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Aus Dortmund nach Auschwitz – die Geschichte der Familie Frankenthal

24.04.2019, 19:48 Uhr von:  Malte S.
Aus Dortmund nach Auschwitz – die Geschichte der Familie Frankenthal

Die Brüder Hans und Ernst Frankenthal sind 16 und 18 Jahre alt, als die Nazis sie nach Auschwitz deportieren. Dort werden sie ihre Familie verlieren und die Konzentrationslager nur mit viel Glück überleben. Für sie und zahlreiche andere jüdische Menschen beginnt die mörderische Tortur am 2. März 1943 am Dortmunder Südbahnhof. Ihrer Erinnerung hat das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte am 4. April einen eindrucksvollen Abend gewidmet, bei dem auch der BVB eine Rolle spielte.

Im Zentrum der Veranstaltung, an der rund 150 Menschen, darunter auch Nachfahren der Familie Frankenthal und die Shoah-Überlebende Eva Szepesi teilnahmen, standen die Erinnerungen von Hans Frankenthal, die er kurz vor seinem Tod in dem Buch „Verweigerte Rückkehr“ und 1996 in einem ausführlichen Video-Interview festgehalten hat. Abwechselnd wurden Passagen beider Dokumente präsentiert – und alle hinterließen auf ihre Art Eindruck bei den Gästen. Aus „Verweigerte Rückkehr“ las Gregor Schnittker, ehemaliger Moderator der WDR-Lokalzeit aus Dortmund und Autor mehrerer Bücher über den BVB und seine Fans.

Ich hätte nie geglaubt, wozu die Deutschen fähig sind.

Lange Zeit, so erinnerte sich Hans Frankenthal, hätten viele jüdische Menschen im sauerländischen Schmallenberg, wo er geboren und aufgewachsen ist, keine großen Sorgen vor den nationalsozialistischen Umtrieben in Deutschland gehabt. Die Verdienste der jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in der deutschen Armee gekämpft hatten, würden sie schützen, so glaubte man.

Das Publikum im Museum für Kunst und Kulturgeschichte

Nach und nach erlebte Hans Frankenthal, der bei der Machtübernahme der Nazis sechs Jahre alt war, wie sich das Leben für die Jüdinnen und Juden veränderte: „Ich habe mehr als die Hälfte meiner Freunde verloren. Wenn ich es hochrechne, blieben mir am Ende noch fünf.“ In er Schule wurden er, sein älterer Bruder Ernst und die anderen jüdischen Kinder zunehmend ausgegrenzt, im Ort jüdische Geschäfte boykottiert und später offen angegriffen. 1938 wurde sein Vater Max verhaftet und für einige Wochen ins Konzentrationslager Sachsenhausen gesperrt. Später sagte Max Frankenthal über diese Zeit: „Ich hätte nie geglaubt, wozu die Deutschen fähig sind.“

Was ist ein Leben wert gegen ein Haus?

Als Hans‘ und Ernsts Mutter Adele zeitgleich von den Nationalsozialisten gezwungen wurde, der Enteignung des eigenen Hauses zuzustimmen, weigerte sie sich. Erst als man ihr drohte, sie würde ihren Mann nie wiedersehen, resignierte sie und willigte ein: „Was ist ein Leben wert gegen ein Haus?“

Nach kurzer Zeit in einer Lehrwerkstatt in Dortmund mussten die beiden Brüder Zwangsarbeit in Meschede leisten. Am 1. März 1943 sollte Familie Frankenthal mit vielen anderen jüdischen Menschen, wie es offiziell hieß, nach Polen „umgesiedelt“ werden. In Dortmund sammelten die Nationalsozialisten zu dieser Zeit Jüdinnen und Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg, so auch Familie Frankenthal. Wie alle anderen Gefangenen mussten sie ihre Wertsachen abgeben. Die Nacht vor der Deportation verbrachten sie auf dem Holzboden einer Gaststätte in Dortmund-Brackel, am nächsten Morgen ging es über das Ostentor zu Fuß weiter zum damaligen Südbahnhof – und dort in einen völlig überfüllten Zug.

Gregor Schnittker las aus Hans Frankenthals Buch "Verweigerte Rückkehr"

Da, wo wir jetzt hinfahren, brauchen wir kein Gepäck mehr.

Bei den Schilderungen Hans Frankenthals, wie die Menschen in Viehwaggons gestopft wurden, 70 pro Wagen, drei Tage unterwegs, statt Toiletten nur mit einem einzigen Eimer ausgestattet, dreht sich einem der Magen um. „Alte Menschen starben, ich kann das gar nicht beschreiben. Ab Tag zwei waren wir ohne Wasser und Essen.“ Als er zufällig beobachtete, wie der Transportwagen, in dem das Gepäck der Jüdinnen und Juden verstaut war, abgekoppelt wurde, bekam er von seinem Vater nur zu hören: „Da, wo wir hinfahren, brauchen wir kein Gepäck mehr.“ Sein Papa war es auch, der zu ihm sagte, geprägt durch seinen Aufenthalt in Sachsenhausen und ahnend, was die Menschen in Polen erwarten würde: „Ich werde das nicht überleben, ich bin zu alt.“

Besonders die auf Video festgehaltenen Schilderungen Hans Frankenthals hinterließen Eindruck: Er wirkt routiniert und dennoch hochkonzentriert. Bei seiner Erzählung versucht er, jedes Detail einfließen zu lassen, erinnert sich zum Beispiel an taggenaue Daten, Namen der Personen und an die Dienstgrade der SS-Leute, mit denen er es im Lager zu tun bekam. Zwischendurch bricht ihm jedoch immer wieder die Stimme weg. Er muss eine Pause machen oder fängt an zu weinen, insbesondere wenn er von seiner Familie oder der Misshandlung und Ermordung kleiner Kinder berichtet.

Es ging um Vernichtung durch Arbeit.

Von seinen Eltern konnten er und sein Bruder Ernst sich nicht mehr verabschieden. Kaum in Auschwitz angekommen, wurden Max und Adele Frankenthal Opfer der Selektion an der berüchtigten Rampe in Birkenau und später in einer der Gaskammern ermordet. Für die beiden Brüder ging es weiter nach Monowitz, das Teil des Lagerkomplexes Auschwitz III war. In Monowitz und rund 40 weiteren Außenlagern mussten die Häftlinge Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen für deutsche Industriekonzerne leisten. Hier profitierten unter Anderem die I.G. Farben oder die Degussa AG, ein Vorgängerunternehmen von BVB-Hauptsponsor Evonik, vom industrialisierten Massenmord der Nationalsozialisten.

Arbeiter in Monowitz

„Es ging um Vernichtung durch Arbeit“, berichtete Hans Frankenthal später. Im Vergleich zu vielen anderen gefangenen Menschen hatten er und sein Bruder Glück. Als gelernte Schlosser waren sie der SS von Nutzen und wurden bei der Montage eines Gerüsts für den Bau eines Buna-Werkes der I.G. Farben eingesetzt – in 50 Metern Höhe, ungesichert. Der einzige Vorteil: „Hier oben hatte man wenig Kontakt zur SS“, während man aus der Ferne habe beobachten müssen, wie Mithäftlinge von den Wachen misshandelt wurden.

Werden sie uns am Ende alle noch umbringen?

Später schloss Hans Frankenthal sich dem Lagerwiderstand an, der versuchte, die Vorhaben der Nationalsozialisten und den Ausbau der Konzentrationslager zu sabotieren, Pläne der Lager heimlich an die Alliierten zu schicken oder Medikamente ins Lager zu schmuggeln. Was blieb, war die ständige Angst vor Selektionen, die alle vier Wochen stattfanden und während derer die SS erkrankte oder nicht mehr ausreichend arbeitsfähige Häftlinge auswählte, um sie in den Gaskammern Birkenaus zu ermorden. Einmal hätte es fast auch Hans Frankenthal getroffen, nur dank eines Verstecks entkam er der Selektion.

Während die deutschen Soldaten auf den Schlachtfeldern Europas immer weiter zurückweichen mussten, wuchs im Konzentrationslager nicht nur die Hoffnung auf ein nahendes Kriegsende. Die Angst vor dem sinnlosen Töten wurde größer. „Wir fragten uns, ob sie uns am Ende alle noch umbringen würden“, erinnerte sich Hans Frankenthal. Die Sorge bestätigte sich, als die SS angesichts der vorrückenden Roten Armee die Lager evakuierte und die verbliebenen Häftlinge auf Todesmärsche schickte: Ohne nötige Ausrüstung und gezeichnet von den Qualen der Lager wurden die Menschen gezwungen, sich zu Fuß durch die Winterlandschaften zu kämpfen.

Nachdenkliche Zuhörerinnen und Zuhörer

Alle, die überlebt haben, haben nur mit Glück überlebt.

Ernst und Hans Frankenthal überstanden auch das, sodass es für sie später per Bahn weiter ins Konzentrationslager Dora-Mittelbau ging. Im Monat vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die beiden von den Nationalsozialisten ein letztes Mal transportiert: nach Theresienstadt, wo sie später endlich befreit wurden. Hans Frankenthal wusste ganz genau: „Alle, die überlebt haben, haben nur mit Glück überlebt.“

Er und sein Bruder gehörten zu den zwei von insgesamt sieben jüdischen Menschen aus Schmallenberg, die die Shoah überlebten und danach sogar in ihre Heimat, wohlgemerkt ins Land der Täterinnen und Täter, zurückkehrten. Doch wie zu Hause durften sie sich dort trotz Ende der Naziherrschaft nicht fühlen. Hans Frankenthal berichtete von Ablehnung den überlebenden Jüdinnen und Juden gegenüber, die Menschen ignorierten das Schicksal der ehemaligen Häftlinge, die erst ihren Platz in der Gesellschaft, dann ihre Familien verloren hatten, und forderten von ihnen, sich lautlos einzugliedern.

Teilweise nur schwer erträglich – doch umso wichtiger

Später war Hans Frankenthal im Landesverband der Jüdischen Gemeinden Westfalen-Lippe, Mitglied des Zentralrates der Juden und stellvertretender Vorsitzender des Auschwitz-Komitees in Deutschland, bevor er am 22. Dezember 1999 in Dortmund starb.

Sehr erfreulich: nur wenige freie Plätze während der Veranstaltung

Der Abend im Zeichen der Biografie der Familie Frankenthal war vor allem wegen der unverblümten Art und Weise, mit der Hans Frankenthal von seiner Gefangenschaft berichtete, ein sehr bewegender: Not und Krankheiten im Konzentrationslager, sadistische SS-Wachen, willkürliche Gewalt, Tod und Misshandlung von Kindern – teilweise war es nur schwer erträglich. Doch es appelliert an die Verantwortung, all jenen Menschen entschlossen entgegenzutreten, die behaupten, und sei es nur beiläufig, 74 Jahre später müsse man all das doch mal ruhen lassen.

Von Hans Frankenthals Leidenschaft zum Pöhlen in Kinderjahren einmal abgesehen, ging es an diesem Abend kein einziges Mal um Fußball, erst recht nicht um Borussia Dortmund. Dass der BVB dennoch hauptverantwortlich an einer solchen Veranstaltung beteiligt ist, zeigt, wie groß mittlerweile sein Netzwerk in der Gedenk- und Antirassismusarbeit auch über den Fußball hinaus ist. Die Konzeption und Organisation des Abends hatte Daniel Lörcher, der bei Borussia Dortmund unter Anderem die Bereiche Vielfalt und Antidiskriminierung leitet, im Duo mit Andreas Kahrs vom Bildungswerk Stanisław Hantz übernommen. Beide organisieren seit 2011 die Bildungsreisen nach Auschwitz und Lublin für BVB-Fans.

Daniel Lörcher (links, BVB) und Andreas Kahrs (Bildungswerk Stanisław Hantz)

Es ist wichtig, dass Borussia Dortmund neben medienwirksamen Aktionen wie der Großspende für die Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem auch Veranstaltungen wie die im Museum für Kunst und Kulturgeschichte bietet. Nicht zuletzt, weil das Label „BVB“ Anknüpfungspunkte für Fans schafft, die sonst vielleicht nicht auf einen solchen Abend aufmerksam würden, und der Abend für alle Besucherinnen und Besucher kostenfrei war.

Die Veranstaltung war Teil der Ausstellung „Die I.G. Farben und das Konzentrationslager Buna-Monowitz“ des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt. Die Präsentation der Ausstellung war ein Kooperationsprojekt des MKK und der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Verbindung mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e. V., der Auslandsgesellschaft.de e. V. und der Volkshochschule Dortmund. Ausstellung und Begleitprogramm wurden gefördert von Borussia Dortmund und Evonik.

Die Organisatorinnen und Organisatoren gemeinsam mit Mitgliedern der Familie Frankenthal sowie der Shoah-Überlebenden Eva Szepesi und ihrer Tochter

(Das Titelbild dieses Artikels, das Hans Frankenthal zeigt, ist ein Screenshot aus dem Youtube-Video "AUSCHWITZ-OSWIECIM (Kurzfassung) - Zur Zukunft von Erinnern + Gedenken an Auschwitz".)

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