Mein Präsident, der Autokrat
Der Fußball kann gut mit Autokraten, das ist keine neue Erkenntnis. Immer wieder nutzen größere und kleinere Diktatoren die werbende Kraft des Fußballs, um ein wenig von dem Glanz des Spiels auf sich selbst zu lenken. Die Staaten vom persischen Golf verschenken nicht nur Uhren an bayerische Fußballfunktionäre, sie sind auch Großsponsoren zahlreicher europäischer Klubs, die wiederum gerne die Trainingsmöglichkeiten am Golf nutzen, um sich im Winter in Form zu bringen – und liefern dabei natürlich traumhafte Bilder in die kalten europäischen Wohnstuben. Aber die Emirate sind nicht die einzigen autoritären Akteure, Russland ist ein weiterer: Dieses richtet nicht nur die kommende Fußballweltmeisterschaft aus, die Sponsorengelder des Staatskonzerns Gazprom sind ebenfalls vielerorts gerne gesehen. Dafür besucht auch schon mal ein Klubchef den Kremlherrn. Man versteht sich.
Es ist insofern nichts gänzlich Neues, wenn sich mit Mesut Özil und İlkay Gündoğan zwei Stars der Premier League (zu denen sich auch noch der weniger prominente Cenk Tosun vom FC Everton gesellte) mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Rahmen einer Abendveranstaltung einer türkischen Stiftung in London zu einem PR-Termin treffen. Die Spieler überreichten Erdoğan jeweils ein Trikot des eigenen Vereins, wobei dasjenige von Gündoğan noch mit der Aufschrift „Mit Hochachtung für meinen Präsidenten“ versehen war. Dabei handelt es sich bei dem „meinen“ wohl um eine in der türkischen Sprache übliche Respektsbekundung, ohne dass dies in sprachlicher Hinsicht einhergeht mit einer Distanzierung vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.
Die Kritik an dem Auftreten der beiden deutschen Nationalspieler ist allseits groß und tatsächlich gibt es hierzu allen Anlass. Erdoğan hat die Türkei in den vergangenen Jahren immer weiter auf autokratische Abwege geführt, Oppositionelle werden konsequent unterdrückt und vor allem Journalisten sehen sich enormen Repressionen ausgesetzt. Aktuell sind laut Reporter ohne Grenzen in keinem Land so viele Journalisten für ihre Arbeit im Gefängnis wie in der Türkei. Der Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel hat die deutsche Politik über ein Jahr lang in Atem gehalten, bevor er im Februar 2018 endlich wieder freikam. Hinzu kommt die türkische Kriegspolitik gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land sowie in Syrien.
Özil und Gündoğan haben sich als Botschafter eines weltoffenen Deutschlands disqualifiziert
Es ist ganz simpel: Als Demokrat macht man keine PR-Termine mit einem Autokraten wie Erdoğan, als Vertreter des deutschen Fußballs haben sich Özil und Gündoğan im Grunde selbst disqualifiziert. Daran ändert auch die nun verbreitete Erklärung von Gündoğan wenig, der den PR-Termin lediglich als Höflichkeitsgeste abtut und mit der Bemerkung schließt: „Fußball ist unser Leben und nicht die Politik.“ Dass der Fußball unpolitisch sei, ist eine gerne genutzte Floskel, wenn man heiklen Fragen aus dem Weg gehen möchte. Doch wenn ein Fußballer dem autokratischen Präsidenten, der sich noch dazu im Wahlkampf befindet, zu einem Fototermin ein vorbereitetes Trikot überreicht, dann ist das ein politischer Akt. Und natürlich hat ein langjähriger Nationalspieler genug Erfahrung im Umgang mit Politikern, um dies ganz genau einschätzen zu können.
Besonders bitter ist die PR-Aktion der beiden Gelsenkirchener aufgrund ihrer Symbolkraft für die deutsche Integrationspolitik. Während rechte Populisten immer wieder eine deutsche Nationalmannschaft ohne Deutsche mit familiären Wurzeln im Ausland forderten, galten Spieler wie Özil und Gündoğan als Paradebeispiele einer gelungenen Integration. Und natürlich schreit das rechte Gesocks auch jetzt wieder lautstark und verweist darauf, dass Özil und Gündoğan eben keine richtigen Deutschen seien. So kann nur denken, wer von Migration keine Ahnung hat. Natürlich kann ein Mensch zwei Heimatländer haben. Viele Deutschtürken leben das ganz selbstverständlich und haben die Trikots zweier Nationalmannschaften in ihren Kleiderschränken. Özil und Gündoğan haben dem deutschen Fußball viel gegeben und in dieser Hinsicht besteht kein Anlass für irgendwelches Nationaldünkel. Das Problem besteht nicht darin, dass zwei deutsche Nationalspieler mit dem Präsidenten eines Landes posieren, aus dem ihre Eltern ausgewandert sind. Das Problem ist die Politik des Präsidenten.
Der DFB und namentlich Reinhard Grindel, Oliver Bierhoff und Joachim Löw stehen vor einer schwierigen Wahl: Im Grunde sind zwei Nationalspieler, die mit einem Despoten der Marke Erdoğan posieren, nicht tragbar. Das Problem wird nur noch größer durch den Umstand, dass die Weltmeisterschaft mit Russland einen Ausrichter hat, der in Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte mit der Türkei sehr vergleichbar ist. Eine deutsche Nationalmannschaft, die Demokratie und Weltoffenheit ehrlich verkörpert, wäre wichtiger denn je. Schmeißt der DFB jedoch die beiden Nationalspieler für die Weltmeisterschaft aus dem Kader, würden vor allem die Arschlöcher für Deutschland jubeln, die beide ohnehin nie als Vertreter Deutschlands akzeptiert haben. Doch die Alternative sieht kaum besser aus: Nimmt Löw die beiden mit, dann ist es um die Glaubwürdigkeit der Nationalmannschaft als Botschafter eines weltoffenen Deutschlands geschehen. Wie man es auch dreht: Özil und Gündoğan haben der Nationalmannschaft einen Bärendienst geleistet. Und ihrem zweiten Heimatland gleich mit, indem sie sich zur Liebedienerei eines Despoten herabgelassen haben, der nicht nur der Präsident der Türkei ist – sondern auch deren größtes Unglück.