eSport ohne den BVB - und das ist auch gut so
e-Sport ist das, was man wohl ökonomisch einen Boom-Markt nennt und kann mittlerweile durchaus beeindruckende Zahlen vorweisen. 2015 haben weltweit rund 334 Millionen Zuschauer die League of Legends-WM verfolgt, die Umsätze der dahinter stehenden Spielehersteller summieren sich zu Milliardenbeträgen.
So war es natürlich auch nur eine Frage der Zeit, bis sich einige Fußballvereine nicht mehr nur damit zufrieden gaben, bei den gängigen Fußballsimulationen wie den FIFA- oder Pro Evolution Soccer-Serien vertreten zu sein, sondern selbst aktiv zu werden - wenn auch nur zögerlich. Aus der Bundesliga vertreten sind bereits Gelsenkirchen, der VfB Stuttgart, Raba Leipzig und der VfL Wolfsburg, der HSV und Hoffenheim überlegen intensiver. Dabei geht es mitnichten nur darum, dass auf der Konsole der Bundesliga- oder Champions-League-Spieltag nachgespielt wird, sondern um völlig selbstständige Ligen. Es geht nicht einmal ausschließlich, oder sogar nur mehrheitlich um Fußball.
Natürlich ist eSport etwas völlig anderes als zuhause auf der Couch mit einer Tüte Chips daneben auf den Controller einzuhämmern. Auch die Gamer trainieren intensiv und nicht ausschließlich nur vor dem Bildschirm. Für den Erfolg braucht man Konzentration und die kann man nur mit einem gewissen Fitnessgrad über längere Zeit hoch halten. Macht der Körper schlapp, zieht der Geist schnell nach. Darüber hinaus werden mit Sicherheit auch die anderen Teams allgemein und die nächsten Gegner ganz besonders studiert und analysiert. Parallelen zum Profifußball, in dem mittlerweile alle möglichen Einflussfaktoren optimiert werden, um an das Leistungsmaximum zu kommen, sind hier nicht von der Hand zu weisen.
Die Interessen der Fußballclubs, die sich dort bereits engagieren, sind dabei klar. Der Gamer im Trikot des Vereins, mit dem Gamepad in Vereinsfarben in der Hand, erreicht auch die potentielle Kundschaft, die sich ansonsten nicht für Fußball interessiert. Und das weltweit. Dass das gerade auf Vereine wie Stuttgart oder Wolfsburg, deren Bekanntheitsgrad in Asien oder den USA gegen Null tendieren dürfte, eine große Verlockung ausübt, ist da nur selbstverständlich. Flankiert wird das ganze von Analysten und Marketingfachleuten, die für eSport die große Goldgräberstimmung verbreiten und prognostizieren, dass hier ein größerer Markt entsteht, als der für das auf dem Rasen kickende Personal.
Da ist es kein Wunder, dass im Rahmen des Kongresses „Spobis Gaming und Media“ Borussia Dortmunds Marketingchef Chef Carsten Cramer mit der Frage konfrontiert wurde, ob denn auch der BVB einen Einstieg in den eSport plane. Schon eher verwundert daran, dass unsere Borussia nach jetzigem Stand auf eine Möglichkeit verzichtet, sich auf diesem Markt zu betätigen.
"Wir werden trotz vieler Überlegungen und ohne Ignoranz für das Thema nicht in eSport investieren. Wir sind ein Fußballverein."
Streng genommen stimmt das nicht, weil der Fußballbereich ja längst die Vereinsebene verlassen hat und als KgaA an der Börse firmiert. Der Verein allerdings, also der Borussia Dortmund e.V., bietet mit Handball, Tischtennis und Blindenfußball selber auch andere Sparten als nur Fußball an. Kein Wunder, dass diese Argumentationsform vor allem bei den „Gamern“ unter den BVB-Fans nicht so ganz nachvollzogen werden kann. Borussia Dortmund verpasse einen Trend, den man später wirtschaftlich bereuen würde. Und wenn der BVB schon andere Sportarten unter seinem Dach vereine, warum ist da nicht noch ein Plätzchen frei für diese Sparte?
Der Unterschied zwischen beispielsweise Tischtennis und eSport liegt allerdings klar auf der Hand. Ersteres sind Überbleibsel von Borussia Dortmunds Herkunft als Verein für den Breitensport, letzteres ein weiterer Schritt auf den weltweiten Unterhaltungsmarkt. Und das führt uns zu einer fundamentalen Frage: Soll ein Fußballclub wie der BVB auch auf andere Märkte expandieren, nur weil es Geld bringt? Nun, der BVB hat hier schon eine gewisse Erfahrung gesammelt und das waren nicht die besten. Goool ist vielen als Marke nur noch deshalb ein Begriff, weil das eine Trikot im Schrank, bei dem das Brustemblem abgefallen ist, mit tödlicher Sicherheit eins von denen ist, die der BVB in Eigenregie angefertigt hat. Und Sportsandbytes wird auf dem IT-Markt auch nicht gerade in einem Atemzug mit IBM, Apple und Microsoft genannt.
Allerdings wäre im Bereich eSport das Risiko eines Scheiterns minimal. Der Markt besteht, man müsste nichts Eigenes aufbauen, sondern ein bestehendes und funktionierendes Team unter Vertrag nehmen und die Anfangsinvestitionen sind minimal, weil es nur wenig Logistik bedarf. Was also sollte den BVB daran hindern, zukünftig auch hier kräftig mitzumischen?
Es passe einfach nicht zu Borussia Dortmund, so Cramer, und man wolle sich weiter aufs Kerngeschäft konzentrieren. Ob eSport jetzt weniger zum Markenkern des BVB passt als das BVB-Schnapsglas mit Kordel oder der BVB-Buzzer, die man im Fanshop erwerben kann, ist allerdings durchaus diskutabel.
Trotzdem ist es richtig, dass der BVB diesen Schritt nicht geht und es ist im Interesse des Fußballs, wenn die übrigen Proficlubs ebenfalls auf diese Einnahmemöglichkeit verzichten würden. Für Gelsenkirchen und Stuttgart mag es kurzfristig vielleicht sogar irgendwie lohnend sein, aber was passiert denn, wenn dieses Modell wirklich funktioniert? Dann werden auch Real Madrid, der FC Barcelona und Manchester United in den eSport drängen. Clubs, die schon eine Weltmarke sind und es nicht erst werden wollen. Glaubt denn wirklich einer der europäischen Vereine wie West Ham United, der FC Valencia oder die deutschen Vertreter, sie könnten dort die neuen Platzhirsche werden, anstatt von den nachdrängenden Großen einfach wieder zur Seite geschubst zu werden? Mit wem werden wohl die großen Softwareschmieden und Konsolenhersteller lieber zusammenarbeiten? Mit denjenigen, die auf dem Fußballmarkt eher dritte oder vierte Wahl sind, oder den Topclubs, über die sie wiederum ihrerseits zu den Fans vordringen können, die sich bislang noch nicht für ihre Produkte interessiert haben? Wenn sie nicht eh schon längst Millionenbeträge via Sponsoring dorthin überweisen und deshalb auch ein persönliches Interesse am Erfolg des Fußballvereins haben.
Wenn Fußballvereine bewusst auf andere Märkte expandieren und sich somit letztendlich nicht mehr von ganz normalen Wirtschaftsunternehmen unterscheiden, verwässert das den Sport endgültig. Am meisten werden davon die Vereine profitieren, die bereits jetzt schon an der Spitze der Nahrungskette stehen, weil ihr Ruf und ihr Geld den Eintritt massiv erleichtert. Die Kluft zum breiten Rest wird noch größer als sie eh schon ist, die sportlichen Machtverhältnisse noch weiter zementiert, statt, was dringend nötig wäre, sie zu verringern. Nicht zuletzt würden sich die Vereine noch stärker vom fußballsportlichen Erfolg entkoppeln. Für ein normales Wirtschaftsunternehmen ist eine derartige Risikominimierung durchaus sinnvoll, hängen doch letztendlich von einer möglichst breiten und stabilen Finanzbasis Millionen Arbeitsplätze ab. Der Sport lebt aber auch von der Hoffnung, nach vorne zu kommen und der Gefahr, abzurutschen. Der Fußball muss wieder da hin kommen, dass sportlicher Erfolg den Vereinen auch wieder eine Entwicklungschance gibt, so wie wir 2010/2011 vielleicht die letztmögliche Chance genutzt haben, mit sportlichen Erfolg in die Ligaspitze vorzustoßen.
Auch das wäre noch viel weniger gegeben, wenn zum Beispiel nicht einmal mehr das Verpassen der fußballerischen Champions-League wirklich spürbare Auswirkungen hätte (was für die Topclubs bereits ebenfalls dank Versicherungen abgefedert ist), weil das eSport-Team gerade in Tokio bei der WM abgeräumt hat und das Konzernergebnis unterm Strich unverändert bleibt.
Natürlich fällt es einem als Fan des BVB leichter als beispielsweise einem des VfB aus Stuttgart, aber der Fußball krankt an zu viel Geld und nicht an zu wenig. Statt neue Märkte zu erschließen und noch mehr und mehr Geld zu generieren, muss der originäre Fußballmarkt erst einmal wieder auf ein gesundes Fundament gebracht werden, das Millionen von Fans seit vielen Jahren so begeistert und Fußball zu dem gemacht hat, der er heute ist. Deshalb ist es zumindest ein Schritt, nicht jede Kuh zu melken, die auf der Weide steht.
Als
Anhänger des eSport mag man die Entscheidung des BVB bedauern –
als Fußballfan sollte man sie begrüßen.