Stell dir vor, es ist Borussia - und du bist nicht da Teil II
Wir schreiben das Jahr 2011. Ich fahre mittlerweile seit 6 Jahren zum BVB und habe in der Zeit kaum Heimspiele verpasst. Mein erstes CL-Auswärtsspiel (Mailand 2003) ist zu dem Zeitpunkt geschlagene 8 Jahre her.
Ich mache mein Studium per Abendschule und habe Dienstag Abend jeweils die Pflicht, gute 150km entfernt von Dortmund in der Schule zu sitzen und die UEFA weiß nichts besseres, als alle BVB-Heimspiele auf Dienstag zu legen.
2012, nochmal die gleiche Geschichte. Alle Heimspiele sind am Dienstag. Alle, außer dem gegen Real Madrid, für das ich trotz intensiver Bemühungen nicht an Karten komme. So kommt es, dass ich mein erstes CL-Heimspiel erst 10 Jahre nach dem ersten Auswärtsspiel, am 9. April 2013 sehe. Ja, genau das Spiel meine ich! Das legendärste aller legendären CL-Spiele. Das 3:2 gegen Málaga. Ok, das entschädigt dann auch gleich für all die Jahre davor. Natürlich! Erst recht, wenn man bedenkt, dass ich zum Halbfinale gegen Real Madrid das unverschämte Glück habe, zum zweiten Mal hintereinander an der Hotline Karten zu erwerben. Der Rest ist Geschichte.
Zeitsprung.
Wir schreiben das Jahr 2014, den 2. April 2014 ganz genau gesagt. Ein Jahr nach der Zitterpartie im Bernabeu und der unvergessenen Partynacht im Irish Pub in Madrid, stehen wir wieder vor dem Bernabeu. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt, dass ich zum Rückspiel eigentlich nicht kann, weil ich eine wichtige Prüfung schreiben muss. Das Abendstudium kostet ganz schön was, dazu gilt für jede Prüfung, dass man nur zwei Chancen hat, vergibt man beide (egal ob durch Krankheit oder ungenügende Note), muss man das ganze Semester (inklusive Semestergeld) wiederholen. Es steht also durchaus was auf dem Spiel. Andererseits kann der BVB zum zweiten Mal hintereinander ins Halbfinale einziehen. Daher teile ich meinem Freund an diesem Abend auf dem Weg zum steilen Auswärtsblock im Bernabeu eine folgenschwere Entscheidung mit: „Wenn wir nach diesem Spiel noch Chancen haben aufs Weiterkommen, dann schwänze ich die Prüfung und lasse es auf die zweite Chance ankommen. Aber nur dann.“ Gut drei Stunden und ein ziemlich enttäuschendes 0:3 später ist die Sache klar: ich werde zur Prüfung fahren. Denn wie schon Breyer zu Klopp sagte: „Das Ding ist durch, oder?“.
Eine Woche später bin ich um 21:30 nach einer mehr oder weniger gelungenen (und glücklicherweise bestandenen) Prüfung auf dem Weg zum Auto, um nachhause zu fahren. Als erstes öffne ich natürlich den Live-Ticker und traue meinen Augen kaum. Der BVB steht zur Pause 2:0 vorne und hat weitere Chancen ohne Ende. Dazu kriege ich über alle möglichen digitalen Kanäle von Freunden im Stadion erzählt, dass sie noch nie so eine geile Stimmung erlebt haben. Was mir in dem Moment durch den Kopf geht, ist wohl am Besten mit Hugh Grants Worten ('Notting Hill", die Frauen werden sich erinnern) zu beschreiben: "Oh ich Hornochse, ich hab die falsche Entscheidung getroffen!" *stummes zustimmendes betretenes Nicken aus dem Publikum, einer ruft mitleidslos 'Jep!'*. Ich stehe derweil vor dem Schulgebäude und will mich einfach nur nach Dortmund auf die Süd beamen oder alternativ den Kopf so lange gegen die Wand schlagen, bis ich vergessen würde, dass ich mir dieses Spiel entgehen lassen habe. Stattdessen steige ich ins Auto und fahre traurig (und doch auch irgendwie etwas hoffnungsvoll) nachhause, mit laufendem Radio. Es reicht am Ende nicht, dennoch habe ich ein unglaubliches Spiel verpasst, das wird mir sofort klar und das wurmt mich bis heute.
Die Konsequenz daraus zog ich für mich ein halbes Jahr später. Ich schrieb meine allerletzte Prüfung am 09.12.2014. Wenn ich bestehen würde, müsste ich wohl nie wieder die Schulbank drücken und hätte meinen Bachelor (eine gelungene Bachelorarbeit vorausgesetzt) in der Tasche. Würde ich die Prüfung verpassen oder versauen, müsste ich die Wiederholung schaffen, um nicht noch ein halbes Jahr dranhängen zu müssen. Dumm nur, dass der BVB mal wieder für ein Dienstag Heimspiel eingetragen war. Na gut, Anderlecht ist jetzt nicht gerade der Brüller, aber nochmal ein Spiel verpassen? Nach der Geschichte mit dem Real Spiel nicht mehr möglich. Andererseits war die Prüfung für 18 Uhr angesetzt und sollte 2 Stunden dauern. Dazu muss man von Arnheim nach Dortmund gut und gerne 1:45 einkalkulieren, besser 2 Stunden. Ein paar Tage vor dem Spiel begann ich zu rechnen. Ich kam zum Ergebnis, dass ich pünktlich zur zweiten Halbzeit im Stadion sein können müsste, wenn ich spätestens um 19 Uhr die Schule verließ. Und so kam es, dass ich an diesem Tag nach der Hälfte der vorgegebenen Zeit die Prüfung abgab, zum Auto sprintete, mit allen 176.8km/h die der kleine Ka hergab die A3 runter bretterte, durch die hochgeklappten Drehkreuze sprintete und zur 30. Minute auf der Süd stand. Dass das Spiel dabei bis zum Schluss nicht nur unbedeutend, sondern auch noch relativ langweilig war, war mir egal. Es würde mir kein zweites Mal passieren. Es würde mir niemals wieder passieren!
Nadja, 09.08.2018