Die aufregende Langeweile der Champions League
21 Tore, Dramatik pur im Bernabeu, Fotofinish um den Gruppensieg - der BVB legt eine fantastische Gruppenphase in der Championsleague hin. Unser Autor erklärt, warum die Champions League trotzdem langweilig ist.
Was ein Finale der Champions League Gruppenphase: Nach einem 0:2 im Bernabéu zurückzukommen und mit einem Unentschieden den Gruppensieg holen – das sind Spiele, in denen Legenden geboren werden. Überhaupt war es aus Dortmunder Sicht eine tolle, ereignisreiche Vorrunde. Bei der Auslosung war schnell allen klar, dass der Titelverteidiger Real Madrid der Favorit auf den Gruppensieg sein würde, die beiden Spiele gegen Sporting Lissabon wurden als Schlüssel für das Erreichen des Achtelfinals ausgemacht. Bereits das erste Spiel ging ins Buch der Vereinsrekorde ein: Das 6:0 bei Legia Warschau war der höchste Auswärtssieg des BVB in einem europäischen Wettbewerb und zugleich der höchste Sieg überhaupt in der Champions League. Nach einem 2:2 im Heimspiel gegen Real, das die meisten Dortmunder Fans selig machte, obwohl die Mannschaft sich mehr vorgenommen hatte, zeigte das Team gegen Sporting Lissabon zweimal den Biss, der in solchen entscheidenden Partien von Nöten ist, und fuhr zwei knappe Siege ein. Doch die Höhepunkte standen noch bevor: 8:4 gegen Legia Warschau, ein wilder Ritt. Die höchste Torquote in einem Champions League Spiel überhaupt ließ nur Roman Weidenfeller und Thomas Tuchel unzufrieden zurück. Und dann das 2:2 von Bernabéu. Durchaus verdient, auch wenn Real gute Chancen hatte, das Spiel vorzeitig zu entscheiden. Aber der BVB blieb immer dran, war giftig, wollte den Sieg und unterstrich so seinen Anspruch, zur europäischen Spitzenklasse zu gehören. Zum zweiten Mal in der neuen Ära nach der Beinahepleite blieb der BVB in der Gruppenphase vor Real Madrid, zum zweiten Mal holte der BVB bei Real einen Punkt und zum vierten Mal konnten die Königlichen in diesen Jahren beim BVB nicht gewinnen. Mit 21 Toren stellte der BVB zudem einen neuen Torrekord in der Gruppenphase auf. Bäm! Bäm! Bäm!
Aufregendes bot die Gruppenphase auch andernorts: Die Duelle zwischen Bayern München und Atlético Madrid waren die Neuauflage des letztjährigen Halbfinals und gingen ähnlich knapp aus. Barcelona und Manchester City boten zwei mitreißende Partien, und Arsenal gegen Paris St. Germain könnte auch eine Halbfinalbegegnung sein, wie ein Sky-Kommentator meinte. Allerdings hatte er in seiner Euphorie wohl nicht auf dem Schirm, dass Arsenal traditionell im Achtelfinale ausscheidet und Paris bislang erst einmal, nämlich 1995 das Halbfinale erreichte. Sensationell war fraglos auch der heroische Sieg von Bayer Leverkusen im Wembley-Stadion gegen den englischen Topverein Tottenham Hotspurs – okay, man merkt schon, dass die Liste langsam dünn wird.
Spannung in den Gruppenphasen - fast so selten wie Schalker Meisterschaften
Denn ganz so aufregend war dies alles dann doch nicht. Diese Gruppenphase bot zwar einige Geschichten mit einem gewissen Unterhaltungswert, die Spannung war allerdings bestenfalls eine künstliche. So beeindruckend die Leistung des BVB in Madrid auch war – ganz so wichtig war sie nicht. Am Ende kamen sowohl der BVB mit 14 als auch Real Madrid mit 12 Punkten mehr als souverän in die nächste Runde. Hätte die Borussia beide direkten Duelle gewonnen, hätte dies am Ausgang der Gruppe nichts geändert, wäre Real in den zwei Spielen siegreich gewesen, wären noch immer beide ins Achtelfinale eingetreten. Schon nach dem vierten Spieltag waren beide Mannschaften qualifiziert. Und diese Klarheit zieht sich durch die ganze Vorrunde: In insgesamt fünf von acht Gruppen standen die beiden Teilnehmer der nächsten Runde bereits vor dem letzten Spieltag fest, 12 von 16 Mannschaften waren bereits qualifiziert. Lediglich in Gruppe B konnte sich keiner der ersten drei Mannschaften des Weiterkommens sicher sein – und ausgerechnet hier kippte die Dramaturgie sich schnell zur Langeweile, weil der Gruppendritte Beşiktaş gegen den abgeschlagenen Gruppenletzten aus Kiew bereits nach 32 Minuten 0:3 zurücklag und zudem nur noch mit zehn Mann spielte. Benfica und Neapel zogen so letztlich ungefährdet in das Achtelfinale ein.
Aber die Gruppen waren nicht nur ausgesprochen früh entschieden, es fehlte auch an Überraschungen. Die 14 topgesetzten Mannschaften der diesjährigen Champions League erreichten auch das Achtelfinale. Das höchstgesetzte Team, das den Einzug in die nächste Runde verpasste, ist der FC Basel als 19 im aktuellen Teamranking. Einzige Überraschungen in der nächsten Runde sind der englische Meister Leicester City und der AS Monaco. Beide Teams profitierten dabei von ausgesprochen leichten Gruppen ohne europäisches Schwergewicht.
Kantersiege und Spiele um das Nichts - die Champions League hält niemanden mehr vom Schlafen ab
Die fehlende Spannung in der Gruppenphase geht mit einer zunehmenden Langeweile bei den einzelnen Spielen einher. Die Zahl der Kantersiege mit mindestens vier Toren Unterschied nimmt in der Gruppenphase seit einigen Jahren signifikant zu. Seit Einführung des aktuellen Modus in der Saison 1999/2000 lag der Schnitt bei 7,4 Kantersiegen. In den letzten drei Jahren wurde dieser Schnitt mit 11, 15 und wieder 11 Kantersiegen bereits deutlich überboten. In dieser Saison waren es mit 14 Kantersiegen erneut deutlich mehr als in früheren Jahren. Neben diesen eindeutigen Partien gibt es durch die frühen Entscheidungen der Gruppenphase zugleich immer mehr Spiele, die jeglicher Relevanz entbehren. Wie bekloppt muss man eigentlich sein, um sich die Partie von Bayer Leverkusen gegen den AS Monaco anzuschauen, bei der es zwischen den beiden bereits für das Achtelfinale qualifizierten Mannschaften nicht einmal mehr um den Gruppensieg ging, und bei der zugleich beide Trainer nur eine B-Elf einsetzten? Wie frustrierend muss es sein, wenn man für die Begegnung zwischen Manchester City und Celtic Glasgow dreistellige Pfundbeträge bezahlt, um dann nur Peps Reservemannschaft in einem Spiel zu sehen, in dem beide Mannschaften ihre Plätze in der Abschlusstabelle bereits fest gebucht hatten? Nicht dass es bei Barcelona gegen Gladbach um mehr ging – zumindest kamen aber hier die Fans auf ihre Kosten, die Gladbach gar nicht oft genug verlieren sehen können. Zum Glück hatte der 1. FC Köln spielfrei. Wer weder für noch gegen Gladbach Sympathien hatte, konnte sich natürlich auch Bayern gegen Atlético anschauen, die Wiederauflage des letztjährigen Halbfinals. Man hätte jedoch ebenso gut ein Testbild anstarren können, denn in dieser Partie ging es ebenfalls um Nichts.
KO-Runde - Liverpool oder Rode zu Cardiff?
Wenn die größte Überraschung der Champions League Gruppenphase die Erkenntnis ist, dass Julian Weigl Tore schießen kann, dann läuft etwas gehörig schief. Es ist oft genug darauf verwiesen worden, dass die Leistungsunterschiede vor allem in den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der europäischen Ligen und der jeweiligen Vereine begründet liegen. Zwar dürfen sich vor allem die großen Verbände Osteuropas wie Polen oder Russland auch einmal fragen, ob sie wirklich alles aus ihren Möglichkeiten herausholen – den Abstand zu den Topligen werden sie jedoch auf absehbare Zeit nur in Ausnahmefällen reduzieren können. Mehr Vielfalt in den Ergebnissen ließe sich allenfalls durch eine gleichmäßigere Verteilung vor allem der Fernsehgelder auf europäischer Ebene erreichen, stattdessen setzt die UEFA jedoch auf eine weitere Stärkung der großen Ligen und der europäischen Topvereine. Den Fans und den Zuschauern bleibt daher wohl vorerst nur eins: Die Geschichten der Gruppenphase so schildernd wie möglich zu erzählen, um über die Substanzlosigkeit der Hinrunde dieses Wettbewerbs hinwegzutäuschen. Und sich auf die KO-Phase in der Rückrunde zu freuen, in der es zumindest in allen Spielen um etwas gehen wird. Der BVB hat zumindest schon einmal angedeutet, dass er sich mit den Größten messen kann, jetzt bleibt nur abzuwarten, ob die Verpflichtung von Sebastian Rode die einzige Antwort auf die Erfahrung von Liverpool ist.