Fußball in Thailand: Pokalhalbfinale Buriram gegen Muangthong
Dass Borussia Dortmund viele Fans im Ausland hat, ist weithin bekannt. Dass einige dieser Fans viele tausend Kilometer Flugstrecke auf sich nehmen, nur um den BVB spielen zu sehen, ist ebenfalls kein Geheimnis mehr.
Anlass genug, den Spieß einmal umzudrehen und die Länderspielpause zum Besuch bei einem unserer „verlorenen Söhne“ zu nutzen – vom Auswärtsspiel in Nürnberg ging es direkt nach Bangkok und weil der liebe Gott es so wollte, dort zum Halbfinale des thailändischen FA-Cup zwischen Muanthong United und Buriram United.
Schon über sechs Jahre ist es her, dass es Lupus (Tobias) nach Thailand verschlagen hat. Obwohl es die fünf Stunden Zeitverschiebung nicht gerade erleichtern, Borussia spielen zu sehen, hat Lupus den BVB nie vergessen. Wann immer es die Arbeit erlaubte, ging es nach Europa und dort ins Stadion – von der Bundesliga über den DFB-Pokal bis zu den internationalen Spielen in Baku, Sevilla, Donetsk oder London, kam dabei eine stattliche Zahl an schwarzgelben Reisekilometern zusammen. Wie ansteckend dieses BVB-Fieber ist, konnten die thailändischen Freunde dabei aus nächster Nähe erleben – sie fanden so viel Gefallen an Lupus Geschichten aus dem Westfalenstadion, dass BVB-Merchandise und Fanbücher („Unser ganzer Stolz“) zu beliebten Mitbringseln avancierten. Als es vor wenigen Wochen dann hieß, dass David Odonkor nach Bangkok wechseln könnte, war die Begeisterung entsprechend groß – ein Spielbesuch wäre absolute Pflicht gewesen. Leider entschied sich Odonkor nach einer Verletzung zum vorzeitigen Karriereende, so dass aus dem Aufeinandertreffen mit einem weiteren Borussen nichts wurde.
Etwa 20 Stunden in Zügen, Flugzeugen und Flughafenbars hatten die körperliche Verfassung ein wenig in Mitleidenschaft gezogen. Vorbei an den Hunden Adi, Chappi und Suse, die zur Begrüßung mal mehr und mal weniger freundlich knurrten, waren ein paar Minuten Akklimatisierung, ein Whiskey und zwei Fangetränke zum Heben der Stimmung nötig, bevor es von der Casa Lupus abermals per Taxi in den Norden der Metropole gehen konnte – immerhin sollte es gut über eine Stunde dauern, bis wir durch das notorische Verkehrschaos gelangt und am Stadion der Thammasat-Universität angekommen sein würden.
Im dortigen Stadion, einem erst vor wenigen Jahren erbauten und durchaus schön anzusehenden Ground für gut 20.000 Zuschauer, trägt normalerweise die Werksmannschaft der thailändischen Polizei ihre Heimspiele in der ersten Liga aus. Police United, unterstützt von der Fangruppierung „Ultras the Cop“, man möchte sich den Spießrutenlauf in Deutschland dann doch einmal vorstellen. Doch diesmal war der Platz ja neutral, also blieb es bei wundersamen Blicken und ging es wie selbstverständlich in Richtung VIP-Bereich. Mit holzigem Thai-Stakkato-Englisch („Hello, German media, ticket?“) und ein bisschen gutem Willen gab es einen Stempel – falls man das Stadion in der Halbzeit verlassen wolle, könne man so auch wieder hinein kommen.
Das Stadion war recht gut gefüllt, nur wenige Plätze waren leer geblieben. Obwohl Fußball in Thailand noch ein recht junger Sport ist, konnte er sich in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Sport des Landes mausern – so kommen die Anhänger des alten Volkssports Muay Thai mit Fußball relativ gut klar, während die Fußballfans mit Muay Thai nicht besonders viel anfangen können. Die Kurven waren farbenfroh und laut, dominiert von den weithin sichtbaren Bannern und Schwenkfahnen der jeweiligen Ultragruppen. Ein heftiger Platzregen – die Regenzeit näherte sich gerade erst ihrem Ende und in zehn Minuten ergossen sich gefühlte 100 Liter Wasser auf den Quadratmeter – hatte zumindest die unüberdachten Ränge für wenige Augenblicke geleert.
Auch das Spiel litt unter den widrigen Bedingungen, so dass sich Zeit für eine Auseinandersetzung mit der noch sehr jungen Geschichte der beiden Vereine fand. Muangthong United, ein Verein aus dem Norden Bangkoks, zählte zu den Platzhirschen des thailändischen Fußballs und konnte in seinen erst vier Jahren Erstligazugehörigkeit gleich drei Meisterschaften gewinnen. Mit viel Geld wurden neben Robbie Fowler (zunächst Spieler, dann Spielertrainer 2011-2012) auch einige weitere bekannte europäische Namen verpflichtet – im Sommer 2013 fand so etwa Winfried Schäfer für zwei Monate den Weg zu Muangthong.
Der Gegner Buriram United war ein junger Retortenverein aus dem verarmten Osten des Landes – erst 2009 wurde der Verein von einem Politiker übernommen und musste nach Buriram umziehen. Zwei Jahre später konnte Buriram das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Ligapokal gewinnen und die beiden Pokalsiege 2012 direkt wiederholen. Gleich drei Vorsängerinnen standen für den Club auf dem Podest und richteten ihre Megafone stets in Richtung Spielfeld, wobei die Frau des Vereinsbesitzers als Capo fungierte, nebenbei aber auch Vorsitzende eines anderen Vereins war. Alles in allem konnte man damit festhalten, dass sich die Experimente um Red Bull oder die TSG Hoffenheim gegen diese Vorbilder wie Waisenkinder ausnahmen und sich die derzeit besten thailändischen Mannschaften gegenüberstanden.
Es folgte der Halbzeitpfiff, das Stadion leerte sich in Windeseile in Richtung Verkaufsstände auf dem Vorplatz – kein Wunder, immerhin war der Verkauf von Alkohol im Stadion verboten und lockten die fliegenden Händler mit allerlei Fangetränk. Wir nutzten die Zeit und setzten unseren Stadionrundgang fort, stellten uns für einige Minuten in die Kurve Burirams. Gesungen wurden dort keine klassischen Fußballlieder, auch gab es keine Anfeuerungsrufe zu hören. Stattdessen wurden auf unzähligen Trommeln zum Teil sehr komplexe Melodien gespielt, die den Anhang zum Tanzen und Singen motivierten. Die Vorsängerinnen heizten die Stimmung immer wieder an und sangen enthusiastisch in Richtung der Spieler – wenn der Gesang von 3.000 Fans im Block nicht ausreicht, müssen zur Not eben Megafone dafür herhalten.
Nach einer Viertelstunde zogen wir weiter zu den Fans von Muangthong. Sie hatten nicht ganz so viele Gesänge im Angebot, hielten diese dafür deutlich fußballbezogener. Dabei schien – ähnlich wie in der Bundesliga – Youtube eine wichtige Inspirationsquelle gewesen zu sein, erinnerten doch nicht wenige Gesänge an Vorbilder aus Griechenland bzw. deren deutsche Adaptionen. Dank tätiger Mithilfe des Schiedsrichters wurde nun auch das Spiel wesentlich spannender: Buriram hatte das 0:1 erzielt und damit ein Resultat, das zu verhindern der Mann in schwarz sichtlich gewillt war. Eine klare Notbremse Muangthongs wurde ebenso wenig geahndet wie eine rüde Sense im Strafraum, das Spiel dauerte länger und länger. Als Buriram eine hochkarätige Chance nach der anderen versemmelt und Muangthong selbst nach rund 10 Minuten Nachspielzeit kein Tor geschossen hatte, musste auch der Unparteiische die Sinnlosigkeit seines Unterfangens einsehen und das Spiel beenden.
Weil der Einsatz von Pyrotechnik während des Spiels verboten war, fanden nun dutzende Bengalos ihre Verwendung und tauchten das Stadion in rot-grau. Eine ganze Reihe Fackeln flogen von Seite Muangthongs in gegnerische Blöcke, vereinzelt wurden auch Feuerwerksraketen aus den noch voll besetzten Rängen in die Luft geschossen – dennoch blieb es auf Seite Burirams eher ruhig und unaufgeregt. Als dann gar ein aktueller Gassenhauer, dem man im Radio so gut wie gar nicht entgehen konnte, über die Stadionlautsprecher angespielt wurde, fand die Situation ihren Höhepunkt: Die gerade eben noch Bengalos werfenden Fans fingen an auf ihren Sitzschalen zu tanzen, auf beiden Seiten des Stadions sangen die Fans voller Inbrunst ein gemeinsames Lied (zu sehen bei einem Youtube-Stimmungsvideo ab Minute 12):
Natürlich durften Erinnerungsfotos der thailändischen Fans mit den europäischen Besuchern nicht fehlen, bevor wir auf dem Nachhauseweg Teil zwei der örtlichen Variante fußballbezogener Ausschreitungen erlebten. Neben den beiden Mannschaftsbussen hatten sich die Mobs der Vereine positioniert – Muangthong wütete gegen die siegreichen Gegner, Buriram übte sich weiterhin in beobachtender Zurückhaltung.
Wir standen zwischen den Lagern und verfolgten die obskure Situation, bis uns zwei geschäftige Polizisten vor einer Eskalation warnten. Damit schienen sie ihren Dienst auch bereits getan zu haben und sie gesellten sich zu ihren Kollegen, die in einiger Entfernung gelangweilt und mit relativer Gleichgültigkeit zusahen, wie Ordner die beiden Fanlager auseinanderzubringen versuchten. Es flogen wieder Flaschen und Bengalos, dazu kamen wildes Gefuchtel und Gepöbel – alles in allem passierte aber nicht mehr viel und wir nahmen uns die Zeit, Fotos mit Spielern und Streithähnen beider Seiten zu knipsen.