Nur alleine sind wir stark
Es ist viel gesagt und geschrieben worden über den Stimmungsboykott im ersten Heimspiel gegen Braunschweig. Dass ein Gegner im Westfalenstadion ein Heimspiel hat, ist uns wohl allen noch nicht untergekommen. Die Gäste haben uns mit einem ordendlichen Auftritt an die Wand gesungen. Unter normalen Umständen wäre das sicher nicht passiert, aber es ist eben passiert.
Die Hintergründe sind bekannt und können zum Beispiel hier auch nochmals nachgelesen werden.
Was mich an der ganzen Geschichte so extrem stört, ist dass wir hier alle zusammen eine riesige Chance verpassen. Die (berechtigte, weil persönliche) Entscheidung der Ultras, auf (organisierten) Support zu verzichten, hat uns die einmalige Gelegenheit gegeben zu testen, worüber wir seit Jahren streiten - nämlich wie die Stimmung ohne Ultras wäre.
Dabei gab es in meinen Augen zwei deutliche Erkenntnisse:
- Aus Ultra Sicht: Die Südtribüne ist weder mundtot noch unmündig. Es wurden von mindestens 80% der Beteiligten (inklusive der Süd-Ecken) immer wieder Versuche gestartet, Lieder anzustimmen und Stimmung zu machen. Die Lieder, die dabei gesungen wurden, waren einwandfrei und tatellos, selbst aus Ultra-Perspektive. "Kagawa Shinji", "Scheisse 04" oder ähnlicher aus WHV/Supercup/Testspiel bekannter Mist war absolut nicht zu hören. Vielleicht sollte man sich also eingestehen, dass es auch ausserhalb der Ultra-Szene durchaus eine grosse Menge supportwillige und intelligente Fans gibt, die selbst den eigenen Ansprüchen genügen würden.
- Aus Anti-Ultra Sicht: Das letzte Mal, dass auf der Süd ohne Mikro- oder Megafon gute Stimmung herrschte, war diese noch halb so gross. Das war auch gestern nicht anders. Die Tribüne ist ohne Koordination nicht durchgehend in der Lage, Stimmung zu erzeugen, die Gesänge sind zu verzerrt, die Übergänge bis ein neues Lied "akzeptiert" ist dauern zu lange, man kann sich die Hälfte der Zeit nicht auf ein Lied einigen und es dauerte ewig, bevor man überhaupt angefangen hatte, Stimmung zu machen.
Auch die Trommeln sind als Taktangeber nicht genug, weil sie keine Entscheidung treffen können, welches Lied übernommen wird. Die Süd als grosses Ganzes (und aus Stimmungssicht müssen da auch die Süd-Ecken eingerechnet werden) kann ohne diese Entscheidungen keine für uns alle akzeptable Stimmung erzeugen. Und was wäre logischer, als diese Taktangabe (und Motivierung) der kreativsten, aktivsten und engagiertesten Gruppe zu überlassen: den Ultras?
Es gab also gestern eine Steilvorlage, um einen jahrelang schwellenden Konflikt mit Argumenten zu entschärfen und aufeinander zuzugehen.
Stattdessen stehen wir vor dem leeren Tor und prügeln uns darum, wer den Ball reinschiessen darf. Chance vergeben, Schade!