Big Bang Theory in schwatzgelb
Thomas Tuchel und Hans-Joachim Watzke haben seit letztem Freitag also offiziell einen „Dissens“ miteinander. Oder anders ausgedrückt: Da ist ordentlich Beef am Rheinlanddamm. Mag mancher die merkwürdige und vermutlich sogar unfaire Hoffnung gehabt haben, dass der Anschlag Spieler, Trainer und Funktionäre zu einer verschworenen Einheit geschmiedet hat, sind diese Gedanken in der letzten Woche mit einem Interview mit der Funke Mediengruppe pulverisiert worden.
Dabei kann nur die Feststellung, wie tief die Gräben anscheinend sind, erstaunen, deren Existenz aber eigentlich nicht. Bereits Ende Januar äußerte Geschäftsführer Watzke zum Thema Vertragsverlängerung mit Thomas Tuchel, dass man die Rückrunde dazu nutzen wolle, ein „Gefühl zu entwickeln, ob das für beide Seiten über die drei Jahre hinaus Sinn ergibt“. Schon diese damalige Formulierung musste richtig stutzig machen. Die Hinrunde war zwar nicht berauschend, aber letztendlich war man in allen drei Wettbewerben noch auf Kurs Richtung Saisonziel. Und zu diesem Zeitpunkt hatte man bereits anderthalb Jahre miteinander gearbeitet. Wenn man dann immer noch öffentlich kund tut, dass man gar nicht so genau wisse, ob man zueinander passe – dann passt man eben nicht zueinander.
Kritik an der Mannschaft, Konflikte mit Ex-Spielern und Chefscout Mislinitat
Diese Aussage steht in einer Linie mit der verspäteten Stellungnahme zur Kritik Thomas Tuchels an der Mannschaft im Nachgang zum Auswärtsspiel in Frankfurt. Defizite in allen Bereichen attestierte der Übungsleiter seiner Truppe, die in der Gruppenphase der Champions-League immerhin den ersten Platz vor Real Madrid belegen sollte. Zugegeben: Das Spiel war schlecht. Doch die Kritik fiel so ungewöhnlich scharf aus, dass sie zu einem deutschlandweit beachteten Thema in den Medien wurde. Von der Geschäftsführung und der sportlichen Leitung kam Tuchel lediglich die äußerst schmale Rückendeckung, dass der Trainer das Recht habe, seine Mannschaft zu kritisieren. Mit keiner Silbe wurde jedoch zum Ausdruck gebracht, dass man die Kritik des Trainers zumindest ansatzweise auch teile.
Und noch früher berichteten die Medien, dass der Trainer mit Chefscout Mislintat schon seit Monaten so sehr über Kreuz läge, dass Mislintat das Trainingsgelände nicht mehr betreten dürfe. Dass der für Borussia zentrale Baustein in der Strategie, einen Topruf als Ausbildungsverein unter Europas jungen „High Potentials“ zu erwerben, in der Folge zum Leiter Profifußball befördert wurde, wird Tuchel dann vermutlich auch eher weniger gefallen haben. Die folgende Erklärung, dass das ja auch alles kein Problem sei, da Mislintat eher Sportdirektor Zorc zuarbeite, war auch eher semi zufriedenstellend. Wir reden hier über eine Person, die Spieler vorschlägt, und über eine andere, die diese Spieler einsetzen soll. Wie das ohne eine gemeinsame Basis funktionieren sollte, ist wohl ein Betriebsgeheimnis. Endgültig skurril wird diese Kombination durch die Darstellung, dass sich der Streit ursprünglich sogar an einer Spielerverpflichtung, nämlich der von Oliver Torres, entzündet haben soll.
Nimmt man alles zusammen, dann lagen die Karten schon lange zumindest halb verdeckt auf dem Tisch. Was nicht heißt, dass man nicht schon gelinde gesagt schockiert darüber sein kann, wie kaputt diese (Geschäfts-)Beziehung wohl tatsächlich ist. Es gibt mehrere, fast deckungsgleiche Stimmen, dass Thomas Tuchel - vorsichtig ausgedrückt - ein eher schwieriger Typ ist, für den in der Geschäftsstelle nicht gerade ein eigener Fanclub in Planung ist. Und wer mit Google umgehen kann, der findet sogar anonyme Spielerzitate, die nicht gerade von grenzenloser Rückendeckung für den Vorgesetzten sprechen. Thomas Tuchel wird in der nächsten Saison nicht mehr auf der Trainerbank von Borussia Dortmund sitzen. Alles andere wäre nach den Geschehnissen der letzten Tage so wahrscheinlich wie eine Gelsenkirchener Meisterschaft. Und allem Anschein nach ist das auch richtig so.
Eskalation vor dem wichtigen Spiel gegen Hoffenheim
Die Frage ist, wie es so weit kommen konnte. Es muss schon einiges zusammengekommen sein, damit die Lage direkt vor dem richtungsweisenden Spiel gegen Hoffenheim und mit dem Pokalfinale in Sichtweite so öffentlich eskalieren konnte. Warum und wieso? Darüber lässt sich trefflich spekulieren. Und je nach Lesart liegt der schwarze Peter mal bei der einen, dann bei der anderen Seite. Welche davon der Wahrheit entspricht, ist für Außenstehende nicht mit Gewissheit zu bestimmen und letztendlich ist es für die Zukunft von Borussia Dortmund auch unwichtig. Die sportliche Zukunft des BVB hängt nicht auf Gedeih und Verderb von Thomas Tuchel ab. Es wird auch in der neuen Saison weitergehen.
Trotzdem wäre es falsch, danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wie bereits beschrieben, gab es grundsätzliche Zweifel an der Zusammenarbeit schon länger. Ebenso wie interne Streitigkeiten mit anderen Angestellten. Unser Ex-Spieler Kuba deutete schon zu Beginn der Saison an, dass Tuchel es mit der von Herrn Watzke im Schwatzgelb.de-Interview noch hervorgehobenen Authentizität vielleicht doch nicht so genau nehmen würde. Er widersprach der Darstellung Tuchels, wonach er aus eigenen Stücken gegangen sei, weil er nicht mit seinem Freund Lukasz Piszczek in Konkurrenz um den Posten des Außenverteidigers stehen wolle, schlichtweg mit der Aussage, dass er mit Tuchel schon seit Monaten überhaupt nicht geredet habe.
An dieser Stelle muss man dann auch einfach die Frage nach der Personalführung im Hause des BVB stellen. So ein offenbar massiver interner Brandherd hätte schon viel eher gelöscht werden müssen. Entweder mittels Moderation, um ein halbwegs normales Miteinander zu gewährleisten, oder, wenn das nicht funktioniert, eben auch mit personellen Konsequenzen. Es braucht nicht die Neuauflage der vielzitierten „Skatrunde“ der Führungskräfte zu geben - die Wenigsten von uns sind so dicke mit ihren Kollegen und Vorgesetzten -, damit ein erträgliches Arbeitsklima möglich ist. Ist eine Person aber so wenig teamkompatibel, dass es nicht funktioniert, muss sie frühzeitig das Unternehmen verlassen. Lässt man es allerdings laufen, dann muss man das auch der Führungsebene als schweren Fehler anlasten.
Die Dortmunder Strategie, so scheint es von Außen betrachtet, war allerdings wohl, es allen irgendwie halbwegs Recht machen zu wollen. Bereits mehrfach wurden Spielertransfers einzelnen Personen als konkreter Wunschtransfer zugeordnet, ohne dass dieser Darstellung bislang ernsthaft widersprochen wurde. Und weil Person A Spieler X bekommen hat, durfte B sich Spieler Y aussuchen. In einer Transferperiode, in der rund 100 Millionen Euro bewegt wurden. Das ist „Wünsch dir was“ in der Deluxe-Version.
Die "Königstransfers" auf der Bank
Auch abseits der viel beachteten „Königstransfers“ bleiben ein paar Fragezeichen. Mikel Merino kam zu Saisonbeginn aus dem spanischen Osasuna zu uns und brachte es in der Hinrunde auf insgesamt 181 Spielminuten, die sich auf ganze drei Partien aufteilten. In der Winterpause schienen mehrere Vereine zumindest an einem Leihgeschäft interessiert zu sein, das dem 20-jährigen Spielpraxis verschafft hätte. Das wurde von Borussia jedoch abgelehnt. Aber warum? In der Rückrunde spielte Merino sogar inklusive DFB-Pokal in Lotte nur 131 Minuten. Und es wäre vermutlich nicht einmal die Hälfte der Spielzeit gewesen, wenn sich Nuri Sahin nicht früh in Gladbach verletzt hätte. Dabei ist Merino trotz des wirklich dicken Bocks in Gladbach vielen durchaus positiv aufgefallen. In den wenigen Minuten ließ er aufblitzen, dass er dem defensiven Mittelfeld eine Portion Kreativität beimischen kann.
Neu im Winter kam für rund 8 Millionen Euro Alexander Isak aus dem schwedischen Solna. Halb Europa soll an dem schwedischen Talent interessiert gewesen sein, bevor er bei unserer Borussia unterschrieb. Es war klar, dass Isak mit seinen 17 Jahren und mitten aus der skandinavischen Winterpause kommend sehr behutsam an das hier herrschende Niveau herangeführt werden sollte. So wunderte es zu Beginn eigentlich niemanden, dass Isaks Platz maximal auf der Bank war. Bald dreieinhalb Monate später und trotz eines langfristigen Ausfalls des von Thomas Tuchel zum Aubameyang-Ersatz erklärten André Schürrle verbucht der Schwede jedoch nur einen Einsatz für die Profis. Beim Drittligisten Lotte durfte er die letzten Minuten mithelfen, die Führung runterzuspielen.
So schön es wäre, es wäre auch ein Treppenwitz, wenn ausgerechnet diese chaotische und auch definitiv unangenehme Geschichte am Ende mit einem Titelgewinn in die Vereinschronik eingehen würde. Was aber auch nicht verhindern dürfte, dass man - wie man so schön im Fußball sagt - die letzten beiden Spielzeiten insgesamt schonungslos analysiert. Alles auf Thomas Tuchel und sein schwieriges Wesen zu schieben, wäre viel zu einfach. Und auch zu bequem. Unter dem Strich dürfte dieser Schlingerkurs nämlich auch einen ordentlichen Batzen Geld gekostet haben, der mit einer klaren Handlungsweise sinnvoller hätte verwendet werden können. Mindestens das ist ein hausgemachter Fehler, der für die Zukunft ausgeschlossen werden muss.