Gebt Kiel eine Chance!
Im Falle eines Bundesligaaufstiegs verweigert die DFL Holstein Kiel den Antritt im eigenen Stadion. Eine Fehlentscheidung, die Regularien gehören überarbeitet.
Im Gegensatz zur Bundesliga gelingt es der zweiten Liga immer wieder, schöne Geschichten zu produzieren: Der Durchmarsch von Darmstadt vor wenigen Jahren hat viele Traditionalisten erfreut, die Aufstiege von Paderborn und Ingolstadt waren sportliche Überraschungen, wie sie in der Bundesliga mittlerweile selten sind. Nachdem vor einem Jahr mit Darmstadt und Ingolstadt zwei Vereine in die zweite Liga abgestiegen waren, die nicht wie noch im Vorjahr Hannover und Stuttgart als natürliche Aufsteiger gelten konnten, galt die diesjährige Zweiligasaison schon früh als Chance für Außenseiter, sich den Traum von der Bundesliga zu erfüllen.
Der Liganeuling Holstein Kiel hat diese Chance genutzt und sich für den Relegationsplatz qualifiziert. Zwar haben Zweitligisten diese seit der Wiedereinführung fast nie für sich entscheiden können und da der HSV unabsteigbar ist, sinken die Chancen der Kieler weiter. Doch sollten sie trotz dieser negativen Vorzeichen die Relegation erfolgreich bewältigen, wird zumindest aus dem Traum, im eigenen Stadion Bundesligafußball zu sehen, vorerst nichts: Die DFL hat eine Ausnahmegenehmigung für das lediglich 10.000 Zuschauer fassende Stadion abgelehnt, vorgeschrieben sind 15.000 Zuschauer. Bereits in der laufenden Saison spielen die Störche nur mit einer Ausnahmegenehmigung.
Formal mag diese Entscheidung richtig sein, und es ist nicht der Sinn von Regularien, dauerhaft durch Ausnahmegenehmigungen außer Kraft gesetzt zu werden. Und doch ist der Aufschrei groß: Zu sehr widerspricht die Entscheidung dem Leistungsgrundsatz des Fußballs. Neu ist das Problem nicht: Im Amateurbereich verzichten beinahe jährlich Vereine auf einen Aufstieg, weil sie die Bedingungen für die nächste Liga nicht erfüllen können. Fast immer geht es dabei um das Stadion: Sicherheitsstandards und ab einer gewissen Ligahöhe auch die Fernsehtauglichkeit sind sicher Kriterien, denen man sich im Grundsatz schlecht verschließen kann. Doch die Einforderung einer gewissen Zuschauerkapazität ist fragwürdiger. Dies zeigt im besonderen Maße die Dritte Liga, in der die Stadien 10.000 Zuschauer fassen müssen, auch wenn im Schnitt nur die drei Zuschauermagnete 1. FC Magdeburg, Hansa Rostock und der Karlsruher SC diese Grenze überschreiten. Es ist kein Wunder, dass die Liga auch angesichts solcher überzogenen Anforderungen bei gleichzeitig geringen Fernsehgeldern als Insolvenzmaschine gilt. Erst in dieser Saison haben Rot-Weiß Erfurt und der Chemnitzer FC Insolvenz beantragen müssen, unter anderem, weil sie sich mit Stadionneubauten übernommen haben. Andere Vereine wie die Sportfreunde Lotte haben im Schnitt keine 2.400 Zuschauer, finanzieren sich ihre Stadien jedoch durch externe Investoren.
Holstein Kiel handelt richtig und sollte dafür nicht bestraft werden
Holstein Kiel versucht hingegen, soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, eine verhältnismäßig solide Fortentwicklung zu nehmen. Ein Stadionausbau ist bereits in konkreter Vorbereitung, wird allerdings zumindest noch ein Jahr in Anspruch nehmen, weil Vorhaben dieser Größenordnung europäischen Ausschreibungsregularien unterliegen. Dass der Ausbau im hohen Maße mit Steuergeldern finanziert wird, ist ein weitverbreitetes Ärgernis, das an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden soll. Was Kiel jedoch nun zum Verhängnis wird, ist der Umstand, dass der Ausbau erst nach dem sportlichen Erfolg vorgenommen wird und nicht wie in Erfurt, Chemnitz, Aachen, Duisburg oder Bielefeld, um nur ein paar Namen zu nennen, bereits im Vorfeld als Wette auf die Zukunft, die allzu häufig verloren geht. Der Aufstieg der Kieler von der Dritten Liga, in der das bisherige Stadion vollkommen ausreichend war, in die erste Liga binnen zweier Jahre – falls es denn so kommen sollte –, ging schlicht zu schnell, um mit den Regularien der DFL Schritt zu halten.
Sicher, ein Stadion von 15.000 Zuschauern
ist für die Bundesliga keine übertriebene Anforderung. Es sollen ja auch
mal Gäste vorbeischauen. Aber muss das wirklich seitens der DFL
reguliert werden? Wenn die Kapazität zu gering bemessen ist, liegt es
ohnehin im Interesse der Vereine, einen Ausbau anzustreben. Der deutsche
Fußball krankt äußerst selten an zu kleinen Stadien und allzu häufig an
zu großen. In anderen wichtigen europäischen Ligen hätten die Kieler
jedenfalls keine Probleme: In der Premier League spielt Bournemouth in
einem Stadion, das keine 12.000 Zuschauer fasst. Und Eibar tritt in der
spanischen Primera División vor nicht mehr als 7.000 Fans auf. Soll die
Kieler Erfolgsgeschichte tatsächlich im Hamburger Volksparkstadion
enden, das für die Holsteiner völlig überdimensioniert wäre (der HSV
lehnt dies bislang ohnehin ab)? Oder sollen die Kieler Fans bei den
verhassten Paulianern am Millerntor antreten? Beide Fanszenen sind diese
Saison schon aufeinandergeprallt, wobei der versuchte Blocksturm
seitens der Kieler im Heimspiel an den Grätschen der Paulianer
Mannschaft scheiterte. Der Aufstieg wäre unter solchen Rahmenbedingungen
für die Fans beinahe Höchststrafe. Und auch sportlich wäre der Wegfall
des Heimvorteils eine Hypothek, die der Außenseiter kaum ausgleichen
könnte.
Die DFL sollte ein Einsehen haben und die für die 2. Bundesliga verlängerte Ausnahmegenehmigung der Kieler auch auf die Bundesliga ausdehnen. Der deutsche Meister von 1912 hätte es sich schlicht verdient, seine erste Bundesligasaison in dem Stadion zu spielen, in dem sie bereits während ihrer Meistersaison antraten. Das wäre eine schöne Geschichte, von denen es in der Bundesliga zuletzt eher wenige gab. Für die Zukunft jedenfalls ist eine grundlegende Überarbeitung der Regularien der DFL, die kleinere Vereine mehr stützt als schadet, dringend erforderlich.