Dreierpaco
Die vermeintlich eindeutige Partie gegen Augsburg entwickelte sich zur emotionalen Achterbahnfahrt mit überragendem Ende. Außerdem sind unsere Joker gefährlicher, als die der gesamten Batman-Comics zusammen.
„Hör mal Aki, die Leute werden langsam nervös, weil wir immer noch keinen Stürmer haben. Die Fans werden unruhig, die Zeitungen zerreißen sich das Maul.“
„Ach Michael.“ Aki schwenkt langsam den Weißwein in seinem Glas. „Du weißt doch, dass unsere Geheimwaffe schon längst bereitsteht.“
„Ja, schon.“ So richtig beruhigen lässt Michael sich nicht. „Aber wann lassen wir den Jungen endlich zum Einsatz kommen? Gegen die Fürther waren wir nicht gerade souverän.“
„Ein bisschen noch. Je länger wir warten, desto größer wird die Überraschung.“
Michael seufzt, lehnt sich zurück und blickt nachdenklich in die Ferne. „Weißt du, vielleicht hast du recht.“ Eine nachlässige Geste. „Gegen diese komische Betriebsmannschaft aus Leipzig schaffen wir es auch so.“
„Jau.“ Er nippt am Riesling. „Danach können wir meinetwegen den Paco aus dem Sack lassen.“
„Hihi.“ Michael muss unwillkürlich kichern. „Ich freu mich schon so! Die anderen werden gar nicht wissen, wie ihnen geschieht!“
So oder so ähnlich muss es sich noch vor einigen Wochen am Rheinlanddamm abgespielt haben. Mittlerweile ist Paco Alcácer natürlich längst kein Geheimnis mehr, auch wenn es für 90 Minuten noch nicht reicht – oder ist das auch nur eine weitere geniale Finte? Wir werden es wohl nie erfahren.
Spielverlauf
Die ersten 45 Minuten des Spiels gegen Augsburg sind recht schnell abgehandelt. Dortmund hatte die Chancen, der FCA das Tor. Augsburg zeigte von Anfang an, dass sie nicht zum Zuschauen hier waren und holten mit ihrem großen Einsatz immerhin drei Ecken in den ersten drei Minuten heraus. In der vierten Minute leitete Kapitän Dani Baier dann das große Kartensammeln seiner Jungs ein (Ja, liebe Augsburger, gelb ist eine sehr schöne Farbe, aber vielleicht solltet ihr euch beim nächsten Mal einfach auf den Trikottausch beschränken :-)), welches mit soliden sieben Gelben für den FCA enden sollte.
Die dickste Chance der ersten Halbzeit ging dann definitiv auf das Konto der Dortmunder. Maximilian Philipp, erneut auf der ihm doch nicht ganz so zugutekommenden Position des Mittelstürmers, ackerte wie üblich und konnte so in der 15. Minute mit einem starken Ballgewinn einen Angriff einleiten. Über Sancho kam der Ball zum optimal stehenden Kapitän – doch der verzog aus rund 09 Metern. Zu diesem Zeitpunkt extrem ärgerlich.
Augsburg machte es nämlich wenig später besser. Nach einem Freistoß von Philipp Max prallte der Ball unglücklich von Zagadous Oberschenkel vor die Füßen Finnbogasons. Der Dreifachtorschütze gegen Freiburg ließ sich auch hier nicht lumpen und schob den Ball humorlos durch Bürkis Hosenträger ins Netz (22.). Sein 50/50-Handspiel und der ziemlich eindeutige Schubser von Hahn an Reus gaben dem Treffer ein gewisses Geschmäckle. Da es jedoch fraglich ist, ob es ohne dieses Tor zu dieser wahnsinnigen 2. Halbzeit gekommen wäre, kann uns das auch eigentlich herzlich egal sein.
Dortmund reagierte entsprechend, unter anderem Zagadou, Bruun-Larsen und Philipp suchten das Tor, konnten jedoch allesamt nicht die Augsburger Abwehrreihe überwinden. Andrè Hahn sammelte noch schnell die zweite gelbe Karte der Partie, dann ging es in die Pause.
In der zweiten Halbzeit wurde schnell klar, dass beide Mannschaften noch nicht genug hatten. Dortmund drängte auf den fälligen Treffer, Augsburg hielt mit allen Mitteln dagegen.
Das Mittel der Wahl trug dann schließlich den Namen Paco Alcácer. In der 59. Minute kam er für Maximilian Philipp und brauchte ganze 180 Sekunden für den Ausgleichstreffer. 1:1 nach 62 Minuten.
Blöderweise wollte Augsburg das nicht einfach so hinnehmen. Erst erfolgte mit der Einwechslung von Felix Götze (64.) eine ganz klare Provokation in Richtung Dortmunder Bank – dann erzielten sie auch noch den erneuten Führungstreffer. Nach Balleroberung im Mittelfeld war es dieses Mal Philipp Max, der den Ball in die Maschen beförderte (71.). Gefühlt begann das Spiel da erst so richtig.
Favre reagierte umgehend: Der ältere Götze sollte seinen kleinen Bruder und dessen Anhang in die Schranken weisen. Ein Wechsel, bei dem sicher einige (mich eingeschlossen) fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Der? In einem explosiven Spiel wie diesem, ohne jede Spielpraxis und dieser einen Nichtleistung in Brügge?
Erstmal waren es aber die anderen Einwechslungen, die für Furore sorgten. Freistoß Guereirro, Tor – na klar – Paco Alcácer (80.)! Wieder Ausgleich! Und dieses Mal sollte es furios weitergehen. Ein weiterer Angriff überrollte die Augsburger, an dessen Ende Götze – ausgerechnet der! – den Ball ins kurze Eck schob. Die erste Führung für den BVB, nach sage und schreibe 84 Minuten.
Spätestens jetzt stellten beide Mannschaften jegliches Abwehrverhalten ein. Augsburg warf alles nach vorne – und mitten in den tosenden Jubel und die unbändige Freude der schwarzgelben Anhängerschaft erfolgte der Stich ins Herz. 3:3 in der 87., Bürki erreichte den Ball von Gregoritsch zwar noch, jedoch deutlich hinter der Linie.
Doch ebenso schnell wie sich das Stadion von dieser kalten Dusche erholen sollte, um die Mannschaft wieder nach vorne zu peitschen und diesen verdammten Kackball mit aller Kraft ins Tor zu singen und zu schreien, so schnell waren auch unsere Jungs wieder auf den Füßen. Die Spieler waren mit dem 3:3, mit dem „immerhin einen Punkt“ ebenso wenig einverstanden, wie ein jeder in schwarzgelb. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Partie gegen Augsburg, zu einem der intensivsten und emotionalsten Stadionerlebnisse der vergangenen Jahre werden sollte.
Die offizielle Nachspielzeit war bereits abgelaufen, Guereirro und Witsel mit ihren Torschüssen gescheitert, als Achraf Hakimi etwa 25 Meter vom Tor entfernt am Kopf getroffen wurde. Jedem war klar, dass dieser Freistoß die letzte Aktion des Spiels sein würde. Ja - und dann kommt da dieser Paco Alcácer, dieser unaufällige, in Spanien verschmähte junge Mann mit dem hohen Haaransatz herangeschlendert – und schlenzt den Ball über die Mauer und am konsternierten Luthe vorbei ins Tor.
Un-fucking-fassbar! Der kollektive Urschrei, der in diesem Moment durch Dortmund ging, dürfte der lauteste seit Malaga gewesen sein. Wer solche Spiele gewinnt…
Fazit
So richtig sattelfest ist die Defensive noch nicht, mit dem richtigen Einsatz kann man durchaus an uns vorbeikommen. Das stört bei uns nur niemanden. Wo letzte Saison nach einem schlechten Start oder Gegentreffer noch Hektik ausbrach und alles auseinanderfiel, hat man momentan nie das Gefühl, nicht als Sieger vom Platz gehen zu können. Hilfreich dabei: Die Qualität auf der Bank – und Favres unfassbares Händchen für den richtigen Impuls. Neun Jokertreffer in sieben Bundesligapartien, was die Frage aufwirft: Kann der Mann nicht aufstellen oder einfach nur extrem gut einwechseln?
Außerdem ist unser Stadion wieder eine echte Waffe geworden. Ob die Partie ohne diesen Support auch so gut für uns ausgegangen wäre? Ein 1:1 oder 1:2 scheint da wahrscheinlicher. Wenn sogar der gegnerische Trainer zugibt, von der unglaublichen Lautstärke überwältigt gewesen zu sein, dann wurde nicht so viel falsch gemacht. Die Beziehung zwischen Fans und Mannschaft bessert sich stetig.
So ein bisschen kommt man ja momentan doch ins Träumen. Ein klitzekleines bisschen. Vor allem nach dem schwachen Spiel der Bayern. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass wir uns vergangene Saison um diese Zeit in einer ähnlich guten Situation befanden, um dann nach der Länderspielpause beispiellos einzubrechen. Aber, wenn nicht jetzt träumen, wann dann? Und was soll mit so einer Moral und so einem Stadion im Rücken schon nicht möglich sein?
Statistik
BVB: Bürki - Hakimi, Akanji, Zagadou, Diallo - Witsel, Weigl (Weigl, 77.) - Sancho, Reus, Bruun Larsen (Guerreiro, 69.) - Philipp (Alcácer, 59.)
FCA: Luthe - Gouweleeuw, Khedira, Hinteregger - Framberger, D. Baier (Götze, 64.), Max – Hahn (Movarek, 74.), Gregoritsch, Caiuby – Finnbogason (Cordova, 83.)
Tore: Alcácer (63., 80., 96.), Götze (84.) – Finnbogason (22.), Max (71.), Gregoritsch (87.)
Gelbe Karten: Reus – Gouweleeuw, Khedira, Baier, Hahn, Caiuby, Finnbogason, Cordova
Einzelkritik
Roman Bürki: Zweieinhalb mal machtlos, packte in der 49. dafür die gelbe Wand aus. Musste ungewohnt oft hinter sich greifen – nach der holprigen, vergangen Saison hat er einen unfassbaren Schritt nach vorne gemacht.
Dan-Axel Zagadou: Kaum spielt der Mann einmal unter Jan Siewert, schon läuft es. Hat die absolute Lufthoheit, macht einen Schritt, wo andere drei machen und lässt Gegenspieler einfach abprallen. Wie abgeklärt er mit seinen 19 Jahren teilweise aufräumt, ist beeindruckend.
Achraf Hakimi: Defensiv mitunter noch so lala, offensiv ein Träumchen. Hat das Zeug zum Nachfolger des alternden Lukasz „the Machine“ Piszczek.
Manuel Akanji: Mit 23 Jahren der Alterspräsident der Kinderriegel-Neuauflage. Durchaus solide, aber nicht das stärkste Spiel des Veteranen. Wird eben nicht jünger.
Abdou Diallo: Eigentlich als Innenverteidiger geholt und spielte gegen Augsburg auf der LV-Position leider auch so.
Axel Witsel: Sowohl im Mittelfeld, als auch beim Feiern mit der Süd durch und durch Chef. Der Mann hat Bock.
Julian Weigl: Ging für die „Das kann er nicht machen – Oh Gott, er tut es.“-Einwechslung vom Platz. War in dem Spiel dann auch seine größte Leistung. Er hat es im extrem starken BVB-Mittelfeld nicht leicht.
Marco Reus: Wirkte mitunter wie ein Pitbull, gefangen im Körper eines Pekinesen. Doch auch der kann ziemlich wehtun, wenn er einem am Hintern hängt. An vielen gefährlichen Szenen beteiligt, insgesamt aber eher mit Bellen als mit Beißen beschäftigt.
Jadon Sancho: An vielen gefährlichen Situationen beteiligt. Wird jedoch nie an einen Caligiuri herankommen.
Maximilian Philipp: Ackerte und rannte, wird aber in diesem Leben kein Zweikampfmonster mehr – und ein zentraler Stürmer wohl auch nicht. Wäre auf dem Flügel wohl besser aufgehoben, doch da ist der Platz momentan eng.
Jakob Bruun-Larsen: Nach etlichen starken Auftritten fiel diese Partie eher in die Kategorie „bemüht.“
Raphael Guerreiro: Die schwächste Einwechslung. Was in diesem Fall heißt, dass er das 2:2 mit einem Sahne-Freistoß vorbereitete und in der entscheidenden Szene Platz für Paco machte.
Mario Götze: Die „Das kann er nicht machen – Oh Gott, er tut es.“-Einwechslung. Was für ein unfassbares Gespür von Favre. Götze traf und sorgte dafür, dass Sky sich auch bis zur Winterpause keine Gedanken über Gesprächsthemen machen muss.
Paco Alcácer: Was! Für! Ein! Geiler! Typ! Der krasseste Joker seit Heath Ledger. Braucht 13,5 Minuten pro Tor und wird somit in den 27 verbleibenden Spielen noch 180 mal einnetzen.