Unsa Senf

Der BVB in China

01.04.2016, 19:54 Uhr von:  Sascha
Die Fahne von China
© Wikimedia

Der Betriebsunfall Europa-League ist repariert und unsere Borussia wieder zurück im Kreis der ganz Großen. Warum sollten wir schließlich sonst im Sommer zum, nennen wir ihn mal so, traditionsreichen „Champions Cup“ in Shanghai eingeladen werden? Ok, sehr wahrscheinlich wird bei diesem Kleinstturnier kein einziger echter Champion dabei sein, da selbst unsere minimale Chance auf den nationalen Titel noch deutlich größer ist als die der beiden Vereine aus Manchester – aber trotzdem: es hat schon eine gewisse Aussagekraft, wenn neben Manchester United und Manchester City auch Borussia Dortmund eingeladen wird.

China also. Nach dem Wintertrainingslager in Dubai hat sich der BVB auch für die jetzt anstehende Spielpause eine Destination in der Vorbereitung ausgesucht, die diskutabel ist. Natürlich stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach der Menschenrechtssituation und den Werten von Borussia Dortmund. Aber auch abseits einer Wertediskussion bietet diese Reise einige Aspekte, die zumindest eines genaueren Blicks bedürfen. Der Versuch einer Analyse:

1. Menschenrechte

Es dürfte wohl niemanden beim BVB ernsthaft überraschen, dass dieses Thema auch bei der Tour nach Shanghai mindestens ein Magengrummeln hinterlässt. Hat man doch mit der Aussage, dass man Testspielofferten aus Ländern abgelehnt habe, in denen die Menschenrechtslage mit den Werten des BVB unvereinbar sei, dieses Bewertungskriterium selber legitimiert. Zieht man den Umkehrschluss aus dieser Aussage, dann wirft das angesichts stattfindender Testspiele in Dubai und Shanghai nicht gerade das beste Licht auf die Werteskala unserer Borussia.

Zwischen den arabischen Emiraten und China gibt es allerdings einen fundamentalen Unterschied: China braucht sich nicht mehr zu legitimieren. Ein großer Kritikpunkt an der Reise nach Dubai war, dass der BVB mithelfen würde, einem absolutistisch geführten Staat mit einer Rechtsprechung nach der Scharia den Anstrich von Normalität zu geben. Dieser Punkt ist bei der Volksrepublik China längst überschritten. China ist einer von Deutschlands wichtigsten Handelspartnern, als UN-Vetomacht ein weltpolitisches Schwergewicht und ehemaliger Ausrichter Olympischer Spiele. Staats- und Regierungschefs aller Welt reisen regelmäßig in das flächenmäßig größte Land Asiens und ebenso oft werden chinesische Delegationen in aller Herren Länder empfangen.

Fertigt einen Großteil in China - Puma

China ist akzeptiert. Das Land hat es längst geschafft, das Image des Unrechtsstaates weitestgehend loszuwerden. Obwohl in keinem anderen Land der Welt so oft die Todesstrafe vollstreckt wird (unter anderem für so schwerwiegende Verbrechen wie Benzindiebstahl oder Kreditkartenbetrug). Obwohl Geständnisse systematisch unter Folter zu Stande kommen. Und obwohl auch dieses Land Regierungskritiker verfolgt und eine freie Presse unterdrückt.

Zudem ist China schon lange auch in Dortmund angekommen. Puma lässt zu 90 % in Asien fertigen, davon wiederum ein gutes Viertel in China. Für Evonik ist speziell Shanghai ein bedeutender Standort in Asien – nicht zuletzt ist die Asienrepräsentanz des BVB in deren Verwaltungsgebäude in Singapur untergebracht. Ein nicht unerheblicher Teil des Geldes, den diese beiden Firmen als Ausrüster, Trikotsponsor oder Großaktionär bereits in unseren Verein gepumpt haben, dürfte in China erwirtschaftet worden sein. Ein Umstand bei dem wir Fans bislang immer brav weggeschaut haben. Diese wirtschaftlichen Faktoren und Investments westlicher Firmen in China tragen um ein Vielfaches mehr zum Erhalt der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Reich der Mitte bei, als eine Vorbereitungsreise eines Fußballvereins es je könnte. Die chinesische Regierung braucht Borussia Dortmund nicht, um sich der Welt gegenüber positiv zu repräsentieren. Das hat sie schon seit vielen Jahren gar nicht mehr nötig. Eine öffentliche Absage an dieses Turnier hätte maximal eine sehr geringe Symbolkraft.

Unterm Strich wäre ein klares Statement zur Menschenrechtssituation in China und ein darauf folgender Verzicht auf die Teilnahme am „Champions Cup“ seitens des BVB natürlich sehr wünschenswert. Andererseits fällt es auch schwer, die verantwortlichen Personen dafür zu kritisieren, dass sie Wertemaßstäbe nicht berücksichtigen, von denen sich die westliche Gesellschaft in Gänze schon vor einigen Jahren verabschiedet hat.

2. Sportliche Belastung

Bislang ist kein Trainer der Welt wirklich begeistert gewesen, wenn die Kluboberen ihm eine derartige Werbetour in der Vorbereitungszeit aufgedrückt haben. Die lange Reisezeit, das andere Klima und der Zeitunterschied sind Faktoren, die den Körper belasten. Das merkt schon jeder Tourist, der seinen Urlaub in Asien verbringt. Bei Hochleistungssportlern, und das sind Profifußballer trotz aller teilweise spöttischen Vergleiche zum Arbeitsaufwand in anderen Sportarten, wirken sich diese Faktoren sicherlich auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus. Natürlich sind gerade die Nationalspieler durch ihre regelmäßigen Flüge in die ganze Welt derartige Touren ein Stück weit gewohnt, trotzdem werden aus dem engen Zeitfenster zur Saisonvorbereitung zusätzlich Tage zur Reise, Akklimatisierung und Eingewöhnung entnommen werden.

Beruhigend ist dabei der Umstand, dass Thomas Tuchel und sein Team anscheinend wahre Fachleute der Belastungssteuerung sind. Ähnliche Bedenken gab es schon vor der Asienreise im letzten Sommer und trotzdem gelang eine Vorbereitung, in der die Mannschaft in einen derartig hervorragenden Fitnesszustand versetzt wurde, dass sie trotz eines wahren Mammutprogramms erst am letzten Spieltag in Köln deutliche Ermüdungserscheinungen aufzeigte. Zudem deutet die äußerst geringe Anzahl muskulärer Verletzungen im Laufe der Saison auf ein sehr gutes Gespür, wie stark die Spieler körperlich beansprucht werden können, hin.

Die Asienreise im letzten Jahr

Trotzdem wird es diesen Sommer noch ein gehöriges Stück komplizierter. Etliche Spieler fahren während der Bundesligapause zur Europameisterschaft nach Frankreich. Statt einer ausreichenden Regenerationszeit werden die Spieler noch einmal einer vollen Belastung ausgesetzt. Wie stark das auf die folgende Saison ausstrahlen kann, hat man nach den letzten beiden großen Turnieren am Beispiel von Mats Hummels sehr gut ablesen können. Beide Folgespielzeiten gehörten mit Sicherheit nicht zu seinen besten in Dortmund. In dieser Situation kommt es dann besonders auf den konditionellen Gesamtzustand der Mannschaft an, bei der fehlende Prozentpunkte auch mal von Mitspielern kompensiert werden müssen.

Dabei ist noch gar nicht klar, wer diese Mannschaft in der nächsten Saison überhaupt ist. Mit Hummels, Gündogan, Mkhitaryan und auch dem dabei oft vergessenen Schmelzer gibt es aktuell noch vier potentielle Verkaufskandidaten für den Sommer, wenn sie ihre Verträge nicht verlängern sollten. On top die Frage, was bei einem Traumangebot für Aubameyang passiert. Unter Umständen verändert die kommende Transferperiode die Statik der Mannschaft komplett und Korsettstangen der Mannschaft brechen weg. Vor allem Hummels, Gündogan und Mkhitaryan sind in Bestform echte Säulen des Spiels. Ihr Weggang und die Integration von Spielern, die sie ersetzen sollen, wäre noch eine weitere, große Herausforderung an das Trainerteam.

Die Vorbereitung auf die Saison 2016/2017 hat das Potential, zu einem echten Kraftakt für Trainer und Spieler zu werden. Eine Reise nach Shanghai wird sie mit Sicherheit nicht leichter machen. Zumal die Spiele nach deutscher Zeit bereits um 16.00 Uhr zu Ende sind, was allerdings 22.00 Uhr Ortszeit entspricht. Die Spieler werden ihren Ruhe- und Schlafrhythmus also zumindest ein Stück anpassen müssen.

3. Strategische Ausrichtung

Unter diesem Aspekt erstaunt eine Werbetour des BVB nach Shanghai wirklich. Noch im Juli des letzten Jahres, im Vorfeld der Asientour, sagte Carsten Cramer im Interview mit DerWesten:

"Wir sind auch nicht mit den ganz Großen dieser Branche vergleichbar, deswegen haben wir uns in Dortmund für eine Nischenstrategie in Japan und Südostasien entschieden. Wir haben China im Auge und werden dort mal aktiv sein, aber alles der Reihe nach."

Eine Aussage, die unter wirtschaftlichen Aspekten absolut nachvollziehbar ist. China ist Premier-League-Land. In der Spielzeit 2014/2015 wurden dort 4.768 Stunden Fußball aus der englischen Eliteklasse im Free-TV gezeigt. Aus der Bundesliga bescheidene 579 Stunden. Auf dem chinesischen Bloggingdienst Sina Weibo hat Bayern München 1,9 Millionen Follower – die beiden Clubs aus Manchester jeweils über 8 Millionen. Das große Real Madrid, das bereits mehrere Touren in die Volksrepublik hinter sich hat, schafft es gerade mal auf 1,3 Millionen Follower. Die Schwelle zu diesem Markt ist für den BVB also gewaltig hoch.

Soviel Begeisterung für Shinji gibt es in China vermutlich nicht

Es hatte also einen guten Grund, warum der BVB trotz Repräsentanz in Shanghai lieber für zwei Testspiele nach Japan und Malaysia reiste, statt in China anzutreten. Neben „Türöffner“ Shinji Kagawa wollte man ganz bewusst die Märkte ansteuern, die zwar kleiner, aber eben noch nicht von den üblichen Platzhirschen in Europa besetzt waren.

Es stellt sich also die Frage, warum Borussia den strategischen Marschweg so schnell wieder verlässt und das „alles der Reihe nach“ auf einmal bereits den zweiten Schritt in Asien darstellt. Natürlich ist es für schwatzgelb eine Chance, sich im Rahmen eines derartigen Showwettkampfes den chinesischen Fußballfans zu präsentieren, die Gefahr ist aber auch groß, als besserer Sparringspartner der beliebten Vereine City und United in der öffentlichen Wahrnehmung einfach unterzugehen.

Wenn schon Asien, warum festigt man nicht erst seine Stellung in den kleineren Ländern und fasst erst einmal dort Fuß? Diese Reise passt nicht in das vorher skizzierte Vorgehen, ja wirkt sogar kontraproduktiv.

4. China als Wettbewerber

Noch vor einem Jahr hätte jeder europäische Fußballfan belustigt reagiert bei der Aussage, dass der chinesische Vereinsfußball einen ernsthaften Konkurrenten auf dem Transfermarkt darstellen könnte. Klar, wir Dortmunder haben schon mit einer gehörigen Portion Kopfschütteln den Wechsel von Lucas Barrios zu Guangzhou Evergrande miterlebt, aber im Allgemeinen war die chinesische Super League letzte Station zum Geldabgreifen für alternde Stars wie Didier Drogba oder Nicolas Anelka im Spätherbst ihrer Karriere. Dort wurden sie mit US-Dollar überschüttet, ohne dass es irgendjemanden gestört hätte.

Seit der Wintertransferperiode dürfte kein Vereinsboss mehr den chinesischen Vereinsfußball belächeln. Waren schon die Einkäufe des Chelseaspielers Ramires und Gervinho vom AS Rom echte Hingucker, pulverisierten chinesische Klubs innerhalb weniger Tagen bisherige Rekordtransfers, gönnten sich zuerst für 42 Millionen Euro Jackson Martinez von Atlético Madrid, legten dann bei Alex Teixeira sogar noch einen drauf und überwiesen 50 Millionen an Schachtjor Donezk. Uff, das hat gesessen. Parallel verkündete der chinesische Staatschef und Fußballfan Xi Jinping, es sei das erklärte Ziel, dass China langfristig eine Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen solle. Angesichts der gewaltigen Finanzmittel und der neuen Aktivitäten im Vereinsfußball ein Ziel, das gar nicht mehr so verrückt und unerreichbar erscheint wie noch vor wenigen Monaten.

Sicherlich, die ganz großen Stars vom Schlage eine Christiano Ronaldo oder Neymar werden nicht gleich scharenweise in die Super League wechseln, weil große Stars in großen Vereinen spielen wollen und müssen. Für die Spielerkategorie darunter ist ein Engagement in China aber mittlerweile eine echte Option, weil es exorbitant vergütet wird. Sowohl der Spieler als auch der abgebende Verein werden mit Geld überschüttet.

Lucas Barrios wechselte bereits nach China

Und hier beginnt das Problem für den BVB: China fängt an, genau die Spieler zu kaufen, die für uns ebenfalls interessant sein könnten. Und die Vereine können gemäß Staatsraison unsere Angebote locker überbieten. Neben den englischen Vereinen ist wie aus dem Nichts ein zweiter, echter Konkurrent auf dem Transfermarkt erschienen und macht die Sache für einen Verein wie Borussia Dortmund mit Sicherheit nicht leichter. Ein deutscher Verein wird aufgrund seiner Beschränkungen gegenüber Investoren und Mäzenen beim Kampf um Spieler, die in allererster Linie auf möglichst hohe Gehaltszahlungen bedacht sind, eh immer im Hintertreffen sein. Aber mit der chinesischen Profiliga entsteht gerade ein Konkurrent neu und dieser Markt hat noch einen enormen Nachholbedarf an gutklassigen Spielern. Wir werden bei der Suche nach dem nächsten Aubameyang oder dem neuen Mkhitaryan in Zukunft mit Sicherheit nicht mehr nur europäische Vereine auszustechen haben.

Warum hilft der BVB mit seiner Teilnahme dann auch noch aktiv mit, den Fußball in China populärer zu machen? Erst wenn der Fußball als Volkssport verwurzelt ist, wird er sich langfristig in China halten können. Und erst dann wird aus dem vorübergehenden Transferphänomen Super-League-Vereine ein Dauerzustand. Man stärkt mit der Teilnahme an diesem Turnier nur die Stellung eines Wettbewerbers im Kampf um die besten Spieler.

Fazit:

Auch neben der Menschenrechtsfrage bleibt vieles an dieser Reise fragwürdig. Sie findet in einer sportlich schwierigen Situation statt, passt nicht zur angekündigten Strategie für den asiatischen Markt und könnte langfristig bei Spielerverpflichtungen zu einem echten Bumerang werden.


Aus BVB-Sicht bietet der Champions-Cup kaum Vor-, aber viele Nachteile. Warum nimmt man trotzdem die strapaziöse Reise für zwei Spiele auf sich? Es bleiben Fragezeichen. Antworten finden sich vielleicht, wenn man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen beleuchtet. Neben den bereits erwähnten wirtschaftlichen Verflechtungen von Puma und Evonik, die gerade in Shanghai ganz aktuell mit dem Bau einer Produktionsanlage zur Herstellung von Spezialsilikonen begonnen haben, hat „Champion Partner“ Huawei seinen Firmensitz in Shenzhen. In dieser 12-Millionen-Metropole findet auch das Spiel gegen Manchester City statt. Für den BVB insofern wichtig, als dass der einheimische Werbepartner darauf bedacht sein wird, auch den Verein, mit dem er wirbt, ins Rampenlicht zu stellen.

Wichtige Geldgeber werden also mit Wohlwollen auf die Präsenz in China blicken. Und auch die DFL wird erfreut registrieren, dass sich Deutschlands Nummer zwei auf dem begehrten TV-Markt blicken lässt. Seit 2013 „unterstützt“ man Vereine, die sich in definierten Zielländern auf die Saison vorbereiten, mit bis zu 300.000 €. Das Ziel ist dabei klar: es soll für die Vereine attraktiv werden, die Bundesliga persönlich dort zu vertreten, wo man in Sachen Aufmerksamkeit noch weit hinter den Ligen aus England und Spanien hinterher hinkt. Wenn man sieht, dass die englische Liga über die Auslandsvermarktung fast das Zehnfache der Bundesliga einnimmt, dann wird man genau dort noch gewaltiges Wachstumspotential verorten.

Vermutlich ist der Wunsch nach der Teilnahme von Borussia Dortmund an diesem Kick von externer Stelle größer als an der Strobelallee selbst. Letztendlich wird man damit aber wohl langfristig leben müssen, wenn man weiterhin auch in ernsthaften Wettbewerben gegen Gegner solchen Kalibers antreten möchte. Das ist dann vermutlich der Preis, den man zukünftig zahlen muss, wenn man mit Hummels, Reus und Aubameyang Königsklasse spielen möchte.

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