Epilog für Mozart
Eine Hommage an einen echten Borussen und einen der großartigsten Fußballer, die jemals das Trikot von Borussia Dortmund getragen haben.
Es läuft die 93. Minute. Der BVB führt mit 3:2, aber der Gegner hat einen Eckball, weshalb sich sogar der gegnerische Torhüter im Dortmunder Strafraum aufhält. Die kurz ausgeführte Ecke wird am 5-Meter-Raum geklärt und dann geht es ganz schnell. Kurz hinter der Mittellinie bekommt er den Ball, ein paar Schritte, er ist der einzige Spieler in der gegnerischen Hälfte. Er schaut nach hinten, sieht, dass er alleine ist, reißt beim Rennen die Arme zum Jubeln hoch, sieht über die andere Schulter, nochmal versichern, dass ihm keiner folgt. Er rennt weiter. Erneut reißt er die Arme hoch, denn er ist noch immer alleine. Mit noch immer erhobenen Armen schiebt er den Ball ein paar Meter vor dem Tor sicher ins Netz. Es ist das 4:2. Es ist die Entscheidung. Und es ist die Szene, die jeder Borusse spontan erzählen wird, wenn der Name Tomas Rosicky fällt.
Nicht nur, weil ein solches Tor eigentlich nie vorkommt im Fußball, sondern auch, weil es den Charakter von Rosicky sehr gut beschreibt. Einerseits ist da dieser kindliche Jubel, die pure Freude am Sport und am Tore schießen, die er in seiner gesamten Karriere immer gezeigt hat. Er war ein Künstler am Ball, so virtuos, dass Presse und Fans ihn Mozart getauft haben. Andererseits zeigt dieses Absichern, immer wieder über die Schulter schauen, aber eben auch die Vorsicht, mit der Rosicky agiert hat. Seine bescheidene und rücksichtsvolle Art hat ihn trotz aller Kunst die Bodenhaftung nie verlieren lassen. Er war kein Fußballer der großen Sprüche und Gesten, die Künstlern wie ihm sonst gerne anhaften. Auch das ist einer der Gründe, weshalb im Westfalenstadion und im Umfeld vom BVB noch immer mit so viel Respekt von ihm gesprochen wird.
Beide Eigenschaften bestätigte auch Michael Zorc kürzlich gegenüber ESPN: "Als Tomas Rosicky sehr jung war, habe ich ein Spiel von Sparta Prag besucht. Ich war eigentlich dort, um einen Innenverteidiger zu scouten. Aber nach drei Ballkontakten von Tomas wusste ich, ich will nur diesen Spieler. Tomas ist bis heute nach wie vor einer der Lieblinge unzähliger BVB-Fans. Er steht für Fußballkultur und Top-Geschwindigkeit, ist aber vor allen Dingen immer ein sehr geerdeter und angenehmer Mensch geblieben."
Zusammen mit seinem kongenialen Mannschaftskollegen und Landsmann Jan Koller bildete er ein Duo wie Asterix und Obelix. Der kleine, schlaue, wuselige Rosicky und der großgewachsene, großmütige, starke Koller ergänzten sich auf dem Platz und ähnelten sich vom Charakter. Wie die beiden Gallier waren auch die beiden Tschechen weit über die Landesgrenzen hinaus beliebt, allen voran natürlich in Dortmund. Zusammen spielten sie fünf Jahre beim BVB und neun Jahre in der Nationalmannschaft, für die Rosicky 105 Länderspiele bestritt und 23 Tore schoss.
Rosicky durchlief die Jugendmannschaften von Sparta Prag, ehe er 1999 in die erste Mannschaft wechselte und zweimal Tschechischer Meister wurde. 2001 kam Rosicky für die Rekordablöse von 25 Millionen Mark nach Dortmund (ein Rekord, der gerade einmal ein halbes Jahr Bestand hielt). In seiner ersten vollen Saison spielte er in einer Mannschaft voller Stars, die die Meisterschaft gewinnen konnte und im UEFA-Cup-Finale stand, danach aber in eines der dunkelsten Kapitel der Vereinsgeschichte abrutschte. Verpasste Championsleague-Qualifikation, Geldprobleme, 2005 Molsiris. Rosicky war Kapital. Kapital, dass sich der abgestürzte BVB nicht mehr leisten konnte zu behalten. Für die damals schon ziemlich bescheidene Summe von etwa 10 Millionen Euro wurde er zu Arsenal verkauft. Dort gewann er zwei FA-Cups und zweimal den Supercup. In den letzten Jahren setzten ihn immer öfter große Verletzungen lange außer Gefecht. Im Sommer letzten Jahres wechselte er schlussendlich zurück zu seinem Heimatverein Sparta Prag, doch die Verletzungen hörten auch da nicht auf und so musste er am 20.12.2017 seine Karriere beenden.
Er war vielleicht nicht einer der größten Borussen aller Zeiten, aber er war mit seinem geerdeten Charakter einer, der den Titel „Borusse“ auf Lebenszeit tragen darf. Und er war auf jeden Fall einer der großartigsten Fußballer, die jemals das Trikot von Borussia Dortmund getragen haben.
Tomas Rosicky – für immer Deutscher Meister!