Heimreise mit Schönheitsfehlern
Christoph Biermann hat sich für sein Buch „Wenn wir vom Fußball träumen“ viel vorgenommen: Er will nicht weniger als erklären, warum Fußball überall groß und bedeutend geworden ist, aber gerade das Ruhrgebiet als das Herzland des Fußballs gilt. Der in Krefeld geborene Autor begibt sich auf eine Heimreise und besucht die magischen Orte seiner Kindheit.
Doch warum kommt Biermann, seines Zeichens Chefredakteuer des Magazins "11-Freunde" und seit vielen Jahren wohnhaft in Berlin, überhaupt nach Hause? Der Grund ist kein fröhlicher: Sein Vater ist verstorben. Auf sehr persönliche Weise erzählt der Autor, wie er nach der Beerdigung seines Vaters ins leere Stadion von Westfalia Herne am Schloss Strünkede gefahren ist - der Ort, an dem er mit seinem Vater sein erstes Fußballspiel und viele weitere gesehen hat. Dort, an diesem für ihn magischen Ort, stellt sich für Biermann die Frage, der er fortan in seinem Buch nachgehen wird: "Wir können die Welt im Fußball wiederfinden, und im Ruhrgebiet kann man das so gut wie an keinem anderen Ort in Deutschland. Fußball ist überall groß und überall bedeutsam geworden, aber nicht so groß und bedeutsam wie hier. Aber warum ist das so?"
Lustige Anekdoten und viele viele Gesprächspartner
Während seiner Reise durch den Pott beschäftigt Biermann sich nicht
nur mit den "großen" Vereinen, wie Borussia Dortmund oder Gelsenkirchen.
RWE, MSV Duisburg, Westfalia Herne, SV Sodingen, SG Wattenscheid 09 -
es scheint keinen Ruhrpottverein zu geben, über den der Autor nicht
etwas zu erzählen weiß. Besonders erfrischend sind die teils lustigen
Anekdoten, wenn Biermann beispielsweise erzählt, wie er mit seinem
ersten eigenen Wagen seinen VfL Bochum zum Auswärtsspiel bei Uerdingen
begleitet und dort, bei dem Versuch, den vollgestopften Parkplatz
"offroad" zu verlassen, sein Auspuff abbricht und während der Heimfahrt
ganze Straßenzüge aufweckt. Oder die Geschichte um Joachim Hopp. Der war
Ende der 80er-Jahre Profi beim MSV Duisburg und malochte gleichzeitig
noch in der Zeche. "Er musste Urlaub nehmen, um ins Trainingslager
fahren zu können." Unvorstellbar auch, wenn Biermann berichtet, dass man
die Spieler längst vergangener Zeiten oft in der Kneipe um die Ecke
antreffen und ihnen beim Pilschen ins Gesicht sagen konnte, wie scheiße
oder gut sie gespielt
hatten. Das sind Geschichten für Fußballromantiker.
Durch seine hervorragenden Beziehungen schaffte es Christoph
Biermann, so manchen Promi in seinem Buch zu Wort kommen zu lassen. So
sprach er beispielsweise mit den Nachwuchshoffnungen Leon Goretzka und
Julian Draxler über das Geschäft des Fußballs und die
Nachwuchsleistungszentren. Wenn Leon Goretzka über den Karriereplan
spricht, den er (und seine Berater) bereits seit der Jugend verfolgen
wird allerdings auch dem letzten Leser klar, mit der
Kohlenpott-Romantik
von einst, hat der Fußball von heute nichts mehr zu tun. "Es gibt
Berater, die jeden Tag anrufen und fragen, wie das Training war. Das ist
nicht das was ich brauche. Mein Berater kümmert sich vor allem un die
Verträge." Hajo Sommers, Vereinspräsidenten vom RW Oberhausen, Jürgen
Klopp, Peter Peters, Journalisten, Professoren, Schauspieler, Comedians -
Biermann hat viele, sehr viele Gespächspartner...
Umso erschreckender ist es aber, dass Biermann, es sei noch einmal
gesagt: Chefredakteuer bei 11 Freunde, gleich zwei Fehler unterlaufen.
Zum einen macht
er unsere Borussia aus Dortmund gleich auf zwei
Seiten zum Meister des Jahres 1992. Dabei holte Stuttgart in diesem Jahr
den Titel. Zum anderen erkennt er uns den DFB-Pokal-Sieg 2012 ab und
lässt die Gelsenkirchener den Pott holen. Ausgerechnet! ("Als die
Schalker Mannschaft 2012 vom Pokalsieg 2012 nach Hause fuhr, wurde der
Zug an Dortmund vorbeigeleitet, weil BVB-Fans ihn angeblich mit Steinen
bewerfen wollten.") Für jemanden, der sich im Laufe des Buches so sehr
mit
seinen journalistischen Tätigkeiten rund um den Fußball rühmt, sind das
grobe Schnitze. Manch einer mag großzügig darüber hinweg lesen, für
mich ein No Go.
Ein Gefühl, das sich nicht beschreiben läst
gerade hier einer der Schwachpunkte: Biermann versucht zu viel. In vielen Kapiteln wechselt er nach wenigen Absätzen das Thema, kommt von Hölzchen auf Stöckschen und lässt so viele Leute zu Wort kommen, dass einem vor lauter Namen der Kopf schwirrt. Er versucht, gleich mehrere Geschichten unterzubringen, was viele Kapitel nett, aber oberflächlich wirken lässt und vor allem eines ist: anstrengend. Den roten Faden sucht man beim Lesen leider vergebens.
Ich kann mir vorstellen, was Biermann versucht hat. Er wollte das Gefühl beschreiben, das uns Fans jedes Wochenende ins Stadion zieht. Das Gefühl von Siegen und Niederlagen. Das Gefühl, dass im Ruhrgebiet vielleicht (!) noch stärker ausgeprägt ist, als in anderen Teilen Deutschlands. Aber wie es nun mal mit Gefühlen ist, sie lassen sich nur schlecht beschrieben. Wahrscheinlich hat das jeder Fußballfan schon einmal erlebt. Ich kann es von mir behaupten: Werde ich gefragt, warum ich meine Freizeit einem Verein opfere und warum ich leuchtende Augen kriege, wenn ich in Erinnerungen schwelge, fehlen mir oft die Worte. Ich kann die Gefühle nicht in Worte fassen. Und so geht es mir auch mit „Wenn wir vom Fußball Träumen“: Der Autor will etwas beschreiben, was sich nicht in Worte fassen lässt.