Von köpfenden Torhütern, verkleideten Stadien und einem Reus ohne Nerven
Mächtig was los im verkleideteten Westfalenstadion. Da lässt sich der BVB nicht lumpen und legt nochmal 30 Minuten oben drauf. Alles wichtige zum Pokalsieg gibts in unserem Spielbericht.
Zwei Jahre nach dem letzten Aufeinandertreffen im DFB-Pokal, hatten wieder viele Berliner den Weg nach Dortmund gefunden. Auch wenn es diesmal keine 12.000 waren, 8.000 sind für einen Zweitligisten unter der Woche eine absolute Hausnummer. Insgesamt fanden sich 72.732 Zuschauer im Westfalenstadion ein, die frühe Anstoßzeit machte dem einen oder anderen einen Strich durch die Stadionbesuchsrechnung.
Apropos Westfalenstadion: Borussia Dortmund hatte sich zu Halloween eine besonders fiese Nummer ausgedacht und das Westfalenstadion als „Signal Iduna Park“ verkleidet. Gruseliger geht’s kaum. Ich bitte darum, solche Scherze in Zukunft zu unterlassen.
Lucien Favre rotierte vor dem Spiel mehr als ein handelsüblicher Dönerspieß. Sieben Wechsel gab es im Vergleich zum Hertha-Spiel: Hitz, Toprak, Weigl, Wolf, Kagawa, Pulisic und Philipp standen von Beginn an auf dem Platz.
Viel los in Hälfte 1
Union begann druckvoll. Wer erwartet hatte, dass der Zweitligist sich hinten rein stellt, sah sich getäuscht. Von Anfang an gingen die Unioner aggressiv zu Werke und liefen die Dortmunder früh an. Insbesondere Hitz und Toprak schienen davon überrascht und produzierten im Zusammenspiel einige gefährliche Aktionen.
Nach 10 Minuten entschied sich der BVB mitzuspielen. Die erste Chance hatte Maximilian Philipp im Anschluss an eine Ecke, doch der starke Rafal Gikiewicz im Tor der Köpenicker lenkte den Ball über die Latte.
Apropos Ecken: nicht nur beim BVB sorgten diese für Gefahr. Auch auf der anderen Seite brannte es bei Standardsituationen mehrfach so lichterloh im Strafraum, dass ein Eingreifen der Dortmunder Polizei sekündlich erwartet wurde. Da diese aber heute ihre Chancen nicht nutzte, musste Hitz ran. Zunächst konnte er Lenz' Schuss nach einer Ecke mit toller Flugeinlage aus dem Winkel kratzen, ehe er Hübners Kopfball-Versuch nach der anschließenden Ecke sicher entschärfte.
Und Hitz konnte sich danach ein weiteres Mal auszeichnen, allerdings anders als geplant. Zagadou brachte den Ball per Bogenlampe aufs eigene Tor und während das gesamte Stadion (vermutlich inklusive Schiri Winkmann) überlegte, ob das wohl ein absichtlicher Rückpass war, klärte Hitz in bester „Air-Riedle“-Manier per Kopf.
Die Dortmunder Verteidigung war zu diesem Zeitpunkt schon wieder arg gerupft. Mit Diallo musste nach 14 Minuten auch der letzte Überlebende der Stamm-Viererkette verletzt vom Platz. Raphael Guerreiro übernahm seinen Platz. Wie lange der Ex-Mainzer ausfällt ist unklar. Auch Zagadou humpelte quasi die gesamte erste Halbzeit durch. Unbestätigten Gerüchten zufolge hatte Manuel Friedrich nach dem Spiel 47 Anrufe in Abwesenheit von Michael Zorc.
Dortmund übernahm Mitte der ersten Halbzeit das Kommando, kam aber nur zu wenigen Abschlüssen. Immer wieder blieb der vorletzte Pass an einem Berliner Abwehrbein hängen. Der Offensive war die fehlende Abstimmung durchaus anzumerken. Dass es trotzdem mit einer Führung in die Pause ging, war dann Mahmoud Dahoud zu verdanken. Der Antreiber im Mittelfeld wich in der 40. Minute geschickt auf den linken Flügel aus und wurde dort von Julian Weigl in Szene gesetzt. Nach einem schönen Dribbling gegen Hartel folgte die perfekte Flanke auf den einlaufenden Kagawa, dessen Kopfball Gikiewicz von der Linie genau vor die Füße von Pulisic kratzte. Dieser vollendete ohne Mühe. Eine kalibrierte Abseitslinie hätte eventuell in diesem Fall der Meinung sein können, dass Pulisics Augenbraue im Abseits war, da es aber in dieser Runde des Pokals keinen Videobeweis gibt, ist das völlig latte.
Wo wir gerade bei Latte sind: direkt nach dem 1:0 kam Redondo zum Schuss, aber...na ja, Latte halt.
Gegen Ende der ersten Halbzeit wurde es dann mehrfach hässlich. Zunächst stieg Hübner Philipp völlig unnötig auf den Fuß, anschließend grätschte Marvin Friedrich Philipp von hinten um. Schiri Winkmann entschied auf Freistoß, die fällige Karte blieb mal wieder stecken.
Noch viel mehr los in Hälfte 2
Zu Beginn der zweiten Halbzeit schien der BVB dann endlich die nötige Ruhe ins Spiel zu bekommen. Immer wieder beschäftigten die Schwarzgelben die Hauptstädter in ihrer Hälfte und kamen dabei zu guten Chancen, die Führung auszubauen. Die größte vergab Guerreiro in der 52. als er völlig frei einen Gewaltschuss aus 12 Metern übers Tor setzte.
Und so kam dann Berlin plötzlich doch zum Ausgleich. Im Mittelkreis verlor Pulisic das Grätschduell gegen Schmiedebach und fehlte dadurch auf der linken Seite. Weigl rückte raus, Zulj in der Mitte war frei, bekam den Ball und steckte durch auf den eben eingewechselten Polter, der den Ball an Hitz vorbei ins Tor spitzelte.
Danach zog Berlin sich etwas weiter zurück und versperrte den Dortmundern den Weg zum Tor. Favre reagierte und beorderte Marco Reus zu sich. Doch noch vor dessen Einwechslung schafften es die Borussen endlich mal wieder, das Spiel schnell zu machen. Zagadou gewann das Kopfballduell gegen Abdullahi, Wolf verlängerte geistesgegenwärtig zu Kagawa und Pulisic und Philipp kombinierten sich zum 2:1.
Das Tor war ein ziemlicher Nackenschlag für die Eisernen, die sich zwar sehr bemühten, aber nur noch wenig produktives zustande brachten. Ein Distanzschuss von Hartel mit Nachschuss von Hedlund in der 78. war noch das Gefährlichste. Ansonsten stand die Dortmunder Defensive stabil.
Aber hey, Flutlicht. Super Stimmung. Und im Gegensatz zum Kino zahlt keiner was für Überlänge. Da kann man zum Wohle der Zuschauer auch mal in die Verlängerung gehen. Diese Gedanken hatte wohl die Dortmunder Defensive und produzierte in der 88. Minute eine Szene, die ab sofort in jedem Trainerlehrgang zum Standardrepertoire gehören wird. Titel: „Wie ich kurz vor Schluss bei eigener Führung niemals agieren darf, wenn mein Torwart den Ball in den Händen hat.“
Hitz hatte einen harmlosen Berliner Pass aufgenommen und die Dortmunder Mannschaft stand breit übers Feld gefächert. Anstatt den Ball in die gegnerische Hälfte zu prügeln entschied sich Hitz für den langen Abwurf auf Wolf. Der verlor das Kopfballduell an der Mittellinie, der Ball flog über den aufgerückten Guerreiro zu Abdullahi. Zagadou rückte halbherzig raus, machte in der Mitte den Weg für Zulj frei, Toprak rückte ebenfalls nur halbherzig raus und Zulj servierte Polter den Ball so genau auf den Schädel, dass dieser einfach nur weiterlaufen musste, um den Ball ins Netz zu drücken. 2:2 kurz vor Schluss.
Über die zwei Berliner Ecken in der Nachspielzeit kann ich nichts sagen, da ich vor Aufregung kurzzeitig bewusstlos war.
Alles los in der Verlängerung
Zu Beginn der Verlängerung kam Jadon Sancho für Wolf. Der Engländer sorgte auch sofort für viel Wirbel aber seine Pässe in den Strafraum fanden immer nur Berliner Abwehrbeine. Und hinten? Da hitzte Hitz. Die dickste Chance der ersten Hälfte hatte Union Berlin nach einem Konter. Der eingewechselte Hedlung tauchte völlig frei vor dem Tor auf, doch Hitz parierte großartig. Parallelen zur ersten Runde in Fürth drängten sich auf.
Große Aufregung dann in der 100. Minute. Sancho setzte sich einmal mehr durch, lupfte den Ball in die Mitte und Schmiedebach fälschte den Ball mit dem Arm vor Reus ab. Ein Elfmeter wäre möglich gewesen, da der Oberkörper Richtung Ball ging, aber die Szene zeigte einmal mehr, dass die Handregel dringend überarbeitet werden muss. Sei es drum, Elfmeter gab es nicht.
In der zweiten Halbzeit blieb das Bild zunächst ähnlich. Dortmund kontrollierte den Ball aber Chancen gab es kaum. Einzige Ausnahme: Topraks Pfostenkopfball nach Reus' Freistoß in der 110. Minute.
Beide Mannschaften gingen mitterweile auf dem Zahnfleisch und konnten kein Kapital aus den vielen Räumen schlagen. Und so ging es unaufhaltsam auf das Elfmeterschießen zu. Aber: Erste Runde und Parallelen und so. Bei einer Flanke von Hakimi in der 118. Minute entwischte Pulisic Friedrich in der Mitte und wurde von diesem zu Boden gerissen. In diesem Moment eskalierte auch der Autor dieser Zeilen mal kurzzeitig auf der Pressetribüne. Da aber hinter ihm die komplette Soziale Medien-Abteilung der Hauptstädter ebenfalls 120 Minuten für gute Stimmung gesorgt hatte, fiel das heute ausnahmsweise nicht weiter auf.
Winkmann entschied diesmal richtigerweise auf Elfmeter und schickte Friedrich mit Gelb-Rot vom Platz.
Auf dem Platz zeigten sich die Berliner von der unfairen Seite. Die Ausführung des Elfmeters wurde um exakt 2:33 Minuten verzögert. Hauptakteur dabei Hübner, wohl nicht zufälligerweise der Bruder des Hoffenheim-Hübners, der sich auch schon diverse Mal als Dauerprovokateur gezeigt hat. Scheint wohl so ein Familiending zu sein. Winkmann rannte währenddessen fröhlich von einem Spieler zum anderen und erklärte ihm, wo er zu stehen hat.
Nur Marco Reus schien das alles nicht so richtig zu interessieren. Den Elfer versenkte er trocken rechts oben.
Zwei Minuten galt es noch zu überstehen, in dieser Saison in Dortmund ja durchaus Zeit für 2-3 Tore. Berlin wählte zum Anstoß die Football-Taktik mit 9 Wide Receivern und Zulj als Quarterback dahinter. Dieser verpasste zunächst jedoch den langen Ball und wurde von Reus fast gesackt. Schlechtes Playcalling halt. Kurz danach war dann aber endgültig Schluss und Dortmund steht zum achten Mal in Folge im Achtelfinale des DFB-Pokals.
Die Einzelkritik
Hitz: Auf der Linie mit vielen starken Reaktionen. Im Aufbauspiel hingegen mit einigen Herzinfarktaktionen, vor allem zusammen mit Toprak. Zudem mit unglücklicher Spieleröffnung beim 2:2.
Hakimi: Derzeit mächtig on Fire. Das Zusammenspiel mit Pulisic ist allerdings noch ausbaufähig. Zum Ende hin ziemlich platt.
Toprak: Nach langer Verletzungspause mit durchwachsenem Debüt. In der Luft souverän, am Boden passte sowohl defensiv als auch offensiv nicht viel.
Zagadou: Musste nach dem Spiel hoffentlich nicht zur Dopingkontrolle. Sein Humpeln in der ersten Halbzeit ließ nichts gutes erahnen, er hielt aber 120 Minuten durch. Unklar, wie viel Liter Schmerzmittel in seinem Blutkreislauf waren. Einige völlig unnötige Fehlpässe ins Zentrum, ansonsten gut erholt vom Samstag.
Diallo (bis 14.): Gute Besserung!
Weigl: Bot sich an, stopfte Lücken, leitete das 1:0 mit einer schönen Verlagerung auf Dahoud ein.
Dahoud (bis 86.): Seine riskante und dynamische Spielweise hätte eigentlich einen eigenen Text verdient. Kein anderer aus dem DM-Bereich kann bei eigenem Ballbesitz so schnell aufdrehen und das Spiel schnell machen wie Dahoud. Zudem auf dem gesamten Feld zu finden, das kann gut sein (wie beim 1:0), das kann aber auch schlecht sein, wenn die Zentrale offen ist. Muss die falschen Entscheidungen noch etwas reduzieren. Taugt aber definitiv nicht als Sündenbock, auch wenn der ein oder andere Fan sich scheinbar diese Saison auf ihn festgelegt hat.
Pulisic: Viele Aktionen, aber zu häufig mit dem Kopf durch die Wand. Andererseits sind ein Tor und zwei Vorlagen schon ganz okay.
Kagawa: Bemühte sich stets spielerische Lösungen vorne zu finden, häufig blieb es bei Bemühungen. Hätte den Kopfball vor dem 1:0 schon selbst versenken müssen.
Wolf (bis 90.): Größtenteils unauffällig, gut vor dem 2:1, schlecht vor dem 2:2.
Philipp: Kämpfte, rannte, ackerte und belohnte sich mit dem 2:1. Vergab am Ende zwei Großchancen zur Entscheidung, davon einmal unglücklich und einmal absolut leichtfertig. Das hätte durchaus weh tun können.
Guerreiro (ab 14.): Offensiv, wie schon gegen Augsburg und Hertha direkt drin im Spiel. Defensiv nicht immer auf der Höhe, vor allem mit konsequenter Kopfballduell-Verweigerung.
Reus (ab 78.): Versuchte das Spiel an sich zu reißen und behielt die Nerven beim Elfmeter.
Witsel (ab 86.): Wurde zur Absicherung der Führung gebracht und durfte sich direkt den Ausgleich ansehen. Ansonsten heute unauffällig.
Sancho (ab 90.): Stellte die Berliner vor einige Probleme, brachte aber zu selten den letzten Pass an.
Schiedsrichter Winkmann: Wäre auf dem Kreisligaplatz spätestens zur Halbzeit vom Meckerrentner mit den Worten „Eyyy, hasse die Karten vergessen?“ final gekreuzigt worden. Ließ viel laufen und ermöglichte den Berlinern damit ihre harte Gangart. Bekam als Dank im Kicker eine 1,5.
Der Gästeblock:
Wie oben schon angedeutet: saustark. Durchgehende Unterstützung, bereits 90 Minuten vor Spielbeginn brutal laut und auch in der Halbzeitpause mit durchgehenden Gesängen. Einzige Kritikpunkte: durch die lang anhaltenden Gesänge sehr wenig spielbezogener Support. Zudem hatte man ab der 80. Minute das Gefühl, dass dem Großteil des Blocks ein bisschen die Luft ausging. Dieses Gefühl legte sich allerdings mit dem Ausgleich.
Die Heimfans:
Schleppender Beginn, wohl auch der frühen Anstoßzeit geschuldet, nachdem sich die Tribüne gefüllt hatte, ordentliche Unterstützung