Lieber Ballspielverein
Lieber Ballspielverein,
natürlich könnte ich jetzt anfangen und einen klassischen Spielbericht über das 6:1 (3:0) von Borussia Dortmund gegen Borussia Mönchengladbach am 6. Spieltag der Bundesliga-Saison 2017/2018 schreiben. Aber darauf habe ich ganz ehrlich gesagt nun so gar keine Lust. Stattdessen möchte ich dich anschreiben und mich bei dir bedanken. Wofür, magst du fragen? Es ist ganz einfach: für einen wundervollen Abend im Westfalenstadion und für einige Flashbacks an eine Zeit, von der ich nicht gedacht hätte, dass ich sie jemals und schon gar nicht so bald noch einmal erhalten werde.
Ich könnte über die Aufstellung schreiben, darüber, dass die zuletzt teils kurz teils lang verletzten Jeremy Toljan, Mario Götze und Julian Weigl zurück in die Startelf kamen. Über den Spielverlauf mit harmlosen Gladbachern, deren genauer Matchplan sich mir nach den gesamten 90 Minuten aber doch nicht erschlossen hat. Stattdessen schreibe ich aber lieber darüber, dass ich schon in der Halbzeit mit einem breiten Grinsen auf der Pressetribüne saß, meine dort nun doch in gewissen Teilen gebotene Objektivität schon längst abgelegt hatte und dass ich vollkommen euphorisiert in die Halbzeit ging, nur um unter den Kollegen einige zu treffen, denen es genauso ging.
Weil ich es wichtig finde, möchte ich aber zumindest noch meine Chronistenpflicht erfüllen und auch die Banner erwähnen, die in beiden Fanblocks wieder in Richtung DFB zu sehen waren. Dieses Mal ging es um Kritik an der Globalisierung im Fußball, sinnbildlich vorgetragen am Beispiel der chinesischen Mannschaft, die in der Regionalliga Südwest gegen den Ball tritt. Es bleiben also weiterhin genug Dinge, die die Fans am Deutschen Fußball-Fans stören.
Zurück nun aber zu meiner Euphorie und meinen Glücksgefühlen auf der Pressetribüne. Diese hatte ich – mal wieder – vor allem deiner Offensivabteilung zu verdanken. Schon früh fingst du nach einer gewissen Eingewöhnungsphase an, die insgesamt sehr harmlosen Gladbacher an die Wand zu spielen. 75% Ballbesitz und 13:4 Torschüsse zur Pause sprechen eine deutliche Sprache. Aber nicht nur der bloße Fakt, sondern auch das WIE sorgten für das breite Grinsen auf meinen Lippen. Wie du dich durch die gegnerische Abwehrreihe gespielt hast, mit Steilpässen von mal Toprak, mal Weigl, mal Dahoud und den schnellen Spitzen wie Philipp oder Aubameyang öffnest du Räume, um dann noch einmal abzulegen. So wie beim 1:0, das alles in Gang brachte. Aubameyang bediente Philipp, nach 28 Minuten lagst du in Front und ich hatte keine Ahnung, was noch alles folgen sollte. Bis zur Pause ging es dann aber doch recht
schnell. Dahoud, Toljan, Philipp, 2:0. Schon hattest du die Führung erhöht und ich, der vor der Saison noch nicht ganz verstanden hatte, warum du für einen vielleicht talentierten, aber doch nicht unbedingt überragend aufspielenden Freiburger 20 Millionen Euro überwiesen hast, stand auf einmal da und musste Abbitte leisten. Das hatte sich in den letzten Wochen ja schon angedeutet und muss nach sechs Spieltagen vielleicht auch noch vorsichtig formuliert werden, aber trotzdem bin ich doch geneigt, mich mal wieder dafür zu entschuldigen, Zweifel an deiner Scoutingabteilung und Transferpolitik gehabt zu haben. Mea culpa.
Und weil das noch nicht genug war, erfüllte das 3:0 in einer herrlichen Kombination aus Sokratis, Philipp und Aubameyang mein Herz noch weiter. Zweifellos, auch zur Pause wusste ich schon, dass du mir noch keinen perfekten Fußball offenbart hattest. Dafür hattest du dann doch zu viele Chancen der Gladbacher zugelassen, die diese zum Glück fahrlässig liegen ließen. Aber erstens wäre dies bei dem Perfektionisten, der mit Peter Bosz auf der Trainerbank sitzt, auch fast schon schade, wenn man gar nichts mehr hätte, an dem man arbeiten müsste. Und zweitens war es mir zu diesem Zeitpunkt einfach egal. Zu verzückt war ich von deinem Offensivfußball. Und dabei hatte die zweite Hälfte noch gar nicht angefangen.
So beruhige ich mich also in der Pause und kehre an meinen Platz zurück, wo ich versuche, zwar breit grinsend, aber doch zurückhaltend zu sein. Es gelingt mir genau drei Minuten. Dann nämlich machst du direkt weiter, erhöhst mit Aubameyang weiter auf 4:0 und 5:0. Die Südtribüne hat Spaß und entlässt humorös Dieter Hecking. Nun könnte ich dir natürlich das Gegentor übelnehmen. Die schöne Serie, der Fakt, der einzige Tabellenführer in Europas Top-Ligen zu sein, der noch keinen Treffer kassiert hat, ist dahin. Ist das wirklich wichtig? Natürlich nicht. Warum auch? Ich erhalte trotz des Gegentreffers Flashbacks. Erinnerungen an eine Zeit, die schon in der damaligen Gegenwart als Märchen beschrieben wurde. Märchenonkel war damals Jürgen Klopp. Die Schätze, die gehoben wurden, zwei Meisterschaften und ein Pokalsieg. Die Elemente des Märchens: Leidenschaft, offensiver und attraktiver Fußball, der absolute Wille auf gute Spiele und auf Tore, ein auf dem Platz spürbarer Zusammenhalt einer jungen Truppe. Ich erhalte Flashbacks, weil ich viele Dinge in dir im Jahre 2017 wiedererkenne. Es fühlt sich wieder ein wenig so an. Ich gucke deine Spiele wieder besonders gerne. Weil sie Spaß machen. Und ich so viele Dinge wiedererkenne. Das ist einer der Gründe, warum ich dir heute danken will, lieber Ballspielverein.
Und als wäre das nicht genug gewesen, macht auf einmal auch noch Julian Weigl ein Traumtor. Der Mann, der nicht gerade für seine Abschlussqualität bekannt ist und bislang auch erst einmal für den BVB treffen konnte. Mit einem Tipp-Kick-Schuss in den Winkel. Ich komme aus dem Kopfschütteln kaum noch heraus und mein Strahlen wird immer größer. Ich lehne mich zurück und genieße einfach nur noch: deinen Fußball, der natürlich ein wenig zurückhaltender wird. Deine Auswechslungen, die mich noch einmal daran erinnern, was für eine unglaubliche Qualität noch in deinem Kader steckt. Schließlich kommt ein Spieler wie Yarmolenko, der in den letzten Wochen ebenfalls sehr überzeugend war, heute gar nicht zum Einsatz. Ein Nuri Sahin, der zuletzt in der Abwesenheit Weigls enorm wichtig und der verlängerte Arm des Trainers war, bekommt eine verdiente Pause. Und eine halbe Startelf außerordentlich begabter Fußballer liegt noch im Krankenflügel. Und schon wieder komme ich ins Träumen: Was soll denn diese Saison möglich sein? Schließlich haben wir den Patzer der Bayern am Freitag ausgenutzt und liegen nun schon drei Punkte vor ihnen. Klingt nicht viel, gab es so aber auch schon lange nicht mehr. Genauer gesagt zum letzten Mal in der bereits erwähnten Märchen-Zeit. Was erwartet uns diese Saison noch? Und erst recht, wenn alle Spieler irgendwann wieder zurück im Kader sind? Ich träume gerne. Das habe ich in der schon erwähnten Märchen-Zeit auch gerne gemacht. Muss es genauso enden? Nein. Es dürfte aber ähnlich enden, ich wäre dabei.
Mach einfach mal genau so weiter, lieber BVB. Und dann gucken wir, was dabei rauskommt. Mir gefällt das Hier und Jetzt. Es war ein wundervoller Abend im Westfalenstadion und ich müsste zumindest erst mal überlegen, wann ich das letzte Mal so viel Spaß bei dir zu Hause hatte. Und deswegen noch ein letztes Mal: Danke! Ich singe jetzt weiter auf der Melodie von Pippi Langstrumpf…
Statistik
Mönchengladbach: Sippel – Elvedi, Ginter, Vestergaard, Wendt – Kramer (75. Hofmann), Zakaria – Johnson (71. Herrmann), Hazard – Stindl, Raffael (61. Cuisance)
Tore: 1:0 Philipp (28.), 2:0 Philipp (38.), 3:0 Aubameyang (45.), 4:0 Aubameyang (49.), 5:0 Aubameyang (62.), 5:1 Stindl (66.), 6:1 Weigl (79.)
Gelbe Karte: Elvedi
Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin)
Zuschauer: 81.360 (ausverkauft)