Ballbesitz – Frauen, Männer und Fußball
Frauen und Fußball war noch nie ein Gegensatz. Dennoch versuchten Männer jahrzehntelang den Fußball für sich zu reklamieren. Die freie Autorin Dagrun Hintze hat ihre Erfahrungen als weiblicher Fußballfan aufgeschrieben. Eine Rezension.
Frauen und Fußball war noch nie ein Gegensatz. Jahrzehntelang versuchten Männer, den Sport als eigene Domäne zu etablieren und Frauen vom aktiven wie passiven Fußball fern zu halten und ihre Rolle zu marginalisieren. Dabei haben Frauen schon immer Fußball gespielt oder waren als Zuschauer auf den Sportplätzen und in den Stadien dabei. Die freie Autorin Dagrun Hintze hat nun anekdotenreich und im lockeren, amüsanten und gut lesbaren Stil ihre Erfahrungen als weiblicher Fußballfan aufgeschrieben. Ihre berufliche Tätigkeit in der oftmals fußballfernen Theaterwelt ist dabei der Hintergrund, vor dem sie sich im Fußball als Außenseiterin und Exotin empfindet und beschreibt. Als jemand, der selbst in einer Branche arbeitet, in der man schon als fußballverrückt gilt, wenn man die Bundesliga-Ergebnisse vom vergangenen Wochenende kennt, kann ich diese Empfindungen durchaus nachvollziehen. Das zentrale Problem des Buches ist allerdings, dass ohne diesen Hintergrund das Exotische rasch gewöhnlich wird. Denn im Grunde ist Hintze eine Frau, die gerne Fußball im Fernsehen schaut, gelegentlich mal ins Stadion geht und die Fußballnachrichten verfolgt. Sie weiß, dass manche Fans dies anders erleben, wenn sie davon spricht, dass sie gerne einmal die Autorin Wiebke Porombka treffen würde, um sich mit ihr über Fußball zu unterhalten. Nur fürchtet Hintze, Porombka könnte sie als überzeugte Werderanerin nicht mögen: „Weil ich erstens nur selten im Stadion bin. Weil meine Liebe zum BVB es zweitens erlaubt, trotzdem Gladbach oder St. Pauli von Herzen zu mögen (und sogar Sympathien für Werder zu hegen), obwohl das einer ernst zu nehmenden Fan-Existenz eigentlich widerspricht. Und weil ich mich drittens regelmäßig für die deutsche Nationalelf begeistere, obwohl da lauter Leute auf dem Platz stehen, die sonst ein Bayern-München-Trikot tragen (und manchmal sogar eins von Schalke), ich war ja sogar schon zu seiner aktiven Zeit Oliver-Kahn-Anhängerin, nach dem Motto guter Mann, falscher Verein.“ (S. 65f.) Ich weiß nicht, ob die beiden Frauen sich mittlerweile getroffen haben und mögen – die Passage erklärt aber sehr treffend, warum ich persönlich während der Lektüre gegenüber Hintzes Buch immer wieder eine gewisse Distanz empfunden habe, denn wenn ich mir ersteres schon kaum noch vorstellen kann, sind zweitens und drittens natürlich absurd – selbstverständlich ganz objektiv gesehen.
BearbeitenTreffend sind Hintzes Beschreibungen klassisch männlichen Diskussionsverhaltens in vermeintlich lockeren Runden, in denen Frauen sich oftmals besonders in Szene setzen müssen, um als Gesprächspartnerinnen ernst genommen zu werden. Das lässt sich im Selbststudium in nahezu jeder beliebigen Fußballkneipe beobachten, wo Männer selbst dann den männlichen Begleiter ansprechen, wenn die Frau zuvor alleine gesprochen hat. Überhaupt gelingt es ihr regelmäßig, im plauderhaften Ton männliches Gepose bloßzustellen, ohne dabei verletztend zu werden oder den moralischen Zeigefinger zu erheben. Wenig Gefallen hat Hintze auch an Frauen, die Geschlechterklischees reproduzieren, indem sie sich allenfalls bei EM und WM für Fußball interessieren, sich Ronaldo-Trikots überstreifen und die Wangen schwarz-rot-gold färben. Allerdings rutscht sie selbst gelegentlich in die Klischeefalle. So zum Beispiel, wenn sie es bedauerlich findet, dass sich viele Frauen durch ihre Fußballabstinenz einer wertvollen Erfahrung berauben, die weniger mit bierseligem Zeitvertreib zu tun habe, „als mit dem Nachdenken über das Leben: anhand von Fußballspielen. Nur deshalb sitzen Männer endlos zusammen und fachsimpeln – weil es immer wieder um alles geht.“ (S. 20). Auch wenn Fußball allzu oft an Faszination verliert, wenn er zu sehr feuilletonisiert wird: Es wäre an dieser Stelle vielleicht spannender gewesen, die Früchte dieses Nachdenkens kennenzulernen, als das Stereotyp der fußballfernen Frau zu unterstreichen. Und bei den Frauen, mit denen ich im Block stehe, kann ich auch keine Fremdheit gegenüber dem Wettkampf-Gedanken ausmachen, wie es Hintze den meisten Frauen unterstellt und die ihnen eher eine Neigung zum Yoga attestiert.
Gekaufte WM 2006 - halb so schlimm?
Begeisterung für die Nationalmannschaft, Relativierung des WM-Skandals – natürlich schreibt Hintze auch die beliebte Erzählung von dem toleranten Deutschland weiter, das sich in der WM 2006 manifestiert habe. Nun ist der deutsche Fußball in den letzten Jahren fraglos offener und multikultureller geworden, was auch eine Folge der Weltmeisterschaft 2006 ist. Aber zugleich hat die Weltmeisterschaft einem gewissen Nationalismus Vorschub geleistet, der sich durch Abgrenzung von anderen auszeichnet. Hintze hat das am eigenen Leib erlebt: „Bin ich das, aus deren Kehle plötzlich Scheiß-Italiener ertönt?“, fragte sie sich während des EM-Halbfinales gegen Frankreich, als der italienische Schiedsrichter vermeintlich Deutschland verpfiff. Sie erzählt die Anekdote ganz selbstverständlich als Beleg dafür, wie einen die Stimmung im Stadion mitreißen kann. Aber es ist mehr ein Indiz dafür, wie scheinbar selbstverständlich ausländerfeindliche Sprüche im Kontext internationaler Spiele noch immer sind. Dabei lässt sich auch in erhitzter Stimmung ohne nationalistische Töne der Gegner oder der Schiedsrichter beschimpfen.
Die EM in Frankreich beschäftigt Hintze jedoch auch vor dem Hintergrund der aktuellen Terrorgefahr. Dabei zitiert sie den belgischen Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint: „Könnte es sein, dass wir gerade das Ende einer Epoche erleben und die Europameisterschaft 2016 das letzte unschuldige Vergnügen darstellt?“ (S. 30) Man kann da schon in Frage stellen, wie unschuldig so ein internationales Turnier ist, wenn es von nationalistischen Hooligans begleitet wird, die die offene Rückendeckung ihrer nationalen Fußballverbände besitzen. Der Blick auf die kommenden Weltmeisterschaften in Russland und Katar lässt ohnehin auch ohne jede Terrorgefahr Zweifel an der Unschuld des internationalen Fußballs aufkommen. Etwas anstrengend wird die Lektüre, wenn sich Hintze selbst dafür feiert, trotz der Terrorgefahr ins Stadion gegangen zu sein: „Ich atme tief durch. Wir werden fahren. Und wir werden Spaß haben. Wenn selbst in der Pariser Bar Le Carillon, wo bei den November-Anschlägen 15 Menschen starben, jetzt Fußball geguckt wird, schaffen wir das auch.“ (S. 55) Wer den Alltag so überhöht, der gibt dem Terror eine Bedeutung, die ihm nicht zusteht.
Wenn mich trotz der auf unterschiedlichen Fanerfahrungen beruhenden Distanz und dem Ärger über allzu leichtfertig formulierte (sport-)politische Ansichten das kleine Büchlein – es hat nur etwas mehr als hundert Seiten – doch über weite Strecken unterhalten hat, dann liegt es an einer Erkenntnis, die mich mit Dagrun Hintze verbindet: „Menschen, die Fußball lieben, können Momente erleben, wie sie an Intensität im Leben nicht allzu oft vorkommen.“ (S. 43) Und Hintze versteht es, diese Intensität in unzähligen Episoden aus ihrem Leben Ausdruck zu verleihen. Es gibt gerade in der aktiven Fanszene immer wieder Diskussionen darüber, wer nun als Fan gelten kann und wer nicht. Hintzes Fanleben unterscheidet sich deutlich von dem meinen. Aber es ist nicht besser oder schlechter, es ist nur anders. Sie liebt den Fußball, und das ist entscheidend. Nichts Anderes. Auch nicht das Geschlecht.
Dagrun Hintze
Ballbesitz - Frauen, Männer und Fußball
Verlag: mairisch Verlag
104 Seiten
ISBN: 978-3-938539-45-3
Preis: 11 Euro