Class of 66 und Erinnerungen an Onkel Gustav
Wer – ich hoffe, es sind nur wenige - mit den „Helden von 66“ nicht auf Anhieb etwas anfangen kann, hier die Erklärung: Die Helden von 66 waren bzw. sind die Mitglieder derjenigen BVB-Mannschaft, die 1966 den ersten Europapokal-Sieg nach Deutschland holte. Und diesen, damaligen „Europapokal der Pokalsieger“ gewann der BVB als krasser Außenseiter gegen den FC Liverpool, der im damaligen Endspiel am 05. Mai 1966 in Glasgow der haushohe Favorit war.
Dieser Triumph ist fast bis auf den Tag genau 50 Jahre her und mit Sicherheit ist es zu weit hergeholt, wenn man dabei den Gedanken hat, dass der FC Liverpool vor einigen Wochen mit dem Sieg im Europa League Spiel so etwas wie späte Rache für die damalige Niederlage ausübte. Trotzdem - so ganz verdrängen lässt sich der Gedanke nun mal nicht.
Die Gäste, die Gregor Schnittker zu diesem Abend eingeladen hatte, konnten sich sehen lassen. Es waren die Fußballidole meiner Jugend, oder besser gesagt meiner Kindheit. Denn im Alter von 10 Jahren verfolgte ich das Europapokal-Endspiel, das live aus Glasgow übertragen wurde, bettfertig im Bademantel am heimischen Schwarzweiß-Fernseher. Und meine Helden von damals, die ich vor fünfzig Jahren vor dem Fernseher angefeuert hatte, saßen jetzt in der Roten Erde an einem langen Tisch in der Stadiongaststätte: Siggi Held, Theo Redder, Aki Schmidt, Hans Tilkowski, Hoppy Kurrat und Wolfgang Paul. Auch die nicht beim Endspiel im Kader stehenden Lothar Geissler, Hermann Straschitz, Jürgen Weber und Udo Ockmann waren gekommen. Und während Gregor Schnittker die Veranstaltung moderierte und über die Arbeiten zu seinem Buch berichtete, plauderten die Helden von damals mit jeder Menge Humor und Schlagfertigkeit aus dem schwarzgelben Nähkästchen. Zwischendurch aufgelockert durch Fernsehberichte aus 1966 von den Siegesfeiern am Borsigplatz oder vom Training der Borussen unter Willi „Fischken“ Multhaup. Im Film über das Training der Borussen waren dann auch diejenigen Helden von 66 zu sehen, die leider zwischenzeitlich verstorben sind. Nämlich Lothar Emmerich, Reinhard Libuda, Gerd Cyliax und Willi Sturm.
Als mich mein Sitznachbar fragte, ob ich denn die am Tisch sitzenden BVB-Spieler alle kennen würde, war ich über mich selbst überrascht. Von links nach rechts konnte ich die in Ehren ergrauten BVB-Spieler fehlerfrei benennen. Zumindest die, die beim Endspiel in Glasgow auf dem Rasen standen. Denn der Europapokalsieg des BVB aus 1966 war für mich der Grundstein geworden, für alle Zeiten BVB-Fan zu werden. Ich darf aber zweifelsfrei einräumen, dass auch eine eventuelle Niederlage im Finale nichts an meiner Leidenschaft für den BVB verändert hätte. Eigentlicher Auslöser für die Liebe zum Fußball und zum BVB war ein Länderspiel in 1965, nämlich ein Qualifikationsspiel zur WM in England, das Deutschland in Stockholm mit 2:1 gewann und sich damit für die Endrunde qualifizieren konnte. Uwe Seeler, Willi Schulz, Franz Beckenbauer oder Karl-Heinz Schnellinger waren die Stars und im Tor stand ein Borusse, nämlich Hans Tilkowski. Mit dem Beginn der Bundesligasaison 1965/66 und den Europapokalspielen der Borussia gab es dann für mich definitiv nur noch einen Fußballverein – und der hieß und heißt bis heute Borussia Dortmund. Auch das eigene Zimmer wurde entsprechend schwarzgelb dekoriert und das Sammeln und Tauschen von Fußballbildern, speziell die von den Helden in schwarz-gelb, wurde quasi zum Pflichtfach.
Natürlich habe ich dann auch das Endspiel in Glasgow live im Fernsehen gesehen. Selbst meine an sich nicht sehr fußballbegeisterten Eltern gingen voll mit. Und am Schluss war dann das Unfassbare geschehen: der BVB hatte den Europapokal gewonnen! Meine am Borsigplatz lebende Tante rief an und sagte „hier ist die Hölle los, das könnt Ihr Euch in Dortmund-Mengede gar nicht vorstellen!“ Die Tore von Held und Libuda wurden dann noch wochenlang auf dem Schul- oder dem heimatlichen Garagenhof nachgestellt. Spieler wurden über Nacht für immer zu Helden und einige dieser Helden 50 Jahre später wieder zu sehen und ihnen zuzuhören, wenn sie von 1966 erzählen, erzeugt auch heute noch Gänsehaut. So wie damals bei einem 10-jährigen im Bademantel.
Wer seine Erinnerungen an 1966 etwas auffrischen möchte oder einfach mehr darüber erfahren möchte, weil er erst in späteren Jahren als Borusse geboren wurde, dem sei das neue Buch von Gregor Schnittker „Die Helden von 66“ mehr als wärmstens empfohlen. schwatzgelb.de wird hier in Kürze noch eine ausführliche Buchbesprechung veröffentlichen.