Ein Tor für die Ewigkeit - Gedanken an Mucki Banach
Es gibt Momente im Leben eines Fußball-Fans, die man nie vergessen wird. Momente, in denen man am liebsten die Welt einen Augenblick lang anhalten möchte. Momente, in denen das scheinbar Unmögliche doch noch möglich gemacht wird. Momente, in denen Helden geboren werden. Helden wie Maurice Banach!
Es passierte am 13. Juni 1987.
Der BVB spielte an diesem Nachmittag gegen den Ruhrschnellweg-Rivalen aus Bochum. Es war das vorletzte Bundesligaspiel in einer Saison, die den meisten eingefleischten Fans der Borussia noch heute wie ein Märchen vorkommt. Gerade einmal 12 Monate und zwei Wochen war es her, dass sich der BVB durch einen 8:0-Erfolg im dritten Relegationsspiel endlich gegen Fortuna Köln durchsetzen konnte und dem Super-GAU Zweite Bundesliga - der vermutlich damals schon das Aus für den hoch verschuldeten Verein bedeutet hätte - in letzter Sekunde entkam.
Ein Jahr wie im Rausch
Mittendrin statt nur dabei: Maurice Banach. Was nun folgte, verblüffte die Fußballexperten in ganz Deutschland. Borussia Dortmund spielte sich fortan in einen Rausch, zelebrierte vor allem im heimischen Westfalenstadion Ballfeste wie das 7:0 gegen Blau-Weiß 90 Berlin oder das 6:0 gegen Waldhof Mannheim und hatte kurz vor Ende der Spielzeit die große Chance, sich nach 1982 endlich einmal wieder für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Zu verdanken hatte man den ungeahnten Höhenflug vor allem den beiden Neueinkäufen im Angriff. Frank Mill, der von Borussia Mönchengladbach an die Strobelallee wechselte, und vor allem Norbert Dickel, der in Köln nur einen Stammplatz auf der Ersatzbank hatte und nach ein paar Anlaufproblemen in Dortmund zur Tormaschine mutierte, waren Garanten für tor- und meist auch siegreiche Spiele der schwatzgelben Feiergemeinde.
Doch ausgerechnet gegen Ende dieser legendären Spielzeit 1986/1987 schien dem BVB-Express der Dampf auszugehen. Gegen den damaligen Angstgegner vom Bökelberg gab es am 31. Spieltag die erste und einzige Heimniederlage in der Rückrunde; bei dieser 0:2-Niederlage blieben Dickel und Co. ebenso ohne eigenen Torerfolg, wie eine Woche später an der Weser, wo es mit 0:5 auch noch eine herbe Klatsche für die Mannschaft von Trainer Reinhard Saftig gab. Ausgerechnet so kurz vor dem Ziel schien der Traum von der UEFA-Cup-Teilnahme zu zerplatzen wie eine Seifenblase.
Nun, am 13. Juni 1987, ging es also gegen den VFL Bochum, und zunächst sah alles nach einem planmäßigen Sieg gegen den, bereits im gesicherten Bundesligamittelmaß dahinvegetierenden Nachbarn aus. Bereits in der 11. Spielminute erzielte Frank Mill mit seinem 14. von insgesamt 17 Saisontoren das erlösende 1:0 für Borussia Dortmund. Es kam jedoch wie so oft im Fußball: Anstatt nun sicherer zu agieren, verloren die Schwatzgelben den Faden und spielten angesichts des großen Zieles von Minute zu Minute unsicherer. Die Bochumer erkannten die sich ihnen bietende Chance und drehten durch Tore von Frank Schulz (32.) und Uwe Leifeld (59.) die Partie zu ihren Gunsten. Scheinbar jedenfalls, denn der BVB wirkte angeschlagen und verzweifelt.
Doch dann kam die 74. Spielminute!
Der große Auftritt des Maurice Banach
Was nun folgte, wirkte wie ein Wunder, fast schon wie ein surrealer Filmausschnitt.
An der Außenlinie vor der Osttribüne machte sich ein junger Mann bereit für seinen Einsatz. Hastig zog er sich die Trainingskleidung aus und verfolgte dabei gebannt die Aktionen seiner Mitspieler. Viel zu selten hatte Maurice Banach, denn alle Welt nur „Mucki“ nannte, bis zu diesem Moment für den BVB spielen dürfen. Als Riesentalent wechselte er von Preussen Münster in die B-Jugend von Borussia, und am Anfang der Saison erfüllte sich für den Sohn eines amerikanischen GIs der große Traum aller jungen Straßenkicker: Er war Lizenzspieler; endlich mittendrin statt nur dabei!
Doch viel zu schnell war der stets freundliche und sympathische Mucki wieder in der harten Realität angekommen. An Norbert Dickel, Frank Mill und Daniel Simmes gab es keim Vorbeikommen, ein Platz auf der Ersatzbank war schon selten genug und eine recht schwache Belohnung für unermüdlichen Trainingseinsatz. Seinen ersten zehn Bundesligaminuten durfte Banach erst am 26. Spieltag in Düsseldorf, beim Stande von 4:0 für den BVB genießen. Eine Woche später, gegen den 1.FC Köln, waren es dann immerhin 19 Minuten Spielzeit. Viel zu wenig also für einen talentierten und ehrgeizigen jungen Mann, dem Experten bereits frühzeitig eine große Karriere prophezeiten.
Nun war sie endlich wieder da; die große Chance, vor 34.000 Zuschauern auf sich aufmerksam zu machen und alle Welt von seinen Qualitäten zu überzeugen.
Wie eine Hornisse schoss Banach plötzlich auf den Platz, und mit ihm die gesamte Bank des BVB. Frank Mill war es wieder einmal, der mit seinem Ausgleich die Bochumer Fans auf der Nordtribüne verstummen ließ und der Borussia neue Hoffnung auf ein Happy End gab. Reinhard Saftig reagierte und beorderte den glücklosen Norbert Dickel vom Platz. Maurice Banach postierte sich am Mittelkreis und kämpfte sofort wie ein Irrer um den Ballbesitz. Es dauerte nicht lange, und der Ball landete wieder bei den Dortmundern. Wie ein Staubsauger schien die euphorisierte Südtribüne den Ball anzuziehen. Scheinbar wie in Zeitlupe segelte der Ball von der linken Angriffsseite auf den langen Pfosten, und da war sie: Die große Sekunde, in der ein Held geboren wird. Der Moment, den man als aktiver Fußballer am liebsten in einem Marmeladenglas konservieren und ständig bei sich tragen möchte!
Maurice Banach wuchtete das Leder am heutigen Co-Trainer des Hamburger SV, Ralf Zumdick, vorbei ins Netz. Die Spannung auf der Südtribüne entlud sich in einem orgiastischen Torschrei, der Glaube an den großen Triumph kehrte zurück. Auf dem Spielfeld stürzten sich die Mitspieler auf den überglücklichen Torschützen. Der BVB war wieder da - dank Mucki Banach!
Was dann passierte, ist Geschichte. Am letzten Spieltag begleiteten 18.000 Dortmunder Anhänger ihr Team nach Frankfurt und wurden dort Zeugen eines 4:0-Erfolgs des BVB. Maurice Banach spielte nicht eine Minute. Aber auch dank ihm konnte Borussia Dortmund endlich wieder internationale Sternstunden im UEFA-Cup feiern.
Leider entwickelte sich in der anschließenden Saison die Lage für den Münsteraner nicht wirklich zum Positiven. Maurice kam noch zu elf Bundesligaeinsätzen im schwatzgelben Trikot, meist nur als Einwechselspieler. Lediglich ein weiteres Tor gelang ihm, am 16. Spieltag der Saison 1987/1988 in Leverkusen (wiederum 2 Minuten nach seiner Einwechslung).
Wechseljahre und der Durchbruch
Der absolute Durchbruch gelang Maurice Banach jedoch erst in der darauf folgenden Saison. Es schien, als würde sich nun endlich alles zum Guten entwickeln. Mucki traf nach Belieben und hatte zum Ende der Hinrunde bereits zehn Saisontreffer auf seinem Konto. Lediglich Stephane Chapuisat vom BVB hatte noch einen Treffer mehr erzielen können.
Nationaltrainer Berti Vogts hatte längst schon mehr als ein Auge auf den Shootingstar geworfen, eine Nominierung für das nächste Länderspiel der Deutschen war beschlossene Sache. Auch in Dortmund waren die Erfolge des stämmigen Musterathleten natürlich nicht verborgen geblieben. Im stillen Kämmerlein arbeitete man mit Akribie an einer Rückholaktion für den „verlorenen Sohn“. Im Verbund mit Chapuisat sollte Maurice Banach den BVB endlich zu weiteren Erfolgen ballern. Doch das Schicksal spielte diesen Plänen einen grausamen Streich…
Am Morgen des 17. Novembers 1991 ging eine Unfallmeldung bei der Autobahnpolizei ein. Auf der A1 in Richtung Köln war ein Opel-Omega mit Vollgas von der Fahrspur abgekommen und bei Kilometer 374, in Höhe der Ausfahrt Wermelskichen/Schloß Burg gegen einen Brückenpfeiler geprallt und sofort in Brand geraten. Der Fahrer des Wagens, Maurice „Mucki“ Banach, hatte keine Überlebenschance. Die Unfallursache ist bis heute unklar geblieben. Es gab zum Teil haarsträubende Gerüchte wie „Fahren unter Alkoholeinfluss“, „Selbstmord“ oder „Reifenschaden“. Traurige Tatsache ist jedoch, dass sich ein großer Fußballer viel zu früh von dieser Welt verabschiedet hat. Aber in Gedanken werden Mucki Banach und sein Goldener Treffer am 13. Juni 1987 noch lange weiterleben !
Dieser Text erschien ursprünglich am 24.12.2006 auf schwatzgelb.de