Romantik als Schimpfwort
Fußball im Jahr 2016 ist ein Business. Die Vereine sind Konzerne, die ihr Auftreten auf vorher definierte Kernmärkte abstimmen. Die Spieler professionelle Arbeitnehmer, deren Ablösesummen sich rein über Nachfrage und Angebot in immer schwindelerregende Höhen schrauben. Weniger Sport und immer mehr Unterhaltungsindustrie, in der man sich die raren Fachkräfte gegenseitig abwirbt.
Das ist die nüchterne und kalte Sicht auf den Fußball, die uns die Verbände, Finanzvorstände, Manager und auch die Spieler vorbeten. Das funktioniert verdammt gut, gibt es doch mittlerweile auch genug Fans, die diese Ansicht teilen. Das sogar häufig mit einer stolzen Ich-hab-es-verstanden-Attitüde. Dabei hat ein moralisch entwerteter und rein auf eine ökonomische Seite beschränkter Fußball durchaus seine Vorzüge. Er ist bequem. Mit ihm lässt sich jedes Trainingslager in Ländern, in denen die Folter noch praktiziert wird, genau so rechtfertigen wie Trikotpreise, bei denen selbst voll Erwerbstätige ins Rechnen geraten. Er verhindert lästige Fragen nach einer moralischen Statthaftigkeit von Transfersummen jenseits der 100-Millionen-Euro-Grenze und ermöglicht, dass auch der charakterlich fragwürdigste Akteur in diesem Geschäft noch munter von Stadt zu Stadt hin und her transferiert werden kann.
Wann ist in diesem Fußball der Begriff „Romantiker" eigentlich zum Schimpfwort geworden? Oder zumindest zu einer Selbsteinschätzung, für die man sich zu rechtfertigen hat? Wo ist das Problem, wenn man erwartet, dass der Verein, für den das Herz schlägt, ein Mindestmaß an Werten und Moralvorstellungen nicht nur in der Satzung verankert, sondern auch aktiv lebt? Und warum soll man nicht äußern dürfen, dass man mit dem ein oder anderen Spieler nicht das gleiche Trikot tragen möchte, weil man ihn aus verschiedenen Gründen ablehnt? Gänzlich unbesehen davon, ob er einen sportlichen Mehrwert darstellt. Kurz gesagt: wann haben wir Fans eigentlich der Emotionalität im Fußball Adieu gesagt?
Wohl niemand von uns hat den Fußball wegen kühler Arithmetik oder wirtschaftlicher Notwendigkeit lieben gelernt. Wir gehen nicht ins Stadion, um die 99 Spiele zu sehen, bei denen man mit einem 1:2-Rückstand in der 89. Minute aus dem Europapokal ausscheidet, sondern für dieses eine Spiel, das noch 3:2 gewonnen wird und bei dem das Stadion explodiert. Nicht für die Spieler, die ihren Karriereplan am stringentesten verfolgen, sondern für die, denen wir uns näher fühlen. Und wenn der Verein nur eine Marke ist, warum gibt es dann den einen Verein, der uns lieber ist als alle anderen? Der Verein, dessen Niederlagen uns die Laune verhageln und dessen Siege uns in Hochstimmung versetzen, so wie es bei keinem anderen Club ist. Da muss es doch noch mehr geben als eine Marke, einen Konzern oder eine Marketingstratgie. Der eine mag Nike vielleicht lieber als adidas oder andersrum – aber diese Markenbevorzugung hat nichts mit der Leidenschaft eines 90-minütigen Samstagkicks im Stadion gemein. Es ist das Außergewöhnliche und Besondere, Wendungen wider die Normalität und die Leidenschaft, die uns am Fußball fasziniert. Verdammt nochmal, lebt das doch auch.
Die Fans des SSC Neapel haben jedes Recht, Higuain für den Wechsel nach Turin die Pest an den Hals zu wünschen, statt sich für das Erklimmen der nächsten Sprosse auf der Karriereleiter zu freuen. Es ist nicht falsch, eine sinnverdrehende Perversion wie Red Bull Leipzig aus tiefstem Herzen abzulehnen, anstatt sich sich über einen neuen Standort für den Fußballmarkt zu freuen. Und auch wir Borussen dürfen voller Recht auf die Zeit von 2011 oder 2012 hinweisen, in der wir alle die viel zitierte „Echte Liebe" als mehr als einen Marketingclaim erlebt haben und in jeder Ecke des Verein Fragmente dieser Liebe fanden. Es war eine tolle Zeit. Was spricht dagegen, diese Zeit, in der wir uns alle gut gefühlt haben, zum Ideal zu erklären und als den Zustand zu definieren, in dem wir uns den Verein bewahren wollen? Wir haben uns doch alle gut damit gefühlt. Warum sollten wir das also bereitwillig auf dem Altar der wirtschaftlichen Zwänge opfern?
Sucht weiter nach dem Spieler, von dem ihr glaubt, dass er einer von uns sein könnte. Nervt Euren Verein, wenn er sich immer weiter von den Werten entfernt, die Euch wichtig sind. Glaubt daran, dass Fußball mehr ist als Angebot und Nachfrage und redet nicht denen nach dem Mund, die Euch erzählen wollen, dass das alles nur ein Geschäft ist. Seid romantisch und leidenschaftlich. Behaltet den Fußball im Herzen.