Dortmund hat den Blues - Warum eigentlich?
Von der "Chance auf drei Titel" ist nicht mehr viel geblieben. Die Bayern werden Meister, Liverpool hat uns unser eigenes Malaga-Trauma verpasst und jetzt droht auch noch der Verlust des Kapitäns an den bayrischen Rivalen. Momentan scheint Dortmund mehr schwarz als gelb zu sein. Das ist eigentlich Quatsch.
Wenn man sich in den letzten zwei Wochen durch den Blätterwald der BVB-Berichterstattung gekämpft hat, dann beschlich einen das Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit. In einer epischen Dusseligkeit den Einzug ins Halbfinale der Europa-League verdaddelt, überall Menetekel vom Auseinanderbrechen einer zweifelsfrei sehr begabten BVB-Mannschaft und als vorerst letzter Nackenschlag die scheinbar doch gar nicht so kleine Möglichkeit, dass unser Kapitän Mats Hummels zur nächsten Saison die Ruhr gegen die Isar eintauscht. Ach, alles furchtbar traurig.
Leiden scheint einfach elementar für den Fußballfan zu sein. Geschichten, bei denen man in den 80er Jahren bei 2 Grad und Regenschauer einem Null-zu-Null-Kackspiel in der unüberdachten Grotenburg beigewohnt hat, werden ebenso mit breiter Brust vorgetragen, wie man genüsslich in den Wunden von Buchwalds Kopfball ´92 oder dem nicht gegebenen Tor von Hummels im Pokalfinale 2014 herumstochert. Nur wer leidet, der kann wirklich Leidenschaft. Und darin sind wir in Dortmund ja ganz groß, oder?
Bullshit. Es ist albern, wie Teile in Selbstmitleid und Agonie zerfließen. Bis auf die letzte Saison haben wir in den letzten sechs Jahren am Ende immer einen der beiden ersten Plätze der Tabelle belegt. In dieser Spielzeit schicken wir uns an, die höchste Punkteausbeute der Vereinsgeschichte einzufahren. Mit einer Rückrunde, in der wir dann kein einziges Bundesligaspiel verloren hätten. Das ist schlicht und ergreifend sensationell und war so niemals zu erwarten. Der Wechsel von Jürgen Klopp hin zu Thomas Tuchel hat nicht nur reibungslos geklappt, er hat der Mannschaft taktisch eine neue Tiefe gegeben und sie reifer werden lassen. Etliche andere Mannschaften sind nach dem Weggang solch prägender Trainerfiguren erst einmal plan- und erfolglos auf der Suche nach einem neuen spielerischen Selbstverständnis durch den Ligaalltag geirrlichtert, während wir souverän vorweg marschieren und vermeintliche Spitzenteams punktemäßig deklassieren. Mit schönem Gruß nach Gelsenkirchen, wo man regelmäßig bereits grandios an der Suche nach einem stilbildenden Trainer scheitert.
Jedes Wochenende pilgern zigtausend Fans in die deutschen Stadien, die so etwas noch nie erlebt haben und vielleicht auch nie erleben werden. Für sie ist der Weggang wichtiger Spieler kein Alarmfall, sondern der Normalzustand und ein Tabellenplatz im grauen aber sicheren Mittelfeld der Liga am 30. Spieltag verursacht das wohlige Gefühl, dass die Saison doch eigentlich ganz erfolgreich war. Sicherlich, in Dortmund herrschen mittlerweile andere Maßstäbe und berechtigte Ansprüche. Es wäre schlichtweg widersinnig zu fordern, mit einem sicheren Nichtabstieg zufrieden zu sein. Dennoch ist uns im Laufe der Jahre das Bewusstsein abhanden gekommen, eigentlich viel zu haben und durch das bohrende Gefühl ersetzt worden, eben nicht alles zu kriegen. Wir sehen keine Möglichkeiten mehr, etwas zu gewinnen, sondern nur noch, was wir verlieren können.
Wo ist der Geist hin, der uns 2011 wider alle Wahrscheinlichkeit zur Meisterschaft getragen, oder Real Madrid 4:1 nach Hause gefegt hat?
In unserem Vereinslied heißt es:
Wohl auf dem ganzen Erdenkreis
ist unser Sport bekannt.
Borussia-Spieler, wie man weiss,
die halten dem Stärksten stand.
Und wenn die Fussballflöte schrillt,
Borussia tritt hervor,
zum Wettspiel sind wir stets bereit,
verteidigen unser Tor.
Es wäre schön, wenn wieder mehr von diesem Selbstbewusstsein, diesem Trotz und dieser Lust auf Wettbewerb durch die schwatzgelben Buxen wehen und diese Taschentuchmentalität vertreiben würde.
Denn egal wer kommen und gehen mag, oder wie groß der Gegner erscheinen mag. Für den Blues geht’s uns nämlich eigentlich viel zu gut.