Im Gespräch mit...

...Lars Ricken: "Mein Tempel war das damalige Westfalenstadion"

13.12.2016, 18:00 Uhr von:  Vanni Seb
...Lars Ricken: "Mein Tempel war das damalige Westfalenstadion"
Lars Ricken im Gespräch

Dortmunder Jung, Champions League Sieger, Jugendkoordinator und Botschafter - Lars Ricken verkörpert den BVB wie kaum ein zweiter. Wir haben mit ihm über diese Themen gesprochen.

schwatzgelb.de: Du wurdest wahrscheinlich schon oft auf das Champions-League-Finale 1997 angesprochen. Gibt es eine Frage, die dir oft gestellt wurde und die du nicht mehr hören kannst, zum Beispiel, wie du dein Tor erlebt hast?

Lars Ricken: Nein, es ist sogar so, dass ich in den seltensten Fällen das Tor beschreiben muss. Meistens erzählen mir die Leute, wie sie das Tor erlebt haben. Hat ja auch jeder gesehen, wie ich das erlebt habe, wie ich mich gefreut habe oder wie ich geschossen habe. Insofern erzählen mir die Fans oder Interessierte ihre Geschichte. Der eine war auf der Toilette,ein anderer Bier holen, als das Tor fiel. Und die sind natürlich auch der Meinung, dass das Tor nur gefallen ist, weil sie Bier holen waren oder weil sie auf Toilette waren (lacht). Ein anderer hat mir erzählt, dass er in dem Moment, in dem ich geschossen habe, sich wahnsinnig über mich aufgeregt und mich übelst beschimpft hat, wie ich denn da schießen könne. Ich müsste doch noch weiterlaufen, und zwei Sekunden später lagen dann alle auf ihm drauf und haben sich gefreut. Ein Mädel hat mir erzählt, sie habe vor dem Endspiel zwei Wellensittiche bekommen, die noch keinen Namen hatten - die hießen nach dem Finale natürlich Kalle und Lars. Oder eine Anekdote noch, die ich auch schon ein- oder zweimal erzählt habe: Dass tatsächlich ein Mann auf dem Friedensplatz bei dem Tor einer wildfremden Frau um den Hals gefallen ist. Die beiden haben sich ineinander verliebt, geheiratet, ein Kind bekommen, und das Kind heißt Lars. Insofern erzählen mir die Leute eigentlich mehr ihre Geschichten. Finde ich ja auch cool. Das gibt ja auch irgendwie eine Rückmeldung, was dieses Tor den Menschen bedeutet hat. Es ist eine coole Art der Bestätigung, dass es nicht so ein 08/15 Tor war, sondern eines, das noch lange im Gedächtnis der Menschen in Dortmund bleiben wird.

schwatzgelb.de: Wie oft hast du das Tor seitdem gesehen? Guckst du dir das öfters an oder stolpert man einfach immer wieder darüber?

Die Champions League-Choreo gegen Juve

Ricken: Ich glaube, dieses Drüberstolpern trifft es ganz gut. Ich muss mir das Tor jetzt nicht abends anschauen, um mit einem Lächeln einschlafen zu können. Es ist insofern ganz cool, weil ich am Anfang meiner Karriere gesagt habe, ich möchte etwas erreichen, was über meine Karriere hinaus Bestand hat. Ich wollte nicht nach 15 Jahren, wenn ich dann aufhöre, nichts hinterlassen haben. Insofern ist mir das mit dem Tor natürlich gelungen. Ich kann auch nicht verhehlen, dass es mir als gebürtiger Dortmunder extrem viel bedeutet, dass dieses Tor zum BVB-„Tor des Jahrhunderts“ gewählt worden ist. Fußball ist für mich aber immer ein Mannschaftssport geblieben. Ich glaube, das ist auch während meiner Karriere rübergekommen. Aber ich habe immer noch Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, wie es vor dem Juve-Spiel in der Champions-League-Saison 2014/15 von den Fans diese Choreographie gab. Damals hatte ich schon vorher zig SMS bekommen, „sei auf jeden Fall im Stadion“, weil schon ein paar Leute bei der Probe gesehen hatten, was passieren wird. Das ist dann schon emotional für mich, als Dortmunder, der selbst mal auf der Südtribüne stand. Wenn ein solches Tor dann auch Jahre später noch so im Gedächtnis ist, ist das schon sehr berührend.

schwatzgelb.de: Wenn du an diesen Tag zurück denkst, ist dieses Tor das erste, woran du dich erinnerst, oder gibt es was anderes, das vielleicht auch gar nicht mit dem Spiel zu tun hat?

Ricken: Ich glaube tatsächlich, das erste Bild, das mir in den Sinn kommt, ist eine Situation auf der Bank. Ich habe gesehen, dass Peruzzi immer extrem weit vorm Tor stand und habe gesagt – ich glaube zu Heiko Herrlich, der neben mir saß: „Wenn ich reinkomme, der erste Ball den ich kriege, den schieße ich blind auf das Tor, guck mal wie weit der immer davor steht.“ Das habe ich im Laufe der ersten Halbzeit gesagt und praktisch mit Abpfiff der ersten Halbzeit stand der wirklich 35 Meter vorne, und das war so der Moment, in dem es Klick gemacht hat: "Mensch das kann funktionieren". Das ist so ein bisschen die Vorgeschichte zu dem Tor.

schwatzgelb.de: Zwei Minuten vor dem Tor, als die Einwechslung vorbereitet wurde, gab es da etwas, das Ottmar Hitzfeld zu dir gesagt hat? „Sei besser als Messi“?

Ricken: (lacht): Der hat da ja noch nicht gespielt. „Sei besser als Zidane“, vielleicht. Nein, also er wird schon irgendwas gesagt haben, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.

Schwatzgelb.de: Ist dieses Beobachten von der Bank aus etwas, was man klassisch macht, wenn man auf der Ersatzbank sitzt? Oder ist das in dem Spiel einfach etwas gewesen, was besonders auffällig war?

Ricken: Nicht bewusst. Ich hab mir von der Bank Spiele schon genau angeschaut und nicht nur so nach dem Motto: „Ach, ich hab hier den besten Platz im Stadion.“ Für mich war es halt extrem auffällig an dem Tag.

schwatzgelb.de: Kannst du was zu dem Moment oder den Wochen vor dem Spiel sagen, bevor das Spiel bestritten wurde? Ihr wart ja nicht unbedingt der Favorit in dem Finale. Wie hat man das in der Mannschaft aufgenommen? Mit welchen Erwartungen seid ihr nach München geflogen? Oder gab es einen Punkt, an dem ihr gedacht habt: Vielleicht können wir wirklich die CL gewinnen! Zum Beispiel ein bestimmtes Spiel im Laufe des Wettbewerbs?

Ricken: Natürlich waren wir klarer Außenseiter. Juve hatte ja auch ein paar Tage vorher die italienische Meisterschaft gewonnen und war damals so etwas wie in der Gegenwart der FC Barcelona oder Real Madrid oder auch Bayern München. Insofern waren wir schon klarer Außenseiter. Wir sind trotzdem mit dem klaren Ziel und dem Bewusstsein nach München gefahren, dass wir das packen können. Wir hatten ja auch ein paar Jungs im Kader, die auch schon bei Juve gespielt hatten. Möller, Cesar, der aber bei dem Spiel verletzt war, Kohler, Sousa und Reuter. Und ein bisschen standen wir trotz der Außenseiterrolle auch unter Druck, wir hatten keine gute Saison gespielt und konnten uns nur wieder für die CL qualifizieren, wenn wir das Spiel gewinnen. Was uns einen extremen Schub gegeben hat, waren die Spiele gegen Manchester, bei denen auch mit David Beckham, Giggs, Scholes, Cantona und Schmeichel im Tor tolle Spieler spielten. Gegen sie weitergekommen zu sein, hat uns echt beflügelt. Man hat es dann auch in der Liga gemerkt. Die Spiele wurden nur mit halber Kraft gespielt. Ich glaube, das letzte Spiel vor dem Finale war gegen Hamburg, für beide ging es um nichts mehr, es war ein Spiel komplett ohne Torchance. Ich glaube, ich hatte eine, weil ich einen Freistoß aus 35m aufs Tor geschossen hab. Vermutlich wird es 0:0 ausgegangen sein. Es wurde sich schon sehr stark auf das Finale fokussiert. Alle, die kleine Wehwehchen hatten, haben sich auch rausgenommen.

schwatzgelb.de: Wenn du dir die Mannschaft von 1997 noch mal ins Gedächtnis rufst, wen fandest du fußballerisch am beeindruckendsten?

Ricken: Das ist schwer zu sagen. Wir hatten ja eine Mannschaft, die nicht aus elf Nationalspielern bestanden hat, sondern aus 14-15. Ich bin froh, in so einer Mannschaft mit Möller, Sammer, Kohler, Reuter, Chapuisat, Zorc oder Riedle gespielt zu haben. Das war das Who is Who des internationalen Fußballs. Das war 1997, ein Jahr zuvor war Deutschland Europameister geworden, Steffen Freund war auch dabei. An solchen Fußballern konnte ich mich natürlich orientieren: Wie muss ich mich verhalten, damit ich auch mal ein großer Fußballer werde? Freie Tage gab es da nicht! Wenn ich mit 17 einen freien Tag hatte, zum Beispiel am Dienstag, bin ich mittwochs von Matthias Sammer gefragt worden, wo ich denn am freien Tag war. Er habe mich nicht am Trainingsgelände gesehen. Das nächste Mal bin ich dann natürlich am Trainingsplatz gewesen, und da war auch dann die halbe Mannschaft. Das waren nicht umsonst die erfolgreichsten Spieler der 90er-Jahre. Die haben auch extrem viel dafür getan.

Um konkret zu werden: Wer mich beeindruckt hat, war Paolo Sousa. Ein total eigener Typ, ich glaube auch total schwierig im Umgang, er hatte sogar seinen eigenen Trainer in Dortmund. Wenn wir rechts rum gelaufen sind, ist er oft links rum gelaufen. Er war auch oft verletzt. Trotzdem hatte er eine extreme Ausstrahlung, und was ich vor allem brutal fand: Wenn ich mit ihm damals einen Sprint gemacht hätte über 100 Meter, hätte ich ihm dabei 40 Meter abgenommen. Aber mit dem Ball wäre ich nie an ihm vorbeigekommen. Der hatte so eine intelligente Zweikampfführung. Man konnte ihn auch nicht zustellen. Der war immer anspielbar. Da habe ich festgestellt, ok, Schnelligkeit ist nicht alles. Es hat auch viel mit Handlungsschnelligkeit, mit Spielintelligenz zu tun. Das war schon bemerkenswert.

 "Ich glaube, der Kitt, der das alles zusammengehalten hat, war Michael Zorc. Als Dortmunder Leitfigur."

schwatzgelb.de: Heutzutage wird viel über Hierarchien geredet, meistens über flache Hierarchien. Damals hatte das noch einen anderen Ruf. Gab es bei euch einen speziellen Führungsspieler, Matthias Sammer zum Beispiel?

Ricken: Ja, aber wir hatten nicht den einen "Leader", wir hatten viele starke Charaktere, die nicht nur in Deutschland Titel gewonnen haben. Die waren Welt- und Europameister und hatten auch in Italien was gewonnen. Ich glaube, der Kitt, der das alles zusammengehalten hat, war Michael Zorc. Als Dortmunder Leitfigur. Er hat ja dann auch den Pokal nicht zu Unrecht in die Höhe gehoben, weil die Mannschaft das wusste.

schwatzgelb.de: Gab es denn einen Spieler, der eine besondere Bezugsperson war, wie ein Mentor, der dich an die Hand genommen hat?

Ricken: (lacht) Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, aber das war schon ein stückweit Matthias Sammer. Bei Heimspielen hatten wir damals meistens alle Einzelzimmer, aber bei Auswärtsspielen war ich dann meistens mit Matthias Sammer auf einem Zimmer. Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber ich habe mal gehört, dass Ottmar Hitzfeld gesagt haben soll: „Geh mal mit dem auf ein Zimmer und nimm ihn ein bisschen an die Hand.“ Auch wenn er jetzt so ein bisschen das Image des Motzkis hat – natürlich war er extrem fokussiert, ergebnis- und leistungsorientiert -aber im persönlichen Umgang hatten wir viel Spaß miteinander. Ich will es mal so sagen: Wenn es im Zimmer beim Mittagsschlaf zu hell war, hat er natürlich nicht gesagt: „Lars, mach mal bitte die Gardinen zu“. Er hat einfach gesagt: „Boah, ist das hell hier!“ Und dann war klar, ich mache mal die Gardinen zu. Es war auf jeden Fall eine coole Zeit. Ich glaube, inzwischen sieht man ihn in Dortmund anders, besonders auf Grund seiner Zeit beim FC Bayern.

schwatzgelb.de: Wie viel Kontakt hast du heute noch zu denen, die du eben genannt hast?

"Zorci sitzt drei Türen weiter"

Ricken: Zorci sitzt hier drei Türen weiter, den sehe ich jeden Tag bei uns im Büro (lacht). Sonst wenig. Ich war aber auch nie der Typ, der im Fußball Freundschaften gesucht hat. Bei mir es auch von Vorteil, dass ich Dortmunder war, und so hatte ich meine ganzen Kumpels hier in der Umgebung. Die meisten Spieler, die hier hinkommen, gehen beinahe zwangsläufig mit Mitspielern zum Abendessen, die auch nicht aus Dortmund sind. Bei solchen Freizeitgestaltungen entwickeln sich dann eher Freundschaften unter Spielern. Ich war nie so der Typ dafür, sondern hatte hier meinen eigenen Kern an Freunden oder Kameraden. Das ist aber auch nichts Ungewöhnliches.

schwatzgelb.de: Würdest du sagen, dass es dir dadurch leichter gefallen ist, mit dem Verein oder mit der Stadt verbunden zu bleiben, weil du hier deinen Freundeskreis hattest? Im Allgemeinen ist es ja so, dass Spieler irgendwann mal den Verein wechseln. War dieser Freundeskreis immer auch ein Argument für Borussia Dortmund?

Ricken: Ja, ich glaube es gab insgesamt drei Argumente: Das Erste war, dass ich mit der Liebe zum BVB praktisch erzogen wurde. Mein Vater hat in der Jugend selber noch beim BVB gespielt, zusammen mit Hoppy Kurrat in einer Mannschaft. Er hat sich dann aber, als er zu den Senioren kam, für den beruflichen Weg entschieden. Das Profitum gab es damals noch nicht. Bei meinem ersten Stadionbesuch hat Marcel Raducanu hier mit der rumänischen Nationalmannschaft gespielt. Ich muss so sechs Jahre alt gewesen sein. Wenn ihr mich jetzt fragen würdet, was war das Größte, das ich jemals als Spieler oder Fan von Borussia Dortmund miterlebt habe, würde ich die Relegation gegen Fortuna Köln nennen. 1986 – da war ich zehn Jahre alt. Ich kann mich aber noch erinnern, wie ich hinter dem Zaun stand und alle geheult haben und dann Jürgen Wegmann in der letzten Minute traf. Das schafft natürlich eine Verbundenheit, wenn man selber auf der Südtribüne gestanden hat. Deshalb war es auch immer mein Traum in diesem Stadion zu spielen, nicht in Madrid oder anderswo.

Der zweite Punkt ist, was ich schon gesagt habe: Ich wollte etwas hinterlassen. Ich wollte Titel gewinnen, nicht einfach nur mitspielen. Die Möglichkeit dazu hat mir Borussia immer gegeben. Die erste Meisterschaft 1995. Was da im Stadion los war, auch die Jahre danach, was sollte ich nach 1997 noch machen? Da hatte ich mal ein kurzes Telefonat mit Karl-Heinz Rummenigge, aber was sollte ich in München? Wir waren 1995 und 96 deutscher Meister geworden, 97 Champions-League-Sieger und standen 98 wieder im Halbfinale der Champions League - auch das darf man ja nicht vergessen. Zu der Zeit, in der ich gespielt habe, standen immer Mannschaften auf dem Platz, die Titel holen konnten. Natürlich, auf das Ausland hätte ich vielleicht schon mal Bock gehabt. Vielleicht irgendwie, irgendwann mal. Das will ich nicht verhehlen. Aber dafür habe ich zu wenig in der Nationalmannschaft gespielt, als dass ich wirklich Topangebote bekommen hätte. Juve, die englischen Clubs, Real Madrid – die wollten mich alle nicht. Und zu einem mittelklassigen spanischen Verein, der um Platz zehn spielt, wollte ich nicht.

Der dritte Punkt: Das soziale Netzwerk ist natürlich auch extrem wichtig. Das sage ich auch immer wieder den Jungs, die heute in meinem Alter von damals sind, und das habe ich zum Beispiel auch Mario Götze gesagt. Mario hätte ja mit 18 schon überall hingehen können. Es ist für junge Spieler aber extrem wichtig, ein soziales Netzwerk zu haben. Familie, Freunde, vielleicht auch eine Freundin – das sind die Leute, auf die du bauen kannst und von denen du eine ehrliche Meinung kriegst. Die dich auch mal auf dem Boden halten, wenn du einen Höhenflug bekommst, und auf der anderen Seite auch wieder hochziehen, wenn du down bist. Menschen, die nicht immer nur mit dir über Fußball sprechen wollen und die dich auch nicht nur als Fußballer kennen.

schwatzgelb.de: Viel furioser, als mit den Toren gegen La Coruna und Juventus, mit den Titeln als junger Bursche, hättest du ja nicht starten können. Waren das dann auch die Gründe, warum du mit dem medialen Hype umgehen konntest und dich nicht hast beeindrucken lassen?

Ricken: Ganz so einfach war es ehrlich gesagt nicht. Am Anfang meiner Karriere hat mir sehr geholfen, dass ich noch zur Schule gegangen bin. Als wir 95 und 96 Deutscher Meister geworden sind, habe ich mein Abitur noch ganz normal hier in Dortmund gemacht. Es war eine brutale Belastung, und ich frage mich immer noch, wie ich das eigentlich alles geschafft habe. Ständig Training und Schule, damals auch samstags noch. Dabei hatte ich noch kein Auto und bin immer von einem Fahrer abgeholt und nach der Schule zu den Spielen gefahren worden. Ich hab dann erst mal gefragt, gegen wen wir eigentlich spielen. Mit anderen Worten: Mir war damals gar nicht so bewusst, was ich auch in jungen Jahren schon geleistet habe. Mir hat das unheimlich geholfen. Aber dass ich damals alles richtig gemacht habe und total souverän mit allem umgegangen bin, würde ich so aber auch nicht sagen wollen (lacht). Mehmet Scholl und ich, wir waren ja so die ersten, die so zu einer Art Popstars aufgebaut wurden. Mehmet hat immer den goldenen BRAVO-„Otto“ gewonnen, ich den silbernen. Wir hatten natürlich beide keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollten. Ich hab mich immer dagegen gewehrt, ein Teenieschwarm zu sein, habe aber auch genug Sachen gemacht, die das noch befeuert haben. Ich hatte damals eine befreundete Band namen „Phantoms of Future“, mit denen habe ich ein paar Sachen gemacht, zum Beispiel ein Fotoshooting, die medial ziemlich ausgeschlachtet wurden. Aber wir wussten nicht, wie wir damit überhaupt umgehen sollen. Damals gab es keine Presseabteilung oder einen Pressesprecher. Selbst Josef Schneck kam erst 1997 dazu. Damals hat Ottmar Hitzfeld gesagt, wann ich mal besser eine Pause mit Interviews einlegen oder wann ich auch mal ins Aktuelle Sportstudio gehen sollte. Jetzt haben wir eine ganze Presseabteilung, jeder Spieler hat einen Berater und die haben ja auch wieder Presseagenturen. Mittlerweile wird jeder Satz dreimal gegengelesen. Und die Spieler wissen natürlich auch inzwischen, wie sie sich zu verhalten haben. Sie gehen mit offenen Augen durch die Welt

schwatzgelb.de: Was würdest du als 16-/17-Jähriger heute anders machen, wenn du noch mal starten würdest?

Ricken: Ach, viel anders würde ich nicht machen, das könnte ich jetzt gar nicht sagen. Ich glaube, dass ich damals schon extrem fokussiert und diszipliniert war und in jungen Jahren schon relativ erwachsen. Natürlich würde ich jetzt nicht alles genau so machen, wie damals. Das hieße ja, dass man nicht aus seinen Fehlern lernen würde. Solche Sachen wie zum Beispiel mit der Band „Phantoms of Future“, die fand ich ganz cool. Aber was ich privat gemacht habe, hätte ich dann besser auch nicht so nach draußen gegeben. Wenn ich nicht so gut gespielt habe, hieß es dann auch schnell: Der konzentriert sich auf alles, aber nicht auf Fußball. Dabei war es mir einfach wichtig, mich auch mal auf andere Sachen als den Fußball zu konzentrieren. Je besser du abschalten kannst, desto besser kannst du dich auch mal wieder konzentrieren. Viele Sachen würde ich aber genauso machen. Gut, den Nike-Werbespot, den ich gedreht habe, fand ich gar nicht so schlimm, er wurde mir aber durchaus anders ausgelegt. Mit dem zeitlichen Abstand zu damals würde man es heute anders machen. Auf der anderen Seite finde ich es auch ganz cool. Ich sage: „Nike-Werbespot“, und ihr wisst sofort was los ist. Und dieser Spot ist bald 20 Jahre alt. Insofern war das auch etwas, was bleibt.

schwatzgelb.de: Wir haben schon angesprochen, dass du nur bei Borussia Dortmund gespielt hast, was heute selten vorkommt. Selbst Kevin Großkreutz ist schon zweimal gewechselt. Ist der heutige Fußball überhaupt noch vergleichbar mit dem von vor 20 Jahren, wie hat sich der Fußball verändert?

Ricken: Nein, das ist nicht mehr mit damals vergleichbar. Als Mario Götze in den Profibereich kam und die ersten Spiele gemacht hat, habe ich mich gefragt, was ich denn damals für eine Sportart betrieben habe. Er wurde damals ein bisschen mit mir verglichen, aber ich habe schon früh gesagt, dass schon bald Vergleiche mit ganz anderen Spielern kommen werden. Prompt hat Franz Beckenbauer recht schnell den Vergleich mit Lionel Messi gebracht. Auch wenn ich die Jungs jetzt sehe, das hat mit dem, wie wir damals Fußball gespielt haben, nichts mehr zu tun. Wie athletisch die Jungs geworden sind, was die auch alle drei Tage für eine Hochleistung bringen können, das ist in dem hohen Tempo und mit der perfekten Ballbehandlung schon unglaublich. Das hat aber nicht zu bedeuten, dass wir früher unprofessioneller waren, es waren einfach andere Umstände. Wenn ich alleine mal den athletischen Bereich sehe, das hatten wir früher nicht so. Das hat dann im Zweifel Michael Henke gemacht, der Co-Trainer. Heute gibt es dafür einen ganzen Trainerstab. Wir haben damals noch im Winter hinter dem Südbad trainiert. Inzwischen haben wir einen beheizbaren Trainingsplatz, auf dem wir im Winter trainieren. Die Trainingsbedingungen haben sich geändert. Auch die Trainer sind natürlich besser geworden, wenn ich mir nur Klopp oder Tuchel angucke… Im Training gibt es ganz andere Inhalte. Die ganze Infrastruktur ist anders. Heute gibt es 200m² Kraftraum, wir hatten damals in einem Keller zwei Geräte rumstehen. Der Fußball hat sich enorm weiterentwickelt.Das finde ich schon extrem cool zu sehen, wie die Jungs arbeiten und spielen, und wie sie wirklich alle drei Tage über 10 km laufen und das nicht im lockeren Trab, sondern im vollen Tempo.

schwatzgelb.de: Es gab ja viele Veränderungen im Fußball allgemein, aber auch bei Borussia Dortmund. Die erste recht einschneidende Veränderung war direkt nach dem Finale, dass Ottmar Hitzfeld nicht mehr euer Trainer war. Wie hast du die Situation damals wahrgenommen, habt ihr was über die Gründe erfahren oder was wurde da kommuniziert?

Ein Tor für die Ewigkeit

Ricken: Das krieg ich gar nicht mehr so richtig hin. Es gab ja schon in der Süddeutschen Zeitung einen Bericht vor dem Spiel, dass Ottmar Hitzfeld nach dem Spiel aufhören würde bzw. gehen müsste, und dann hat man irgendwie eine andere Lösung mit ihm als Sportdirektor gefunden. Ja, das war natürlich schade, weil er als Jugendspieler mein erster Trainer war und er mich auch sehr gefördert hat. Ich habe mich immer als professioneller, seriöser Fußballspieler gesehen und dann muss man auch mit so etwas umgehen können. An die Gründe oder wie das damals kommuniziert wurde, kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Da war dann ein neuer Trainer und für mich war klar, dass ich mich wieder neu beweisen muss.

"Mein Tempel war halt das damalige Westfalenstadion."

schwatzgelb.de: Du bist Dortmunder und kennst hier quasi jeden Stein. Was bedeutet dir das Stadion Rote Erde?

Ricken: Ich bin 1976 geboren, 1974 wurde das Westfalenstadion gebaut, insofern habe ich die Rote Erde nicht mehr mitbekommen. Aber natürlich hat mir mein Vater, der eben auch großer Fan war und die ganzen Altinternationalen wie Jockel Bracht oder Aki Schmidt alle kannte, mir ein bisschen die Heldengeschichten erzählt. Heutzutage ist das ein bisschen einfacher, da kommen dann 10-Jährige an und sagen „1997, geiles Tor!“. Dabei waren die zu der Zeit noch gar nicht geboren. Aber durch Youtube kann man sich das ja alles angucken. Diese Möglichkeit habe ich natürlich nicht. Insofern kenne ich das nur aus den Erzählungen meines Vaters. Selber hab ich dann zum Ende hin noch in der U23 in der Roten Erde gespielt. Mein Tempel war halt das damalige Westfalenstadion.

schwatzgelb.de: Dementsprechend gibt es wahrscheinlich auch keine besonderen Momente als Spieler, an die du dich erinnern kannst in der Roten Erde…

Ricken: Die Rote Erde war insofern immer ein besonderer Ort für mich, weil ich da meine ersten Trainingseinheiten mit den Profis gemacht habe. Damals haben die in der Roten Erde trainiert. Ich bin da hingekommen, Bomber Wiegand hat mich dann erst mal beschimpft, wer ich denn überhaupt sei und was ich da will. „Setz dich da erst mal hin.“ Und dann saß ich da in einem Vorraum, bis ich überhaupt mal reindurfte. Und dann wie gesagt, meine ersten Trainingseinheiten mit den Profis. Das sind die emotionalsten Verbindungen, die ich mit dem Stadion hab.

schwatzgelb.de: Und jetzt heute, hast du einen anderen Blick darauf, mit der U23, die da spielt?

Ricken: Es ist natürlich schön, dass wir mit der U23 auch heute noch dort spielen. Der Platz ist zwar nicht immer der Beste, aber es ist schon schön, wie das angenommen wird. Der Block H ist immer voll, da wird auch mehr oder weniger 90 Minuten durchgesungen. Da hat sich schon eine richtige Fanbase entwickelt, die gut Stimmung macht. Es ist schon eine ganz coole Atmosphäre und macht Spaß, da zu spielen.

schwatzgelb.de: Was für Lieblingsorte hast du generell in Dortmund. Hast du einen Ort, der für dich privat was Besonderes hat, der nicht direkt mit dem BVB verwurzelt sein muss?

Ricken: Mein Heimatort, mein Heimatvorort. Ich bin Brechtener, ja, das ist so meine Homebase. Mein Vater ist leider letztes Jahr verstorben, aber meine Mutter lebt dort noch. Wenn ich dann da hingefahren bin oder immer noch hinfahre, um meine Mutter zu besuchen, dann ist das so ein Stück wie nach Hause kommen. Ich habe dort nie Fußball gespielt, aber nur deswegen, weil die damals noch keine E-Jugend hatten, sonst wäre ich zum TV Brechten gegangen. So bin ich zum TUS Eving Lindenhorst gegangen. Hier bin ich aufgewachsen, hier bin ich groß geworden. Die Grundschule, die Geschäfte, ja, das ist dieses nach Hause kommen.

"Da weiß man, warum man das alles gemacht hat."

schwatzgelb.de: Und in Verbindung mit dem BVB? Gibt es da auch einen besonderen Ort?

Ricken: Am Friedensplatz die Kreuzung zur Hohen Straße, wo es dann zum Friedensplatz geht, Ecke Wall. Als wir nach der ersten Meisterschaft 1995 da mit dem Truck hergefahren sind. Da sind wir eingebogen und hatten den größten Überblick, wie viele Leute auf der Straße waren. An der Kreuzung gibt es vier Straßenschluchten, in die man einsehen konnte. Alle voll, bis zum geht nicht mehr. Du hattest schon einen Blick auf den Friedensplatz, also das Bild werde ich nie vergessen. Das war für mich fast der emotionalste Erfolg, weil wir über 30 Jahre keine Meisterschaft gewonnen haben. In dem Moment hat man richtig gemerkt, wie die Stadt darauf wirklich hingefiebert hat. Es war schon ein besonderes Gefühl, an dieser Kreuzung mit dem besten Überblick, was auf den Straßen los war und was das den Menschen bedeutet hat. Da muss ich fast schon wieder schlucken, wenn ich daran denke. Da weiß man, warum man das alles gemacht hat.

schwatzgelb.de: Ist das, was Dortmund am meisten auszeichnet, diese Fußballverbundenheit, oder gibt es noch andere Charakterzüge, die Dortmund auszeichnen?

Ricken: Ja, gerade im Vergleich zu anderen Vereinen, sieht man hier, wie man zusammensteht, auch wenn es mal nicht so gut läuft. Wenn es läuft, dann sind die Stadien überall voll, dann wird viel gesungen. Mir hat es immer imponiert, was hier los war, wenn es nicht so gut gelaufen ist. Zum Beispiel, als wir um die Jahrtausendwende in Richtung Abstieg getaumelt sind. Da hätte es in anderen Vereinen Demonstrationen gegeben, da wären die Tribünen frei geblieben. Vielleicht hätte man sich mit dem Rücken zum Spielfeld gestellt und man wäre als Spieler beschimpft worden. Hier war es genau das Gegenteil. Die B1 wurde zugepflastert mit Plakaten, „Ihr schafft das!“ und es wurde auch ein Motto ausgerufen, wir schaffen das zusammen und was weiß ich. In der Stadt, in den Geschäften, wir stehen zusammen, ja, auch die Fans. Nicht irgendwie verstummt. Jetzt erst recht, wir gegen den Rest und wir steigen nicht ab! Das hat uns nach vorne gepushed. In anderen Vereinen wäre das nicht so gewesen. Ein extrem toller Wesenszug, auch jetzt in der vorvergangenen Saison, als wir auf einmal dramatisch abgestürzt sind in der Tabelle, zwischendurch waren wir sogar Letzter. Da hat man enorm die Dankbarkeit der Fans gegenüber der Mannschaft und dem Trainer gespürt, für das, was in den vorherigen Jahren geleistet und erreicht worden war. Das wissen wir alle noch. 2005 waren wir fast pleite, und die Geschichte danach… das glaubt dir ja keiner. In machen Foren und Zeitungen wurde das so beschrieben, als würde alles einfach kritiklos hingenommen - so ungefähr wie in einer Sekte. Ich habe das einfach als tiefe Dankbarkeit für die vorigen Jahre, für die Zeit davor, interpretiert. Die Mannschaft ist bedröppelt nach der nächsten Niederlage wieder zu den Fans gegangen, und dann steht da die komplette Südtribüne und ist am Klatschen und spendet den Jungs so Mut und Zuversicht. Das werden die Spieler auch nicht mehr oft in ihrer Karriere, sofern sie denn mal zu einem anderen Verein wechseln, erleben. Da wird die Leidenschaft, Dankbarkeit, Hingabe eben auch außerhalb des Erfolgsfalls sehr deutlich.

schwatzgelb.de: Nach deiner aktiven Karriere bist du jetzt für die Jugend beim BVB zuständig. Wie sieht denn der typische Arbeitstag von Lars Ricken beim BVB aus? Ist jeder Tag anders?

U19 - Deutscher Meister 2016

Ricken: Den typischen Tag gibt es eigentlich nicht. Das macht den Job ja auch so interessant. Ich kann hier morgens hinkommen und keine To-Do Liste haben, dann kommen Emails und Telefongespräche rein, die Trainer sind hier, der Sozialpädagoge ist hier. Da bist du einfach auch mal Troubleshooter. Morgen bin ich in Tschechien, um mir ein Spiel anzugucken. Dänemark gegen Schweiz, weil da interessante Spieler dabei sind. Ich fliege morgen hin und bin den ganzen Tag unterwegs. Donnerstag haben wir einen ganz interessanten Film namens „Zweikämpfer“, den wir unseren Spielern zeigen. Es geht um arbeitslose Fußballer, die das VDV-Camp begleitet hat. Es muss wohl ein sehr bewegender Film sein, den präsentieren wir mit den Hauptdarstellern zusammen unseren Jugendspielern. Damit ihnen bewusst wird: Es ist hier nicht nur Fußballprofi und Halleluja. Und am Wochenende gibt es natürlich immer viele Spiele zu gucken. Heute Abend fahre ich nach Düsseldorf, da spielt die U17-Nationalmannschaft gegen die Niederlande.

schwatzgelb.de: Kannst du abschätzen, wie viele Spiele du in der Woche oder im Monat gucken kannst, vom BVB und von anderen Mannschaften?

Ricken: Also normal ist es am Wochenende. Samstag spielt meistens die U23, Sonntags 11:00 Uhr häufig ein Jugendspiel, und wenn dann irgendwas unter der Woche ist, so wie heute, dann auch. Aber Scouting findet in erster Linie am Wochenende statt.

schwatzgelb.de: Aktuell sind Christian Pulisic und Felix Passlack zu den Profis berufen worden. Wann war das abzusehen, dass es genau die beiden trifft, die hochgezogen werden und die jetzt die ersten Erfahrungen sammeln konnten?

Ricken: Felix war zum Beispiel – gemeinsam mit Dzenis Burnic – schon 2015 im Winter noch unter Jürgen Klopp mit im Trainingslager. Da gab es ja schon überragende Rückmeldungen. Deshalb war es für uns eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann er den Sprung dann schafft. Nach dem Trainerwechsel konnten sieben, acht, neun Spieler der U19 auch relativ lange bei Thomas Tuchel mittrainieren. Während der Nationalmannschaftspause im ersten halben Jahr waren die Spieler ja auch zehn Tage dabei, und so konnte er unsere talentierten Jugendspieler auch intensiv kennenlernen. Wir haben eigentlich im Sommer damit gerechnet, aber jetzt war eben im Winter die Situation, dass mit Jonas Hofmann und Adnan Januzaj zwei Spieler auf den Positionen gegangen sind, und wenn dann Passlack und Pulisic auf diese Positionen passen, ist das natürlich eine tolle Aussage. Dann hat man gesagt: Jetzt setzen wir auf die Jungs. Und sie kamen ja auch zu ihren Kurzeinsätzen, beziehungsweise sogar zu Startelfeinsätzen. Das ist auch wichtig für die Spieler. Wenn wir sie dahin bringen wollen, dass sie regelmäßig für uns auflaufen, dann müssen sie auch bei den Profis mittrainieren. Dort ist das Trainingsniveau noch einmal ganz anders. Man muss sie nur mal mit Reus, Aubameyang und wie sie alle heißen sehen. Mit denen musst du mittrainieren, dann entwickelst du dich weiter. Wir versuchen natürlich mit dem U19-Bereich nah dran zu kommen, aber es ist ja logisch, dass das da nicht möglich istEs gibt einen ganz engen Austausch mit Thomas Tuchel und dem Trainer der U 19, Benjamin Hoffmann, der da ganz wichtig ist. Für die beiden ist es auch eine perfekte Situation.

schwatzgelb.de: Inwiefern sind noch weitere Spieler der U 19 im normalen Trainingsbetrieb, wenn nicht gerade Abstellungen für Nationalmannschaft sind? Trifft das immer dieselben vier oder fünf Jungs oder wird das durchgemischt?

Ricken: Im regulären Trainingsbetrieb sind es nur Passlack und Pulisic. Aber wenn dann mal einer fehlt oder Länderspielpause ist, dann ist es natürlich auch ein bisschen positionsbedingt. Wenn die Profis einen Innenverteidiger brauchen, rückt schon mal einer der Jungs von unten nach. Wir sind ja auch mit der U19 aktuell Deutscher Meister, die Jahrgänge, die jetzt in der U19 spielen, waren in den beiden Jahren zuvor bei der U 17 Deutscher Meister. Da sind einige Toptalente dabei, die du bedenkenlos zu den Profis schicken kannst. Da siehst du keinen Abbruch. Da kommen wirklich noch spannende Jungs hinterher, auch wenn es sich jetzt auf Passlack und Pulisic konzentriert.

schwatzgelb.de: Wer sind da so die nächsten?

Rickens Tipp: Jacob Bruun Larsen

Ricken: Wir tun uns da ein bisschen schwer, Namen zu nennen, weil wir auch nicht die Rucksäcke vollpacken wollen mit Erwartungen. Aber wenn man zumindest mal die WM in Chile nimmt, die vergangenes Jahr im Oktober stattfand... Da wäre dann noch Janni Serra als Mittelstürmer dabei gewesen, der aber aus schulischen Gründen abgesagt hat. Dzenis Burnic war dabei als zentraler Mittelfeldspieler. Patty Fritsch, Innenverteidiger, der sich leider erst bei der WM und gerade kürzlich in der Youth League erneut das Kreuzband gerissen hat. Und wenn ich mal einen Tipp geben soll: Jacob Bruun Larsen! Der hat im Sommer sogar schon für Dänemark am olympischen Fußballturnier teilgenommen und es bis ins Viertelfinale geschafft.

schwatzgelb.de: Wie sieht deine Zusammenarbeit mit Thomas Tuchel aus? Wie oft sprichst du mit ihm? Oder geht das generell über andere Kanäle?

Ricken: Wir haben keinen festen Termin, aber reden, wenn etwas anliegt. Ganz wichtig ist der Austausch zwischen Benjamin Hoffmann und Thomas Tuchel, weil da, wie gesagt, viele Spieler in Frage kommen. Aber auch wir sprechen uns regelmäßig ab. Auch mit Daniel Farke, dem U23-Trainer. Die Zusammenarbeit mit ihm ist auch ganz wichtig.

schwatzgelb.de: Gibt es Unterschiede zwischen Klopp und Tuchel, gerade im Zusammenhang mit dem Zusammenspiel der Jugend?

Ricken: Nein, beide waren und sind ein Geschenk. Thomas Tuchel insofern, weil er ein Trainer ist, der auch aus dem Jugendbereich kommt. Von daher kann er sich damit voll identifizieren. Aus Dortmunder Sicht leider ist er ja auch schon mal Deutscher Meister geworden mit der Mainzer A-Jugend – nämlich gegen Borussia Dortmund. Das war mein erstes Jahr und es war ein Spiel, das er eigentlich nicht gewinnen konnte. Wir hatten so eine tolle Mannschaft, aus der ist jeder Spieler, glaube ich, mindestens Zweitligaspieler geworden. Oder sogar besser, wie Mario Götze. Aber das hat er gewonnen, mit André Schürrle als Kapitän übrigens, insofern hatte man ihn da schon auf dem Schirm. Er hat in Mainz in diesem Bereich sehr gute Arbeit geleistet. Wie gesagt, er hat Bock darauf, junge Spieler sehr kurzfristig aufzubauen bzw. auch mittelfristig. Kurzfristig mit Julian Weigl, der Junge ist ja der Wahnsinn, und jetzt mittelfristig eben Pulisic und Passlack. Und ich glaube, er freut sich auch auf weitere, die da nachfolgen. Insofern muss sein Hauptaugenmerk natürlich darauf liegen, das nächste Spiel am Wochenende oder unter der Woche zu gewinnen, das ist ganz klar. Für uns als Jugendabteilung oder Nachwuchsabteilung ist das natürlich ein Geschenk. Gerade auch in der Anwerbung von Spielern oder bei Vertragsgesprächen ist das ein Pfund, mit dem wir arbeiten können, wenn du solche Beispiele hast. Da hat es eine Durchlässigkeit gegeben, die nicht nur cool ist, sondern obendrein auch beispielhaft.

"Am Ende geht es darum, wie lebst du das, und wir leben es schon seit Jahren."

schwatzgelb.de: Thomas Tuchel wird nachgesagt, nicht unbedingt ein Fan einer Struktur mit U23 zu sein. Die guten Jungs aus der U 19 überspringen die U 23. Wird die U 23 im Moment so ein bisschen stiefmütterlich behandelt?

Ricken: Das kann ich so nicht bestätigen. Allen ist bewusst, den Spielern, aber natürlich auch den Trainern, dass die Karriere nicht mehr oder weniger vorbei ist, wenn man es nach der U 19 nicht sofort zu den Profis schafft. Und wir reden in unserem Fall ja von Profis, die in der Bundesliga ganz vorne mitspielen und auch in der Champions League. Und wenn wir die U23 nicht gehabt hätten, hätten Jonas Hofmann oder auch Erik Durm nicht mehr für uns gespielt. Wir haben dort in sie richtig viel Zeit investiert. Deshalb ist es für ganz klar kein Thema, die U 23 abzuschaffen. Es haben ja durchaus schon manche Spieler von den Profis dort Spielpraxis gesammelt. Matthias Ginter, Kevin Großkreutz, auch Moritz Leitner, der in der U 23 sogar wirklich viele und gute Spiele gemacht hat. Für solche Spieler, die ein bisschen hinten dran sind, ob aus Leistungsgründen oder nach Verletzungen, ist es eine gute Gelegenheit, Spielpraxis zu bekommen. Ginter ist jetzt fast so etwas wie ein Stammspieler bei den Profis, vielleicht hat dazu auch die U 23 etwas beigetragen. Manche Spieler können sich über die U23 noch super weiterentwickeln. Wenn sie es dann bei Borussia Dortmund nicht schaffen, dann gibt es immer noch einen wunderbaren Plan B. Der FC St. Pauli ist ja inzwischen eine kleine BVB-Filiale. Daniel Ginczek ist auch über die U23 gekommen. Ein fantastischer Stürmer, der Pech hat mit seinen Verletzungen. Sonst ist das ein Nationalspieler mit seinen Qualitäten. Es gibt schon viele Spieler, die über unseren U23-Bereich in den Profibetrieb kommen.

schwatzgelb.de: Wie wichtig ist die Ligazugehörigkeit für die U23?

Ricken: Es gibt ein Für und Wider für die 3. und 4. Liga. Ich bin völlig entspannt bei der 4. Liga. Gerade für Offensivspieler ist es natürlich schon auch vom Auftreten und vom Selbstbewusstsein etwas anderes, wenn man relativ viele Tore in der Regionalliga schießt, als nur ein paar wenige in der 3. Liga. Selbst wenn ein Profi runterkommt in die U23 in der 3. Liga, macht er auch nicht einfach mal so in jedem Spiel drei Tore. Und wenn man mal auf unsere Spielphilosophie blickt: Unsere Profis spielen um Platz 1, bzw. um Platz 1 hinter Platz 1. Wenn darunter eine U23 in der 3. Liga um den Abstieg spielt, passt das nicht in unsere Philosophie. Deshalb, so wie wir spielen wollen, dominant, offensiv, mit vielen Toren und Chancen - das kannst du natürlich in der Regionalliga eher als in der 3. Liga, in der du über jedes 1:1 froh bist.

schwatzgelb.de: Also muss man jetzt nicht mittelfristig aufsteigen?

Ricken: Nein, müssen wir nicht. Aber wir wollen und fast schon müssen in der Regionalliga im oberen Bereich spielen, weil wir Siegermentalitäten entwickeln müssen. In erster Linie entwickelst du die, wenn du den größten Anteil deiner Spiele gewinnst. Das sehen wir ja in den Jugendmannschaften. Das ist was anderes ob die Jungs auf den Platz gehen und können Westdeutscher, vielleicht Deutscher Meister werden, die gehen mit einer ganz andere Einstellung auf den Platz als wenn du an dritter oder vierter Stelle stehst.

schwatzgelb.de: Die U 23 ist ja eher eine U 21, soll das so beibehalten werden?

Ricken: Wir hatten immer schon eine extrem junge Mannschaft. Andere Vereine nennen sich dann U 21, wie zum Beispiel der 1. FC Köln. Da hat dann aber auch ein Kevin Vogt mitgespielt, der ist auch keine 21 mehr. Wir haben das eh immer gemacht, wir hatten auch in der 3. Liga immer die jüngste Mannschaft. Wir werden immer wieder viele Spieler aus der U 19 in die U 23 übernehmen. Welchen Titel du der Mannschaft gibst, ob U 21 oder U 23, ist völlig egal. Am Ende geht es darum, wie lebst du das, und wir leben es schon seit Jahren.

schwatzgelb.de: Du hast eben schon die vielen Erfolge in der Jugend angesprochen, und dass wir jetzt gerade sehr gut positioniert sind. Das war ja nicht immer so, woran liegt das, dass jetzt auf einmal so viele Erfolge gefeiert werden können? Hat da ein Umdenken stattgefunden, hat sich die Arbeit verändert?

Kein Zufall: Erfolg im Jugendfußball

Ricken: Es ist ganz klar kein Zufall, wir haben eben ein paar zentrale Entscheidungen getroffen. Es gibt eine sogenannte Zertifizierung, da sind wir jetzt dreimal zertifiziert worden und haben dreimal eine exzellente Durchlässigkeit in den Profibereich, also in die Bundesliga und 2. Bundesliga, bescheinigt bekommen. Aber ich glaube das zeigt, dass in den letzten Jahren schon immer die Ausbildung funktioniert hat. Es ist aber insbesondere beim mannschaftlichen Erfolg nicht so rübergekommen. Insofern hat da schon ein gewisses Umdenken stattgefunden. Wir haben einige gute Entscheidungen getroffen.

Erste Entscheidung: Wir ziehen keine Spieler mehr hoch. Wir hatten das mal: U 19, ganz ordentliche Mannschaft, aber wir haben die beiden besten Spieler in die U 23 hochgezogen, aber das geht dann natürlich auf Kosten des mannschaftlichen Erfolges. Das ergibt dann einen Rattenschwanz. In der Folge haben wir die beiden Besten der U 17 in die U 19 geholt, dann hat die U17 natürlich auch keinen sportlichen Erfolg. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, keine Spieler mehr hochzuziehen. Die Jungs bleiben in ihren Altersklassen. Wir haben dort eine extrem hohe Trainingsqualität und dort besteht die Möglichkeit, mit der Mannschaft um Platz 1 zu spielen. Dort holst du dir dann die Siegermentalität.

Zweite Entscheidung: Wir haben in Personal investiert. Als ich hier angefangen habe, hatten wir einen ehrenamtlichen Athletiktrainer. Jetzt haben wir für die U 19, U 17 und U 23 hauptamtliche Athletiktrainer. Wir minimieren unsere Ausfallzeiten und kriegen unsere Spieler auch auf ein anderes körperliches Niveau. Ich hab mich mit Arno Michels, dem Co-Trainer von Thomas Tuchel, unterhalten, der es extrem bemerkenswert fand, dass mit Passlack und Pulisic zwei Jugendspieler zu den Profis kommen und null Ausfallzeiten haben, weil sie keine muskulären Probleme haben oder die Belastung nicht vertragen. Das ist auch eine Bestätigung, wie wir inzwischen im Jugendbereich aufgestellt sind.

Dritte Entscheidung: Neubau des Jugendhauses. Wir hatten im Kreuzviertel ein Haus mit zehn Plätzen, damit waren wir im Bundesligaschnitt auf einem Abstiegsplatz. Jetzt haben wir ein neues Haus gebaut für 22 Spieler, direkt am Trainingsgelände. Dadurch können wir unsere Mannschaften vergrößern, wir können praktisch zwölf Spieler zusätzlich holen, die können ins Jugendhaus. Dadurch machen wir unsere Mannschaften natürlich auch stärker – und damit sind wieder beim ersten Punkt, wir erhöhen die Trainingsqualität.

schwatzgelb.de: Inwiefern?

Ricken: Es gibt in Deutschland einfach ein zeitliches Problem im Gegensatz zu anderen Ländern. Die Jungs gehen hier bis zum 18. Lebensjahr bis 15 oder 16 Uhr zur Schule, dann haben wir abends anderthalb Stunden Zeit, und in den anderthalb Stunden wollen wir halt im Training Vollgas. Das Jugendhaus gab uns die Möglichkeit, uns breiter aufzustellen und so die Trainingsqualität zu erhöhen. Wenn man sich heute ein Training anguckt der U 17 oder der U 19, istdas echt ein hohes Niveau. Dort bereiten wir die Jungs echt gut auf den Profifußball vor.

Die vierte Entscheidung war, die U 16 wieder einzuführen. Es kann nicht sein, dass der körperlich schwächste U16-Spieler mit den körperlich stärksten U17-Spielern trainiert. Der eine ist überfordert, der andere ist unterfordert. Deswegen haben wir die U 16 wieder eingeführt.

Das waren die vier wesentlichen Änderungen, die wir vorgenommen haben, und wir ernten jetzt gerade die Früchte dafür.

schwatzgelb.de: Jetzt wird nicht nur der BVB internationaler, sondern auch die Jugendarbeit. Es sind auch Spieler aus dem Ausland für die Jugend geholt worden. Inwiefern ist das wichtig, auch internationale Spieler im Blick zu haben?

Ricken: Eigentlich ist es unsere Idee, Spieler aus Dortmund bzw. der näheren Umgebung Dortmunds auszubilden. Wenn man mal schaut, welche Spieler es geschafft haben, Profi bei Borussia Dortmund zu werden, die aus der Jugend kamen, dann waren das alles Dortmunder oder aus der näheren Umgebung. Man kann mit Michael Zorc anfangen, danach kam ich, später Mario Götze, Nuri Sahin, Kevin Großkreutz, Marco Reus. Und jetzt eben Felix Passlack. Da komme ich dann wieder auf den Punkt soziales Netzwerk, das extrem wichtig ist. Deswegen ist das hier schon auch weiter unsere Idee, aber nichtsdestotrotz, wenn wir wirklich top talentierte ausländische Spieler sehen, haben wir natürlich inzwischen den Mut, auch das zu machen. Und es lohnt sich, siehe Pulisic. Aber auch, weil wir mittlerweile anders aufgestellt sind. Wir haben jetzt auch einen Sozialpädagogen eingestellt und wir haben eine Kooperation mit der Gesamtschule in Brackel. Wenn die Spieler im Jugendhaus wohnen, sind das fünf Minuten mit dem Fahrrad zur Schule. Und wir haben eine sozialpädagogische Beratung, können also die Jungs inzwischen ganz anders auffangen. Wir sorgen dafür, dass sie sich hier auch wohl und angekommen fühlen. Wir sind natürlich ein stückweit auch eine Ersatzfamilie. Bei Christian Pulisic haben wir es gemacht, bei dem aber auch der Vater mitgekommen ist, der ja auch noch hier wohnt. Und bei Jacob Bruun Larsen haben wir es gemacht. Aber sowas machen wir jetzt nicht, weil wir sagen, ok, wir wollen jetzt ein bisschen stärker mit der U 19 oder U 17 werden. Es muss wirklich ein großes Potential da sein.

schwatzgelb.de: Es gibt ja auch verschiedene Partnervereine im Ausland: Johor, Cincinnati, Salt Lake City. Ist das eher so ein Abstecken der Märkte, oder resultiert daraus ein Gewinn für die Jugendausbildung? Sieht man da vielleicht schon den einen oder anderen Spieler, den man demnächst nach Deutschland holen möchte?

Ricken: Das Abstecken der Märkte läuft eher über unsere Marketingabteilung (lacht). Es ist natürlich schön, durch solche Kooperationen im Jugendbereich den Namen Borussia Dortmund in die Welt hinauszutragen. Aber auch da gilt: Nur um bei der Globalisierung mitzumachen, werden wir nicht einfach so einen Spieler aus Südostasien oder den USA nach Dortmund holen.

schwatzgelb.de: Du bist selbst auch Teil dieser Globalisierung, bist regelmäßig für den BVB auf Tour, vor allem in Asien. Wie hast du bislang vor allem die Reisen der Profis wahrgenommen?

Ricken: Zwei Sachen sind total interessant. Erstens: Wie die Spieler das angenommen haben. Es ist wirklich in den Köpfen, dass es dazu gehört, als Fußballprofi Teil eines solchen Vereins zu sein. Dann gehört es eben zur Internationalisierung, auch mal nach Asien zu reisen. Wobei den Jungs das wohl auch insofern gar nicht unrecht war, weil sie davor mal wieder in Kitzbühel waren, wo sie den Platz und alles drumherum schon in- und auswendig kennen. Sie fanden es so vermutlich ganz cool, auch mal was anderes zu sehen. Wir hatten eine Menge Termine, aber die haben das alles sehr professionell durchgezogen. Ich glaube, das wäre bei uns damals nicht so einfach gewesen. Wenn der eine oder andere Spieler auf seinen Mittagsschlaf hätte verzichten müssen, weil er in einem Puma Shop eine Autogrammstunde geben muss... Ich will nicht sagen, dass es da zum Eklat gekommen wäre, aber das wäre deutlich schwieriger geworden (lacht). Deswegen war es echt bemerkenswert, wie professionell die Jungs das angenommen haben. Über 25.000 km geflogen. Auf der anderen Seite: Du fliegst um die halbe Erde, kommst am Flughafen an und alle rasten deinetwegen aus. Die haben Trikots und wollen Autogramme. Kalle und ich waren als Botschafter dabei, uns kannten auch alle und hatten Fotos und Autogrammkarten und Trikots und was weiß ich nicht alles. Das war schon schön zu sehen, dass man selbst in so entfernten Ländern so eine Aufmerksamkeit erzielen kann.

"Man gibt dort Vollgas, Fußball soll bald Volkssport Nr.1 sein."

schwatzgelb.de: Du sagtest, Kalle Riedle und du, ihr wart als BVB Botschafter dabei. Wie sah da eure Rolle aus, was bedeutet das?

Ricken: Wir waren in diverse PR-Aktionen eingebunden und sind häufig auch mit einzelnen Spielern zu Veranstaltungen gegangen, oder waren schon ein bisschen eher vor Ort. Haben also vorab schon die schwarzgelben Farben hingetragen und die Werte transportiert, die für Borussia Dortmund wichtig sind.

schwatzgelb.de: Was war der interessanteste Moment?

Ricken: Interessant wird es vor allem immer dann, wenn wir in Tokio und den anderen großen Städten irgendwie zu den Orten kommen müssen, obwohl wir nur die Adressen genannt bekommen haben. Ich glaube, ich bin ein umgänglicher Typ, und Kalle ist das auch. Wir haben nicht erwartet, dass da am Hotel eine Limousine steht und uns überall hinfährt. Wir sind dann eben in die S-Bahn-Station, haben uns das S-Bahn-Netz angeguckt und es dann auch geschafft, am Ziel anzukommen. Und das sogar pünktlich. Als wir das dann mal raushatten, war das wie in Dortmund in eine S-Bahn einzusteigen. Und es ist schon brutal zu sehen, was in Tokio oder Peking an Verkehr los ist.

BVB gegen Johor
Die Spiele in China gegen Manchester City und Manchester United waren auch speziell, das war natürlich schon noch mal was anderes als gegen Johor und Kawasaki. Auch von der Aufmerksamkeit her. Die englischen Mannschaften haben in China einen unglaublich hohen Stellenwert. Entsprechend stärker war auch für uns der Sog, speziell natürlich durch den Sieg gegen United. Zumal in China ja auch viel passiert. Man gibt dort Vollgas, Fußball soll bald Volkssport Nr.1 sein.


schwatzgelb.de: Werden Jugendspieler gezielt ausgewählt, die mit auf diese Tour fahren um Eindrücke zu sammeln?

Ricken: Erstmal treten wir solche Reisen schon mit den stärksten Teams an, sprich mit den Profis. Aber es kann natürlich sein, dass jüngere Spieler mitkommen, weil jetzt zum Beispiel wegen der Europameisterschaft viele Nationalspieler noch nicht wieder ins Training eingestiegen waren. Aber die Spieler müssen sich das schon verdienen, dass sie bei den Profis mittrainieren oder mitspielen dürfen. Es kommt keiner mit, um das mal so ein bisschen kennenzulernen. Sie müssen hier und jetzt performen und Thomas Tuchel überzeugen. Das geben wir unseren Jugendspielern mit: Wenn ihr da auflauft, dann wollen wir auch eure Stärken sehen. Wenn einer schnell ist und der spielt bei den Profis vor und du siehst in keiner Aktion, dass er schnell ist, dann kriegt der Ansagen von uns. Nach dem Motto: „Warum zeigst du das nicht? Wir erzählen dem Thomas Tuchel wie schnell du bist, und du zeigst das nicht!“ Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich glaube tatsächlich, dass es bei uns im Jugendbereich total familiär zugeht. Die Rückmeldung bekommen wir auch immer wieder. Aber wir wollen auch nicht, dass die Jungs einfach nur mitspielen und nur möglichst keine Fehler machen.

schwatzgelb.de: Stichwort China: Du hast bereits angedeutet, dass der Fokus des BVB auf den chinesischen Markt für die Jugendarbeit an sich keine wirklichen Auswirkungen hat…

Ricken: Das verbieten allein schon die internationalen Regularien. Selbst wenn du einen guten Chinesen findest, bekommst du den nicht für deine U-Mannschaften spielberechtigt. Es gibt da klare Restriktionen, deswegen hat ja Barcelona zum Beispiel eine Transfersperre bekommen. Barcelona hatte in der Mannschaft neun Nicht-EU-Ausländer, bei denen wir uns immer gefragt haben, wie die das machen? Wir haben da keine Chance. Christian Pulisic haben wir nur spielberechtigt gekriegt, weil der einen kroatischen Pass hat. Der spanische Fußballverband hat das halt mitgemacht.

schwatzgelb.de: Junior Flores hat man ja auch erst geholt und der war dann nicht spielberechtigt…

Ricken: Der war ja erst spielberechtigt als er 18 war.

schwatzgelb.de: Ist das was, was man weiterhin so angehen möchte? Wir holen den erstmal, damit er mittrainieren kann?

Ricken: Eine Zeit lang geht das. Das hatten wir bei Christian auch, aber das hätten wir jetzt nicht hingekriegt, da er ja erst im September 18 geworden ist. Wenn wir hätten warten müssen bis zu seinem Geburtstag, wäre das eine Katastrophe geworden. Dann hätten wir es auch nicht machen können. Er hat stattdessen den kroatischen Pass bekommen, und so haben wir es dann hinbekommen. Du hast dann ja auch noch Freundschaftsspiele, und gerade die Amerikaner haben mit ihren U-Nationalteams auch viele Länderspiele, aber länger als ein halbes Jahr kannst du das nicht machen.

schwatzgelb.de: Vielen Dank für das Interview.

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