Liebe Polizei, Teil 2
Liebe Polizei,
wir wollten reden. Hauptsächlich über die Vorkommnisse beim Derby im vergangenen Jahr. Wir konnten vieles von dem, was Ihr getan oder nicht getan habt, nicht nachvollziehen. Daher veröffentlichten wir am 24.10.2012 einen Text, der Fragen stellte. Fragen zu Polizeitaktiken, zu konspirativer Anreise, Anreisewegen für Gästefangruppen und einigem mehr. Ihr ludet uns ein zu einem gemeinsamen Gespräch ins Polizeipräsidium Dortmund, um genau diese Fragen mit uns zu erörtern. Dafür bedanken wird uns.
Wir haben uns also mit Vertretern der Polizei an einen Tisch gesetzt. Und es war ein großer Tisch. Die Polizei machte uns die Aufwartung in voller Einsatzstärke: Polizeipräsident, Stellvertreter, Direktionsleiter Gefahrenabwehr, Einsatzleiter, SKB, Pressestelle. Sie alle waren gekommen um sich zu erklären, aber auch um uns zuzuhören. Beide Seiten entschieden sich dabei bewusst gegen einen normalen Interviewtermin und für ein Hintergrundgespräch. Positiv kann auf jeden Fall festgehalten werden, dass dieses Gespräch in guter Atmosphäre und durchaus auf Augenhöhe stattgefunden hat. Wir fühlten uns als Gesprächspartner ernstgenommen und hatten den Eindruck, dass die Polizei nicht nur daran interessiert war, ihre Standpunkte zu erläutern, sondern auch an unseren Wahrnehmungen interessiert war. Es wurde von Seiten der Polizei natürlich gleich klargestellt, dass die Ahndung von Straftaten nicht verhandelbar sei. Wir konnten diesbezüglich aber auch versichern, dass dies nicht unser Ziel ist. Dass Straftaten auch im Rahmen von Fußballspielen geahndet werden, finden wir selbstverständlich. Niemand möchte schließlich selbst Opfer einer solchen werden. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für 99,9% der Fans. Leider verzerrt der kleine Rest die Wahrnehmung aller Fußballfans durch Öffentlichkeit und auch Polizei.
Derbynachwehen
Zur Einstimmung auf das Gespräch gab es ein Potpourri der Polizeivideos vom Derbytag. Heftige Szenen bekamen wir zu sehen: von der Gaststätte Flora, vom Stadionvorplatz, einzelne Luftaufnahmen vom Marsch der Ultras Gelsenkirchen und der Hugos, aber auch Angriffe von Dortmunder Fans auf Polizeibeamte, fliegende Pflastersteine inklusive. Ein guter Einstieg um direkt die ersten Fragen an die Einsatzleiter an jenem Tag loszuwerden: Warum können die Ultras GE unbehelligt und ohne sichtbare Polizeibegleitung zum Stadion ziehen? Warum können die Hugos unbehelligt marodierend durchs Kreuzviertel laufen? Warum werden die Dortmunder Ultras gleichermaßen eingekesselt und auch noch in Richtung der Lindemannstraße geführt, wo sich die Hugos austoben dürfen?
Wir bekamen eine sehr ausführliche und detaillierte Antwort, die uns nur zum Teil zufrieden stellte. Sie bestand aus polizeitaktischen Erklärungen und der Beschwerde über mangelnde Verlässlichkeit seitens der Fangruppen. So hätten sich die Ultras Gelsenkirchen jeder Kommunikation entzogen und seien so verschleiert angereist, dass man sie tatsächlich erst beim Eintreffen an der Universität bemerkte. Im Gegensatz zu den Hugos sei ihr Marsch jedoch friedlich geblieben. Die Hugos habe man schließlich nahezu komplett festnehmen können. Insgesamt sei es das Konzept der Polizei gewesen, blauweiße und schwarzgelbe Fanlager strikt voneinander fernzuhalten. Dies sei auch im Wesentlichen gelungen, stattdessen seien dann aber die Beamten Ziel der Attacken geworden – so zum Beispiel während des Spiels unter der Südtribüne, wo reihenweise Mülltonnen und anderes Mobiliar die Treppen herunter in Richtung Polizei geworfen wurden.
Es folgte ein Austausch über die generelle Einsatztaktik bei solchen Partien. Wir merkten an, dass die Einsatztaktik auf uns oftmals konfus wirke – und zwar umso konfuser, je mehr Beamte im Einsatz seien. Gleichzeitig beklagten wir zu wenig erklärende Kommunikation von Polizei in Richtung Fans. Oftmals könnte ein erklärendes Wort, insbesondere als Antwort auf freundlich gestellte Fragen, Wunder wirken. Doch leider treten die Beamten vor Ort noch viel zu häufig unfreundlich auf und geben Anweisungen, als habe man ungezogene Kinder vor sich und keine mündigen Bürger.
Wir bemängelten weiterhin die mangelnde Ortskenntnis mancher Einsatzkräfte, bei denen wir nicht zum ersten Mal beobachten konnten, dass man sich mit der Geographie rund um das Stadion offenbar kaum auszukennen schien.
Vorbild England?
Gleichzeitig machten wir deutlich, dass ein oft martialisch anmutendes Auftreten der Hundertschaften in voller Einsatzmontur und mit Helm und Knüppel auf anreisende Fußballfans oft alles andere als friedlich und einladend wirkt. Wir würden uns häufiger Beamte wünschen, wie wir sie in London oder Manchester erlebt haben: ohne Helm, dafür aber freundlich-bestimmt und mit einem Lächeln im Gesicht. Auch diese Polizisten sind mit ihren Anliegen zu den Fans vorgedrungen – weil sie bei aller Freundlichkeit verbindlich waren und jederzeit klar war, dass sie die Regeln aufstellen. Aber eben mit einem netten Tonfall.
Die Polizei nahm sich dieser Punkte an, wobei man merken konnte, dass man sich auf Seiten der Polizei bislang nicht wirklich bewusst macht, wie ein Polizeikessel aus Hundertschaft-Beamten in voller Montur, der einen nicht selten auf Auswärtsfahrten am Zielbahnhof erwartet, auf die reisenden Fans wirkt. Dennoch verwies man auf Partien wie die gegen Manchester, wo man ebenfalls mit einem weniger martialischen Auftreten den Gästen gegenüber gute Erfahrungen gemacht hat. Allerdings sei es, das mussten wir einsehen, eine Gratwanderung: Wenn Polizeibeamte angegriffen werden, hat der Eigenschutz natürlich Vorrang.
Dennoch sollte überlegt werden, in solchen Situationen bei Ankunft von Fangruppen und der jeweiligen Situation angepasst öfter mal den Helm wegzulassen. Wenn man das Gesicht des Gegenübers sehen kann, fällt es einfach leichter, von Mensch zu Mensch zu kommunizieren und nicht bloß eine bedrohlich wirkende Kampfmontur wahrzunehmen.
Im weiteren Verlauf ging die Diskussion etwas vom Derby weg in Richtung allgemeines Zusammenspiel zwischen Fans und Polizei. Eine ausreichende Kommunikation zwischen Fans und Polizei ist quasi nicht vorhanden, mögliche Mediatoren (Fanbeauftragte, SKB) sind qua Ihrer Funktion mit dieser Aufgabe nur nebenbei betraut.
Wie wir Polizeieinsätze erleben
Wir schilderten, wie wichtig verständliches und nachvollziehbares Verhalten der Polizei auf den bei uns Fans entstehenden Eindruck sei und wie wichtig auch das Einhalten von Absprachen. Bewusst haben wir dabei nicht für die Ultragruppen gesprochen, sondern den Fokus auf das Miteinander normaler Fußballfans und Einsatzhundertschaften gelegt. Auch hier kommt es schließlich oft genug zu Reibereien, weil polizeiliche Maßnahmen einfach willkürlich erscheinen, Fans sich in Ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sehen und die Polizei ihr Handeln einfach nicht erklären kann oder will. Ein Kritikpunkt, dem sich die Polizei-Vertreter in der Runde annahmen. Allerdings verbunden mit der Forderung, dass auch mit den Ultragruppen eine Wiederaufnahme der Gespräche erfolgen müsse. Dies sollte nach Auffassung beider Seiten unter einer neutralen Moderation erfolgen und beide Seiten müssten sich auf das Besprochene verlassen können.
Es folgten weitere Kritikpunkte wie mangelnde Sozialkompetenz eingesetzter Beamter, die einfach Rückfragen seitens der Fans oft genug sehr rüde beantworteten, unter Missachtung gängiger Höflichkeitsformen in der Kommunikation. Ein Umstand, dem von Seiten der Polizei nicht gänzlich widersprochen wurde. Als positives Beispiel in Sachen Kommunikation empfanden beide Seiten die Demonstration vor dem Wolfsburg-Heimspiel im Rahmen der Protestaktion 12Doppelpunkt12. Aus Polizeisicht wurde uns geschildert, dass dies von den Absprachen mit den Organisatoren bis hin zur Durchführung ein sehr positives Beispiel dafür gewesen sei, wie ein Zusammenspiel zwischen Fans und Polizei laufen sollte.
Ähnlich erlebten wir das Gespräch im Polizeipräsidium. Wir hatten den Eindruck, dass zumindest von Seiten der Polizeiführung ein ehrliches Interesse existiert, das Verhältnis zwischen Fans und Polizei zu verbessern. Die Frage stellt sich allerdings, ob dies bei allen eingesetzten Beamten im selben Maße verankert werden kann. Letztlich sind es schließlich die Beamten insbesondere in den Hundertschaften, die das Bild der Polizei prägen – zum Positiven wie zum Negativen.
Wenn aber Kommunikation zwischen den Behörden und Fanvertretern zukünftig in einem ähnlich sachlichen und konstruktiven Rahmen ablaufen könnte, stünde einem Neuanfang des miteinander Redens eigentlich nichts im Wege. Leider scheint dies bei der derzeit festgefahrenen Lage und den Vorurteilen auf beiden Seiten mehr als schwierig, jedoch nicht unmöglich.
Wir von schwatzgelb.de sind auf jeden Fall froh, einen Kommunikationskanal zur Polizei geöffnet zu haben. So können wir einerseits zukünftig einfacher auch die Sichtweise der „anderen Seite“ berücksichtigen. Gleichzeitig ist es uns andererseits möglich, den Finger direkter in die Wunde zu legen, wenn uns Kritik angebracht erscheint.
Redaktion, 21.02.2013
[[$facebook]]