Watzke geht ins kalkulierte Risiko
Hans-Joachim Watzke ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, welche
Wirkung sein Interview mit der Funke-Mediengruppe im Vorfeld des
Hoffenheim-Spiels entfalten musste, auch wenn das Interview bereits
einige Tage früher geführt wurde. Der schon seit vielen Monaten und
keinesfalls erst seit dem Anschlag schwelende Dissens zwischen Tuchel
auf der einen und der Geschäftsführung und der sportlichen Leitung auf
der anderen Seite rückt nun endgültig in den Fokus der Öffentlichkeit.
Watzke hat mit seinen Äußerungen ein ungeschriebenes Gesetz des Fußballbusiness gebrochen: Vor wichtigen Spielen Unruhe zu vermeiden. Das Spiel gegen Hoffenheim war für den BVB ein Schlüsselspiel zum Erreichen der direkten Champions-League-Qualifikation, bei einer Niederlage wäre diese wohl nicht mehr zu erreichen gewesen. Es geht um viel Geld, zumal in der Qualifikation auch für eine gesetzte Borussia ein Schwergewicht wie der FC Liverpool warten könnte. Und Watzke gab Tuchel gleich mit: Platz vier hieße, man habe das Saisonziel verpasst.
Ein langer Anlauf zum offenen Dissens
Hier klingen die unterschiedlichen Deutungen der Entwicklung des vergangenen Jahres an. Als der BVB im vergangenen Sommer mit Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan drei Säulen verlor, war dies für Thomas Tuchel eine nachhaltige Enttäuschung, die er ungewöhnlich offen zur Schau trug. Offenbar hatte er sich wie viele andere auf Watzkes Ankündigung verlassen, man werde auf keinen Fall alle drei Spieler abgeben. Tuchel wähnte sich bei einem Verein, bei dem er in Ruhe eine Mannschaft entwickeln könne und sah sich doch wieder den Marktgesetzen unterworfen.
Wenn Watzke nun Kommunikation und Vertrauen als Themen für die Gespräche nach Saisonende nennt, dann geht es nicht nur um die kaum übereinzubringenden Versionen, wie die Spielansetzung nach dem Anschlag entschieden wurde. Es geht auch darum, wie der Kader, den Michael Zorc nach den ganzen Abgängen zusammenstellte, zu bewerten sei. Hier hat Tuchel immer wieder eine gewisse Unzufriedenheit erkennen lassen, auf die Jugendlichkeit der Spieler verwiesen und den eher langfristigen Prozesscharakter in der Entwicklung der Mannschaft betont, bei dem Spiele wie das in Darmstadt wohl zu akzeptieren seien. Wenn Watzke nochmals Platz drei einfordert, unterstreicht er dagegen, dass er den Kader für stark genug hält, um den Anforderungen des BVB zu genügen. Michael Zorc hält sich, wie wir es von ihm kennen, in der Öffentlichkeit weitgehend vornehm zurück. Aber es ist nicht erst seit dem offenen Zerwürfnis zwischen Thomas Tuchel und Chefscout Sven Mislintat ein offenes Geheimnis, dass auch das Verhältnis zwischen Sportdirektor und Cheftrainer angespannt ist.
Es ist sehr schwierig, von außen die Verantwortlichkeiten für diese vielen Reibungspunkte zuzuordnen, und es wird noch dadurch verkompliziert, dass beide Seiten seit Monaten hinter den Kulissen oder in Pressestatements ihre Versionen ventilieren. Und die Spieler machen munter mit, denn wenn die Verantwortlichen nicht an einem Strang ziehen, gilt hier die Grundregel: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Natürlich lässt sich der letzte Transfersommer mit guten Gründen kritisieren. Nicht nur verletzungsbedingt erwiesen sich die drei erfahrenen Neuzugänge André Schürrle, Mario Götze und Sebastian Rode als teure Missverständnisse. Emre Mor und Mikel Merino finden nur selten den Weg auf das Spielfeld und werden allenfalls mittelfristig Verstärkungen sein. Lediglich Ousmane Dembélé und Raphaël Guerreiro haben sich im Stamm der Mannschaft etabliert. Allerdings gilt ausgerechnet der teuerste Spieler, André Schürrle als ausdrücklicher Wunsch Tuchels, so dass schon hier sich die Schuld auf verschiedene Schultern verteilt. Und dass der willensstarke wie dickköpfige Tuchel im internen Umgang alles andere als einfach ist, kann wohl mittlerweile auch als bekannt vorausgesetzt werden.
Die Einbindung Tuchels funktionierte nie
Im Grunde sind beim BVB drei Alpha-Tiere aufeinandergestoßen, die es nicht vermocht haben, an einem Strang zu ziehen. Nicht einmal eine Zweckehe scheint mehr möglich. Ein dauerhafter Kleinkrieg aber würde dem Verein weiter schaden und so lässt sich die Trennung von Thomas Tuchel nach dem Pokalsieg wohl kaum vermeiden. Dennoch ist die Entwicklung mehr als ärgerlich. An seiner fachlichen Expertise zweifeln nur wenige, wenn auch manchmal nervtötend lautstark. Seine noch im Winter von unserer Seite stark kritisierte Kommunikation nach außen hat sich merklich verbessert, nach dem Anschlag gewann Tuchel mit geschickten öffentlichen Statements endgültig bei vielen Fans an Sympathie – auch zu Lasten Watzkes, der sich in die Rolle des herzlosen Machers gedrängt sah und darüber sichtlich verärgert ist.
Wenn der BVB im Sommer Tuchel entlässt, dann ist auch Watzke an seine Grenzen gestoßen. Tuchel ist ein talentierter Trainer, doch es gelang der Geschäftsführung nie, ihn vernünftig in den Verein einzubinden. Es wird wohl letztlich schwer zu entscheiden sein, wie groß die Fehler Watzkes waren, der möglicherweise den Zeitpunkt verpasst hat, frühzeitig die Kompetenzen unzweideutig zu verteilen. Dass es Thomas Tuchel vermocht hat, im Verein außergewöhnlich viele Menschen – darunter große Teile der Mannschaft – gegen sich aufzubringen, lässt allerdings auch Zweifel zu, ob es am Ende überhaupt noch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit gibt.
Watzkes kalkuliertes Risiko
Nun also der nächste Trainerwechsel. Zwar ist die Entscheidung noch nicht verkündet, vielleicht auch noch nicht zu hundert Prozent gefallen, doch Zweifel bestehen kaum noch. Watzke verfolgt die gleiche Strategie, wie schon beim umstrittenen Wechsel von Mario Götze: Möglichkeiten so deutlich andeuten, dass sich das Publikum langsam an den Gedanken gewöhnt, Multiplikatoren werden mit Hintergründen versorgt, auch manch Pressevertreter erscheinen erstaunlich informiert.
Watzke denkt mittelfristig, möchte den Schock bei einer Entlassung mildern und nimmt dadurch sportliche Risiken in Kauf, offenbar im Vertrauen darauf, dass die Mannschaft, in der der Trainer nicht nur Anhänger hat, sich von dem ganzen Drumherum nicht verunsichern lässt. Das Kalkül könnte aufgehen, denn für die Spieler ist der Konflikt keineswegs neu, sondern gehört längst zum Alltag. Im Sinne des Vereins ist Watzke wohl zu wünschen, dass seine Rechnung am Ende funktioniert. Ein Risiko bleibt