Profifußball - stinkreich und moralisch bankrott
Der europäische Fußballzirkus ist eine schillernde Welt voller Glamour und Ideale. Aber immer öfter und schneller häufigen sich die Nachrichten, die ein anderes Licht auf diese Welt werfen. Und es ist kein gutes Licht.
Der Fußballfan kann sich glücklich schätzen. Schließlich fördert er mit seinem Geld, seiner Begeisterung und seiner Leidenschaft eine gute Sache.
"Das Fußball- und Sozialprogramm der UEFA zielt darauf ab, die Gesundheit und die Integrität - sowohl des Fußballs als auch der Gesellschaft als Ganzes - zu stärken und der Kernpfeiler der Respect-Kampagne ist integraler Bestandteil dessen." So kann man auf der Homepage der UEFA lesen.
Und vor jedem Spiel der Champions League flimmert der Verweis auf die „Respect“-Kampagne der UEFA, unter deren Dach die nationalen Verbände Europas zusammengeschlossen sind, über die Bildschirme. Der Verband verweist damit auf seine Verantwortung für das erklärte Ziel des „sozialen Zusammenhalts“ in Europa. Wir Fans würdigen es nach Ansicht der UEFA vermutlich gar nicht ausreichend genug, dass die Vereine und Verbände mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für ein respektvolles, gewaltfreies und gleiches Europa leisten.
Dabei wissen wir natürlich alle, was wir von dieser Selbstdarstellung des Profifußballs als Hort der moralischen und ethischen Integrität zu halten haben. Wer mit dem Fußball aufwächst, der tut das auch mit dem Wissen um dessen Historie von Kungelei und Betrug. Im kleinsten Rahmen ist uns bewusst, was in der Kreisliga mit einem Kasten Bier zum Ende der Saison alles bewegt werden kann. Und auf großer Bühne hatte die Bundesliga bereits Anfang der 70er Jahre mit dem Bestechungsskandal rund um den FC Schalke 04 ihren Sündenfall. Das war noch rund 30 Jahre bevor sich Ante Sapina mit Schiedsrichter Robert Hoyzer im Café King zur munteren Absprache von Spielergebnissen traf.
Der Fußball hat schon immer zwielichtige Gestalten angezogen, die versucht haben, das Spiel auch ohne aktive Teilnahme in ihrem Sinne zu beeinflussen und sich vorrangig um ihre eigenen Interessen gesorgt haben. Bislang haben wir Fans es aber immer erfolgreich geschafft, diese Schattenseiten des Profifußballs zu verdrängen und uns einzureden, dass wir Anhänger eines wirklich sauberen Sports voller integerer Vereine sind. Wir bekommen sogar den geistigen Spagat hin, im Zusammenhang mit den Doping-Ermittlungen gegen den Spanier Fuentes angewidert auf die Verwerflichkeit des Radsports hinzuweisen und gleichzeitig wegzuhören, wenn Spieler nach Karriereende Anekdötchen über Spritzen mit vermeintlichen Vitaminpräparaten zum Besten geben. Der Fußball ist sauber – schließlich bringt Doping nur in allen anderen Sportarten etwas.
Das runde Leder hat mittlerweile eine so große Bedeutung, dass es solche Geschichten locker überlebt. Man schaut lieber betreten zur Seite, wenn ihm mal wieder ein Stück der sportlichen Unschuld genommen wird, als sich von ihm abzuwenden. Und so lehnt man sich auch nicht all zu weit aus dem Fenster, wenn man prognostiziert, dass es auch die neuesten Enthüllungen aus dem Kosmos der Hochglanzwelt der Profikicker ziemlich unbeschadet überstehen wird.
Da sind natürlich zu allererst die neuen „Football Leaks“-Enthüllungen zu nennen, deren Auswertung für Deutschland maßgeblich auf der Arbeit des Spiegels als Teil der European Investigative Collaboration beruht. Unter anderem Cristiano Ronaldo, José Mourinho oder Mesut Özil werden darin Kontakte zu Briefkastenfirmen auf den British Virgin Islands nachgewiesen. Ob die Existenz dieser Briefkastenfirmen eine juristische Relevanz für die betreffenden Herren hat, ist noch strittig, dennoch ist klar, dass hier im ganz großen Stil Steuern „gespart“ wurden. Hochbezahlte Akteure lassen sich von den Zuschauern bejubeln, verdienen mit dieser Popularität riesige Geldbeträge – und entziehen sich mutmaßlich dann, wenn es darum geht, ihren Anteil an der Finanzierung der Gesellschaft in Form von Steuergeldern zu leisten. Fairerweise muss man es den Fußballern zu Gute halten, dass sie nicht die ersten Sportler sind, die ihr Geld „steueroptimiert“ außer Landes schaffen. Wir Deutschen haben früher auch mit roten „Schumi“-Kappen Spalier beim Auszug des Formel 1-Fahrers in Richtung Schweiz gestanden.
Und überhaupt, was gehen uns Geschichten von Spielern und Funktionären aus Spanien und England an? Aber keine Sorge, die Enthüllungen haben auch die ein oder andere Story aus Deutschland in petto. Hier geht es um Verbindungen zwischen Vereinen, Spielern und deren Beratern. Da soll in Leverkusen der Vater von Julian Brandt als Berater auf der Gehaltsliste von Bayer stehen und ein fürstliches Jahressalär dafür beziehen, dass er seinen Sohnemann von einem Wechsel weg von Wolfsburg hin zur Werkself überzeugt hat. Ähnlich soll man im Falle der Vertragsverlängerung von Karim Bellarabi verfahren sein, bei dem man dessen Berater kurzfristig auch mit einem Vertrag ausgestattet haben soll mit dem Ziel, dass der Berater seinem Schützling vom Verbleib unterm Bayerkreuz überzeugen möge. Wir wissen zwar nicht, inwieweit Bellarabi davon Kenntnis gehabt haben könnte, aber Ottonormalmensch würde es mit Sicherheit merkwürdig finden, wenn die Person, die einen in Verhandlungen vertreten soll, auch auf der Gehaltsliste der Gegenseite steht. Und wenn man sich schon einmal über die merkwürdigen Gebaren wundert, kann man auch weitermachen und sich fragen, warum der BVB im März einer Änderung des Vertrags mit Mkhitaryanberater Raiola zugestimmt haben soll, nachdem der „umtriebige“ Raiola auch im Falle abgelehnter Angebote anderer Vereine persönlich Gelder kassiert hätte. Und wer wären dort überhaupt die Vertragspartner gewesen? Der Verein und der Spieler oder der Verein und der Berater? Dabei sind Verträge rund um Vereinswechsel von Mkhitaryan fast schon traditionell „speziell“. Watzke selbst bezeichnete es damals als den kompliziertesten Transfer, den er abgewickelt habe, als der Armenier aus Donezk zum BVB wechselte. Schließlich besaß Schachtjor nur 50 % der Transferrechte. Lest Euch mal wieder rein in die Geschichte, sie ist ziemlich spannend.
Sind die von Football Leaks veröffentlichten Vorgänge vielleicht nur moralisch fragwürdig, so sind andere Meldungen aus England noch viel massiver und schwerwiegender. Ab den 70er Jahren bis Anfang der 90er soll es im Jugendfußball zu sexuellen Belästigungen bis hin zur Vergewaltigung von Nachwuchskickern gekommen sein. Bislang haben sich mehr als 350 Opfer gemeldet, die für ihren Traum als Profifußballer ganz bitter bezahlen mussten. Das sind ohne Zweifel keine Vergehen mehr, die man dem heutigen Fußball anlasten kann, wohl aber den Umgang damit. Der Chelsea FC, ein absolutes Schwergewicht im europäischen Fußball, bot dem früheren Stürmer Gerry Johnson 50.000 Pfund dafür, dass er über den Missbrauch durch den ehemaligen Talentsucher Eddie Heath Schweigen bewahrt. Vertuschung statt Aufklärung. Nachdem man den Fußball zum Familienspaß umdekoriert hat, besitzt die Vermeidung derartiger Meldungen eine sehr hohe Priorität.
Am
Ende steht man als Fan vor der Wahl, sich entweder die kuschelige
Respect-Decke über den Kopf zu ziehen und darunter weiter begeistert
die Fußballübertragungen zu verfolgen oder einfach angewidert das
Mittagessen der Kloschüssel weiterzureichen. Zum Glück haben wir
alle ausreichend Erfahrung im Verdrängen, so dass wir uns auch
nächsten Samstag den wirklich wichtigen Dingen, nämlich der Frage,
ob Abseits oder nicht, widmen können, statt uns Gedanken über die
moralische Verkommenheit des Profifußballs zu machen. Ich schließe
mich da gar nicht aus.