Niemals wie ihr?
Der BVB war mal anders als große Vereine in der nahen und fernen Umgebung. Das hat ihn für mich besonders gemacht. Er war nicht, wie die anderen Vereine. Heute ist von diesem Unterschied nicht mehr viel übrig.
Nein, es läuft derzeit keineswegs alles rund beim BVB. Auch unter dem zweiten Peter dieser Spielzeit spielen die Borussen nicht gerade die Sterne vom Himmel. Und das ist noch durchaus wohlwollend formuliert. Klar, es bleibt die Tatsache, dass man unter Neu-Trainer Stöger noch kein Bundesliga-Spiel verloren und dank des Schneckenrennens in der Bundesliga-Spitze auch noch gute Chancen auf die Champions League-Plätze hat. Aber richtig zufriedenstellend ist die gesamte Gemengelage rund um den BVB für keinen. Weder für die Spieler, noch für die Verantwortlichen und erst recht nicht für die Fans. Und wenn man diese Beteiligten fragt, werden sie alle auch zu Protokoll geben, dass sie aktuell nicht zufrieden sind und es besser werden muss. Darüber herrscht Einigkeit. Und trotz all dieser sportlichen Trostlosigkeit und der Probleme, die auch beim Heimspiel gegen den SC Freiburg am Samstag mal wieder offenkundig wurden, war ich beim Verlassen des Westfalenstadions zwar zornig geladen und wütend, aber weniger auf die Mannschaft, die es nur zu einem späten 2:2 gegen die Badener gebracht hat. Nein, mein Unverständnis war mehr gegen die eigenen Fans gerichtet.
Ich möchte mal kurz ein wenig ausholen und darstellen, als was ich den BVB mit meinen Ende 20 Jahren immer verstanden habe. Ein nicht geringer Teil des Ballspielvereins Borussia aus Dortmund war für mich immer die besondere Beziehung zu den Fans. Zwar wurde ich in den Neunzigern zu Erfolgszeiten „fußballsozialisiert“ und aufgrund meines Vaters (Danke, Papa!) an diesen Verein herangebracht. Meine richtig regelmäßigen Besuche im Westfalenstadion begannen allerdings viel später, unter der Ägide von Jürgen Röber und Co. Das ist nicht vergleichbar mit der heutigen Zeit, aber es hat wohl trotzdem meine Beziehung zum BVB beeinflusst. Für mich war der BVB immer geprägt von einer Verbundenheit zwischen Fans und Verein. Egal, was da unten auf dem Rasen teilweise gespielt wurde, die Fans waren für die Mannschaft da und haben sie unterstützt, solange man da unten zumindest den Willen sah. Gleichzeitig blickte man häufig mit einem süffisanten Lächeln nach München oder Gelsenkirchen, wo die eigene Mannschaft doch recht schnell ausgepfiffen wurde, weil sie den Vorstellungen der Fans nicht gerecht wurde. Oder zur Nationalmannschaft, wo es schon mal Pfiffe zur Pause gibt, wenn das Spiel nicht attraktiv genug war und es somit noch keine Anlässe gab, die Welle durch das Stadion gleiten zu lassen. „Niemals wie ihr“, dachte ich dann häufig und war froh und stolz, dass es das in Dortmund so nicht gab. Nun mag diese Sicht sicherlich ein wenig romantisch verklärt sein, aber sie hat mich eben in meiner Herangehensweise an den Fußball im Westfalenstadion geprägt.
Heute gucke ich nach München und Gelsenkirchen und mein „Niemals wie ihr“ gilt nicht mehr. Schon seit einiger Zeit ist im weiten Rund des Tempels zu spüren, dass man nicht mehr zufrieden ist, wenn auf dem Feld gerannt wird und man zumindest den Eindruck hat, dass man das Beste versuchen würde. Das gipfelte dann im Spiel gegen den SC Freiburg darin, dass die Mannschaft über weite Teile des Spiels fast schon kaputt gepfiffen wurde. Rückpässe wurden mit Raunen und Pfiffen begleitet, selbst wenn sie notwendig waren, weil nach vorne hin einfach alles zugestellt war. Eckenschützen wurden von den Sitzplätzen hinter ihnen bepöbelt, weil die Ausführung des Standards ihnen zu schwach war. Die ersten Sitzplätze verließen nach 80 bis 85 Minuten das Stadion, obwohl man mit gerade einmal einem Tor zurücklag. Málága scheint schon lange vergessen. Und beim Halbzeit- und Schlusspfiff kriegt die Mannschaft, die es immerhin noch geschafft hat, einen Punkt in der Schlussminute einzufahren, weiter ihr Fett weg. „Niemals wie ihr“? Schön wäre es. Mittlerweile ist es selbst mit Uli Hoeneß an der Säbener Straße und Clemens Tönnies in Gelsenkirchen ruhiger als in Dortmund. Daran sind gewiss nicht nur die eigenen Anhänger Schuld – aber es passt eben zu der Gemengelage, in der sich der BVB mittlerweile bewegt. Böse gesagt: der BVB ist zu einem großen Allerweltsverein geworden, mit all seinen Problemen und Eigenschaften. Wir sind wie ihr.
Ich kann das alles nicht nachvollziehen und ärgere mich über diese Verhaltensweisen. Wenn ich im Stadion stehe und meine Mannschaft sehe, unterstütze ich sie. So gut es geht, so laut es geht, manchmal auch eher stumm auf meinem Platz in der Gelben Wand. Aber ich unterstütze sie. Ich habe sie noch nie ausgepfiffen, selbst nach Spielen wie dem Kloppschen Tiefpunkt gegen Augsburg oder dem verspielten Derbysieg im letzten Jahr nicht. Das ist meine Einstellung und meine Sicht, wie ich Fußball sehe. Diese muss man nicht teilen. Ich habe Verständnis für all jene, die nach dem Derby gepfiffen haben, weil man einen Sieg im wichtigsten Spiel des Jahres einfach so weggeschmissen hat. Vielleicht hat die Mannschaft das zu diesem Zeitpunkt sogar verdient gehabt. Ich stand stumm an meinem Platz und habe weder gepfiffen noch gesungen. Ich war genauso fassungslos wie die Mannschaft, die das alles sicherlich auch nicht absichtlich gemacht hat. Ich habe auch Verständnis für jene, die am Samstag nach Abpfiff gepfiffen haben. Es ist das gute Recht eines jeden Fans, seinen Unmut kund zu tun. Nach dem Spiel. Aber doch bitte nicht während der Partie.
Was soll es denn bringen? Die Mannschaft ist offenkundig seit vielen Monaten stark verunsichert. Dafür gibt es viele Ursachen, um die es hier aber gar nicht gehen muss. Glaubt ihr denn wirklich, wenn ihr die Spieler jetzt bei einem Rückpass auspfeift, wird es besser? Dass sie dann keinen Rückpass mehr spielen? Den Pass, der aus Sicherheit und Angst vor dem Risiko gespielt wird? Ich weiß, es geht um mehr als den Wunsch auf Besserung und es geht viel um das Ausdrücken der eigenen Unzufriedenheit, aber ich finde dieses Verhalten destruktiv. Vor allem, wenn es von Leuten kommt, die zwar meckern, nicht aber unterstützen können. Es ist ja auch viel einfacher, seinen Unmut freien Lauf zu lassen statt es mit positiver Energie zu versuchen. Das kann man alles machen, aber man hebt sich so eben nicht mehr von anderen Vereinen ab und kann dann im Grunde auch nicht mehr wie im Erfolgsfall dann oft geschehen von den „besten Fans der Liga“ oder „echter Liebe“ oder sonst etwas sprechen. Dann geht es nämlich oft wieder ins genaue Gegenteil über. Dann ist der BVB wieder der geilste Verein der Welt und man selbst hat ja auch die schlechten Phasen durchgemacht.
Teilweise wird sich sogar auf einzelne Spieler eingeschossen. Nein, damit meine ich nicht Pierre-Emerick Aubameyang, der sich seine Pfiffe am Samstag hart erarbeitet und selbst zuzuschreiben hat. Aber der Name eines André Schürrle wird seit Monaten nur im Zusammenhang von spöttischen Aussagen in den Mund vieler BVB-Fans genommen. „Saufen, bis der Schürrle trifft“, Raunen bei Einwechslungen, hämisches Beklatschen von misslungenen Aktionen, Abwinken schon bevor er überhaupt die Gelegenheit zur Ballannahme hatte. Auch hier ist die Verunsicherung greifbar und wird durch solche Reaktionen doch eher verstärkt als aufgehoben. Die wenigsten Kritiker würden Schürrle dabei vorwerfen, sich nicht wenigstens reinzuhängen, der Wille ist bei ihm doch klar erkennbar. Aber er kommt eben mit einer Hypothek einer Ablösesumme von 30 Millionen Euro, für die er selbst nicht einmal was kann, zum BVB. Dann verletzt er sich, verpasst viele Spiele und kann in seinen wenigen Einsätzen nicht überzeugen. Zack, wird sich auf ihn gestürzt und auch im Stadion von Häme begleitet. Auch hier verstehe ich mein Fandasein einfach anders. Selbst Mario Götze, der sich charakterlich wohl weitaus mehr zu Schulden kommen lassen hat, wird von mir akzeptiert. Nich gejubelt, nicht gefeiert, aber eben toleriert. Ich rufe seinen Namen nicht, ich freue mich aber über seine Tore. Solange jemand ein schwarzgelbes Trikot trägt, gehört er eben zu diesem Verein, zu meinem Verein. Und deswegen bekommt er meine Unterstützung.
Und schließlich stellt sich Roman Bürki nach diesem Spiel hin, in dem er über fast 90 Minuten hinweg oft genug Pfiffe gegen sich und seine Mitspieler hören musste und kritisiert sicherlich auch in einem emotionalen Augenblick unmittelbar nach Abpfiff die Fans auf den Sitzplatztribünen, von denen er sich mehr Unterstützung wünschen würde und genau wie ich die Pfiffe doch lieber NACH dem Abpfiff hören würde. Wie reagiert die Fußballwelt? Es hagelt erneut Kritik. Von den Medien, von den Fans, auch von Michael Zorc. Bürki rudert schließlich auf Instagram zurück. Die Mechanismen des Marktes greifen. Und bald fordern wir in Stammtischen wieder echte Typen für unsere Vereine und bemängeln, dass die Fußball-Profis zu viele Standard-Antworten in die Notizblöcke brabbeln. Dabei kann ich Roman Bürki verstehen und habe mich gefreut, solche offenen und ehrlichen Worte zu hören. Schade, wir werden derartiges vom Schweizer in Zukunft wohl nicht mehr mitbekommen.
Der BVB ist in einer beschissenen Situation. Ohne Frage haben viele Beteiligte und viele Faktoren daran Schuld. Es nützt aber nichts, sich die ganze Zeit nur mit Ärgern zu beschäftigen. Früher war es mal eine Stärke des BVB, geschlossen aus diesen Situationen und Rückschlägen hervorzugehen. Aktuell bedeutet jeder Rückschlag eher ein weiteres Absinken in der Abwärtsspirale. Dem verunsicherten Team würde es guttun, einen Zusammenhalt und Unterstützung zu spüren. Während der 90 Minuten. Gemeckert werden kann nach dem Spiel doch immer noch. Meinetwegen auch gepfiffen. Alles, was ich mir wünsche, ist Unterstützung während der 90 Minuten, wegen der wir alle ins Stadion gehen. Jung und alt, klein und groß, dick und dünn. Wir kommen doch hoffentlich alle, weil wir Borussia siegen sehen wollen. Warum tun wir dann nicht unseren Teil, um dies zu ermöglichen? Dann kann ich immer noch meckern, wenn es nicht geklappt hat und ich nicht zufrieden bin. Hauptsache, ich habe alles gegegeben. Das, was ich von den elf Spielern auf dem Rasen erwarte, muss ich auch von mir erwarten. Und dann kommen wir vielleicht noch einmal zurück an den Punkt, an dem ich wieder ein Gefühl empfinden kann, das diesem „Niemals wie ihr“ zumindest nahe kommt.