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Das erste Mal
Der
erste Spieltag einer Saison ist für den Fußballfan das eigentliche
Neujahr. Keine Ahnung, wer auf die merkwürdige Idee gekommen ist,
den Kalender nach der willkürlichen Verteilung der Monate Januar bis
Dezember zu kategorisieren, relevant ist nur die Rechnung in
Spielzeiten. Wenn das erste Heimspiel der Saison ist und man mit Pils
und Bratwurst wieder im Stadion ist, dann ist Silvesterparty. Der
Pfiff des Schiris zum Anstoß ist lauter und bunter als jede Rakete
und jeder Knaller. Und dann geht sie los: die neue Spielzeit.
Es gibt auch eine weitere Parallele: niemand kann vorher sagen, was das neue Jahr oder eben die neue Saison für einen bereit hält. Es kann die tollste Episode des Lebens werden oder auch mit Tränen und Enttäuschung enden. Manche Saison fängt stark an und am Ende fragt man sich, ab welchem Punkt einem die Dinge entglitten sind. In anderen Spielzeiten ist der Start dagegen holprig, irgendwann läuft es aber und es wird großartig. Es gehört zur Tragik des „modernen Fußballs“, dass dieses tolle und spannende Prinzip leider nur noch für siebzehn Vereine der Liga gilt. Dieser Text befasst sich mit einer Saison, die noch gar nicht so lange her ist, in der aber wirklich niemand am ersten Spieltag wissen konnte, wie es am 34. sein wird. Und das ist toll.
Es war der 22. August und Borussia Dortmund spielte zum Abschluss des ersten Spieltages gegen die Pillen aus der Bayerstadt. Die Kapitäne der beiden Vereine hießen noch Sebastian Kehl und Sami Hyypiä und in schwatzgelb feierte ein „Youngster“ namens Mario Götze sein Ligadebüt in der Startelf. Das ist ja auch das Schöne beim Blick zurück in vergangene Spielzeiten: man liest Spielernamen und gerät unweigerlich ins Schmunzeln. Robert Lewandowski war noch keine „Marke“, die extra Berater engagiert, um ihn zu Real Madrid zu transferieren, sondern eine Einwechseloption für den Stammstürmer Lucas Barrios. Neben ihm auf der Bank: Dimitar Rangelov und Tamas Hajnal.
Aber
auch Leverkusen hatte einiges aus der aktuellen
Kennste-noch-Kategorie aufzubieten: allen voran natürlich die
Ex-Wade der Nation, Michael Ballack. Hat sich noch jemand während der
WM gefragt, was aus dem eigentlich geworden ist? Keine Auftritte im
ARD-WM-Studio, keine Zeitungskolumne. Der Mann ist ziemlich von der
Bildfläche verschwunden. Einen Auftritt hatte dort allerdings Renato
Augusto. Mittlerweile in der chinesischen Liga angekommen, schoss er
für seine Brasilianer gegen Belgien kurz vor Schluss noch den
Anschlusstreffer. Und natürlich darf der Name „Hanno Balitsch“
in dieser Liste nicht fehlen. Es gehört heute noch zu den großen
Mysterien des Weltfußballs, dass es dieser begnadete Kicker sogar in
die Nationalmannschaft geschafft hat.
Damals haben sie alle noch gespielt, waren jünger und zum Teil auch noch deutlich wendiger. Direkt mit Anpfiff wirbelten Kagawa und Götze, hinter ihnen zog Nuri Sahin mit einem klugen Passspiel die Fäden. Auf Leverkusener Seite hatte vor allem Arturo Vidal etwas dagegen und zeigte seinen Gegenspielern in Mittelfeldzweikämpfen immer wieder, wo der Frosch die Locken hat. Der Chilene war es auch, der zusammen mit Gonzalo Castro (im Bayerdress) Sahin, Schmelzer und Götze schwindelig passte und auf Tranquilo Barnetta ablegte. Der Schweizer ließ Weide keine Chance und schob zum 1:0 ein. Barnetta rehabilitierte sich drei Jahre später, indem er auf Facebook gegen die Blauen wegen einer Nichteinwechselung amtlich abpöbelte. Als Spieler der Blauen. Während des Spiels. Ganz große Nummer.
Für
uns zu der Zeit allerdings nur ein schwacher Trost. Das erste
Heimspieltor einer Saison hat nämlich gefälligst die Heimmannschaft
zu schießen. Vier Jahre später zeigte die Werkself, dass sie noch
niederträchtiger gegen diese schöne Tradition verstoßen kann. Aber
unsere Jungs bewiesen Moral und kamen nur zwei Minuten später zum
durchaus verdienten Ausgleich. Flanke von
Lasst-die-Finger-von-Owomoyela in die Mitte, Kopfballverlängerung
Hyypiä, Kopfballablage Götze und der Rest ist Chefsache. Irgendwie
knickerte Kehl die Murmel über die Linie. Erfolgreiche Flanke von
Außen, schlechter Kopfball der finnischen Legende und
Kopfballvorlage Götze – waren einfach völlig verrückte Zeiten
damals. Je nach Sichtweise zum Glück oder leider auch Zeiten ohne
VAR. Der hätte nämlich wohl die Abseitsentscheidung des Assistenten
wieder korrigiert, der die Fahne hob, obwohl Kehl sich auf gleicher
Höhe befand. Pustekuchen mit dem Ausgleich.
Und da der Fußballgott in der Regel ein Arsch ist, kam es dann auch gleich knüppeldick für Borussia. Direkt danach schlug Rene Adler einen Ball lang nach vorne zu Renator Augusto, der nahm in Verbund mir Eren Derdiyok richtig Fahrt auf, kombinierte sich fix vor unser Tor und machte das 2:0.
Damit
ist das Wesentliche des Spielverlaufs eigentlich auch schon erzählt.
In der zweiten Halbzeit verflachte das Spiel zunehmend und am
Spielstand änderte sich bis zum Abpfiff nichts mehr. Den Start in
den Sand gesetzt und punkt- und torgleich mit dem VfB Stuttgart auf
Platz 17. Gar nicht gut und so hatten wir uns das alles nicht
vorgestellt.
Völlig außerhalb unserer Vorstellung lag allerdings das, was in den folgenden zehn Monaten passieren sollte. Das Spiel fand nämlich in der Saison 2010/2011 statt und am Ende standen Konfettiregen, Platzsturm, Nevens Parkplatz im Kreuzviertel und ganz viel „Bambule, Randale – Dortmund hat die Schale“. Wäre alles nur halb so schön geworden, wenn wir es an diesem Tag schon geahnt hätten.
Der
erste Spieltag hat einfach etwas Magisches. Auch der kommende.
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