Die neue Armut im europäischen Spitzenfußball
Die UEFA reformiert die Champions League und stärkt die großen Vereine - auf Kosten der Vielfalt im europäischen Fußball
Ohne großes Medienecho hat die UEFA vor einigen Tagen die Einführung einer europäischen Superliga für die Spitzenvereine der europäischen Topligen beschlossen. Nicht de jure, aber wohl de facto. Der Weg dorthin führt über eine auf den ersten Blick wenig tiefgreifende Reform der Champions League ab der Saison 2018/2019, deren Auswirkungen auf den sportlichen Wettbewerb jedoch spürbar sein werden. Zwei Entscheidungen stechen hervor: Zukünftig erhalten die in der Fünfjahreswertung vier bestplatzierten Nationen auch jeweils vier garantierte Teilnehmer. Stammten bislang 11-15 von 32 Mannschaften aus den Spitzenverbänden, werden es zukünftig 16 sein. Die hierin zum Ausdruck kommende Stärkung der Branchengrößen wird noch durch eine zweite Entscheidung potenziert. Bei insgesamt höheren Gesamtbeträgen soll der sportliche Erfolg zukünftig proportional stärker finanziell entlohnt werden.
Die Quintessenz dieser „Evolution“, wie es die UEFA auf ihrer Homepage nennt, kann auf ein einfaches „Der Teufel scheißt auf den größten Haufen“ reduziert werden. Die Champions League ist die Cash-Cow des europäischen Fußballs, und sie wird vor allem von den großen europäischen Klubs gemolken. Darunter leidet die Faszination des Wettbewerbs, der zunehmend von den immer gleichen Klubs dominiert wird. Dies zeigt schon ein Blick auf die Halbfinals der vergangenen Jahre. Seit der Saison 1999/2000 nahmen 32 Mannschaften an dem Wettbewerb teil. In diesen 17 Jahren erreichte Real Madrid elf Mal, der FC Barcelona zehn Mal, der FC Bayern und der FC Chelsea je sieben Mal die Vorschlussrunde. Während die Engländer zuletzt weniger erfolgreich waren, wurde die Dominanz der übrigen drei Vereine seit 2010 immer drückender: Real Madrid nahm an jedem der sieben Halbfinals teil, der FC Bayern an sechs und der FC Barcelona immerhin an vier.
Außenseitererfolge sind selten - und werden seltener
Noch aussagekräftiger ist der Blick auf den ausbleibenden Erfolg der Außenseiter, gemessen an den Top 10 der aktuellen Deloitte Football Money League der Saison 2014/2015: Bis 2007 zeigt sich noch ein recht ausgeglichenes Bild, damals war stets mindestens ein Verein im Halbfinale der Champions League, der heute nicht in der Top 10 zu finden ist. In den neun Jahren seit der Saison 2007/2008 waren es insgesamt nur noch sechs von sechsunddreißig Halbfinalisten. Dies waren zweimal Atlético Madrid, deren Leistung mit zwei Finalteilnahmen kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, Olympique Lyon, Inter Mailand als einziger Sieger in dieser Zeit sowie Schalke 04 und der BVB. Olympique Lyon war zudem 2010 der letzte Klub im Halbfinale der Champions League, der nicht aus einer der vier großen Ligen stammte. Zwar wird Paris Saint-Germain dies mutmaßlich in den nächsten Jahren einmal durchbrechen, doch PSG ist aufgrund der Scheichmillionen bereits auf Platz vier der umsatzstärksten Vereine und würde wohl kaum als finanzieller Außenseiter durchgehen können.
Sicher, ein Haufen Geld bedeutet nicht zwangsläufig sportlichen Erfolg, die Engländer haben dies zuletzt eindrucksvoll bewiesen. In den letzten sieben Jahren stellten sie nur vier Halbfinalisten, als Gewinner ging nur der FC Chelsea hervor, der 2012 dem FC Bayern gnadenlos unterlegen war und trotzdem im Elfmeterschießen gewann. Die Fixierung auf den Transfermarkt, noch gefördert durch die stärkere Einbindung der Trainer in das Transfergeschäft, führte in den letzten Jahren zu einer solchen Vernachlässigung langfristiger Strategien und Konzepte, dass englische Teams im Europapokal aktuell kaum eine Rolle spielen. Das aktuelle Umdenken, das sich auch in der Verpflichtung konzeptioneller Trainer wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola niederschlägt, dürfte dies jedoch ändern. Real Madrid zeigte hingegen zuletzt, dass man kein Schrittmacher des europäischen Fußballs mehr sein muss, um die Champions League zu gewinnen. Es reicht gelegentlich ein gut besetzter, von sonst beinahe niemandem zu bezahlender Kader.
Fußballerische Innovatoren wie Ajax Amsterdam und Dynamo Kiew verschwinden
Wenn aber die Performance neben dem Platz wichtiger wird als eine langfristige sportliche Strategie, dann hat der Fußball ein Problem. Zwar gab es schon in früheren Jahrzehnten Vereine oder Ligen, deren Rahmenbedingungen ihnen eine hervorgehobene Stellung sicherten, die Distanz zwischen ihnen und den übrigen Spitzenvereinen war jedoch nicht so groß wie heute und keineswegs überwindbar. Vereine kleinerer Länder oder aus eher schwachen Ligen mussten schon immer kreativer sein, um auf europäischer Ebene erfolgreich zu sein. Gelang es ihnen, waren sie eine Bereicherung für den europäischen Fußball. Das berühmteste Beispiel hierfür ist fraglos Ajax Amsterdam, das mit seinen Europapokalerfolgen 1971-1973 eine Ära prägte und mit seinem Totaalvoetbal unter der Regie des Offensivkünstlers Johan Cruyff die Grundlagen des modernen Fußballs legte, wie er heute von Mannschaften wie dem FC Barcelona oder dem FC Bayern zelebriert wird. Insgesamt gewann Ajax Amsterdam viermal den Europapokal der Landesmeister (bzw. die Champions League), zuletzt 1995 und holte je einmal Europapokal der Pokalsieger und den UEFA-Cup. Obwohl Ajax noch immer zu den führenden Klubs in den Niederlanden zählt (u.a. Meister 2011-2014), spielt er auf europäischer Ebene keine Rolle mehr. 2003 erreichte der Verein noch einmal das Viertelfinale, 2006 das Achtelfinale, ansonsten war spätestens in der Gruppenphase Schluss.
Dynamo Kiew war nicht ganz so erfolgreich, gehört aber ebenfalls zu den großen Namen des europäischen Fußballs. Mit 13 Meisterschaften waren die Ukrainer der erfolgreichste Klub der Sowjetunion und unter ihrem Trainer Walerij Lobanowskyj, der den Verein mehrmals trainierte, taktisch eine der stärksten Mannschaften Europas. Zweimal holte Kiew unter seiner Leitung den Europapokal der Pokalsieger (1975 und 1986), dreimal erreichte man das Halbfinale des Europapokals der Landesmeister bzw. der Champions League. Für den deutschen Fußball wurde eine Begegnung Ralf Rangnicks mit dem von Lobanowskyj trainierten Kiewern zu einem Schlüsselmoment. In einem unbedeutenden Freundschaftsspiel mit einem unterklassigen Verein sah sich die Mannschaft Rangnicks einem so aggressiven Pressing ausgesetzt, dass er die gegnerischen Spieler durchzählte, ob diese tatsächlich nur zu elft spielten. Rangnick wurde in der Folge zu einem Verfechter der ballorientierten Raumdeckung und gilt heute als einer der Wegbereiter der Modernisierung des deutschen Fußballs seit der Jahrtausendwende.
Mit den neuen Reformmaßnahmen in der Champions League werden solche Geschichten noch seltener werden, möglicherweise ganz aufhören. Es ist schwer vorstellbar, wie die Vertreter kleiner Länder wie die Niederlande (bislang elf europäische Titel) oder Belgien (vier Titel) in Zukunft um die Trophäen mitspielen sollen. Der Osten Europas, bislang ohnehin mit zehn Titeln relativ wenig erfolgreich, wird noch weiter den Anschluss verlieren. Viele Probleme in Ländern wie Russland oder Polen, die von ihrer Größe und Fußballbegeisterung her das Potential für mehr hätten, sind ohne Zweifel hausgemacht. Aber selbst bei einer Reformierung der Ligen wäre es kaum mehr möglich, ohne externen Geldgeber an die europäische Spitze heranzurücken.
Die Superliga als logische Konkurrenz
Wie diese Beispiele zeigen, steht dem europäischen Fußball eine neue Armut bevor, eine Armut, die sich zumindest zunächst nicht monetär messen lässt, sondern an der fehlenden sportlichen Brisanz vieler Begegnungen selbst der Champions League und an der mangelnden Vielfalt der Teams und damit auch der mit ihnen verbundenen Geschichten. Der europäische Fußball zerfällt zunehmend und möglicherweise endgültig in zwei Klassen. Denn nicht nur bei den Spitzenleistungen ist eine Reduzierung auf immer weniger Mannschaften festzustellen, zugleich werden auch die Gruppenphasen der Champions League immer vorhersehbarer. Die Zahl der Kantersiege (hier definiert als Siege mit mindestens vier Toren Unterschied) hat in den vergangenen Jahren erkennbar zugenommen. Seit der Saison 1999/2000 gab es in der Gruppenphase im Schnitt 7,41 Kantersiege. In den vergangenen sechs Jahren wurde dieser Wert fünf Mal überboten, zuletzt mit zweimal elf und einmal 15 Kantersiegen. Nimmt die finanzielle Kluft zwischen den Topmannschaften und dem weiteren Teilnehmerfeld in der Zukunft weiter zu, wird aus der Champions-League-Gruppenphase ein reines Showlaufen der Branchengrößen ohne sportlichen Mehrwert.
Die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung ist die Einrichtung einer Superliga. Wie diese aussehen wird, steht freilich in den Sternen. Vorerst ist nicht damit zu rechnen, dass die Spitzenklubs auf die Teilnahme am nationalen Wettbewerb verzichten. Ein reines Ligenmodell ist also zunächst nicht zu erwarten. Aber wird es dabei bleiben? Solange immer mehr Geld in den europäischen Fußball gepumpt wird und solange dieses immer stärker auf einige Spitzenvereine konzentriert wird, umso unattraktiver werden die nationalen Meisterschaften, in denen sich ganz ähnliche Effekte wie in der Champions League beobachten lassen. Seit der Saison 1999/2000 gewann der FC Bayern elf von 17 Meisterschaften. Es folgt der BVB mit drei Meisterschaften, je einmal Meister wurden Stuttgart, Wolfsburg und Bremen. Die schlechteste Platzierung der Bayern in dieser Zeit war ein vierter Platz 2006/2007. Trotz der Beinahepleite 2005 belegte der BVB insgesamt sieben Mal einen Platz unter den ersten vier. In Spanien zeigt sich ein ähnliches Bild, nur dass sich hier zwei Vereine auf Augenhöhe bewegen: Der FC Barcelona holte im selben Zeitraum acht Meisterschaften, Real Madrid fünf. Seit 2004 hat sich nur Atlético Madrid 2014 einmal vor die beiden Teams schieben können. Sowohl Real als auch Barcelona fielen nur einmal aus den ersten vier heraus – letztmals Barcelona 2003. Die Wahrscheinlichkeit, dass Bayern, Barcelona oder Real Madrid die Champions League verpassen und dadurch spürbare finanzielle Einbußen erleiden könnten, ist äußerst unwahrscheinlich. Die regelmäßige Teilnahme an der Gelddruckmaschinerie lässt die Distanz zu ihren nationalen Wettbewerbern jedoch ständig steigen und die Attraktivität der Meisterschaften sinken. Lediglich die englische Liga zeigt, vor allem aufgrund der unterschiedlichen Eigentümerstruktur, eine andere Entwicklung.
Es droht also mittelfristig eine Superliga, die sich irgendwann von den nationalen Wettbewerben abtrennt. Aus Dortmunder Sicht stellt sich natürlich die Frage, wo der BVB landen wird. Die Antwort ist recht eindeutig: Man wäre als Teilnehmer gesetzt. Als bedeutender Markt wären bei einer geschätzten Teilnehmerzahl von 16 Vereinen ohne Zweifel mindestens 2-3 deutsche Teilnehmer aus wirtschaftlicher Sicht obligatorisch. Sollte es ein geschlossenes Teilnehmerfeld ohne Auf- und Abstiegen geben, würde am BVB kein Weg vorbeiführen, aber auch unter der Voraussetzung einer sportlichen Qualifikation würde die Borussia eher früher als später dem elitären Klub beitreten. Zu groß sind die finanziellen Ressourcen, als dass ein dauerhafter Misserfolg zu erwarten wäre. Für einen Spitzenplatz in der Liga dürften sie jedoch zu gering sein. In der Saison 2014/2015 machten die drei Spitzenreiter aus Madrid, Barcelona und Manchester einen Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro, der BVB lag mit 280,6 Millionen Euro immerhin noch auf Platz 11 (Zahlen nach der Deloitte Football Money League). Das sind Welten, auch wenn der Umsatz in der vergangenen Saison noch einmal gestiegen ist.
Eine europäische Neuverteilung der Gelder muss her
Ersteres Modell wird gerade in Leipzig von einem Klub vorgeführt, der alleine dem Marketinginteresse seines Besitzers unterworfen ist. Die Vorzüge eines lebendigen Vereinslebens, der in die (lokale) Gesellschaft hineinwirkt, geht bei solchen Konstrukten verloren, zumal die Nachhaltigkeit keineswegs gesichert ist. Die gesellschaftliche Bedeutung von Vereinen wie dem BVB, Schalke, dem HSV oder dem 1. FC Köln wird heutzutage gerne unterschätzt. Sie sind aber für den sozialen Kitt einer Stadt von immenser Bedeutung. Und natürlich löst das Investorenmodell nicht das Problem, dass nicht mehr innovative Lösungen auf dem Platz über Sieg und Niederlage entscheiden, sondern der monetäre Erfolg. Wer den Fußball liebt, den Wettbewerb liebt, der sollte den fußballerischen Fortschritt immer auf dem Platz suchen.
Bleibt also nur die zweite Möglichkeit: Eine andere Verteilung der Gelder, die in das System Fußball fließen. Eine rein nationale Lösung scheidet aus: Eine neuer Verteilungsschlüssel der deutschen Fernsehgelder würde zwar den Wettbewerb innerhalb Deutschlands verbessern, aber auch die Spitzenklubs im Europapokal deutlich zurückwerfen. Das mag für manche auf den ersten Blick egal sein, es würde aber auch dazu führen, dass die besten deutschen Spieler ins Ausland abwandern, ohne dass entsprechender Ersatz nach Deutschland käme. Das Niveau des deutschen Fußballs würde sinken und die Liga an Attraktivität verlieren. Es bleibt nur eine gesamteuropäische Lösung, und der BVB, der in einer Superliga zwar vielleicht mehr verdienen würde, aber an Strahlkraft einbüßen müsste, wäre gut beraten, sich in diesem Sinne zu einem Wortführer aufzuschwingen.