Nuri dahoam
Wenn Aki Watzke und Susi Zorc außerplanmäßig in den Flieger steigen, um aus dem Trainingslager in La Manga ins kalte Dortmund zu reisen und einer eilig einberufenen Pressekonferenz beizuwohnen, dann muss etwas ganz Besonderes passiert sein. Und da heutzutage im Fußballgeschäft ein Geheimnis eine kürzere Lebensspanne hat als eine Prognose zum Eröffnungstermin des Berliner Großflughafens, tickerten die Nachrichtenagenturen bereits zwei Stunden vor der Präsentation die Verpflichtung eines alten Bekannten: Nuri Sahin kehrt zurück. Nach anderthalb Jahren im Ausland ist der Kopf der vorletzten Meistermannschaft wieder zuhause. „Zuhause" — das war auch das Wort, das auf der Pressekonferenz am häufigsten gefallen ist. Ein Ausleihgeschäft für die nächsten 18 Monate mit einer von Zorc mehr als nur unterschwellig zugegebenen Kaufoption im Anschluss.
Blenden wir zurück: Am 14.05.2011 gibt es vor dem abschließenden Spiel des neuen Deutschen Meisters zwei Blumensträuße. Mit Leonardo Dede und Nuri Sahin verlassen zwei Identifikationsfiguren unsere Borussia. Der eine eine lebende Legende, sportlich jedoch ins zweite Glied gerückt, der andere ein Spieler, um den herum der BVB der Zukunft aufgebaut werden sollte. Nuri jedoch entschied sich anders. Er wagte den Sprung zu Real Madrid, um sich selbst zu beweisen, dass er sich gegen die besten Spieler der Welt auf seiner Position durchsetzen kann.
Sportlich für die Fans mit Sicherheit nachvollziehbar. Ein Angebot der Königlichen erhält man nicht alle Tage und vermutlich kein Kicker der Welt wird ein derartiges Angebot ausschlagen. Wäre es allein darum gegangen, hätten ihm vermutlich alle aufmunternd auf die Schultern geklopft, seinen Abgang für den BVB zwar bedauert, aber ihm doch alles Gute und viel Erfolg in Spanien gewünscht. Vielen ist jedoch die Art seines Abschieds auf das Gemüt geschlagen. Über seine damaligen Aussagen gibt es zwei Versionen. In der einen wird Sahin mit den Worten „Die Fans kennen meinen Charakter", in der anderen mit „die Fans wissen, wie ich mich entscheide" zitiert. Glaubt man der zweiten Version, ist vielleicht nachvollziehbar, dass sein Wechsel für manchen einen bitteren Beigeschmack hatte. Enttäuschte Hoffnungen, zerschlagene Träume.
Und heute? Historisch gesehen sind anderthalb Jahre ein Augenzwinkern der Geschichte. Im Profifußball können sie jedoch Welten bedeuten. Heute hat der BVB gerade das erfolgreichste Jahr seiner Vereinsgeschichte hinter sich gebracht. Neben der Titelverteidigung holte man den DFB-Pokal. Das erste Double der Vereinsgeschichte. In der zweiten Jahreshälfte gewann die Mannschaft ohne Nuri Sahin internationale Reputation zurück, indem sie die absolute Todesgruppe der Champions-League mit Glanz und Gloria bestand und Real Madrid, Manchester City und Ajax Amsterdam hinter sich ließ.
Der Stern unserer Borussia leuchtet hell wie kaum zuvor. Der von Nuri jedoch fiel in diesem Zeitraum in die Tiefe. Mit einer längerwierigen Verletzung bei Real angekommen, ohne den notwendigen Glanz, um von den Madrilenen als „echte Verstärkung" wahrgenommen zu werden. Der Start war schwer, der Rest der Saison ernüchternd. Gerade einmal vier Einsätze in der Primera Divisón, keiner davon über die vollen 90 Minuten. Zur jetzigen Saison folgte ein Leihgeschäft zum Liverpool FC und der Versuch, zu alter Stärke zurück zu finden. Doch auch beim schwächelnden Altmeister von der Anfield Road gelang die Trendwende nicht. Acht Ligaeinsätze, ein Tor und zwei Vorlagen. Warm wurden Liverpool und Nuri nicht richtig miteinander. Das nennt man dann wohl „am Scheideweg der Karriere".
Jetzt ist er wieder da. Vordergründig könnte man das als Flucht zurück ins heimische Nest sehen. In eine bekannte und vertraute Umgebung, die ihn als Fußballer schätzt und seine Qualitäten nicht in Frage stellt. Kuschelfaktor statt hämischer und zweifelnder Presseartikel. Auf den zweiten Blick jedoch ein mutiger und schwerer Schritt. Er ist jetzt der Spieler, der sich herankämpfen muss. Mit seinem Weggang musste der BVB zwangsweise seine Spielweise umstellen, seine Aufgaben wurden auf mehrere Schultern verteilt. Schultern, die mittlerweile auch eine Meisterschale und einen Pokal in die Luft gestemmt haben und sich nicht bereitwillig ins zweite Glied zurück stellen. Es liegt an Nuri, sich seinen Platz auf dem Platz zurück zu erobern. Dabei muss er sich nicht nur der internen Konkurrenz stellen, sondern auch den Erwartungshaltungen. In Dortmund erinnern wir uns an den Nuri Sahin, der als Denker und Lenker den Takt für die Mannschaftsteile angegeben hat. An den Sahin, der mit einer fantastischen Spielintelligenz, großer Übersicht und wunderbaren Passgefühl gesegnet ist. An diesem Bild wird er sich messen lassen müssen. Um die Chance seiner Wiederkehr zu unserem, zu seinem, BVB zu nutzen, wird es nicht ausreichen, nur einer von vielen Spielern zu sein. Er muss dafür erneut herausragen.
Gelingt ihm das, ist das für uns alle ein außergewöhnlicher Glücksfall. Sahin, Gündogan, Götze, Reus und Kuba. Klingt das nicht unfassbar geil? Kreativpotential ohne Ende.
Ja, es gibt Leute, die Vorbehalte gegen diese Rückkehr haben. Ob er es schafft, sportlich an alte Zeiten anzuknüpfen, liegt an ihm. Aber wir können ihm dabei helfen. Ohne Zweifel ist Nuri Sahin ein Spross der Borussenfamilie, und wie das so ist, manchmal gehen Familienmitglieder einen Weg, den andere nicht gutheißen. Sie machen manchmal Fehler. Aber wer, wenn nicht die Familie verzeiht diese Fehler auch und räumt eine zweite Chance ein? Besteht bei so manchem Fan noch ein Groll wegen seines Abschieds, so ist jetzt die Zeit, ihn zu begraben. Die Mannschaft, Trainer und die Offiziellen haben das, sofern überhaupt vorhanden, schon längst getan. Keine bösen Worte, ein entspanntes Verhältnis und nie abgebrochener Kontakt. Freuen wir uns einfach über die Rückkehr eines großartigen Spielers, der uns noch stärker und besser macht. Über die Heimkehr eines Borussen.
Willkommen zuhause, Nuri Sahin!
Weitere Bilder von der Pressekonferenz findet Ihr hier