Unsa Senf

Den Käptn’ von der Kommandobrücke geschmissen

23.04.2018, 00:00 Uhr von:  Sascha
Den Käptn’ von der Kommandobrücke geschmissen

Kommentar zur Entscheidung, Kapitän Schmelzer aus dem Kader gegen Leverkusen zu streichen

Vor dreizehn Jahren aus Magdeburg in die U19 des BVB gewechselt. Seitdem 45 Einsätze in der Jugendmannschaft von Borussia Dortmund, 38 bei den „Amas“ und 344 Bundesligaspiele für die Profis. U21-Europameister, zweifacher deutscher Meister, zweifacher DFB-Pokalsieger und Champions-League-Finalist. Nachfolger des legendären Leonardo de Deus Santos, kurz Dedé. Seit zwei Jahren Kapitän unserer schwatzgelben Elf. Die nackten Zahlen zu Marcel Schmelzer wirken wie das beeindruckende, mit 30 Jahren kann man das bei einem Profifußballer ja fast schon sagen, Lebenswerk einer Vereinslegende.

Auch im letzten Spiel gegen Leverkusen spielte Marcel Schmelzer eine große Rolle, allerdings anders als man es erwartet hat. Aussortiert. Von Peter Stöger nicht nur auf die Bank gesetzt, was nach seinem Derbyauftritt mit Sicherheit nicht unverdient gewesen wäre, sondern komplett aus dem Kader gestrichen. Für ihn durfte Jeremy Toljan dem Spiel beiwohnen und sogar zum Ende hin noch aktiv ins Spielgeschehen eingreifen. Stöger erklärte diese Maßnahme mit sportlichen Gründen und der flexibleren Einsetzbarkeit von Toljan, der sowohl auch der linken, als auch auf der rechten Außenbahn spielen kann. Diese Aussage würde deutlich überzeugender klingen, wenn Toljan nicht seit Ende Februar sportlich kaum noch eine Rolle spielen würde und Stöger in den letzten Wochen nicht mehrmals lieber völlig ohne Alternative für die Position des Außenverteidigers geplant hätte, statt einen Kaderplatz mit dem jungen Neuzugang aus Hoffenheim zu besetzen.

Darüber hinaus musste allen Beteiligten klar gewesen sein, welche Symbolwirkung es nach Außen hat, wenn man den Mannschaftskapitän vier Spieltage vor Saisonende so komplett rasiert. Und es war eine Entscheidung, die Stöger nicht im Alleingang getroffen hat. "Das ist eine sportliche Entscheidung, die ich voll mittrage. Es fehlte der Glaube, dass er hier uns heute helfen würde" – so Sportdirektor Zorc bei Sky. Ein ziemlicher Schlag ins Gesicht für Schmelzer. Stöger selbst wurde fast noch deutlicher und erklärte: "Es ist ein sportliches Statement. Ich habe das Amt nicht eingeführt. Es muss jemand geben, der die Jungs rausführt. Schmelle ist ein wichtiger Faktor. Er hat aber in den letzten Wochen nicht seine optimale Leistung abgerufen. Wir brauchen ein gewisses Maß an Robustheit.“ Neben dem Vorwurf der mangelnden Robustheit auch eine ganz klare Aussage, dass er Schmelzer eben nicht als Person sieht, die die Mannschaft anführt. So eine Deutlichkeit hört man selten mit mediengerecht durchschwurbelten Profifußballersprech.

Nun ist es allerdings auch nicht so, als käme diese Maßnahme völlig aus heiterem Himmel. Schmelzer hat, vor allem im Verbund mit Kevin Großkreutz, in den Jahren 2010 bis 2014 hervorragend in der Defensive gearbeitet und war ein stabilisierender Faktor. Seine Offensivqualitäten allerdings wurden von Vielen schon seit längerem, teils auch sehr deutlich, kritisiert. Sechs Tore und 32 Vorlagen in 344 Spielen sind auch keine Bilanz, die einen in dieser Hinsicht begeistert. In dieser Saison nahmen ihm darüber hinaus zwei größere Verletzungspausen den Spielrhythmus, so dass auch seine Defensivleistungen in der letzten Zeit immer diskutabler wurden. Bei einigen riss der Geduldsfaden endgültig im Derby, in dem Schmelzer das 0:1 maßgeblich durch einen Ballverlust im Spielaufbau mitverschuldete. Es ist nicht ganz klar, ob es sich dabei jetzt mehr um eine amateurhafte Ballannahme handelte, oder ob er in Sachen Handlungsschnelle einfach nicht mehr mitkam. Sportlich kann und darf man über den Marcel Schmelzer der Saison 2017/2018 also durchaus diskutieren.

Eine besondere Brisanz bekommt diese Personalie allerdings auch durch das letztjährige Pokalfinale. Seine Worte nach Abpfiff zur Ausbootung von Nuri Sahin waren deutlich: "Mich hat es sehr geschockt, weil ich es einfach nicht verstehe. Wenn Julian Weigl ausfällt, ist Nuri Sahin der einzige Spieler, der es auf dieser Position mindestens genauso gut kann". Damit griff er nicht nur öffentlich den Trainer Thomas Tuchel scharf an, sondern sprach Sahins Ersatzmann Matthias Ginter auch gleichzeitig die Qualifikation für diese Position ab. Ist der direkte Angriff auf den Trainer eigentlich schon ein No-Go für einen Spieler, so dürften diese Worte über einen Mannschaftskameraden auch nicht unbedingt bei allen Spielern des Kaders gut angekommen sein. Ein Kapitän sollte verbinden und vorangehen, statt zu spalten und einseitig Partei zu ergreifen. Der Umstand, dass es für diese Worte keinerlei Sanktionen durch die Leitung gab, zeugt allerdings von mindestens Wohlwollen für diese flankierende Aussage. Bei den Fans, die in dieser Angelegenheit eher auf Seiten von Ex-Coach Thomas Tuchel waren, allerdings auch ein absolutes Unding und eines Mannschaftskapitäns nicht würdig. Abschließend muss man zumindest feststellen, dass dieses Verhalten vielleicht ein nachvollziehbarer Freundschaftsdienst war, Schmelzer sich mit dieser Positionierung aber auch nicht gerade einen Gefallen getan hat. Es wäre zumindest nicht völlig unverständlich, wenn dadurch auch mannschaftsintern seine Stellung als Kapitän Schaden genommen hätte.

Selbst wer es aus Sympathie und Respekt vor einem langjährigen Borussen mit Marcel Schmelzer hält, kann die sportlichen Gründe zumindest für ein Herausnehmen aus der Startelf nachvollziehen, zumal sein Ersatz Manuel Akanji seine Aufgabe mehr als ordentlich erledigt hat, und vermutlich wäre es tatsächlich besser, wenn die Kapitänsbinde an jemanden wandert, der in der Mannschaft unumstritten ist und dieses Amt unvorbelastet ausfüllen könnte. Trotzdem darf diese Entscheidung nicht den Blick auf das große Ganze verstellen. Es wäre viel zu billig, wenn am Ende der Analyse der Saison sein Name als ursächliches Problem stehen würde. Schmelzers schwache Leistungen sind nicht der Grund dafür, dass auch viele seiner Mitspieler mit zu wenig Einsatz und zu inkonstanten Darbietungen negativ aufgefallen sind. Die Position des linken Verteidigers ist auch nicht allein ausschlaggebend für das über weite Strecke der Saison gezeigte behäbige, mit technischen Schwächen behaftete Spiel in der Offensive. Und diese eine erfolgreiche Maßnahme rechtfertigt auch nicht die oft gesehene Teilnahmslosigkeit auf der Trainerbank bei schwachen Darbietungen auf dem Platz.

Insofern ist Zorcs weitergehende Erklärung, dass man „keinen Sündenbock“ für die schwachen Leistungen des BVB suche, nur absolut richtig. In den letzten zwei, drei Jahren ist vieles nicht so gelaufen wie es hätte laufen müssen und da haben Mannschaft, Trainer, Leitung aber auch wir Fans alle einen Anteil daran. Dieser Umstand darf nicht durch ein „Bauernopfer“ verdeckt werden. Für Marcel Schmelzer ist zu hoffen, dass man diese Lage auf eine respektvolle und angemessene Art und Weise gelöst bekommt – wie auch immer diese Lösung aussehen mag. Denn, um noch einmal auf die eingangs erwähnten Zahlen zu kommen, eins ist klar: Marcel Schmelzer hat seinen Platz in der Geschichte von Borussia Dortmund verdient und viele schöne Erinnerungen sind auch eng mit seinem Namen verknüpft. Wenn diese Geschichte hässlich endet, hat niemand etwas davon.

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