber ist halt so.“? Oder kam weiterhin Druck von ihm nach dem Motto „Komm, sieh zu!“?

Mein Vater hat immer hinter mir gestanden. Aber er wollte natürlich, dass ich mich durchsetze. Wir lebten in einem reinen Männerhaushalt, meine Mutter war nicht da und mein Vater hat uns großgezogen. Da war keine Zeit, um Schwäche zu zeigen, wir mussten hart sein. Obwohl ich als 16-jähriger Junge vielleicht andere Dinge im Kopf hatte: Existenzängste oder dass es in der Schule nicht lief. Trotzdem stand er hinter mir.

Druck entstand vielmehr dann, wenn er sagte: „Du schaffst es, Profi zu werden.“ Dieses Ziel war viel zu langfristig gedacht und hat mich belastet. Teilweise hatte ich nur noch diesen Gedanken im Kopf; dass ich es schaffen muss. Ich bin dadurch wirklich verkrampft und habe nicht von Spiel zu Spiel gedacht, wie es eigentlich hätte sein sollen. Für mich war jedes Spiel eines ums Überleben: „Wenn ich hier versage, werde ich kein Profi.“ So wurde mir das von meinem Vater eingetrichtert. Natürlich war das seinerseits keine Absicht. Eigentlich wollte er mich ermutigen und wir haben ja nur über meine Ziele und Stärken gesprochen. Dass das kontraproduktiv war, war ihm nicht bewusst.

Ich bekam viel Lob von ihm und er hat mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.

In der A-Jugend in Oberhausen lief es dann wieder besser für dich. Wie war dann der Übergang zu den Senioren für dich?

Das war ein Riesenabenteuer. In meinem ersten Jahr in Oberhausen habe ich im Jungjahrgang der A-Jugend in der Niederrheinliga gespielt. Lief alles ganz gut und ich habe auch meine Buden gemacht. Dann gab es einen Trainerwechsel und der Neue hat mich nicht übernommen.

Deshalb bin ich zu SSVg Velbert gewechselt. Aber mit den Hintergedanken, dort direkt beim ersten Seniorenteam einzusteigen. Tatsächlich hat Velbert regelmäßig A-Jugendliche bei der Oberliga-Nordrhein-Mannschaft mittrainieren lassen. Für mich war dieses Level wirklich etwas Besonderes und mich hat wieder der Ehrgeiz gepackt. Ich habe mit guten Spielern zusammengekickt und von den Trainern Wertschätzung bekommen. Also fing ich wieder an, groß zu träumen. Das Problem bei Velbert: In den vier, fünf Jahren zuvor hatten sie ebenso viele Trainer.

Doch dann wurde Dietmar Grabotin Trainer, ein ehemaliger Bundesligaspieler. Der war unfassbar! Zu der Zeit habe ich in Velberts zweiter Mannschaft in der Bezirksliga gespielt. Grabotin hat mich zum Training eingeladen, ich habe ihn überzeugt und er hat fortan auf mich gesetzt. Ich bekam viel Lob von ihm und er hat mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Ich dachte wirklich, ich bin eine Maschine. Immerhin war er selbst ehemaliger Profi. Unter ihm habe ich meine ersten Spiele in der Oberliga gemacht. Doch was passierte? Ein Jahr später war er schon wieder weg.

Dann musste ich wieder von vorne anfangen und habe mich entschieden, zu Korona Kielce zu wechseln.

Im Training hatte ich es dann mit aktuellen Nationalspielern Polens zu tun.

Als Kind hattest du ja nur die ersten zwei Jahre in Polen gelebt, bevor deine Familie nach Deutschland gekommen ist. Wie war das in einem anderen Land, einem völlig anderen Umfeld dort für dich?

Für mich war das super. Sprachlich war es kein Problem, in Deutschland hatte meine Familie eh Polnisch gesprochen. Fußballerisch war das jedoch eine ganz andere Hausnummer. Kielce spielte in der ersten Liga und wollte unter die ersten Fünf, also in den UEFA-Cup. Im Training hatte ich es dann mit aktuellen Nationalspielern Polens zu tun. Paweł Golański zum Beispiel, der später auch für Steaua Bukarest gespielt hat, war mein Gegner. Ganz ehrlich: Ich habe den aufgefressen. Mein Vater hat mir mitgegeben, dass ich mir auf meine Ausbildung in Deutschland schon etwas einbilden kann. Und so bin ich auch aufgetreten.

Es lief wirklich phänomenal. Ich habe bombastisch trainiert und war mir sicher: „Euch zeige ich’s!“ Da war ich 18 Jahre alt.

Du hättest also noch problemlos A-Jugend spielen können.

Theoretisch ja. Trotzdem hatte ich vorher bei Velbert schon ein Jahr im Seniorenbereich gespielt.

Wie ging es dann weiter?

Eigentlich lief alles nach Plan. Nach einigen Trainingseinheiten und den ersten Testspielen hat das Management mich dann zu sich gerufen. Ich bin da ohne zu überlegen allein und mit dem Taxi hingefahren. Später saßen wir uns dann gegenüber. Ich war mir sicher, die würden sagen: „Junge, du schaffst das.“ Wir guckten uns an und es passiert erst mal nichts. Da habe mich schon gefragt, was die denn nun von mir möchten. Irgendwann sagt jemand ganz unvermittelt: „Solche wie dich haben wir hier zu Genüge.“ Ich war erst mal platt, konnte dann aber erwidern, dass ich das ganz anders sehe. Ich habe sie gefragt, ob sie beim Training und bei den Spielen zugeschaut haben. Dann haben sie mich eiskalt rausgeschmissen.

Ich war 24 Stunden nach Polen gereist, hatte währenddessen bei meiner Oma gewohnt, mich vorbereitet und dann das. Trotzdem dachte ich mir, damit müsse ich im Profigeschäft eben klarkommen. Mein Vater vermutete, vielleicht sei ich doch nicht gut genug gewesen.

Der damalige Teamchef war ein Bekannter von meinem Onkel. Ein Jahr später habe ich erfahren, dass sie statt mir einen anderen jungen Spieler aus der Ukraine verpflichtet haben, der zu diesem Termin mit seinem Berater und im Mercedes vorgefahren ist. Offenbar haben die Verantwortlichen erwartet, dass ich dem Gespräch Kohle über den Tisch wachsen lasse.

Später, 2008, ist Kielce wegen Korruption auch zwangsabgestiegen.

Was hast du gedacht, also du diese Geschichte von deinem Onkel erfahren hast?

Ich war sauer. Ich habe mir gewünscht, jemand wäre mit mir dorthin gefahren und hätte die Kohle auf den Tisch gelegt, wenn es nun mal so läuft.

Allerdings hätten wir das Geld wahrscheinlich nicht gehabt. Die polnischen Diplome meines Vaters sind in Deutschland nicht anerkannt worden. Die Reisen nach Polen hat mir mein Bruder Michael finanziert, der die gesamte Zeit über immer hinter mir stand. Umso lieber hätte ich ihnen etwas zurückgegeben!

Das Abenteuer in Polen war also nach einem Monat schon wieder beendet. Was hat das mit dir gemacht?

Erstmal bin ich von Kielce zurück nach Velbert gefahren und habe dort wieder gespielt. Trotz des Rückschlags hatte ich weiter den unbedingten Drang, es zu packen. Nach meinen Erfahrungen in Polen kam ich auf die Idee, einen Berater zu engagieren. Deshalb habe ich Andrzej Szarmach angerufen. Der hat früher auch in Frankreich gespielt, wurde 1974 und 1982 mit Polen WM-Dritter und ist nach deutschem Maßstab mit Gerd Müller vergleichbar.

Wie bist du an den gekommen?

Es gab, recht simpel, eine Seite der FIFA, wo solche Berater geführt worden sind.

Da kann man, zumindest wenn man sich das Beratergeschäft in Deutschland anschaut, auch schnell mal an den Falschen geraten.

Richtig. Aber für mich war das ein Held, zusammen mit Grzegorz Lato der frühere Star, der muss cool sein!

Wie können wir uns ein solches Gespräch vorstellen?

Ich habe mich vorgestellt und erzählt, dass ich in Deutschland in der Oberliga spiele. „Was brauchst du, Junge?“, hat er geantwortet. Ich würde es einfach nicht schaffen, mich hier durchzusetzen. Ich habe ihn gefragt, ob er mir helfen könnte.

„Wo bist du, wo wohnst du?“, meinte er dann und schlug mir vor, dass wir uns in Krakau treffen. Obwohl er mich nicht kannte, ist er aus Frankreich dorthin gereist und mit mir weiter in die Nähe von Warschau gefahren, zu Znicz Pruszków. Das war der damalige Klub von Robert Lewandowski. Wir haben uns erst im Auto richtig kennengelernt und uns Geschichten erzählt. Natürlich wird er gehofft haben, dass am Ende auch etwas für ihn bei rumkommt, trotzdem fand ich das nicht selbstverständlich.

Ich hatte keinen Bock mehr auf diesen Scheißsport.

Kam dort denn der erhoffte Durchbruch?

Ein Spiel habe ich sogar mit Robert Lewandowski zusammen im Angriff gespielt, aber leider nicht überzeugt. Andrzej Szarmach hat mich dann aber nicht fallen gelassen: „Keine Sorge, du hast noch ein paar Jahre. Wir machen das schon.“

Er hat mich dann in die dritte polnische Liga gebracht, in die Nähe des Wohnortes meiner Oma, zu Stal Mielec, um mich wieder aufzubauen. Da bin ich auch zum Zuge gekommen. Aber dann hat mein Kopf nicht mehr mitgespielt, ich war wie ausgebrannt. Szarmach meinte, ich solle ein, zwei gute Saisons spielen, dann könne ich nach Frankreich kommen. Damit fing alles wieder an, das war zu viel Druck. Der Trainer baute nicht auf mich und ich war einfach auch nicht gut und fit genug zu der Zeit. Verletzungen kamen auch noch hinzu und dann fing mein Körper an, gegen das Ganze zu arbeiten.

Nichts hat funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe. Vielleicht war ich rückblickend betrachtet wirklich nicht gut genug. Doch zu der Zeit fühlte es sich an, dass ich überall, wo ich hinkam, Hindernisse zu überwinden hatte. Das hat mich irgendwann zermürbt.

Wie hat sich das bei dir bemerkbar gemacht?

Ich habe zu Hause geheult, jeden Tag. Ich hatte keinen Bock mehr auf diesen Scheißsport und war fertig mit der Welt. Damit musste ich erst mal klarkommen.

Ich erinnere mich an ein Spiel mit Stal Mielec: Ich bekam einen Ball, habe im Fallen geschossen und der Torwart wehrt ihn ab. In der Zeitung wurde ich anschließend als Fehleinkauf bezeichnet. Als ich den Artikel zu Hause in unserer Spieler-WG gelesen habe, habe ich angefangen zu weinen.

Laut meinem Vertrag bei Stal Mielec gab es pro Sieg 400 Euro. Kein Grundgehalt, alles ausschließlich nach Leistung. Wir hatten 14 Unentschieden hintereinander. Ich glaube, das ist bis heute Rekord in Polen. Ich hatte keinen Cent und fing an, meine guten G-Star-Klamotten zu verkaufen. Alles weg. Damit konnte ich Geld machen. Ich habe mich geschämt, zu Hause in Deutschland anzurufen und um finanzielle Unterstützung zu bitten.

Das war Überlebensdruck. Wieder musste ich mich durchbeißen, es lief nicht und dann hatte ich auch noch kein Geld mehr. Das ging gar nicht. Auf das Fußballspielen konnte ich mich nicht mehr konzentrieren und habe alles hinterfragt. Ich war leer.

Das klingt erschreckend existenziell. Wer konnte dir in dieser Situation weiterhelfen?

Andrzej Szarmach kam noch einmal und hat mir Mut zugesprochen. Ich habe dann aber gesagt: Ich möchte nicht mehr, ich will nach Hause. Dann bin ich in die Kreisliga C gegangen.

Was hat Szarmach dazu gesagt? Konnte er dich verstehen?

Er hat mir Verständnis gespiegelt. Dass alles sich so entwickeln werde, wie ich mir das wünsche, und im Fußball auch nicht immer alles rosig sei.

Im zweiten Teil, der in Kürze auf schwatzgelb.de erscheint, sprechen wir mit Bartosz über seine Erwartungen an Jugendtrainer, die Rolle der Eltern und was er am System "Nachwuchsfußball" gerne ändern würde.

In unserer Reihe #KeineSchwäche sind bereits erschienen:

Teil 1: SG Spezial: #KeineSchwäche – 10 Jahre nach Robert Enkes Tod

Teil 2: Ciriaco Sforza: "Ich würde es begrüßen, wenn jeder Verein dieses Thema professionell behandelt."

Teil 3: #KeineSchwäche – "Gemeinsam das Leben festhalten." Die Robert-Enke-Stiftung

Teil 4: #KeineSchwäche: "Das ist der Balanceakt" – Im Gespräch über Depressionen im Profisport mit Sportpsychologe Sebastian Brückner

Teil 5: #KeineSchwäche - Babak Rafati: "Im Fußball wird Druck generell unterschätzt"

Teil 6: #Keine Schwäche - Die große Leere. Über Depressionen.

WICHTIG: Depressionen können jeden treffen. Sie sind keine Einbildung, sondern eine Krankheit, die mittlerweile gut behandelt werden kann. Wenn ihr akut Hilfe braucht, wendet euch an die Telefonseelsorge unter 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 (kostenlos).

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