Beruhigungsmittel auf Rezept
Da ist sie auch schon wieder vorbei, die 50. Saison der Fußball-Bundesliga. Und für uns, diese durchweg seit nunmehr fast drei Wochen grinsend durchs Leben rennende schwarzgelbe Masse, steht das dicke Ende noch bevor. Doch die letzte Etappe vor der letzten Etappe war so ein bisschen das „L’Alpe d’Huez“ auf dem Weg nach Wembley. Für diejenigen, die sich seit Spritzen, Infusionen und Doc Fuentes keine Tour de France mehr geben, kläre ich an dieser Stelle mal kurz auf: „L’Alpe d’Huez“ ist die wohl härteste Etappe für Radsportler auf dem Weg nach Paris. Bergig, lang und beschissen anstrengend, sodass man als Sportler fast schon wütend werden könnte. Also so wie die Begegnung am Samstag gegen das leider immer noch nicht gescheiterte Projekt des oftmals liebevoll besungenen Dietmar H.
Als der Abpfiff im Westfalenstadion ertönte und ganz Hoffenheim auf den Rasen sprang, konnte man als stiller Beobachter in unterschiedlichste Stadionbesucher-Gesichter schauen. Da gab es solche, die von Spannung auf die von Kapitän Kehl so geheimnisvoll angekündigte Feier von Mannschaft mit Fans gezeichnet waren. Dann gab es die Touri-Fan-Gesichter, denen man das fehlende Hintergrundwissen zum Geschehen förmlich ablesen konnte („Warum Trend, die TSG gibt es doch seit 1899 – egal, ich habe Hunger!“). Dann waren da noch diejenigen, die sich allgemein vor allem über eine weitere unnötige Heimniederlage ärgerten, aber den Blick schon Richtung London richteten. Und letztlich gab es dann noch die, die außer sich waren und für die der einzige Lichtblick an diesem sonst so düsteren Tag in der Rettung der Amas bestand – Hoffenheim immer noch da, die Relegation gesichert und das ausgerechnet bei uns in Dortmund – alles scheiße!
Und so ein wenig und vielleicht sogar noch etwas mehr, konnte ich das verstehen. Da ging es nicht darum, mit einem sportlichen Positiv-Erlebnis nach London zu reisen. Es ging einfach darum, unseren geliebten Sport von einem ekelhaften Trend zu befreien und den Fußball wieder liebenswerter zu machen. Das hat leider nicht geklappt. Der Mannschaft kann man dabei gar keinen so großen Vorwurf machen – uns aber, wenn es um Enttäuschung und teilweise auch Wut geht, aber auch nicht. Ist halt an diesem Nachmittag alles etwas bescheiden gelaufen. Verloren ist deshalb aber noch lange nichts, denn die Hölle auf Erden wird über Hoffenheim spätestens am nächsten Montag einbrechen, wenn der Betze druckvoll zurück in die Bundesliga drängt.
Jetzt ist jedoch einige Zeit vergangen und wir alle befinden uns mittlerweile in der Wembley-Woche. Es ist so fantastisch, das sagen oder aufschreiben zu können. Klar, vor zwei Jahren haben wir uns am Montag vor dem Finale auch in der Wembley-Woche befunden. Damals spielten Manchester und Barcelona das Finale um den begehrtesten Vereinspokal der Welt aus. Aber was juckte mich das damals an einem Montag. Nicht die Bohne. Diese Saison allerdings ist alles anders. Seit Wochen liest man über nichts anderes mehr, kann man keine Zeitung aufschlagen und kein Social-Media Medium benutzen ohne auf Kommentare und Fakten zum Spiel der Spiele zu stoßen. Alles bloggt, jeder schreibt zum Saisonhöhepunkt. Und spätestens seit heute dreht sich die Welt noch langsamer, damit wir auch wirklich jede Sekunde bis zum Anpfiff genießen und völlig nervös auf- und abgehen können.
Was ich mit diesem Artikel eigentlich erreichen möchte? So richtig weiß ich das selbst nicht, aber ich denke, es geht ganz simpel betrachtet um Folgendes:
Hoffenheim war nicht schön und ein eher sehr unglücklicher Abschluss daheim (auch wenn Statistik-Freunde auf ihren 97-er Vergleich mit der 1:2 Niederlage gegen den HSV pochen…). Das hätte nicht passieren dürfen. Aber jetzt ist Montag und jetzt ist Wembley! Jetzt ist Tage zählen und Fingernägel kauen angesagt, über Aufstellungen spekulieren und sich nach rezeptfreien Beruhigungsmitteln erkundigen, die letzten Reisedetails klären und ausreichend Bier bunkern. Darum geht es jetzt. Und deswegen bringe ich diese Zeilen zu Papier. Auch, um mich selbst auf das Spiel einzustellen und Störfeuer zu überblenden. Ja, es gab und gibt da diese ganzen nervigen Geschichten. Götze, Santana, Lewandowski, die UEFA und dämliche Choreoauflagen und die verletzungsbedingte Auswechslung von Hummels. Aber solche Themen gehören erfahrungsgemäß dazu. Sie stören mich, ja. Aber sie dürfen mir keinesfalls meine Vorfreude auf ein Champions League Finale in Schwarz und Gelb nehmen. Und das können sie auch nicht!
Noch fünf Tage bis Wembley und verdammt nochmal, ich kann jetzt schon nicht mehr richtig schlafen. Nur noch fünf Tage, OMG! Da kann man ruhig auch mal so einen Artikel schreiben, ist ja ohnehin genug zu lesen, da fällt das nicht weiter ins Gewicht. Alles und jeder konzentriert sich jetzt doch bitte auf Samstag und blickt einem denkwürdigen Finale entgegen. Lest Texte, schaut alte Videos von '97, hofft jeden Tag aufs Neue, dass sich keiner im Training verletzt und es bei Hummels reichen wird und seid die nächsten Tage im Alltag einfach irgendwie abwesend. Genau so muss das sein. Egal, was nebenher noch so passiert. 90 Minuten liegen noch vor uns – unvergesslich ist diese Spielzeit schon jetzt.
Henkelpottwoche im Europapokal!
Tim, 20.05.2013