Solidarität und Verantwortung
Zum Ende der Winterpause beleuchten wir die Geschehnisse auf der Tribüne im letzten Jahr. Unser Fazit: 2013 war ein verlorenes Jahr im Kampf um Fanrechte. Nicht nur, aber vor allem dank der letzten Derbys.
Sportlich ist das Jahr 2013 längst abgearbeitet – aber für uns als Fanzine steht neben dem Geschehen auf dem Platz natürlich auch besonders die Tribüne im Fokus. Und gerade für die jetzt abgelaufene Hinrunde kommen wir nicht umhin festzustellen, dass dort alles andere als Champions League geboten wurde. Zwar gab es wieder beeindruckende Choreos und Stimmungshighlights wie gegen Málaga, aber daneben sind Dinge passiert, die nicht einfach mit einem „Weiter so wie gehabt!“ abgehakt werden können und eine Aufarbeitung verlangen. Das bezieht sich nicht nur auf uns Dortmunder, ganz generell wird 2013 wohl vor allem als ein Jahr der verpassten Chancen im Kampf für Fanrechte in Erinnerung bleiben. Aber mit dem Auswärtsspiel in Gelsenkirchen, dessen Konsequenzen noch gar nicht alle abzusehen sind, sind wir vorn dabei, was den Gipfel der Doofheit angeht.
An dieser Stelle erneut auf die Details einzugehen ist sicher nicht nötig, die Bilder von schwarzen Sturmhauben und verschossenem bzw. geworfenem Pyromaterial sind noch präsent. Aber was ist mit den Konsequenzen? In einem ersten Schritt wurden den Mitgliedern der Dortmunder Ultragruppen von Vereinsseite die Auswärtsdauerkarten entzogen und im weiteren Verlauf, wie erst kürzlich bekannt wurde, 31 bundesweite Stadionverbote erteilt. Darüber hinaus erhielten ca. 500 Fans vom Verein Schalke 04 ein Betretungsverbot für dessen Vereinsgelände. Die Personalien dieser letzten Personen wurden durch die Polizei aufgenommen, nachdem bei der Anreise in Essen-West ein Zug per Notbremse gestoppt und danach das Gleisbett betreten wurde. (Dass diese Daten dann an den gastgebenden Verein übermittelt wurden, ist aus datenschutzrechtlicher Sicht mindestens heikel.)
Ansonsten ist aber noch vieles in der Schwebe: Zum einen steht weiterhin die Festlegung der Strafe durch den DFB bzw. die DFL für den BVB im Raum. Da wir Dortmunder nicht zum ersten Mal durch Pyroaktionen aufgefallen sind, darf man durchaus besorgt darauf warten, welches Mittel aus dem Strafenkatalog gewählt wird. Eine saftige Geldstrafe ist sicher, aber auch eine Reduzierung des Gästekontingents für zumindest eine Zahl von Auswärtsspielen ist nicht auszuschließen, wie auch die Überlegungen zur Beschränkung von Tickets für Schalker Fans beim Derby im März zeigen. Ironischerweise eine jener Sanktionen also, gegen die vor kaum mehr als einem Jahr im Rahmen der 12:12-Kampagne noch vehement gekämpft wurde. Nicht nur deshalb war das Derby ein gewaltiger Arschtritt für alle, die damals 12 Minuten und 12 Sekunden gegen Hysterie und Populismus angeschwiegen haben.
Neben der noch ausstehenden Strafe durch die Sportgerichtsbarkeit warten wir zudem auf einen Vorschlag, wie sich eigentlich die Dortmunder Ultraszene die Zukunft so vorstellt. Gerade weil sich die Gruppen ihre Führungsrolle auf der Tribüne bewusst und hart erarbeitet haben, irritiert umso mehr, dass sie nicht vollends bereit scheinen, die damit verbundene Verantwortung auch zu übernehmen. Der Schlingerkurs zwischen dem beschworenen Gemeinschaftsgefühl als Südtribüne und der Abschottung der eigenen Gruppe(n) gegenüber dem Rest der Süd verwirrt und beunruhigt zugleich.
Dabei muss man gar nicht erst mit dem Derby beginnen, schon seit dem ersten Heimspiel der laufenden Saison gegen Eintracht Braunschweig ist dieses Verhalten zu beobachten. Im Vorfeld des Spiels wollte die Dortmunder Polizei offenbar auf ihre ganz eigene Art und Weise den „intensiven Dialog“ beginnen und lud die Desperados zur freundlichen Gruppenüberprüfung auf Pyrotechnik und ACAB-Banner ein. Auch die beiden anderen Gruppen, The Unity und JUBOS, sollten kontrolliert werden, brachten ihr Material aber lieber zurück in ihre Räumlichkeiten – und verzichteten als Protest auf den organisierten Support. Die Reaktion hierauf war gespalten. Für die einen nachvollziehbar, weil derartige Aktionen natürlich den Spaß am Stadionbesuch massiv verhageln, für die anderen unverständlich, da die Unterstützung unserer Borussia Gruppendünkel und Ultraideal untergeordnet wird. Immerhin erklärten sich die drei Gruppen später in einer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber all den Fans, die sich während des Spiel wegen der ausbleibenden Koordination irritiert zeigten.
Wie man sich allerdings gleichzeitig von solchen Kontrollen tief getroffen zeigen und nur wenige Zeit später eine martialische und gefährliche Pyroshow im Gelsenkirchener Plexiglasverschlag abziehen kann, bleibt ein meisterhafter Hirnspagat. Hier wurde nicht nur mit der Gesundheit von Unbeteiligten gespielt, es wurde zugleich auch vielen Leuten vor den Kopf gestoßen, die sich nicht nur während des Spiels für Borussia engagieren, sondern sich auch abseits des Platzes für Solidarität und Fanrechte einsetzen. Und nicht zuletzt vielen Leuten, die den Ultragruppen vertrauen und daran glauben, dass Sie ihre Energie zugunsten der Sache Borussia Dortmund verwenden.
Gerade was den Solidaritätsgedanken angeht, kann es nicht schaden, sich noch einmal an die 12:12-Kampagne zu erinnern, als in allen Stadien im Kampf gegen das Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ geschwiegen wurde. Ein Konzept wohlgemerkt, das fast ausschließlich eine Reaktion auf frühere Aktionen diverser Ultragruppen darstellte. Diese Kampagne wurde von Ultras ins Leben gerufen und mit überwältigender Solidarität im Stadion umgesetzt. Niemand, wirklich niemand möchte, dass die dort aufgeführten Instrumentarien zum Einsatz kommen, weil sie einen Stadionbesuch nur scheinbar sicherer, aber definitiv trister werden lassen würden. Das Derby hat viele Argumente im Kampf gegen Intensivkontrollen und härtere Strafen genommen. Wozu also solidarischer Protest, wenn man später vieles mit dem eigenen Hintern wieder einreißt, was man mühsam miteinander aufgebaut hat?
Liebe Gruppen, ihr habt bei diesem Spiel viel mehr als Auswärtsdauerkarten verloren. Ihr habt Vertrauen verspielt. Ihr habt riskiert, dass zukünftig Solidarität dann fehlt, oder nur in abgeschwächter Form gezeigt wird, wenn es wichtig und notwendig ist. Und alles nur für einen ultraamtlichen Derbyauftritt. War es das wert?
In der Folge zogt ihr euch dann noch in eure Wagenburg zurück. Vielleicht verständlich, aber sicherlich nicht zweckdienlich. Informationen, wie ihr euch angesichts der fehlenden ADKs bei den folgenden Auswärtsspielen verhalten würdet: Fehlanzeige. Genau so eine Informationspolitik gehört aber zur Verantwortung, die man gleichzeitig mit der Führungsrolle übernimmt, übernehmen muss. Es reicht auch nicht, lapidar zu erklären, dass ihr erst einmal intern klären müsst, wie ihr mit der Situation umgehen sollt – im Falle des Heimspiels gegen Braunschweig konntet ihr schließlich auch sehr schnell auf die Situation reagieren und für euch beschließen, auf den Support zu verzichten. Wie viel länger mag dann der Entschluss „Alle oder keiner!“ als Konsequenz auf den Entzug der Auswärtsdauerkarten gedauert haben?
So konnte man dann in den folgenden Auswärtsspielen orientierungslose, uninformierte und gesanglich ziemlich schwache Auftritte des Dortmunder Anhangs bewundern. Lobenswert sei in diesem Kontext erwähnt, dass in Mainz ein Pseudovorsänger in Thor-Steinar-Klamotten durch sich im Stadion befindliche Ultras vom verwaisten Podest geholt wurde. (Ob geplant oder nicht, das zeigt deutlich die Gefahr, die davon ausgeht, wenn die Gruppen ein Machtvakuum entstehen lassen.)
Wie auch immer: Die Aktion in Gelsenkirchen war über, der Umgang nach Außen im Nachgang mit deutlichen Verbesserungspotential. Es wäre wünschenswert, wenn ihr auch innerhalb der Gruppen innehaltet und die Vorgänge reflektiert aufarbeitet. Nicht nur nach dem Gesichtspunkt, was die Folgen für euch als Gruppen bedeuten, sondern auch wie wieder man am Binnenverhältnis auf der Tribüne arbeitet. Bisher haben wir nicht den Eindruck, dass ihr euch der Führungsrolle wirklich bewusst seid, die ihr auf der Tribüne innehabt. Ein lapidares „Ihr findet uns am Büdchen!“ reicht bei weitem nicht, im Gegenteil: Wichtig wären offene Gesprächsrunden und der Versuch, wieder weit über die Gruppen hinaus ein Identifikationsgefühl als Fanszene entstehen zu lassen!
Zum Abschluss trotz allem ein paar versöhnliche Worte. Über weite Strecken mag der Text wie eine Generalabrechnung mit „den Ultras“ wirken, die er aber mitnichten sein soll. Reaktionen nach dem Entzug der ADKs à la „Früher war es ohne Ultras eh besser!“ waren nicht nur über, sie waren dumm. In Wahrheit wäre es ohne Ultras heute vermutlich schlimmer. Abseits aller Diskussionen über vermeintlich falsche Gesänge, das ewige Fahnengeschwenke und eine mitunter ungute Nähe zur Gewalt haben die Ultragruppen in Deutschland die Rolle eines wichtigen Korrektivs übernommen. So mag zum Beispiel mancher eventuell die Einstellung zur Kommerzialisierung für etwas antiquiert halten – aber vielleicht hat genau diese lautstarke Antihaltung so manche Träume eines Bundesligamachers von englischen Verhältnissen zerstört. Ganz sicher aber ist, dass wohl nur die wenigsten Faninitiativen ohne die Unterstützung und aktive Mitarbeit der Ultraguppen in ihrer heutigen Form existieren würden. Sie engagieren sich im hohen Maßen für Fanbelange und werden nicht müde, ihre Meinung immer wieder lautstark zu bekunden. Und natürlich haben die Ultras den Tribünen vor Jahren neue Elemente gebracht, von denen manche dem normalen Tribünengänger immer noch fremd sind und von denen andere klar abzulehnen sind (aber auch das gehört zu einer Kultur, die von jungen Leuten gelebt wird) – nur sind viele davon bereichernd und wichtig für den Fußball in seiner Gesamtheit.
Darauf sollten sich auch in Dortmund wieder alle besinnen. Im Rahmen von „Kein Zwanni“ erfahren wir zum Beispiel immer wieder, dass die Verzahnung von Ultras, Fanclubs und Einzelfans bei uns eigentlich außergewöhnlich gut ist. Von gemeinsamen Boykottaktionen träumen andere Vereine. Bei allen Unterschieden, die mit Sicherheit auch bestehen bleiben sollen, wäre es gut und wichtig, wenn das Wir wieder stärker in Vordergrund rücken würde. Und zwar nicht nur im Umgang und der Kommunikation miteinander, sondern auch während des Spiels. Die Südtribüne ist nicht wegen ihrer schieren Größe berühmt, sondern weil sie laut und energiegeladen ist. Zuletzt war auch davon zu oft zu wenig zu spüren. Klar, das gibt es auch sportliche Gründe, eine gewisse Sättigung lässt sich einfach nicht wegdiskutieren, aber zu viel Kraft wurde auch schlicht unsinnig vergeudet. Sich in Zukunft wieder mehr darauf zu konzentrieren, diese Energie zum Wohle des Vereins zu investieren und zu einem gemeinsamen Dortmunder Weg zurückzufinden, wäre vielleicht nicht das Schlechteste.