Schiffe versenken
Natürlich, es war nicht mehr das buntgeschmückte, hochdekorierte Werder-Kriegsschiff von früher, das dem BVB gestern im Weserstadion gegenüberstand, sondern ein angeschlagener, verrotteter Fischkutter, aber versenkt haben wir ihn und das klar und deutlich.
Es ist bei Werder nicht mehr viel so wie früher. Nicht nur Mannschaft, Trainer und Ergebnisse haben sich verändert, auch das Stadion ist, zumindest von innen, kaum widerzuerkennen. Ist es von außen nach dem Umbau optisch noch durchaus eine Verbesserung und der Innenbereich angenehm windgeschützt und mit neuen Cateringoptionen versehen, so ist der Gästeblock eine sehr unwirtliche Sache. Die Sicht ist durch das Dach, die Anzeigetafel und den Standort auf dem Oberrang schon ziemlich eingeschränkt.
Und wäre das nicht schon unfreundlich genug, wird der klaustrophobische Gästefan auch noch von Mauern und Gittern eingezäunt und von den Klappsitzen eingeengt. Eine bestenfalls unangenehme Situation, die dann auch noch verstärkt wird durch das Verbot, Essen und Trinken mit auf die Tribüne zu nehmen. Und da hat man sich bei den Sicherheitskräften wohl gedacht, dass man dann mit dem Einsperren auch einfach mal vorher anfangen kann. Im Entlastungszug hatte sich die Polizei bereits Freunde gemacht, als einem von ihnen das Pfefferspray los ging, dazu war die Zugstrecke von Münster nach Osnabrück wegen eines Suizids gesperrt und die Fans nur über Umwege nach Bremen gekommen, wo sie am Hauptbahnhof zuerst mal eingekesselt wurden. Immerhin durfte man sich über Musik und Dixieklos freuen, was dem Fußballfan zumindest noch ein bisschen das Gefühl gibt, dass man vielleicht von der Außenwelt doch noch als eine Art Mensch wahrgenommen wird. Mit Blaulicht wurden die Fans dann zum Stadion gekarrt. Für die Busreisenden ging es auch erst mal in einen Käfig und genauso, wie die Zugreisenden, wurden auch diese dann einfach raus gelassen, um sich friedlich mit den Bremern vor dem Stadion zu vermischen. Wo dabei der tiefere Sinn der Sache war, dürfte wohl nur der Sicherheitsverantwortliche von Werder Bremen und die zuständige Polizeidirektion wissen. Bestenfalls. Und der Sicherheitsverantwortliche von Werder Bremen dürfte dann bei Gelegenheit auch noch erklären, wo die Sicherheit im Gästeblock bei den ganzen Gittern und dem unglaublich engen Aufgang genau ist. Gefühlt hat man sie jedenfalls nicht und es beschlich einen das Gefühl, dass da noch irgendwann was passieren wird.
Gestern ging jedenfalls alles gut, das war schon mal ein guter Anfang. Wir machten es uns also so gemütlich wie es eben ging und harrten der Dinge, die da kommen würden. Es gab ja schon Zeiten, in denen man die Punkte auch durchaus mit der Post nach Bremen schicken konnte, um sich zumindest die Anreise zu ersparen, andererseits hat man in der Ära Klopp eigentlich durchwegs positive Erlebnisse aus Bremen mitnehmen können, wenn man von dem Spiel 2011 absieht, wo Subotic und Großkreutz aufgrund von „Magenbeschwerden“ nach der Meisterfeier die Teilnahme absagen mussten. Letztes Jahr konnten wir sogar mit 5:0 gewinnen. Doch so richtig an einen hohen Sieg glauben konnte trotz der Statistik und der unglaublichen Schwächephase von Werder vor dem Spiel wohl kaum einer. Zu unüberzeugend waren unsere eigenen Auftritte zuletzt gewesen und der erneute Ausfall von Hummels hob die Hoffnungen auch nicht.
Kurz vor dem Spiel dann die erste Überraschung: Friedrich würde Hummels ersetzen. Skeptische Blicke und ängstliche Fragen „Ist Werder wirklich schlecht genug, um Friedrich spielen zu lassen?“ Aber Klopp vertraute darauf, darauf mussten wir vertrauen. Ansonsten war die Mannschaftsaufstellung äußerst unspektakulär.
Bender rückte für Kehl ins Mittelfeld, Piszczek spielte für Großkreutz und das wars. Nachdem die Ultras noch kurzerhand den Sitzplatzbereich vor dem Stehplatzbereich ohne großen Widerstand gestürmt (oder aufgrund dessen Leere eher „gestromt“) und für sich in Anspruch genommen hatten, konnte das Spiel beginnen. Die Stimmung im Gästeblock war von Beginn an sehr gut, das „Heja BVB“ zum Anpfiff gab den Vorgeschmack zu dem, was das ganze Spiel über, teilweise auch durch den Spielverlauf begünstigt, abging. Die Mannschaft ging das ganze eher etwas vorsichtiger an. Zwar hatte man – und das ist nach den letzten Spielen auch durchaus bemerkenswert – von Beginn an das Heft fest in der Hand, Aktionen nach vorne waren aber erst mal noch Mangelware. Die Borussia war von Anfang an auch die gefährlichere Mannschaft, doch erst in der 25. Minute gelang der erste richtig gute Angriff. Ein gutes Pressing von Schmelzer führte zum Ballbesitz am gegnerischen Sechzehner, der Außenverteidiger passte auf Lewandowski und der sagte J9 und versenkte das erste Schiff des Tages. 1:0 - sein erster Treffer in der Rückrunde und der Kloppsche Dosenöffner in diesem Spiel.
Werder war dadurch noch etwas verunsicherter als sie ohnehin schon waren und die Borussia holte sich von Minute zu Minute mehr Selbstvertrauen. Mkhitaryan vergab nach gut 35 Minuten aus spitzem Winkel nach einem wunderschönen Angriff über Reus und Aubameyang. Doch nur wenig später machte er es besser. Ein Angriff, den er selbst eingeleitet hatte, hätte er eigentlich sofort abschließen müssen, doch er verzögerte, ließ sich weit raus drängen und schoss dann trotzdem unhaltbar ins Eck. E5, das nächste Schiff versenkt. Eine völlig verdiente 2:0-Führung zur Pause, hinten kaum was zugelassen, das Spiel lief bis dahin ganz nach dem Geschmack der Borussen. Und auch nach der Pause änderte sich wenig am gewohnten Bild. Nur zwei Minuten waren gespielt, als Reus den gefühlt 20. Eckball in die Mitte brachte, wo der Ball bis zu Friedrich am zweiten Pfosten durch rutschte und der vermeintliche Schwachpunkt der Abwehr zum 3:0 einschob. Damit war auch das Schlachtschiff versenkt. Spätestens jetzt war das letzte bisschen Unsicherheit beim BVB verschwunden. Lewandowski nach einem super Angriff im Zusammenspiel mit Reus knapp drüber, dann Piszczek mit einem 30-Meter-Hammer an die Querlatte und dann das Tor des Tages. Balleroberung Aubameyang, Mkhitaryan auf Reus, ein Sprint in den Strafraum, die Hacke rüber zu Mkhitaryan und der mit einem schönen Schlenzer am Torwart vorbei.
Das nächste Werder-Schiff war getroffen. Spätestens jetzt war sie wieder da, die alte Borussia. Und auch der Gästeblock lief zur Hochform auf. Der BVB-Walzer, „Ballspielverein Borussia aus Dortmund“, „Kumbayah“ und zu guter Letzt noch ein „Supergirl“ das sich hören lassen konnte. Es war ein Festtag in schwarz-gelb und Lewandowski sagte sich, dass an einem schwarz-gelben Festtag ein 04 schlicht unakzeptabel ist und tat alles für sein zweites Tor. Wurde sein schöner Schuss in der 80. Minute vom Torhüter noch zur 125. Ecke geklärt, konnte kurz später auch der beste Bremer nichts mehr ausrichten. Nach einem schönen Pass von Hofmann war Lewandowski ganz alleine auf und davon, spielte erst den Torhüter aus und schob am Ende die Kugel dem zurückgeeilten Prödl noch ganz cool durch die Beine. J2, letzter Treffer.
0:5 leuchtete an der Anzeigetafel und fast hätte der eingewechselte Kehl noch einen Kopfball versenkt nach Flanke von Reus, doch der Bremer Keeper konnte das gerade noch verhindern. Auf der anderen Seite spitzelte kurz vor Ende Friedrich den Ball dem Bremer vor die Füße, dass ein kleiner Schönheitsfehler in Form eines Gegentores blieb. Das war aber auch wirklich alles, was man an dem Tag bemängeln konnte aus Sicht der Borussia. Schiffe versenken in Reinkultur. Natürlich, es war nicht mehr das buntgeschmückte, hochdekorierte Werder-Kriegsschiff von früher, das dem BVB gestern im Weserstadion gegenüberstand, sondern ein angeschlagener, verrotteter Fischkutter, aber versenkt haben wir ihn und das klar und deutlich.
Das Spiel macht durchaus Hoffnung, weil man das Gefühl hatte, dass zwischen der Borussia der letzten zwei Monate und der Borussia wie wir sie lieben gelernt haben, vor allem ein starkes Selbstvertrauen steht. Und das konnte gestern auf jeden Fall aufpoliert werden. Dazu sieht das Duo Sahin-Bender im Mittelfeld einfach viel stabiler aus, als das Duo Sahin-Kehl.
Wenn dazu in Kürze die Innenverteidigung mit Hummels wieder für einen längeren Zeitraum stabilisiert werden kann, dann spricht längerfristig nichts dagegen, dass dies tatsächlich die Rückkehr der alten Borussia war, auch wenn die Nachricht, dass sich Bender (1 Woche Pause) und Reus (2 Wochen) leichte Muskelverletzungen zugezogen haben einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.
Die Fotostrecke zum BVB-Auswärtssieg im Bremer Weserstadion findet Ihr wie immer auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Statistiken
Versenkter Fischkutter: Wolf – Gebre Selassie, Prödl, Lukimya, Caldirola – Junuzovic, Bargfrede – Elia, Hunt, Obraniak – Di Santo
Schiffeversenker: Weidenfeller – Piszczek, Friedrich, Sokratis, Schmelzer –Sahin, Bender –Aubameyang, Mkhitaryan, Reus – Lewandowski
Einwechslungen: 55. Petersen und Kobylanski für Di Santo und Elia, 79. Aycicek für Hunt - 65. Kehl und Großkreutz für Bender und Reus, 77. Hofmann für Aubameyang
Tore: 0:1 Lewandowski (26., Schmelzer), 0:2 Mkhitaryan (41., Lewandowski), 0:3 Friedrich (48., Ecke Reus), 0:4 Mkhitaryan (62., Reus), 0:5 Lewandowski (85., Hofmann), 1:5 Aycicek (89.)
Schiedsrichter: Perl (München), zwei fragwürdige Elfmeterentscheidungen, auf jeder Seite eine, aber insgesamt ganz unauffällig und daher ganz ok. Note 3
Gelbe Karten: Friedrich, Sokratis – Di Santo, Kobylanski
Zuschauer: 42.100 (ausverkauft)
Noten
Weidenfeller: Hatte wenig zu tun, hielt was er musste. Rettete zweimal im 1:1 sehr gut, wobei das eine Mal etwas unkonventionell. Note 2
Piszczek: Gut, dass er zurück ist. Defensiv stabil, offensiv mit Akzenten, braucht aber noch etwas bis zur alten Topform. Pech beim Lattenknaller. Note 2.5
Friedrich: Beim Gegentreffer unglücklich und allgemein etwas langsam, aber im Passspiel hinten raus deutlich verbessert, dazu ein Tor erzielt. Note 3.
Sokratis: Stopfte die Löcher, die Friedrich oder die Außenverteidiger hinterließen, ackerte wie ein Gaul. Ist im Spielaufbau kein Hummels, aber wer ist das schon… Note 2
Schmelzer: Offensiv deutlich stärker als zuletzt, defensiv ohne große Fehler und ohne große Herausforderungen. Das wichtige 1:0 mit einer super Balleroberung vorbereitet. Note 2.5
Sahin: Konnte mit Bender im Rücken fast schon zur alten Form auflaufen. Verteilte die Bälle wie in den guten alten Zeiten und war öfter in der Offensive zu finden. Wenn er diese Leistung gegen stärkere Gegner bestätigen kann, dann ist er ein wichtiger Bestandteil dieser Mannschaft. Note 2
Bender: Unglaublich wichtig im defensiven Mittelfeld. Er kann die Löcher stopfen, die Bälle erobern und den Offensiven den Rücken frei halten. Sein Ausfall wiegt schwer, hoffen wir, dass Iron Manni wie so oft die Prognosen der Ärzte widerlegt und schneller wieder da ist. Note 2
Aubameyang: Wirkt noch immer ein wenig wie ein Fremdkörper im Spiel. Zwei Chancen gut vorbereitet, war aber insgesamt der schwächste Borusse heute. Note 4
Mkhitaryan: Im Gegensatz zu Aubameyang scheint er in der Winterpause die Integration in die Mannschaft geschafft zu haben. Zwei schöne Tore, diverse gute Zusammenspiele mit seinen Offensivleuten. Note 1.5
Reus: Wirkt manchmal etwas lustlos auf dem Platz und scheint ein bisschen unter zu gehen, trotzdem zwei Tore vorbereitet. Noch nicht wieder der alte, aber auf einem guten Weg. Hoffentlich wirft ihn seine Verletzung nicht zu sehr zurück. Note 2.5
Kehl: Hätte fast noch ein Tor erzielt, ansonsten aber kaum aufgefallen nach seiner Einwechslung. Die Räume im Mittelfeld waren aber deutlich offener als mit Bender. Note 3.5
Großkreutz: Hatte offensiv einige sehr gute Aktionen nach seiner Einwechslung und brachte nochmals neuen Schwung. Note 2.5
Hofmann: Siehe Großkreutz, dazu ein schöner Pass zum 5:0. Note 2.5