Wer A sagt, muss auch B sagen
Junge Talente aus ganz Europa verpflichten und groß rausbringen, das war die Strategie der letzten Jahre. Zum Verkaufen gehört aber auch das Intgrieren und es scheint so, als habe der BVB vergessen, hier ebenfalls passende Strukturen aufzubauen.
Wer sich aktuell die Torjägerliste der Seria A anschaut, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ciro Immobile bombt für Lazio Rom gerade alles kurz und klein. In der europäischen Wertung „goldener Schuh“ liegt er aktuell auf Platz vier. Vor Luis Suárez, vor Harry Kane und vor Christiano Ronaldo. Ja, genau der Ciro Immobile, der in Dortmund als Synonym für einen Transferflop gilt und nie den Nachweis erbringen konnte, warum man damals 18,5 Millionen Euro nach Turin überwiesen hat. Das ist drei Jahre her und trotzdem lohnt es sich, hier noch einmal einen genaueren Blick in den Rückspiegel zu werfen.
Als Immobile auf Leihbasis nach Sevilla weiter zog, wurde er für seine Aussagen spöttisch belächelt. Die Deutschen seien kalt, beklagte er sich. So habe er zum Beispiel vergeblich auf die in Italien übliche Einladung zu Essen gewartet, mit der Neulinge in der Mannschaft willkommen geheißen werden. Jetzt könnte man es platt dabei belassen, dass Immobile angesichts seines millionenschweren Gehalt zu allererst selber für eine Integration zu sorgen hat und er mit Leistung in der Bringschuld ist. Andererseits war Immobile damals für den BVB eine der teuersten Investitionen der Vereinsgeschichte in, um Firmensprech zu nutzen, Produktionsmittel und jede andere Firma würde in diesem Fall ein großes Augenmerk in Wartung und Pflege legen. Man hätte sich in diesem Fall auch als BVB darüber informieren müssen, dass ein Spieler so etwas aus der italienischen Liga gewohnt ist und als Geste auch erwartet – und dementsprechend auch z.B. den Mannschaftsrat derart instruieren müssen. Man hätte sich gerade zu Beginn intensiv um Immobile kümmern und mit Mannschaft und Umgebung vertraut machen müssen. Dortmund zu mehr als einen temporären Arbeitsplatz, sondern seiner aktuellen Heimat machen müssen. Offenbar hat man das verschlafen und so ist das positivste, was man über diese Transferepisode sagen kann, dass man am Ende wenigstens den finanziellen Verlust erträglich halten konnte. Viel zu wenig für das Potential, das Immobile augenscheinlich hat.
Was das alles mit dem aktuellen BVB und seiner angespannten Lage zu tun hat? Anscheinend hat man es gravierend verpasst, aus dieser Geschichte die passenden Lehren zu ziehen und entsprechende Strukturen zu schaffen, in denen sich Neuankömmlinge professionell entwickeln können. Besonders bei den jungen Spielern aus der jüngeren Transfergeschichte mehren sich die Stimmen, die einen deutlichen Mangel an der notwendigen Professionalität attestieren. So räumte Ousmane Dembélé in einem Interview mit TELEFOOT freimütig ein, dass er sich jetzt in Barcelona besser ernähre als in seiner Zeit in Dortmund, wo er keinen gesunden Lebensstil gepflegt habe. Gut, seiner Leistung hat es zumindest hier nicht geschadet, aber es ist schon ein Schlag ins Gesicht für die Verantwortlichen des BVB, dass man ihm in der katalanischen Metropole erst einmal einen Ernährungsberater zur Seite stellen und exzessive Grillorgien verbieten musste. Dabei liegt der Gedanke nicht so fern, dass ein 19-jähriger, der zum ersten Mal im Ausland wohnt, auch einer gewissen Leitung bedarf.
Auch das scheint kein Einzelfall zu sein. Bei Raphael Guerreiro, der mit seinen mittlerweile 24 Jahren zwar fast schon ein Senior ist, aber trotzdem immer noch eher zu den jüngeren Spieler zählt, schlagzeilten die Ruhrnachrichten vor zwei Wochen „BVB-Verantwortliche zweifeln an seiner Professionalität“. In dem Text erwähnten sie interne Informationen, nach denen es Zweifel daran gibt, dass Guerreiro wirklich ausreichend trainiere, um seinen Körper möglichst verletzungsresistent zu erhalten. Der Umstand, dass es sich dabei um den „Medienpartner“ des BVB handelt, verleiht dieser Aussage noch einmal besonderes Gewicht.
Der Kicker wiederum weiß in seiner aktuellen Ausgabe, für Viele auch etwas überraschend, zu berichten, dass dem erst zu Saisonbeginn aus der Jugend von Manchester City verpflichtete Jadon Sancho „mitunter Fokus und Orientierung fehlen“. Oder anders ausgedrückt: Sancho gehen häufig ganz andere Dinge durch den Kopf als Fußball. Für Borussia Dortmund nicht schön, aber auch das kommt nicht gänzlich unerwartet, wenn ein 18-jähriger plötzlich ein Millionengehalt zur Verfügung hat. Wer glaubt, dass das von ganz alleine funktioniert, der lässt auch einen 5-jährigen mit einer Tüte Gummibärchen und der Anweisung „Aber es wird nicht genascht“ alleine.
Derart öffentliche Hinweise auf eine nicht gerade profihafte Berufseinstellung gibt es beim schwedischen Winterzugang der letzten Saison Alexander Isak zwar nicht, aber es muss einen Grund haben, warum mit Peter Stöger jetzt schon der dritte Trainer in Serie auf seine Dienste als alleinige, echte Sturmalternative verzichtet und ihn erst letztens im Derby komplett aus dem Kader gestrichen hat. Seine zugegebenermaßen seltenen Spieleinsätze können dafür nicht der alleinige Grund sein. Er drängte sich zwar nicht mit aller Macht für mehr auf, seine Leistungen waren jedoch zumindest auf einem Niveau, auf dem er im Profifußball mithalten kann. Und das ist bei einem gerade einmal 18-jährigen Spieler schon eine gesunde Basis. Wenn die Gründe nicht direkt auf dem Platz liegen, dann muss man sie zwangsweise daneben suchen. So bleiben dann außer Trainingsleistung und/oder Lebenswandel nicht mehr viele Möglichkeiten.
Alles zusammen genommen scheint es in diesem Bereich schlicht und ergreifend noch enormes Verbesserungspotential für den BVB zu geben. Das fängt bei einer noch genaueren Analyse des charakterlichen Backgrounds bei der Sichtung an und setzt sich bis zur Einbindung in die Mannschaft fort. Die Aufgabe eines Transfers endet nicht mit geleisteter Unterschrift unter den Vertrag. Es gilt die kulturellen Erwartungen des Spielers zu kennen und zu berücksichtigen, ihm andererseits aber auch die „Dortmund-Kultur“ näher zu bringen. Vor Jahren gab es zum Beispiel die Idee, dass ein ehemaliger Fanbeauftrage mit neuen Spielern und Trainern eine Rundfahrt durch Dortmund macht und ihnen Geschichte, „Hotspots“ der Stadt und die Verankerung des BVB in ihr verdeutlicht. Eine tolle Idee, bei der aber nicht ganz klar ist, in wiefern sie noch weiterverfolgt wird.
Dieses „Fördern“ ist die eine Seite, dazu gehört aber auch, dem Zeitgeist entsprechend, ein paralleles „Fordern“. Gerade die ganz jungen Spieler müssen permanent begleitet und zu einem Verhalten angehalten werden, mit dem sie sich zu einem vollwertigen Profifußballer entwickeln können. Wenn dem Großteil der in den letzten zwei Jahren verpflichteten Talente Mängel in diesem Bereich nachgesagt werden können, dann ist das ein ziemlich verheerendes Urteil über die Arbeit der Borussia in diesem Bereich. Was umso unverständlicher ist, wenn man bei Ousmane Dembélé hautnah gemerkt hat, was auch für ein enormes wirtschaftliches Potential in diesem Bereich steckt.
Nicht zuletzt sind aber auch die „arrivierten“ und älteren Spieler dazu verpflichtet, gerade den jüngeren Mannschaftskameraden Professionalität und Engagement vorzuleben und ihnen zu zeigen, dass es mit „Dienst nach Vorschrift“ allein nicht getan ist. Die deutlich sichtbaren Mängel im Grundlagenbereich deuten allerdings darauf hin, dass es auch dort nicht zum besten bestellt ist. Aber das ist eine andere Geschichte…