Friede, Freude, Feierkuchen
Friede
Ich möchte damit beginnen, den 72‘645 BVB-Fans die gestern im Stadion waren ein großes Kompliment zu machen. So hoch und weit wie gestern jeder einzelne für den BVB über seinen Schatten gesprungen ist, das ist wohl einmalig. Aufgrund der Ereignissen beim Derby hatte das Spiel lange Schatten voraus geworfen und nicht wenige, mich eingeschlossen, sahen die Fans vor einer Zerreißprobe nach einer Woche die mit Sieg in Arsenal, Derbysieg und Vertragsverlängerung von Klopp eigentlich nicht besser hätte sein können. Doch anstelle von Diskussionen, Spaltung der Tribüne oder Stille im Stadion präsentierte sich die Süd so einheitlich und harmonisch wie schon lange nicht mehr. Die Ultras fielen (nebst einer sehr vernünftigen kurz gefassten Erklärung im „Vorspiel“) vor allem mit der Wahl des Liedguts auf, das man wohl als „mainstream“ bezeichnen könnte und das eine Geste war an den Rest der Tribüne, die dankend angenommen wurde. Der Rest der Fanszene ließ sich aber auch nicht lumpen und schenkte den Ultras bedingungslos ihr Vertrauen, die Mitmachquote war allen Unkenrufen zum Trotz eher überdurchschnittlich und Mitte der zweiten Halbzeit bekamen die Ultras als „Dank“ für ihre Liedgutwahl ein minutenlanges, lautes, wunderschönes „Supergirl“. Der Grund für diese Harmonie mag dann nicht schön sein, im Nachhinein aber vielleicht das Beste, was uns passieren konnte. Frieden ist eingekehrt, ob er nur eine Folge der Ereignisse ist und schnell wieder vergessen oder ob man aus der letzten Woche tatsächlich etwas über die Zusammenarbeit auf der Tribüne mitnehmen kann, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen müssen. ..
Freude
Damit kann ich nun zum Spiel kommen. Und was für ein Spiel! 2018-Klopp hatte Aubameyang und Subotic draußen gelassen und stattdessen Kuba und Sokratis gebracht, ansonsten spielten die Derbysieger. Und sie spielten direkt ein paar Knoten in die Stuttgarter Beine. Lewandowski und Reus hätten den Spielstand bereits nach 4 Minuten auf 2:0 stellen können, verpassten aber beide innerhalb von nicht mal einer Minute den Führungstreffer. Kubas Kunstschuss auf den Stuttgarter Kasten in der 8. Minute war einer aus der heute noch viel zitierten Kategorie „wenn er den wirklich so machen wollte…“ und konnte von Ulreich nur mit viel Mühe zur Ecke gelenkt werden. Ecke? Da war doch was… Genau, alle Mann zurück an den eigenen Strafraum, es könnte ein gefährlicher Konter entstehen. Allerdings spielte Stuttgart das nicht ganz so gut zu Ende, so dass keine Gefahr bestand für den Kasten von Weidenfeller. Ein paar Minuten später änderte sich das schlagartig, denn Stuttgart kriegte seine erste Ecke. Und da wir einerseits nicht nur bei eigenen sondern auch bei gegnerischen Standards eine gewisse Schwäche haben (bei, nicht für!) und andererseits Stuttgart bisher beinahe jedes Spiel ein Tor nach einer Standardsituation erzielte, war es fast schon logisch, dass wir 1:0 in Rückstand gerieten. Ein Aufsetzer (der obengenannten Kategorie) von Haggui landete im linken Winkel, Sahin war schlicht 10cm zu klein. Unglücklich und unverdient die Führung für die Gäste, doch den BVB-Schnellzug hielt das nicht auf. Es muss im Stuttgarter Zugverkehr in den nächsten Tagen mit Verspätungen gerechnet werden, denn der Schnellzug aus Dortmund dürfte einige Spuren an den Gleisen hinterlassen haben. Vielleicht wäre es Zeit für einen neuen Bahnhof… Moment, falsches Thema! Es folgte eine dicke Überraschung. Wieder gab es eine Ecke für den BVB, Weidenfeller war in Alarmbereitschaft, Hummels gedanklich schon zurück am eigenen Strafraum. Die Ecke von Sahin segelt rein und Sokratis (wohl noch nicht ganz so vertraut mit den Abläufen in seinem neuen Verein) köpft knallhart ins Tor! Wahnsinn, ein Tor nach einer Ecke!!! Die Stuttgarter waren so überrascht, dass sie das verteidigen einstellten und Reus keine drei Minuten später freie Bahn ließen. Nachdem er gerade schon alleine vor dem Torwart den Ball nicht richtig annehmen konnte, machte er diesmal alles richtig. Ein harter platzierter Schuss ins weite Eck und endlich repräsentierte die Anzeigetafel das Spielgeschehen – zumindest ansatzweise. Und Reus feierte auf seine Art. Nachdem Sahin vor ein paar Jahren das Herz als Jubel eingeführt hatte, folgte von Reus nun Karo. Wir sind gespannt wer uns Pik und Kreuz zeigen wird. Es folgten richtig schön herausgespielte Chancen für Hummels (27.), Kuba (31. Und 32.) und Lewandowski (33.), die jedoch ungenutzt blieben. Danach verflachte das Spiel ein wenig und die Borussia zeigte hinten gewisse Konzentrationsschwächen. Eine davon nutzte Werner um in den Strafraum einzudringen, sich an Großkreutz zu lehnen und umzufallen. Nichts los, eigentlich, aber es gibt ja Schiedsrichter und die wollen manchmal auch mitmachen. Meyer pfiff, zeigte auf den Punkt, hörte dann aber dass dies Mist ist und entschied auf Schiedsrichterball. Abgesehen vom Pfiff hatte er somit alles richtig gemacht und so ein bisschen Aufregung tat dem Spiel in der Phase ganz gut. Es ging mit einer zu knappen Führung in die Pause.
Feierkuchen
Die zweite Halbzeit hatte es in sich. Die Borussen stellten nun auch die Konzentrationslücken und Pausen ab und spielten sich in einen Tiki-Taka-Rausch. Einen mit einer kloppschen Note, also eher Tick-Tack-Bum. Reus mit der Hacke auf Lewandowski, der mit links vorlegt und im Fallen mit rechts einnetzt, wieder zwei Ballberührungen der Kategorie „wenn er den wirklich so machen wollte…“. Sekunden später Mkhitaryan mit einem Traumpass über das halbe Feld zwischen vier völlig orientierungslosen Stuttgarter Beinen hindurch auf Lewandowski und der cool ins weite Eck. Klopp hielt es nach einer Stunde für angebracht ein paar Spieler zu schonen und nahm Reus und Schmelzer vom Feld, für sie kamen Aubameyang und Durm. Auf dem Feld änderte sich dadurch nichts, noch immer waren die Stuttgarter auf der Suche nach dem Licht am Ende des Tunnels, dabei kam ihnen immer wieder der Schnellzug entgegen – verheerend. In der 72. Minute legte Lewandowski mustergültig auf Kuba auf. Ulreich parierte den strammen Schuss ans Lattenkreuz und Lewandowski war schon mit dem Ball in der Hand an der Mittellinie nach seinem Torjubel, als die Stuttgarter Verteidiger merkten, wo der Ball hin gesprungen war. Es folgt der letzte aus der Kategorie „wenn er den wirklich so machen wollte…“, präsentiert von Aubameyang. Ein schöner Konter spielt Lewandowski an der Strafraumgrenze zur anderen Seite, wo der Franzose den Ball aus spitzem Winkel sanft und mit Effet über Ulreich ins Netz lupfte. Das 6:1 war der Schlusspunkt, auch wenn noch 10 Minuten zu spielen blieben und der BVB keine Anstalten machte das Spielen einzustellen. Unter „In der Bundesliga ist allen bekannt, sind die Fans von Borussia die besten im Land!“, dem BVB-Walzer und zum Schluss noch einem „Darum sagen wir auf Wiedersehn.“ gingen die letzten Minuten zu Ende und Meyer pfiff die Partie pünktlich ab. Schade eigentlich, denn das Spiel hätte ruhig noch etwas weiter gehen können.
Nachspiel
Wären Fußballspiele alle so wie dieses, bräuchte es niemals irgendwelche Diskussionen über etwas anderes zu geben. Für den Moment jedoch ist es gut, wie es ist, ein Moment zum genießen. Was die weiteren Nachwirkungen der letzten Woche und dieses Spiels sein werden, wird sich zeigen müssen. Bereits am Mittwoch gegen Arsenal heißt es für Mannschaft und Fans an das Spiel an zu knöpfen, denn es war von Anfang bis Ende und in allen Facetten ein perfekter Abend gewesen. Danke Jungs!
Die Fotostrecke zum Heimsieg gibt es wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Statistiken
Borussia Dortmund: Weidenfeller – Großkreutz, Sokratis, Hummels, Schmelzer (70. Durm) – Bender, Sahin – Blaszczykowski, Mkhitaryan (76. Schieber), Reus (59. Aubameyang) – Lewandowski
VfB Stuttgart: Ulreich – Sakai, Schwaab, Haggui, Boka – Kvist, Gentner – Leitner (85. Traore), Maxim, Werner(74. Harnik) – Ibisevic (68. Abdellaoue)
Gelb: Sokratis (53.)
Tore: 13. Haggui (Kopfball, Eckball Maxim); 19. Sokratis (Kopfball, Eckball Sahin), 22. Reus (Linksschuss), 54. Lewandowski (Rechtsschuss, Reus), 56. Lewandowski (Linksschuss, Mkhitaryan), 72. Lewandowski (Rechtsschuss, Blaszczykowski), 81. Aubameyang (Rechtsschuss, Lewandowski)
Schiedsrichter: Florian Meyer – wirkte etwas unsicher in seinen Entscheidungen, nahm aber mutig und zurecht den Elfmeter zurück, Note 3
Noten
Weidenfeller: Sein 300. Bundesligaspiel hätte er fast so gut vor dem Fernseher verbringen können. Bei Flanken und Ecken wie immer etwas zu passiv, ansonsten nicht gefordert. Note 3
Großkreutz: Ihm läuft noch zu oft der Mann weg, so auch vor dem „Elfmeter“. Ansonsten hat er da hinten eine wahnsinnige Entwicklung durch gemacht. Fiel heute etwas weniger auf als auch schon. Note 3
Sokratis: Hat noch nicht mitbekommen, dass man beim BVB keine Tore nach Ecken schießt. Ansonsten sehr solide und sicher in den Zweikämpfen. Ein sehr guter Ersatz für die Innenverteidigung. Note 2
Hummels: Beim Gegentor unglücklich unter dem Ball durchgesprungen. Fußballerisch gewohnt filigran und wiederum mit einer starken Offensivaktion im gegnerischen Strafraum. Scheint sich hinten gelangweilt zu haben. Note 2.5
Schmelzer: Unauffällig und kaum gefordert. Mit ein paar Unsicherheiten und wenigen Vorstößen, nach 70 Minuten ausgewechselt. Note 3.5
Bender: In den letzten Spielen etwas unter Standardniveau. Heißt für ihn: er verteidigt im Moment nur für 3 und nicht für 6. Viel zu wenig gewürdigt, wie immer. Note 2
Sahin: Ist definitiv 10cm zu klein, was allerdings nicht seine Schuld ist. Ist noch nicht wieder ganz der Sahin den wir von früher kennen, aber auf einem guten Weg. Hat die erste Ecke seit Menschengedenken vorbereitet, die zu einem BVB-Tor geführt hat. Note 2.5
Kuba: War von Anfang bis Ende überall auf dem Feld zu finden, zweimal im Abschluss Pech gehabt, wobei sein zweiter Schuss zur Vorlage für das 5:1 wurde. Fiel etwas weniger auf als seine offensiven Mitspieler, was seine Leistung nicht schmälern sollte. Note 2
Mkhitaryan: Scheint so unauffällig und dribbelt sich zu oft fest, dabei aber an erstaunlich vielen Toren beteiligt. Heute wiederum zwei vorbereitet. Note 2.5
Reus: Sehr gutes Spiel von ihm heute. Die Chancenverwertung könnte man ihm noch ankreiden, ansonsten wenig zu bemängeln. Note 1.5
Lewandowski: Wechselhickhack hin oder her, der Mann ist schlicht Weltklasse! Hattrick, Tor vorbereitet und trotzdem noch Chancen vergeben. Note 1
Aubameyang: Kam erst in der 59. Minute, hat nahtlos an die Leistung seiner offensiven Mitspieler angeknüpft und ein wunderschönes Tor geschossen. Im Zweifel für den Angreifer gehe ich davon aus, dass er den genau so machen wollte. Note 1.5
Durm: Wurde erst in der 70. Minute eingewechselt und ist gefühlt kein einziges Mal am Ball gewesen, was hauptsächlich an seinen Vorderleuten lag. Hat eine super Entwicklung hinter und eine goldene Zukunft vor sich, wenn er so weiter macht. Heute ohne Note.
Schieber: Wurde frenetisch angefeuert, hat ein Tor erzielt das nicht zählte und trotzdem gefeiert wurde. Hat geackert und alles versucht nach seiner Einwechslung, wirkt trotzdem oft als würde er seinen Mitspielern im Weg rumlaufen. Note 3
Stimmen zum Spiel
Thomas Schneider: „Wir mussten einen optimalen Tag erwischen, um hier etwas zu holen. Das ist uns nicht gelungen, dabei sind wir gut ins Spiel gekommen. Wir haben in der Anfangsphase agiert, wie wir uns das vorgenommen hatten: Wenig Kontakte, und schnell nach vorne spielen. Nach dem 1:0 sind wir aber in alte Muster verfallen und haben uns zu lange am Ball aufgehalten und waren nicht konsequent in der Defensive. In der zweiten Halbzeit hat Dortmund dann ein klasse Spiel gemacht.“
Zum fraglichen Elfmeter: „Der Schiedsrichter hat mir gegenüber geäußert, dass es wohl eine Berührung gab. Er war sich nicht sicher, hat gepfiffen und dann Schiedsrichterball gegeben. Wenn es eine Berührung gegeben hat bei dem Tempo, mit dem Timo Werner in den Strafraum eingedrungen ist, ist das ein klarer Elfmeter. Ich weiß nicht, inwiefern da der Linienrichter noch eingegriffen hat. Das ist aber Makulatur, ich weiß nicht, ob das am Spielverlauf in Durchgang zwei noch etwas geändert hätte.“
Jürgen Klopp: „Wir haben den Gegner direkt unter Druck gesetzt und sofort Gegenpressing-Aktionen gehabt – nur daraus haben wir nichts gemacht. Aus zwei Konzentrationsfehlern sind dann die beiden Standards entstanden, von denen eine zum 0:1 geführt hat. Da waren wir inkonsequent. Danach hatten wir gute Aktionen, unterbrochen von Konzentrationsmängeln. Aufgrund der zweiten Halbzeit haben wir dann verdient gewonnen. Da haben wir eine Schippe drauf gelegt, die Räume gut für zweite Bälle besetzt, einen Doppelschlag geschafft und sind dann dran geblieben. In der Elfmeterentscheidung hatten wir sicher Glück. Ich habe es ein paar Mal gesehen und kann immer noch nicht zu 100 Prozent sagen, ob es eine Berührung gab.“
Roman Weidenfeller: „Wir haben in Halbzeit zwei alles richtig gemacht, waren zielstrebig und haben die Dinger reingemacht. Danach haben wir weiter nach vorne gespielt. Nur in Halbzeit eins waren wir nicht konsequent genug. Respekt an den Schiedsrichter, der den Elfmeter zurückgenommen hat. Das war die richtige Entscheidung.“
Robert Lewandowski: "Gegen Stuttgart haben wir uns immer schwer getan. Aber heute sind wir nach sechs Toren und so einem klasse Spiel natürlich zufrieden.“
Nadja, 02.11.2013