Achim der Prophet
Es ist Dienstagabend, ich bin auf dem Weg ins Westfalenstadion zum Rückspiel unserer Borussia gegen Malaga. Gegen 19h steige ich an der Haltestelle "Möllerbrücke” aus der S-Bahn und treffe auf Achim. Achim, der im gleichen Dortmunder Vorort wohnt wie ich, kenne ich eigentlich nur flüchtig. Man trifft sich mal gelegentlich beim Einkaufen oder vor den BVB-Spielen am Bahnsteig, wechselt einige Sätze miteinander und trennt sich wieder. Und das Gesprächsthema – was könnte es auch anders sein? – ist in der Regel immer der BVB. Und so war es auch am Dienstag dieser Woche.
„Achim – wie ist Dein Tipp?“ lautete meine zugegebenermaßen wenig originelle Eröffnungsfrage. „Sieg natürlich“ ist Achims Antwort. „Und eines kann ich Dir sagen, wir werden heute ein ähnliches Spiel sehen wie 1994 gegen La Coruna!“
La Coruna – einer unser Gegner im damaligen UEFA Cup der Saison 1994/95. Der BVB war fast schon klinisch tot und ausgeschieden als Kalle Riedle und dann Lars Ricken praktisch in der letzen Sekunde für ein Weiterkommen von Borussia Dortmund sorgten. Ein absolutes Herzinfarkt-Spiel, für jeden, der live im Stadion oder vor dem Fernseher dabei war, auf ewig unvergesslich! Und sowas wünscht sich Achim für heute abend? „Nein, danke, Achim, so was möchte ich eigentlich nicht mehr so schnell wieder erleben“, entgegne ich, „und schon gar nicht heute!“ „Warte es ab, das wird heute ein Krimi, spannend bis zur letzten Sekunde“, ruft mir Achim noch zu, bevor wir uns trennen. Er auf dem Weg zur „Vorbesprechung“ im Bar Rock, ich biege ab zum „Bürgermeister Lindemann“, meinem bevorzugten „Tagungsort“ zur „Vorbesprechung“. Mit dort schon wartenden Freunden diskutiere ich Achims Theorie eines „Herzkasper-Spiels“ mit BVB-Siegtreffer kurz vor dem Schlusspfiff. Wir sind uns alle einig: „NEIN!“ Das brauchen wir heute nicht. Am liebsten wären uns zwei frühe Tore, die Spanier knicken ein, wir schauen ganz entspannt die zweite Halbzeit und qualifizieren uns völlig unaufgeregt für das Halbfinale.
Dass unser Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird, wissen wir alle einige Stunden später. Eliseu hat in der 82. Minute das 2:1 für Malaga geschossen und einschließlich der Nachspielzeit sind ungefähr noch 10 Minuten zu spielen. Vielleicht auch noch etwas länger, weil die Spanier alle Register der Spielverzögerung aufbringen. Etliche Zuschauer verlassen bereits das Stadion, teilweise mit versteinerten Gesichtern, teilweise schimpfend über die bisher nicht gerade herausragende Leistung unserer schwarzgelben Truppe. Ich gebe zu, ich denke auch an den vorzeitigen Abgang, verwerfe den Gedanken dann aber wieder. Erstens hat mich meine Karte 56 € gekostet – da hat man ein Anrecht darauf, das Spiel bis zum bitteren Ende „auszusitzen“ und zweitens fallen mir Achims Sätze vom last minute-Tor für den BVB wieder ein. „Leider brauchen wir zwei davon“, denke ich noch, aber als Marco Reus zum 2:2 einschießt, keimt Hoffnung auf. „Wie lange noch?“ ist der einzige Gedanke. Borussia macht Druck, Felipe Santana treibt sich im gegnerischen Strafraum herum und der hereingekommene Mats Hummels drischt hohe Bälle Richtung spanisches Tor. Dann mit einem Mal dieses Gewühl vorne im Strafraum - das wir Tage danach wohl schon zig mal im TV und Internet gesehen haben - und dann ist der Ball irgendwie hinter der Linie. Tausende reißen die Arme hoch, umarmen sich und erzeugen dabei Jubelschreie, wie man sie bisher noch nie gehört hat! Auch ich umarme den notorischen Nörgler, schräg hinter mir, den wir seit Jahren nur „den Sammer“ nennen zum ersten Mal in meinem Leben.
Felipe Santana – Du Fußballgott! Na klar, es gibt schon viele Fußballgötter aber seit heute gehörst Du für uns dazu! Und Achim – Prophet des Jahres, vielleicht liest Du diese Zeilen – hier ist meine Prophezeiung: beim nächsten Treff ist Dir, dem König der Wahrsager ein Gratis-Bier sicher! Nein, sagen wir drei – für jedes BVB-Tor vom Dienstag eins!