Dembélé und die Millionen
Ousmane Dembélé steht vor einem Rekordtransfer zum FC Barcelona. Die Transferspirale dreht sich weiter und weiter und nimmt immer absurdere Züge an. Kommt bald der große Crash?
Man fühlt sich dieser Tage beim Blick auf den Fußball-Transfermarkt an die absurde Preisentwicklung während der Hyperinflation vor bald hundert Jahren erinnert, als ein Brot plötzlich 105 Milliarden Mark kostete. Der Neymar-Transfer sticht wegen seiner hohen Transfersumme heraus, aber er ist nur das namhafteste Beispiel einer Spirale, die sich immer schneller dreht. Die Spuren dieses Irrsinns sind beim BVB in diesem Sommer schon längst unübersehbar, wenn man sich allein die Transfers von Mikel Merino, Emre Mor und Maximilian Philipp anschaut. Die beiden Abgänge bringen dem BVB ein deutliches Transferplus gegenüber dem Vorjahr, obwohl sie es gemeinsam lediglich auf 1.005 Minuten Pflichtspielzeit beim BVB gebracht haben. Ein Großteil des Geldes wandert jedoch in die Taschen des SC Freiburg weiter, bei dem der BVB für 20 Millionen Maximilian Philipp ausgelöst hat. Philipp ist fraglos ein talentierter, vielversprechender Spieler, der dem BVB hoffentlich viel zurückgeben wird. Aber es ist auch keine Frage, dass die Transfersumme für einen Spieler seiner Güteklasse noch vor zwei bis drei Jahren einen Bruchteil davon betragen hätte.
So unverhältnismäßig schon diese Summen waren, sie sprengten noch nicht völlig den Rahmen, innerhalb dessen die BVB-Fans die Transfers der letzten Jahre beurteilten. Immerhin erhielt die Borussia bereits im vergangenen Jahr über 100 Millionen Euro für die drei Schlüsselspieler Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan – eine mittlerweile weit weniger beeindruckende Summe. Die 120 Millionen Euro für Ousmane Dembélé, die Barcelona offenbar bereit ist zu zahlen, sind jedoch endgültig nicht mehr zu fassen. Der Franzose ist gerade einmal zwanzig Jahre alt und hat erst 58 Erstligaspiele in Frankreich und Deutschland auf dem Buckel. Hinzu kommen zehn Auftritte in der Champions League sowie sieben Nationalmannschaftseinsätze. Geht der Transfer wie zu erwarten über die Bühne, wird Dembélé vorläufig der zweitteuerste Spieler der Fußballgeschichte werden.
120 Millionen für den BVB und dennoch herrschen Zweifel
120 Millionen – was ein Glücksfall für Borussia! Oder vielleicht auch nicht? Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man annimmt, dass die Freude über den Transfer am Rheinlanddamm nicht grenzenlos ist. In sportlicher Hinsicht könnte den BVB momentan kaum ein Offensivabgang mehr treffen. Marco Reus wird zumindest in der Hinrunde fehlen und auf welches Niveau sich Mario Götze zurückschwingen kann, ist ungewiss. Selbst Christian Pulisics Verbleib scheint unsicher, wenn sich Liverpool nach einem Nachfolger für Coutinho umschauen sollte. Da ist die Extraklasse von Dembélé trotz seiner noch immer häufigen Fehlentscheidungen eine wertvolle Waffe, um tiefstehende Gegner zu überwinden. Dies scheint umso wichtiger zu sein, als die Vorbereitungsphase noch nicht alle Skeptiker von dem taktischen Konzept des neuen Trainers Peter Bosz überzeugt hat. Zwar war das intensive Pressing gegen die Bayern bis zum Ausgleichstreffer in der ersten Halbzeit durchaus beeindruckend, doch das Ballbesitzspiel scheint noch nicht ausgefeilt und zu abhängig von kreativen Einzelaktionen. Gegen tiefstehende Gegner könnte dies zu einem Problem werden, zumal lange Bälle aus der Defensive als probates Mittel erscheinen, sich dem Druck zu entziehen und zugleich Konter einzuleiten. Auch dies sah man gegen die Bayern häufiger.
Der BVB steht auch sicherlich nicht unter unmittelbarem Finanzdruck, sich von einem Schlüsselspieler wie Dembélé zu trennen. Sein Verbleib war fest einkalkuliert, die bisherige Transferbilanz ist ohnehin positiv. Ohne zu wissen, wie sich der Transfermarkt weiter entwickelt, wären bei dem Potential von Dembélé auch in den kommenden Jahren attraktive Angebote zu erwarten. Die sportliche Bedeutung des Franzosen stellt überdies die Frage, ob sein Abgang nicht sogar die Qualifikation für die Champions League gefährden könnte. Wenn der BVB sich dennoch entschlossen hat, Barcelona die Verhandlungen mit Dembélé zu erlauben, dann hat dies offenkundig andere Gründe. Unklar sind etwaige Vertragsverhältnisse. Die Enthüllungen von Football Leaks haben gezeigt, dass die möglichen Konstruktionen endlos sind. Bei Ousmane Dembélé bestand nie ein Zweifel, dass er den BVB nur als Sprungbrett zu einem europäischen Topverein sieht, und es ist anzunehmen, dass sich dies auch in entsprechenden Vertragsklauseln niedergeschlagen hat. Dembélé hat zudem auch vor seinem Wechsel zur Borussia, als er zunächst zu Red Bull Salzburg wollte, gezeigt, dass er bereit ist, einen Transfer mit unsauberen Mitteln durchzusetzen. Der BVB weiß also, dass ein reiner Verweis auf die verbleibende Vertragsdauer ihn wenig beeindrucken wird. Faktisch sind die Vereine in vielen Fällen hilflos, wenn ein Spieler seinen Wechsel durchdrücken möchte. Ein drittes Argument für den Verkauf ist die besondere Nische als hochklassiger Ausbildungsverein, in der sich der BVB mittlerweile eingerichtet hat. Dazu gehört nicht nur, dass er talentierten Spielern Einsatzmöglichkeiten auf hohem Niveau bietet, sondern auch, ihnen den Weg zu den europäischen Topvereinen nicht zu verbauen, wenn er sich auftut. Dies gilt insbesondere für Talente aus dem Ausland, von denen eine besondere Bindung an den BVB oder die Bundesliga nicht erwartet werden kann. Um für Spieler wie Dembélé attraktiv zu bleiben, muss die Borussia sich mit dem Status einer Durchgangsstation begnügen.
Fußballspieler als neue Tulpen
Für die Entwicklung einer Mannschaft, die auch um die Meisterschaft mitspielen kann, sind das ungünstige Bedingungen, da die Fluktuation auf Schlüsselpositionen verhältnismäßig hoch ist. Die Transferspirale hat jedoch auch ein finanzielles Risiko, die an eine weitere historische Analogie erinnert: Die niederländische Tulpenmanie im 17. Jahrhundert. Tulpen waren im 16. Jahrhundert noch ein recht seltenes Produkt aus dem Orient, das aber bald zu einer Liebhaberei für Adlige und reiche Bürger wurde. Eine großzügige Tulpenzucht, wie sie heute betrieben wird, war damals in den Niederlanden noch unbekannt. Hohe Nachfrage und geringes Angebot führten dann in den 1630er-Jahren zu einem zunächst langsamen, dann immer schnelleren Preisanstieg, bis am Ende für eine einzige Tulpe 4.000 bis 5.000 Gulden gezahlt wurden, eine damals unfassbar hohe Summe, für die normale Handwerker jahrelang arbeiten mussten. Das System basierte auf der Annahme der ständigen Preissteigerung, weshalb immer mehr Spekulanten eine Wette auf die Zukunft abgeschlossen hatten. Als diese Wette eines Tages bei einer Auktion nicht mehr aufging, weil niemand die erwarteten Preissteigerungen zu bezahlen bereit war, brach das System binnen weniger Tage zusammen. Viele Kaufleute, aber auch ganze Handelsunternehmen, die sich zu hohen Preisen mit Tulpen eingedeckt hatten, besaßen auf einmal nur noch gewöhnliche Blumenzwiebeln und verarmten.