Das Erbe des Borsigplatzes
Am Ende der Weimarer Republik tobte auf den Straßen der Kampf zwischen den SA-Truppen der Nazis und den Verteidigern der Republik. 1930 versuchte die SA über den Borsigplatz zu marschieren - und musste sich beschämt davonschleichen.
Dortmund und besonders der Borsigplatz, die Wiege des BVBs, waren lange Zeit kein gutes Pflaster für Nationalsozialisten. Die Stadt blieb während der Weimarer Republik eine Hochburg der Arbeiterbewegung. Noch bei der Reichstagswahl im März 1933, die bereits von massiven Beeinflussungen der Nationalsozialisten geprägt war, kamen KPD und SPD zusammen auf 43,9 % der Stimmen gegenüber 27,0 % für die NSDAP (im Vergleich: 30,6 % für KPD und SPD und 43,9 % für die NSDAP auf Reichsebene). Besonders der Norden der Stadt blieb den Nationalsozialisten lange Zeit verschlossen – dazu zählte auch die Gegend um den Borsigplatz. Beispielhaft zeigte sich dies am 30. März 1930.
Auch der Dortmunder SA-Truppe, die den braunen Anspruch auf Dortmund untermauern wollte, folgten mit sicherem Abstand einige Reichsbannerleute, die sich zunächst auf keine Konfrontation einließen. Als die SA-Truppe aber den Borsigplatz erreichte, wurde sie von wütenden Anwohnern des Borsigplatzes mit Pfuirufen empfangen und am Weitermarsch gehindert. Innerhalb weniger Minuten waren die SA-Männer mit bis zu 600 Personen konfrontiert und es kam zu einer Schlägerei zwischen der SA und den Reichsbannerleuten. Beamte der Polizeiwache am Borsigplatz mussten intervenieren und nahmen den Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Heinrich König mit aufs Revier. Während dessen Kumpane sich rasch vom Borsigplatz davonschlichen, versammelten sich die Anwohner des Borsigplatzes vor dem Revier und stießen Verwünschungen in Richtung der NSDAP aus. König musste nach der Feststellung seiner Personalien über einen Seitenausgang in einem bereitstehenden Taxi flüchten. Die NSDAP war, wie diese Episode zeigt, weit davon entfernt, die Herrschaft im Dortmunder Norden an sich zu reißen.
Dabei blieb es auch die folgenden knapp drei Jahre, immer wieder steckten SA-Trupps Prügel ein, wenn sie sich zu sehr vorwagten. Selbst am Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten dominierten Kommunisten das Straßenbild in Dortmund, erst am 1. Februar feierte die NSDAP mit einem Fackelzug die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – zwei Tage nach den meisten anderen deutschen Großstädten. Doch in den folgenden Wochen und Monaten rächten sich die Nationalsozialisten für die demütigenden Erfahrungen der Vorjahre. Von der mittlerweile in die Hände der Nationalsozialisten übergegangenen Dortmunder Polizei wurde die SA großzügig mit Waffen ausgestattet. Allein im März und im April 1933 wurden 962 Personen in das berüchtigte Polizeigefängnis „Steinwache“ überwiesen, wo Folterungen an der Tagesordnung waren. Das von der SA okkupierte „Sturmbüro“ in der Steinwache musste wegen der Blutflecken an der Wand neu tapeziert werden.
Die Nazijahre gingen auch am BVB nicht spurlos vorbei. Der erst 1933 zum Vereinsvorsitzenden gewählte Egon Pentrup trat schon ein Jahr später zurück, offenbar weil er den Machthabern politisch nicht genehm war. Für ihn übernahm der willfährigere August Busse, der schon Pentrups Vorgänger gewesen war, die Vereinsführung. Mit Willi Röhr trat 1939 auch ein SA-Mitglied in den Vorstand ein – man wüsste gerne, ob er am SA-Marsch vom 30. März 1930 teilnahm. August Lenz, der erste Nationalspieler der Borussen, warb für die Wahl der Nazis zur Reichstagswahl 1936 und war Mitglied der SA. Obwohl der BVB als Ganzes kein Nazi-Klub war, ließ er sich doch verschiedentlich instrumentalisieren. Bis heute ist dabei über individuelle Verantwortlichkeiten wenig bekannt. Aber es gab auch Widerstandskämpfer im BVB, wenn auch nur vereinzelt. Neben dem Handballer und Sozialdemokraten Fritz Weller, der das „Dritte Reich“ glücklicherweise überlebte, haben sich vor allem die beiden Kommunisten Heinrich Czerkus und Franz Hippler gegen das Regime betätigt. Beide wurden noch in den letzten Kriegswochen 1945 ermordet.
Bekanntlich versuchen heute Rechtsradikale immer wieder, den BVB für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wiederholt tauchen nationalistische Banner im Stadion oder bei Auswärtsspielen auf, Nazis posieren vor der Süd oder versuchen, sich als Vorsänger zu profilieren, wenn die Ultras abwesend sind. Der Partei „Die Rechte“ musste gerichtlich die Werbung mit der Gelben Wand untersagt werden. Für diese Menschen ist kein Platz beim BVB. Wenn wir singen, „Wir sind alle am Borsigplatz geboren“, dann besingen wir nicht einen realen Geburtsort, sondern das kulturelle Erbe des Borsigplatzes. Und dazu gehört der Grundsatz: Rechtsradikale haben keinen Zutritt! Das bedeutet aber auch: Jeder Borusse, der keine klare Grenze zwischen sich und Rechtsextremisten zieht – und dies trifft bekanntlich noch immer auf Teile unserer Fanszene zu –, der begeht Verrat an diesem Erbe, am Erbe des Borsigplatzes.
Fotoquelle: Doemgesmedia, veröffentlicht unter Creative Commons, bearbeitet