Zwischen Helden und Versagern
Auch ein 4:0 macht nicht alles wieder gut. Trotz Galavorstellung gab es vor und nach dem Spiel einen Denkzettel für die Spieler für eine Saison des Durchwurschtelns
Der Blätterwald rauschte ordentlich rund um den frostigen Empfang und
die noch unfreundlichere Verabschiedung der Spieler nach dem Sieg gegen
Leverkusen. Die meisten Journalisten hatten das sportliche Resultat mit
großer Überraschung aufgenommen, ein derart dominantes Auftreten kaum
für möglich gehalten. Für sie war es ein guter Tag des BVB, der sich in
der Tabelle ordentlich Luft verschaffen und die Champions League
Teilnahme annähernd sicherstellen konnte.
In Block Drölf gab es aber auch eine andere Lesart. Nicht wenige Fans hatten genau diesen leidenschaftlichen Auftritt erwartet, passte das Spiel doch hervorragend in das Muster der vergangenen Jahre, in dem die Mannschaft unverzeihliche Auftritte gegen verhasste Vereine durch Kantersiege gegen irrelevante Gegner wieder gut zu machen versuchte. Für diese Fans war es gerade die sportliche Glanzleistung, die das Fass zum Überlaufen brachte.
Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass die Saison 2017/18 als eine der peinlichsten Spielzeiten in die Geschichte des BVB eingehen wird. Dennoch wird nach unterirdischen Auftritten auf europäischer Bühne gegen Nikosia, Bergamo und Salzburg, zwei blamablen Derbys und dem historischen Glück, in München nicht zweistellig abgeschossen worden zu sein, wieder einmal die Champions League Teilnahme stehen. Das Soll ist erfüllt, die Saison trotz aller Widrigkeiten erfolgreich verlaufen – was will man denn eigentlich mehr?
Es ist genau dieses Denkmuster, das sich seit Jahren durch die spielerischen Leistungen zieht und die Stimmung vergiftet. Aussichtslos im Kampf um die Meisterschaft, lässt unsere Mannschaft die Zügel konsequent schleifen. Wissend, dass ein starker Schlussspurt mit 8-9 Punkten ab Spieltag 30 selbst nach einer mauen Saison mit großer Wahrscheinlichkeit für die direkte Champions League Teilnahme ausreichen wird, haben die Resultate im übrigen Saisonverlauf ihren Wert verloren. Lassen unsere Helden in Strumpfhosen Punkte in Freiburg und Augsburg liegen, werden sie diese in Wolfsburg und Bremen schon holen. Oder eben andersherum. Und setzt man das Derby mit einer blutleeren Vorstellung in den Sand, wird man das über ein Spektakel gegen Leverkusen schon wieder glattziehen können. Who cares?
Sinnbildlich für diese Wurschtigkeit stand am Samstag Julian Weigl. Der hatte wie alle Spieler die riesigen Spruchbänder auf West- und Südtribüne gesehen, die der Mannschaft in deutlichen Worten Versagen und eine völlig falsche Wahrnehmung des Derbys attestierten, und nach Spielende unfreiwillig bestätigt, wie richtig die Fans mit ihrer Kritik lagen. Den Liebesentzug der Südtribüne kommentierte er gegenüber der WAZ: „Ich war ein bisschen überrascht, weil ich so positiv gestimmt war und die Fans uns während des Spiels unterstützt hatten. Aber als wir hingegangen sind, hat man uns bedeutet, dass wir wieder gehen könnten. Da war der Zorn wohl doch noch da.“
Natürlich war der Zorn noch da! Die leichtfüßige Spielweise und der mit 4:0 viel zu niedrig ausgefallene Sieg hatten diesen Zorn auch nie verschwinden lassen, sondern um ein Vielfaches verstärkt. Belegte das Spiel doch deutlich, zu welchen Leistungen diese Mannschaft fähig ist und wie lächerlich das Auftreten eine Woche zuvor tatsächlich gewesen war. Dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nicht spielerisches Unvermögen oder die Nachwirkungen des Bombenanschlags zu einem lahmen Auftritt in der Turnhalle geführt hatten, sondern die Einstellung der Spieler, denen die Bedeutung eines Derbys für die Fans vollkommen egal war. Die scheinbar noch immer nicht nachvollziehen können, warum sich die eigenen Fans so tierisch über eine Niederlage in der Nachbarschaft ärgerten, statt sich über einen Galaauftritt gegen Leverkusen zu freuen.
Die gesamte Wut, die sich auf diese lustlose Einstellung in den vergangenen Monaten aufgestaut hatte, bekamen die Spieler nun am Samstagabend zu spüren. Die Form der Kritik, die bis zu Beschimpfungen und Kopf ab Gesten reichte, war dabei sicherlich nicht immer geschmackvoll. Sie war in ihrer inhaltlichen Schärfe aber weder überzogen, noch war es überraschend, dass ausgerechnet ein Kantersieg diese Wut zum Vorschein brachte.