Unsa Senf

Krise oder keine Krise? Auf jeden Fall ein paar Probleme

11.11.2017, 10:31 Uhr von:  Sascha
Krise oder keine Krise? Auf jeden Fall ein paar Probleme
Gejubelt wurde nach Apfiff schon länger nicht mehr

So fulminant der Saisonstart, so ernüchternd waren die letzten Auftritte unserer Mannschaft. Und wie immer gibt es nicht den einen Grund, den man ganz leicht abstellen kann. Eine Analyse.

In den letzten Tagen gab es bei den Sportjournalisten ein beliebtes Hobby: den Versuch, einem Verantwortlichen oder Spieler des BVB das Wort „Krise“ zu entlocken. Was ebenso albern ist wie das Rumgeeier auf der Gegenseite, um genau dieses Wort zu vermeiden. Es ist völlig egal, bei welchem Namen man das Kind nun nennt, ein Punkt aus vier Bundesligaspielen ist eine Bilanz, die man sich nur einmal im Lauf einer Saison erlauben darf, wenn man ernsthaft auf einem Platz landen will, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Selbst wenn in zwei der vier Spielen Bayern und Leipzig die Gegner waren. Wenn man dann im Betrachtungszeitraum international zusätzlich auch gleich zwei Spiele gegen APOEL Nikosia nicht gewinnen kann, dann braucht sich niemand wundern, wenn von der euphorisierten Anfangsstimmung kaum noch etwas übrig ist.

Dabei ist rein tabellarisch in der Bundesliga noch nicht allzu viel passiert. Mit zwanzig Punkten steht der BVB auf Platz 3 und die Tordifferenz ist mit + 14 gar die zweitbeste der Liga. Bedenklich ist allein der Trend. Wie bereits erwähnt hat sich die Punktezahl seit dem siebten Spieltag nur um einen mickrigen Zähler erhöht und die Zahl der kassierten Tore stieg von zwei auf vierzehn. Waren wir nach dem Spiel gegen Augsburg noch die Mannschaft mit der deutlich besten Abwehr, so haben mittlerweile gleich sechs Mannschaften hier besser gearbeitet. Besonders nachdenklich sollte der Zeitpunkt dieses Einbruchs kommen. Vor der Saison haben Spieler, Trainer und Leitung vor einem schwierigen Start gewarnt. Es würde Zeit brauchen, bis die Mannschaft die Spielweise von Peter Bosz so verinnerlicht habe, dass sie es gut auf dem Platz umsetzen könne. Fehler verzeiht das von Bosz äußerst offensive 4-3-3 nämlich kaum.

So kam es wohl für die meisten überraschend, dass die Mannschaft an den ersten Spieltagen nur so durch die Liga pflügte und sich souverän an die Spitze setzen konnte – und damit eventuell ein verzerrtes Bild des Leistungsstandes abgab. Zu Beginn einer Saison gibt es immer wieder Verwerfungen aufgrund fehlender Eingespieltheit, die schon zu einigen kuriosen Tabellenbildern geführt haben. Paderborn durfte sich am vierten Spieltag der Saison 2014/15 noch Tabellenführer nennen, in unserer ersten Meistersaison hielten die Mainzer bis zum zehnten Spieltag mit uns mit und hatten gar neun Punkte Vorsprung auf die Bayern. Diese Phase legt sich allerdings zum Ende des ersten Drittels einer Saison aufgrund steigender Eingespieltheit der Teams und es kristallisiert sich immer stärker heraus, in welche Richtung es für die Mannschaften im weiteren Saisonverlauf gehen wird. Das heißt jetzt nicht, dass der BVB den aktuellen Punkteschnitt halten und bis Saisonende nur noch weitere sechs Punkte einfahren wird, es ist aber ein Fingerzeig dafür, dass es für unsere Borussia schwerer werden wird, in den Top 4 zu landen als es zu Saisonbeginn den Eindruck machte.

Machen wir uns auf die Suche nach den Gründen:

1. Das System

Peter Bosz, unser neuer Trainer seit Saisonbeginn

Dieser Punkt ist natürlich engstens mit dem Trainerwechsel in der Sommerpause verbunden und der Schritt von Thomas Tuchel, der von seiner Mannschaft maximale taktische Variabilität verlangte und den Gegner in eine Vielzahl zu lösender Einzelproblemstellungen aufteilte, hin zu Peter Bosz hätte kaum größer sein können. Wie schon bei Ajax Amsterdam machte er von Anfang an klar, dass er konsequent ein 4-3-3 mit starkem Akzent auf einem brutalen Offensivpressing installieren dolle. Der „Plan A“, zu dem es keinen Plan B gibt, ist in den wenigen Monaten seiner Amtszeit schon fast zu einem geflügelten Wort in Dortmund geworden.

In diesem Zusammenhang darf man auch nicht vergessen, dass Peter Bosz nicht die erste Wahl für die Besetzung des Trainerpostens war und man am liebsten Lucien Favre aus Nizza verpflichtet hätte. Favre wiederum hat in der Ligue 1 ähnlich variabel wie Thomas Tuchel gespielt und seine Mannschaft je nach Gegner in einem 4-1-4-1, 4-3-3, 4-2-3-1 oder auch mit einer Dreier-/Fünferkette formatiert. Das ist insofern interessant, als dass man beim BVB eigentlich mit einer im Vergleich zur Vorsaison nur wenig veränderten Mannschaft ins Rennen gehen wollte und nur das Wechseltheater von Ousmane Dembélé einen wesentlichen Faktor aus dem Kader entfernt hat.

Die Mannschaft ist also schon rein personell nicht völlig auf die extreme Ausprägung Bosz’scher Spielgestaltung ausgelegt, sondern eher auf einen Mix verschiedener Elemente ausgerichtet. Ein Punkt, der später noch einmal wichtig wird.

Man muss Peter Bosz zu Gute halten, dass er von Anfang an mit offenen Karten gespielt und freimütig zugegeben hat, dass man ein großes Problem hat, wenn seine Spielweise nicht zu 100 Prozent umgesetzt wird. Dabei wird er mit Sicherheit in allererster Linie an sein eigenes Personal gedacht haben, aber schon nach wenigen Spielen waren auch die Gegner nicht mehr gewillt, sich von der Dortmunder Offensive überfahren zu lassen. Bedenklich dabei ist, dass in kurzer Zeit gleich zwei Ansätze gefunden wurden, unser Spiel auszuhebeln. Raba Leipzig setzte dabei ebenfalls auf ein massives Offensivpressing und die Borussia geriet trotz einer frühen Führung schon konsequent im Spielaufbau unter Druck. Ein Rezept, das in der Champions League so auch schon situativ von Tottenham angewendet wurde. Die ballführenden Spieler der Viererkette wurden aggressiv angelaufen und Nuri Sahin auf der Sechs bei Ballbesitz teilweise mit drei Gegenspielern angegriffen. Die Folge war ein planloses Spiel mit langen Bällen von hinten heraus und leichte Ballgewinne für den Gegner.

Und selbst bei einem international zweitklassigen Gegner wie Nikosia führte diese Spielweise mit einer Modifikation zum Erfolg. Zwar verzichtete man verständlicherweise darauf, uns früh anzugreifen und zog sich fast bis an die Mittellinie zurück, aber man störte den Sechser, diesmal Julian Weigl, ebenfalls bei der Spielgestaltung und schnitt mit einem engmaschigen Netz den Spielaufbau von der Offensive ab. Für den BVB gab es so gut wie keine Gelegenheit für ein offensives Pressing, da man meistens selbst am Ball war, und die permanente Suche nach Anspielstationen nahm völlig das Tempo aus dem eigenen Spiel. Auch hier blieb nur die Flucht in lange Bälle, die auch solche „Zwerge“ nicht vor allergrößte Probleme stellen.

Dass lange Bälle aber nicht per se schlecht sind, zeigten dann Eintracht Frankfurt und Hannover 96. Zumindest, wenn sich der Gegner, so wie wir, ganz weit herauslocken lässt. Die Eintrachtler machten sich dabei zu Nutze, dass unsere vorderste Reihe nur noch Spurenelemente des Pressingengagements aus den ersten Spielen an den Tag legte und dem Gegner viel Zeit und Raum für weite Bälle tief in unsere Hälfte ließ, während die Viererkette bis zur Mittellinie aufgerückt war. In Hannover verlor man dagegen mit schlampigem Passspiel die Bälle im Spielaufbau und verschickte so ebenfalls Einladungskarten an den Gegner, die weit aufgerückte Abwehr mit langen Bällen zu „überloppen“.

Auch Nikosia hatte das richtige Rezept für uns

Während Leipzig und Nikosia also darauf aus waren, unseren Spielaufbau auszuschalten, machten sich Hannover und Frankfurt unser teilweise wildes und unkoordiniertes Aufrücken zu Nutze. Dass Peter Bosz fast nie korrigierend eingriff, irritierte dabei zusehends. Nur gegen Leipzig änderte er zwangsweise zumindest nach der Halbzeitpause von einer klassischen Vierer- auf eine Dreierkette, weil Rechtsaußen Toljan den Anforderungen sichtbar nicht gewachsen war.

Bei aller Kritik darf man aber auch nicht unter den Tisch fallen lassen, dass Bosz diese Schwachstellen mittlerweile selbst aktiv angeht und seine Spielweise gegen die Bayern erstmal von Beginn an sichtbar in den Problemzonen korrigierte. Kagawa rückte bei Spielaufbau der Roten als Unterstützung im Pressing so weit aus dem Mittelfeld nach vorne, dass er phasenweise noch tiefer als Aubameyang in der gegnerischen Hälfte unterwegs war, dafür ließ Castro sich bei eigenem Ballbesitz fast in eine Doppelsechs zurückfallen, um Weigl als zusätzlicher Anspielpartner auf der kurzen Distanz zur Verfügung zu stehen. Es war von beiden Seiten aus taktisch zwar eher ein altbackenes Match, der Misserfolg lag diesmal aber eher an individuellen Fehlleistungen in der Abwehr sowie im Sturm und nicht in der taktischen Ausrichtung.

2. Verletzungen

Von irgendwelchen Planspielen, was-wäre-wenn-alle-Spieler-fit-sind sollte man sich als Fan generell verabschieden, weil sie nichts anderes als pure Zeitverschwendung sind. Es sind nie alle Spieler gesund und einsatzbereit und so sind Verletzungen ein eminenter Faktor im Fußball. Trotzdem muss man einbeziehen, dass abseits der üblichen Verletzungen des Tagesgeschäftes der BVB hier nicht gerade vom Glück verfolgt wurde und eine Verinnerlichung von Bosz’ Wunschspielweise in diesem Punkt deutlich erschwert wurde.

Neben dem Langzeitverletzten Marco Reus sind seit Saisonbeginn immer noch Sebastian Rode und Erik Durm nicht aus dem Krankenstand zurückgekehrt. Mario Götze musste nach langer Auszeit durch eine Stoffwechselstörung erst langsam wieder an die Volllast herangeführt, Raphael Guerreiro und Julian Weigl nach langer Verletzungspause ebenfalls erst einmal auf ein bundesligataugliches Level hochtrainiert werden. Besonders bitter ist die Situation auf der Position der beiden Außenverteidiger. Kapitän Schmelzer stieß aufgrund eines Außenbandrisses erst am dritten Spieltag zur Mannschaft und wurde prompt von einem Freiburger wieder verletzt. Nach rund zwanzig Minuten Einsatz fiel er erneut für weitere sieben Wochen aus. Auf der rechten Seite erwischte es Lukasz Piszczek, der sich in einem Länderspiel einen Außenbandriss im Knie zuzog und in diesem Jahr vermutlich ebenfalls nicht mehr in schwatzgelb zu sehen sein wird.

Einer von zeitweise vier verletzten Außenverteidigern: Kapitän Schmelzer

Von fünf möglichen Spielern für die rechte und linke Außenbahn blieb phasenweise nur Neuzugang Toljan über, der den Anforderungen allerdings noch nicht restlos erwachsen ist. In der Folge mussten der ebenfalls noch sehr junge Dan-Axel Zagadou und Marc Bartra, beides eigentlich Innenverteidiger, dort den Notnagel spielen.

Es ist also keine Ausrede, wenn man feststellt, dass es auf neuralgischen Punkten in der Mannschaft aufgrund von Verletzungen zu Problemherden kam, die deutlich über den normalen Qualitätsverlust durch Ausfälle von Stammspielern hinausgehen. Die Defensive unter Bosz lebt davon, dass man gezielt und geeint im richtigen Moment aufrückt, dass die Abseitsfalle perfekt ausgeführt wird und die Abstände zwischen den Spielern stimmen. Das ist sehr viel verlangt von einer Viererkette, die in ständig wechselnder Besetzung auflaufen muss und die Außenbahnen aushilfsweise von Spielern besetzt werden, die sich überhaupt erst einmal an diese ungewohnte Rolle gewöhnen müssen.

3. Das Personal

Wie im ersten Punkt „Das System“ erwähnt, war Bosz nicht von Anfang an der Favorit für die freie Stelle als Übungsleiter und hat dann einen Kader übernommen, der eigentlich für eine weniger extreme, dafür aber variablere Spielweise konzipiert war. So hat man bei einigen Spielern, die vormals noch echte Leistungsträger waren, das Gefühl, dass sie mit ihrer Spielweise nicht wirklich in die Vorstellung ihres Trainers passen.

Das fängt ganz vorne bei Pierre-Emerick Aubameyang an, der zwar schon acht Tore auf dem Konto hat, aber deutlich schwächer als in der letzten Saison wirkt. Zuerst einmal ist er kein Zielspieler, der bei Balleroberung und schnellem Umschalten vorne einen Ball festmacht. Sobald man ihn nicht in die Tiefe schickt, sondern im Stand anspielt oder in Kopfballduelle schickt, sieht man deutlich, dass seine Schwächen im Kombinationsspiel liegen. In der letzten Saison wurde ihm zudem oft vorgehalten, dass er bei vielen Tore nur die Vorlagen seiner Mitspieler abgestaubt habe, aber letztendlich entsprang auch das der Qualität, sich von seinen Bewachern zu lösen und vor ihnen in der gefährlichen Zone zu sein. Er lebt von seinen Tempoläufen und der Explosivität im richtigen Moment. Dass das der richtige Stürmertyp für die vorderste Position in einem auf Pressing ausgelegten System ist, ist zweifelhaft. Permanente Laufarbeit gegen den Ball beeinträchtigt die Sprintfähigkeit in den Momenten, in denen er tief geht und umgekehrt. Vor allem, da er der Feldspieler mit den mit Abstand meisten Einsatzzeiten in dieser Saison ist.

Nuri Sahin und Julian Weigl scheinen beide nicht die idealen Sechser für das System

Auch Nuri Sahin und Julian Weigl scheinen nicht die idealen alleinigen Sechser in dieser Spielvariante. Bei Sahin, das muss man leider feststellen, merkt man häufiger, dass das Spiel gelegentlich zu schnell für ihn geworden ist. Leipzig hat diesen Umstand schonungslos offengelegt, indem sie die ein oder zwei Sekunden, die Sahin nach der Ballannahme zur Orientierung auf das weitere Spielgeschehen benötigte, gnadenlos ausgenutzt haben, um ihn unter Druck zu setzen. Weigl dagegen, neben nicht gerade ausgeprägter körperlicher Präsenz, ist eher die Passmaschine, mit der man einen Gegner mit langen Ballfolgen herspielen kann und nicht gerade der Typ, der schnell umschaltet und den Ball mit Tempo aus der Abwehr in den angreifenden Mannschaftsteil weiterleitet.

Nicht zuletzt scheinen die Innenverteidiger in Gänze ein gewisses Tempoproblem zu haben, wenn sie nach dem Aufrücken eine komplette Hälfte abzudecken haben. Nicht von ungefähr sind mit Sokratis und Zagadou bereits zwei Spieler zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison jeweils wegen einer Notbremse vom Platz gestellt worden. Dieses Defizit trat auch bereits in der „guten Zeit“ zu Saisonbeginn in Erscheinung, in der wir zwar Gladbach zu Hause mit 6:2 geschlagen haben, Bürki aber allein in der ersten Hälfte drei Eins-gegen-Eins-Situationen gegen Hazard und Stindl klären musste, die ihren Gegenspielern enteilt waren.

4. Einsatz des Personals

Von der Zusammensetzung des Kaders in Hinblick auf das gewünschte 4-3-3 einmal abgesehen, ist auch der Einsatz der einzelnen Spieler für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar. Sind auf der einen Seite einige wenige Spieler wie Sokratis und Aubameyang nahezu immer gesetzt und pausenlos im Einsatz, wird es bei Kaderspielern der zweiten und dritten Reihe ziemlich undurchsichtig. Kann man das Wechselspielchen zwischen Weigl und Sahin auf der Sechs noch dadurch erklären, dass Weigl Pausen braucht und sich beide nicht gerade als perfekte Dauerlösung aufgedrängt haben, kann man bei Gonzalo Castro schon schwerer nachvollziehen, warum er in der Champions League gegen Nikosia über neunzig Minuten hinweg auf der Bank saß, um dann drei Tage später Mario Götze gegen Bayern gleich in der Startelf abzulösen.

Ähnlich kurios auch der Umstand, dass Bosz im Hinspiel in Nikosia nach der Verletzung von Ömer Toprak lieber die Viererkette umstellte und den in diesem Spiel als Rechtsaußen sehr aktiven Bartra in die Innenverteidigung zog, statt einfach 1:1 Zagadou zum ersten Mal auf seiner Stammposition spielen zu lassen. Nur um Zagadou dann zwei Spiele später in Hannover von Beginn an dort zu bringen, während Toljan die ganze Zeit auf der Ersatzbank saß und Bartra erneut auf Außen spielte.

Auch über die Verfahrensweise mit Neven Subotic und Alexander Isak wurde schon häufig die Stirn gerunzelt. Gegen Frankfurt kam Subotic zu seinem ersten Einsatz überhaupt in dieser Saison und er machte seine Sache ordentlich. Vor allem zeigte er sich einsatzstark und körperlich präsent bei der Verteidigung der eigenen Hälfte bei schneller und weiter Spieleröffnung der Frankfurter. Wie bereits erwähnt eine Schwachstelle, die schon häufiger in der Saison aufgefallen ist. Die beiden folgenden Bundesligaspiele begann der BVB dann allerdings lieber komplett ohne Innenverteidiger auf der Ersatzbank, während Neven wieder auf der Tribüne saß. Vermutlich direkt neben Alexander Isak, der in Magdeburg ein wirklich starkes Debüt in der Startelf feierte und vor allem als „Prellspieler“ im Zentrum eine gute Figur machte. Doch statt den Schwung des ebenso langen wie jungen „Lulatsch“ zu nutzen, rotierte er wieder komplett aus dem Kader, während ein sich merklich nicht auf der Höhe befindlicher Aubameyang erneut über die vollen neunzig Minuten ran musste.

Für Sancho hieß es Uerdingen statt U17-WM

Und ob der Neuzugang aus Manchester Citys Jugend Jadon Sancho nicht doch lieber die U17-WM zu Ende gespielt hätte, statt mit den Amas den aufregenden KFC Uerdingen zu erleben, kann man auch kontrovers diskutieren.

So bleibt festzustellen, dass neben allen Problemen durch Verletzungen, die der BVB nicht beeinflussen kann, durch häufige Personalrocharden auch selbst dafür gesorgt wurde, dass sich immer wieder neue Konstellationen in einem neuen System zusammenfinden mussten und manche Spieler auch in schwächerer Form durchspielen mussten, weil mögliche Ersatzspieler nicht konsequent aufgebaut wurden.

5. Der individuelle Leistungsstand der Spieler

Hier stellt sich ein wenig die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Nicht alle Spieler wirken komplett den körperlichen Ansprüchen an das forcierte Spiel gewachsen und/oder frei von einer gewissen Formkrise. Dabei muss das nicht einmal der Auslöser der Serie schlechter Spiele gewesen sein, vielleicht haben die Kicks gegen Tottenham, Real Madrid und Raba Leipzig mit ihrer teilweise deutlichen Unterlegenheit auch die Beine schwerer gemacht und die Schultern nach unten gezogen.

Bei vielen Kickern wirkt das Spiel mittlerweile auf jeden Fall etwas kraftlos und gehemmt. In der vordersten Reihe fehlt der Biss beim Pressing momentan nahezu komplett, sodass aus einem Stören ein Mitlaufen wird und aus einer Spieleröffnung häufig ein Fehlervermeiden durch Rückpässe zum eigenen Torwart.

Es ist schon ein wenig alarmierend, wenn der 19-jährige Pulisic fast als einziger auf dem Platz den unbedingten Willen vermittelt, einen Spielverlauf zu verändern. Natürlich führen seine Dribblings häufig zu Ballverlusten und seine Versuche, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, sind manchmal zu viel, wo ein Pass besser gewesen wäre, aber er bricht wenigstens immer wieder aus den betretenen Bahnen aus und dringt mit Zug in den Strafraum.

Hier hilft vielleicht sogar schon kurzfristig die aktuelle Länderspielpause, die eine willkommene Unterbrechung der kürzlichen Negativserie darstellen dürfte. Einige Nationalspieler bleiben gleich ganz in Dortmund, für andere stehen mit ihren Teams normale Testspiele an, sodass auch kräftemäßig beim Gros der Kicker zumindest ein wenig Durchschnaufen möglich sein müsste.

6. Der Anschlag

Für uns Fans mögen sieben Monate im Fußball eine lange Zeit sein, für die Verarbeitung des Anschlags jedoch möglicherweise nicht. Für außenstehende Laien ist nicht abschätzbar, inwieweit der Bombenanschlag im April von den Spielern, die sich im Bus befanden, individuell bereits auf- und verarbeitet ist und in welchem Umfang er sich auch noch heute auf das Spielgeschehen auswirkt. Diesen Punkt darf man in der Gesamtschau einfach nicht unter den Tisch fallen lassen, weil es schlicht und ergreifend der Versuch war, Spieler bei der Ausübung ihrer Arbeit zu töten. Sie werden also Spieltag für Spieltag erneut mit dieser Situation konfrontiert und an das Attentat erinnert. Man kann nicht ausschließen, dass sich zumindest manche Spieler in einer permanenten Stresssituation befinden, die mit Sicherheit nicht leistungsfördernd sein kann.

Eventuell ist der Anschlag weiterhin eine psychische Belastung für einige Spieler

Dieser Faktor ist wohl nur für die behandelnden Psychologen wirklich fundiert quantifizier- und für Fans nur vage greifbar. Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass auch dieser psychische Aspekt die Leistung beeinflusst und vielleicht gerade in einer Phase des Misserfolges noch zusätzlich als Verstärker des üblichen Stresses und Drucks in so einer Zeit wirkt.

Hier bleibt dem Verein und den Spielern nicht viel anderes übrig, als individuell mit Fachleuten zu arbeiten. Anders als zum Beispiel bei einem Muskelfaserriss ist die „Heilungszeit“ nicht abschätzbar und von Einzelfall zu Einzelfall völlig unterschiedlich.

Wie geht’s weiter?

Peter Bosz hat im Spiel gegen die Bayern gezeigt, dass er auch an taktischen Stellschrauben arbeiten kann und das auch tun will. Vielleicht etwas spät, aber eine wichtige Erkenntnis. Neben all den Problemen und Problemchen, die unser Spiel negativ beeinflusst haben, kann man schon die Frage stellen, ob seine präferierte Spielweise auch in guter Ausführung auf hohem Niveau wettbewerbsfähig ist. In den vier Spielen gegen Madrid, Tottenham, Leipzig und Bayern setzte es vier Niederlagen und 5:12 Tore. Das hat auch eine Aussage, die sich nicht einfach wegschieben lässt.


Bosz wird sich ein Stück weit von seiner Idealvorstellung von Fußball entfernen müssen, weil sie es auch in guter Ausführung einerseits zwar ermöglicht, schwächere Gegner zu erdrücken, andererseits aber auch taktisch und qualitativ hochwertigeren Mannschaften einfache Ansatzpunkte bietet, diese Spielweise auszuhebeln.

Diesen Weg werden allerdings nicht alle Spieler mitgehen können. Es wird spätestens zur neuen Saison deutlichere Veränderungen geben und auch Namen treffen, die selbst im letzten Jahr noch eine große Rolle gespielt haben. Einfach weil ihre Fähigkeiten und Stärken nicht ausreichend zum Anforderungsprofil des Trainers an ihre Positionen passt. Und selbst eine modifizierte Version des gewünschten 4-3-3 ist in extremen Maßen davon abhängig, dass jeder einzelne Spieler seine Aufgabe voll erfüllt, und sie lässt wenig Möglichkeiten, Unzulänglichkeiten wieder auszubügeln.

Wir sind mit Sicherheit besser, als es zuletzt den Anschein hatte, – aber eben auch nicht so gut, wie es zu Beginn wirkte. Dafür sind noch einige Baustellen zu beheben.

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