Romantisch oder Wahnsinnig? Götze ist zurück
Mario Götze kehrt nach drei Jahren aus München zum BVB zurück. Ist das pure Fußballromantik oder eher Wahnsinn?
Irgendwann während der Saison 2011/2012, bei einem seiner Kabinettstückchen, fühlte ich Stolz. Stolz, dass dieser wunderbare Fußballer Mario Götze einer von uns ist, ein Borusse, in der eigenen Jugend ausgebildet. In dieser Zeit erklärte ich Freunden gerne, dass er vielleicht wirklich das Zeug hätte, ein Nachfolger Messis zu werden, und ich freute mich, wenn ein Freund Monate später erklärte: „Ich hätte das nicht gedacht, aber ich glaube, Du hast recht.“ Als im Frühjahr 2016 erste Gerüchte von einer Rückkehr Götzes nach Dortmund kursierten, erklärte ich hingegen voller Überzeugung und ohne jeden Zweifel: „So doof sind Watzke und Zorc nicht.“ Sie sind es doch? Mario Götze kehrt diesen Sommer zurück ins Westfalenstadion und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Kabinengang aufwärmen müssen.
Der Wandel in den letzten vier Jahren hat natürlich viel mit den Umständen des Wechsels von Götze nach München 2013 zu tun. Der BVB hatte dem „Stern des Südens“ in den vorangegangenen beiden Jahren ordentlich zu denken gegeben und die Bayern im Pokalfinale 2012 gedemütigt. 2013 revanchierte sich der Branchenführer: Als Götzes Wechsel unmittelbar vor dem Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid an die Presse durchgestochen wurde, waren die Bayern dem BVB in der Meisterschaft längst enteilt und hatten auch das Pokalviertelfinale für sich entschieden. Aber beide Vereine standen im Halbfinale der Champions-League, ein deutsches Finale in Wembley war in Sicht und der künstliche Hype um den deutschen „Classico“ fand seinen Höhepunkt. In dieser Situation war der Wechsel Götzes nach München eine Ohrfeige für jeden BVB-Fan, die nachhallte. Und man stellte sie den Bayern ebenso in Rechnung wie Götze selbst. Ihm haben viele Fans den Wechsel bis heute nicht verziehen und auch wenn die sportliche Leitung sich große Mühe gibt, über freundschaftlich verbundene Journalisten ein anderes Bild zu zeichnen – romantische Gefühle, wie es sie vielleicht bei Sahins und Kagawas Rückkehr gab, wollen sich bei Götze nicht einstellen. Nun ist der Fußball ein hartes Geschäft und romantische Gefühle haben noch nie einen Trainer oder einen Sportdirektor vor der Entlassung bewahrt. Man kann sich im Fußballgeschäft nicht von Romantik, sondern nur von sportlichen Erwägungen leiten lassen. Nur bereiten auch diese den meisten Fans Kopfschmerzen. Das fußballerische Talent von Götze ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass er daraus in den letzten Jahren zu wenig gemacht hat.
Die Wenigsten hatten erwartet, dass Götze in drei Jahren nie nachhaltig über den Status als Ergänzungsspieler hinauskommen würde, auch wenn Verletzungen fraglos ihren Teil dazu beitrugen. Noch mehr aufhorchen lässt, dass er von Karl-Heinz Rummenigge sogar hochkant vor die Tür gesetzt wurde, als Götze seinen Verbleib in München verkündete. Ebenso verwunderlich ist, dass Carlo Ancelotti sich den einstigen Wunderknaben im Training nicht zumindest einmal anschauen wollte, bevor er auf ihn verzichtete. Offenbar hat man in München jeglichen Glauben verloren, dass Götze hier noch einmal zu alter Stärke zurückfinden würde. Die nicht einmal durchwachsene Europameisterschaft hat die letzten Zweifel daran zerstreut, dass Götze an einem Tiefpunkt seiner Karriere angelangt ist. Seinen Kritikern hält er gerne seine mittlerweile fünf Deutschen Meisterschaften, drei Pokalsiege und natürlich den WM-Titel entgegen, die mit nur 24 Jahren fraglos eine bemerkenswerte Leistung darstellen. Aber ist der ständige Verweis eines 24-Jährigen auf seine Vergangenheit nicht vielleicht auch ein Zeichen, dass ihm der Hunger nach neuen Großtaten abhandengekommen ist? Hungerspezialist Tuchel wird hierauf ebenso eine Antwort finden müssen, wie auf das, nach Ansicht mancher Experten, falsche Training des Technikers, der sich zur Vermeidung von Verletzungen einen übertrieben muskulösen Körper erarbeitet und dabei an Spritzigkeit verloren hat. Letzteres ist immerhin ein Ansatzpunkt, der Hoffnung auf eine zukünftige Leistungssteigerung machen kann.
Aber auch die allgemeine Kaderplanung lässt zumindest Fragen offen. Mit Emre Mor und Ousmane Dembélé sind bereits zwei hoffnungsvolle Offensivkräfte verpflichtet worden, auch Christian Pulisic soll in der neuen Saison seinen nächsten Schritt machen. Ihnen werden nun mit Mario Götze und höchstwahrscheinlich André Schürrle zwei teure, namhafte Nationalspieler vorgesetzt, die jedoch beide zwei eher durchwachsene Jahre hinter sich haben. Vernahm man bis vor ein paar Wochen bei den meisten Fans noch gespannte Vorfreude auf die zahlreichen jungen Talente, zu denen auch noch die Defensivkräfte Mikel Merino, Marc Bartra und Raphaël Guerreiro zählen, stellt sich langsam die Sorge ein, dass die sportliche Leitung dem selbstverordneten Neustart nicht so recht traut und durch den Zukauf von Namen das Risiko minimieren möchte. Oder plant Tuchel anders? Angeblich gibt es Überlegungen, Götze etwas zurückgezogener einzusetzen und so auch den kreativen Verlust von Ilkay Gündogan zumindest in Teilen auszugleichen. Schon Klopp hat Götze gelegentlich auf der Acht eingesetzt. Die Ansätze waren durchaus vielversprechend, aber es reichte auch nicht, um das Experiment auf Dauer fortzusetzen. Allerdings sind die Spielsysteme unter beiden Trainern zu verschieden, um von dem einen auf den anderen zu schließen.
Ein vor allem in den sozialen Medien nicht zu unterschätzendes Thema sind auch die dortigen Aktivitäten Götzes, die nicht frei von unfreiwilliger Komik sind. Da inszeniert sich der Jungprofi gerne als Popstar, posiert auf Luxusjachten oder postet Sinnsprüche, die ihn eher als abgehobenen Schnösel denn als tiefsinnigen jungen Mann erscheinen lassen. Nun sind die Social-Media-Aktivitäten oftmals agenturgesteuert und ohnehin Geschmacksache, wie schon die hohen Klickzahlen zeigen. Doch das Fremdschämpotenzial ist groß und sicherlich eine Bürde bei der Wiedereingliederung des Sohns, der nun wieder der „verlorene“ genannt werden soll, anstatt nach einer weiblichen Berufsbezeichnung.
Der Ballast für den Rückkehrer ist groß, die Fragezeichen hinter diesem Transfer ebenso. Zu letzteren gehört auch die Frage, ob es die im Fußball so gerne angeführten „Eier“ sind, die Götze bei seiner Rückkehr beweist, oder ob es ihm schlicht an attraktiven Angeboten fehlte. Entscheidend wird nun aber sein, die nächsten gemeinsamen Jahre zu gestalten. Es ist schwer absehbar, wie die Fans im Stadion auf den Transfer reagieren werden. Im Laufe der Rückrunde hatten die Ultras bereits kundgetan, Götze möge sich verpissen. Viele weitere Fans dürften das ähnlich sehen, noch beim letzten Auswärtsspiel der Bayern im Westfalenstadion mussten die sich aufwärmenden Spieler der Münchener auf die andere Seite des Stadions ausweichen, weil der Protest gegen Götze auf der Süd zu heftig ausfiel. Dennoch eint alle BVB-Fans der Wunsch, die eigene Mannschaft siegen zu sehen, und so werden sich viele mit Protesten zurückhalten. Manche werden sogar in Erinnerung an alte Zeiten Götze freundlich begrüßen. Wie groß der Protest und wie verbreitet die Bereitschaft sein wird, Götze eine zweite Chance zu geben, hängt vor allem von diesem selbst ab. Dabei zählt nicht nur die Leistung auf dem Platz, sondern ebenso wichtig wird es sein, dass er sich auf die Fans zubewegt. Nicht nur mit freundlichen Worten im PR-Sprech, wie man sie täglich von irgendwelchen Profis finden kann. Er sollte den direkten Kontakt suchen. Das fängt beim großzügigen Autogrammeschreiben an und beinhaltet auch Gespräche mit den Fanclubs und den Ultras. Er muss beweisen, dass er nicht nur aufgrund mangelnder Alternativen nach Dortmund zurückgekommen ist, sondern dass ihm dieser Verein etwas bedeutet. Dann wird er auch bei den heute kritischen Fans eine zweite Chance bekommen. Vielleicht entsteht dann sogar noch mal Romantik. Alles andere wäre doch wahnsinnig.