"Ich war nie ein Titelgarant." Andy Möller wird 50
Zeit wartet auf niemanden. Nicht einmal auf Andreas Möller. Der Spielmacher der großen 90er-Mannschaft wird am heutigen Samstag 50 Jahre alt. Im Gespräch mit uns blickt er auf seine Karriere zurück und erklärt seinen Wechsel nach Gelsenkirchen.
Andreas Möller ist außer sich. Der Co-Trainer der ungarischen Nationalmannschaft steckt mitten in den Vorbereitungen zum WM-Qualifikationsspiel gegen Lettland. Die Magyaren werden das Spiel mit 3:1 gewinnen, aber an Russland 2018 ist für den EM-Teilnehmer nicht mehr zu denken.
Deswegen aber ist Andreas Möller nicht außer sich. Er will nicht mehr über diese eine Schwalbe reden. „Ich will das jetzt beenden“, sagt Möller, der zwar in den 1990er-Jahren vom Reviersport den Beinamen Magier verpasst bekam, jedoch vielen durch seine Schutzschwalbe, das Wechseltheater und sein Heulsusen-Image in Erinnerung blieb.
„Ich möchte das beenden. Ich habe 18 Jahre in meiner Karriere viel erlebt“, sagt Möller. „Natürlich war diese Schwalbengeschichte ein kleiner Tropfen auf einem heißen Stein. Ich habe so viele schöne Momente gehabt. Ich habe so viele tolle Spiele gemacht, so viele Titel geholt. Über dieses Thema möchte ich nicht mehr reden.“
Andreas Möller wurde als Spieler von Eintracht Frankfurt, Borussia Dortmund, Juventus Turin und Schalke 04 zweimal Deutscher Meister, er gewann dreimal den DFB-Pokal, er war Champions-League-Sieger, UEFA-Pokalsieger und Weltpokalsieger, er hielt den WM-Pokal in seinen Händen und wurde Europameister. In seinen Klubteams spielte er immer eine wichtige Rolle, an seinen guten Tagen war er einer der besten Spieler der Welt.
„Ich war nie ein Titelgarant, aber überall, wo ich war, ist am Ende auch unterm Strich etwas rausgesprungen“, sagt Möller, der 1992 mit Frankfurt und 2001 mit Schalke die Meisterschaft am letzten Spieltag verpasste und mit Dortmund 95 und 96 Meister wurde. „Enttäuschungen gehören im Sport dazu, aber für mich war immer der Erfolg der Mannschaft wichtig. Meine persönliche Darstellung war nie wichtig, mir war der Erfolg immer wichtiger als mein persönlicher Erfolg.“
Aber mit ihm erzielten die Mannschaften die Erfolge. Das fing früh an. Noch nicht bei Eintracht Frankfurt, die er Anfang 1988 in Richtung Dortmund verließ. Die Borussen zahlten 2.5 Millionen DM, eine unvorstellbare Summe für einen 20-jährigen Spieler. Sogar Dr. Norbert Blüm beschwerte sich über die Auswüchse des Profigeschäfts. Manche Dinge ändern sich nie. Für Gerd Niebaum rückblickend der Startschuss für das Wirtschaften am Limit, das Borussia wie Ikarus aufsteigen und später verglühen ließ. „Die Leute glauben seitdem, dass sich Investitionen lohnen“, sagte der damalige Präsident 1993 im Spiegel-Interview.
Sie lohnten sich bis zum großen Knall und begründen bis heute Dortmunds Anspruch auf die Rolle hinter Bayern München. Mit Möller gewann der BVB den ersten Titel nach 23 Jahren. Der Borsigplatz bebte, Dickel wurde zur Vereinslegende. Die Mannschaft nicht. Andere Erfolge überschatten im Rückblick den 4:1 Sieg gegen Bremen, den Startschuss des BVB in die Moderne.
„89 der Pokalsieg und 94/95 die erste Meisterschaft mit Borussia. Das waren die zwei Titel, die am prägendsten waren, die immer noch in toller Erinnerung waren“, sagt Möller, der in seiner ersten Dortmunder Zeit von 1988 bis 1990 schnell zum Nationalspieler wurde und an einem Aprilabend vor rund 17.000 Zuschauern im Hannoveraner Niedersachsenstadion eines der schönste Tore seiner Karriere erzielte.
Von Michael Zorc noch in der eigenen Hälfte freigespielt, legte Möller, der Magier, den Turbo ein, auch so ein Beiname, den er im Reviersport trug. Mit nur sieben Ballkontakten ließ er drei Gegenspieler stehen, chippte den Ball über den Torhüter. „Torwart Raps, vielleicht zu früh aus dem Tor. 2:0“, kommentierte die Sportschau, und Möller drehte ab, sprang, reckte seine Faust in den Abendhimmel. Das Continentale-Trikot leuchtete, das Stadion war leer. „Surmann, der die Kreise von Andy Möller stören sollte, sah fast nur dessen Hacken. Der Jungnationalspieler glänzte nicht nur durch seine Übersicht, seine Pässe und seinen Treffer, sondern auch durch konsequentes Zweikampfverhalten“, schrieb der kicker und vergab die Note 1.
Möller war nicht zu stoppen. Anfang 1990 versprach er im Westfalenstadion, den Verein nicht zu verlassen. Es kam anders, er ging zurück zu den Adlern nach Frankfurt, das nahm man ihm und seinem Berater Klaus Gerste übel. Im Westfalenstadion las man: „Möller? Schon vergessen! Lügen lernt man nur in Hessen!“ Aber dort kam er 1992 im Herzschlagfinale zwischen Stuttgart, Dortmund und Frankfurt seiner ersten Meisterschaft nahe.
Und von dort reiste weiter nach Italien, wo er bei Juventus anheuerte. Dort gewann er im Endspiel gegen die Borussia bereits im ersten Jahr den UEFA-Cup und stand doch im August 1994 wieder im Kader des BVB. Die Zeit der Italien-Transfers. Sammer war bereits da, jetzt folgten der verlorene Sohn und Júlio César. Ein Jahr später, nach zahlreichen Möller-Toren, darunter dem entscheidenden Freistoß am letzten Spieltag gegen Hamburg, war die Borussia wieder Meister. Zum ersten Mal seit 1963, zum ersten Mal in der Bundesliga.
Zeit für einen Platzsturm. Am Mittelkreis umringten die Fans die Spieler, Möller entschwindet über den Köpfen der jubelnden Massen in die Kabine. „Das war gar nicht so einfach. Da kann ich mich noch gut dran erinnern. Die Tore wurden geöffnet. Die Fans sind mir mehr oder weniger an die Wäsche gegangen. Die wollten Stutzen, Hose, alles. Es gab kein Entrinnen. Irgendeiner hat dann vorgeschlagen, mich über Kopf in die Kabine zu bringen. So ist es passiert. Die haben mich hochgehoben und über die Köpfe in die Kabine getragen. Das war natürlich ein wunderschöner Moment“, erinnert sich Möller. „Das zu erleben, das war fantastisch. Als Fußballer kann man sich das nur wünschen, man kann davon nur träumen. Es ist einmalig, sowas selbst zu erleben.“
Eine weitere Meisterschaft folgte, ein Champions-League-Sieg. Möller war der offensive Taktgeber der großen Dortmunder Mannschaft in den 1990er-Jahren. Als diese nach Hitzfelds Abgang 1997 langsam zerbrach und sein Vertrag bei der Borussia kurz nach der Jahrtausendwende auslief, wechselte er, mittlerweile 32. Nicht nach Frankfurt, nicht ins Ausland, sondern zum FC Schalke 04.
Ein paar Monate später bei seiner Rückkehr war niemand begeistert. Schalke gewann mit 4:0. Vorher hatte es das Stadion auf Möller abgesehen. „Das war massiv“, erinnert er sich an die Pfiffe. „Die Erfolge mit Dortmund, die Rivalität. Wie sollte der Fan das verstehen? Schalke kam, ich wollte Dortmund da keinen auswischen. Es ging nicht weiter in Dortmund.“
In Gelsenkirchen gewann Möller zweimal den Pokal, die Vierminutenmeisterschaft und spielte zum Abschluss seiner Karriere noch einige Spiele bei der Frankfurter Eintracht.
Danach sah man ihn als Sportdirektor der Kickers aus Offenbach, als Trainer bei Viktoria Aschaffenburg, und im Herbst 2015 folgte er dem Ruf von Bernd Storck. Als Co-Trainer der Ungarn qualifizierte er sich für die EM 2016, und nach dem fast sichereren Scheitern in der WM-Qualifikation arbeiten die beiden früheren Borussen nun bereits am Kader für die EM-Qualifikation 2020. Aber die Verträge laufen aus.
„Fußball ist immer noch meine Leidenschaft“, sagt Möller, der mit seiner Familie im Rhein-Main-Gebiet lebt. „Ich fühle mich in meiner Position als Co-Trainer von Bernd Storck sehr wohl. Bin jobgebunden nicht so präsent, weil ich nicht so häufig auf dem Bildschirm bin.“
Man sollte sich häufiger an Andreas Möller erinnern, einen der größten Mittelfeldspieler Deutschlands der letzten 30 Jahre. Heute wird er 50 Jahre alt.