Rom, Neapel, Warschau, Nürnberg: Spiel- und Stimmungsberichte aus Europa und der Liga
Was waren das für geile Spiele! Die Enttäuschung über die eher langweilige Champions League Gruppe mit den noch gut vertrauten Gegnern aus Marseille und London war verflogen, als sich mit gerade einmal 1.500 Mann der wohl engere Kern der Dortmunder Anhängerschaft auf den Weg in Richtung Süditalien begab. Dieser hatte das wohl interessanteste Spiel der Hinrunde vor der Brust und traf auf eine der mit weitem Abstand besten Heimkurven der letzten Jahre – dort ging das Spiel zwar leider unglücklich verloren, doch gewannen die Dortmunder Schlachtenbummler den Respekt der Neapolitaner: Applaus im Stadion, massenhaft erhobene Daumen und Standing Ovations gegenüber den abfahrenden Bussen zeigten überdeutlich, dass der Gästeanhang eine ganze Menge richtig gemacht hatte.
Es hatte sich bereits im Vorfeld angedeutet, dass nicht allzu viele Borussen den Weg nach Italien antreten würden. Eine äußerst schleppende Nachfrage nach den sonst so begehrten Tickets sorgte dafür, dass nicht nur jede einzelne Kartenanfrage mühelos erfüllt werden konnte, sondern auch zahlreiche Fans und Fanclubs auf ihren georderten Karten sitzen blieben. Die Gründe dafür waren vielfältig und müssen wohl nicht in der Tiefe analysiert werden – neben sehr hohen Reisekosten bei urlaubsverträglichen Direktflügen fiel jedoch auf, dass trotz ähnlich kurzfristiger Planungsfrist wie vor einem Jahr in Manchester überraschend viele Mütter Geburtstag feierten und Hamster aus dem Krankenhaus abgeholt werden mussten.
Tatsächlich hat uns wohl eher die Normalität des Alltags eingeholt: Jeder war schon einmal mit Borussia im Ausland unterwegs, ein Sättigungseffekt zwischen den vielen Fahrten und Wettbewerben hat sich eingestellt, die Nachfrage verteilt sich und nicht wenige verlassen sich auf die internationalen Spiele in der Rückrunde, die dann ganz bestimmt die erhofften Kracher bereithalten. Dazu steht in der kommenden Woche ein Spiel beim Oktoberfest TSV 1860 München an, das sich vor wahrscheinlich ausverkauftem Haus nur wenige Touristen entgehen lassen wollen. Die Bereitschaft, unmögliche Dinge für einen international eher glanzlosen Gegner möglich zu machen, ist vor diesem Hintergrund einfach geschwunden.
Wer ein paar Tage Zeit mitgebracht hatte, bereute jedoch nichts und fand in Italien traumhafte Bedingungen vor. Die meisten Mitfahrer hatten sich für einen Aufenthalt in Rom entschieden und erlebten dort einen wunderschönen Spätsommer mit durchgehend 26 bis 28°. Die ewige Stadt lockte mit durchwegs fairen Preisen, ganz untypisch für Touristenstädte dieser Größenordnung – Pizza und Pasta mit direktem Blick aufs Kolosseum gab es ab sechs Euro und auch die sehr großen Flaschen mit 0,7 Liter Fangetränk ließen die Herzen bereits ab 2,50 Euro höher schlagen. Nicht wenige waren zum ersten Mal in Rom und erlebten beeindruckende Sehenswürdigkeiten, großartige Gastfreundschaft und zahlreiche Vorurteile, die mal so überhaupt nicht zutrafen. Die Eintrittspreise waren ebenfalls sehr fair (Kolosseum und Forum Romanum für 12 Euro mit haufenweise Rabatten bis hin zu freiem Eintritt für EU-Bürger unter 18/über 65) und die als endlos angekündigten Schlangen meist in 20 Minuten abgearbeitet. Andere Fans hatten sich für einen Badeurlaub in Pescara oder ausgedehnte Hoppingtouren quer durch Italien entschieden – auch sie erlebten in Genua, Parma, Bergamo, Mailand oder Neapel eine durchwegs tolle Zeit.
Spiel 1: SSC Napoli vs. Borussia Dortmund
Am Mittwochnachmittag trafen sich rund 250 Borussen am Römer Bahnhof Termini, um mit einem der Busse zum Spiel zu fahren, die der BVB dankenswerterweise organisiert hatte. Natürlich wäre ein halbwegs selbstständiger Mensch auch dazu in der Lage gewesen einen passenden Zug zu finden, doch war es eine schöne Sache, gemeinsam mit Freunden zum Stadion zu fahren. Die Fahrt aus Rom direkt zum Stadion und wieder zurück gab es für 20 Euro, die Organisation war spitzenmäßig und ein großes Dankeschön geht an Jens Volke (stellvertretend für die gesamte BVB-Fanbetreuung).
Doch Italien wäre nicht Italien, wenn die Polizei nicht das unbedingte Verlangen hätte, irgendwie ein Wörtchen mitreden zu wollen. So gab es bereits recht früh auf der 230km langen Fahrtstrecke (mit Polizeieskorte und Begleithelikopter) die Ansage, dass irgendwann eine Komplettdurchsuchung des Busses bevorstehen werde – sämtliche Dosen, Flaschen und anderen Behältnisse müssten aus dem Bus entfernt werden, da die Stadioneingangskontrollen bereits auf einem Parkplatz vor Neapel stattfinden und die Busse innerhalb des Gästebereichs parken würden. Also setzte ein hektisches Leertrinken sämtlicher niedrig- und hochprozentigen Fangetränke, die eigentlich einen ganzen Abend hätten halten sollen, ein – ein Spitzenkonzept der Herren in Blau. Und natürlich wäre Italien nicht Italien, wenn die Information gestimmt und die Kontrolle funktioniert hätte – natürlich parkten die Busse vor dem Stadion und wurden die Fans am Eingang noch einmal durchsucht, so dass man den gesamten Einsatz (fortan mit Hubschrauberüberwachung) als eher sinnbefreite Verschwendung italienischer Steuergelder bezeichnen konnte. Immerhin hatte die Fahrt dank derartiger Zwischenstopps gut über vier Stunden gedauert und wir erreichten das Stadion relativ kurz vor Anpfiff.
Während die einen sich am Gästeblock befummeln ließen, begann für mich eine kleine Odyssee. Um die hinterlegte Pressekarte an einem vereinbarten Treffpunkt in Empfang zu nehmen, wurde Polizeibegleitung gestellt. Diese führte mich (noch ohne Karte) mal eben in Block 14, statt zum Gate 14. Nach einigem Hin und Her ging es dank freundlicher Unterstützung mehrerer Ordner wieder aus dem Stadion hinaus zum eigentlichen Ziel. Meinen Platz erreichte ich nach weiteren Irrwegen erst Sekunden vor dem Anpfiff, doch beschränkte ich mich als Berufsoptimist auf die Erkenntnis, dass es schon ziemlich beeindruckend war, mehrfach mitten durch die Heimkurve zu laufen und die Stimmung dort noch viel intensiver zu erleben. So lag die Pressetribüne nicht einmal 20 Meter entfernt vom Gästeblock, doch war dort dank baulicher Trennungen selbstverständlich kein Durchkommen möglich.
Auf der linken Seite zeigten die Hausherren eine eher langweilige Papptafelchoreografie. Grüne Tafeln und eine Blockfahne dazwischen waren nun wahrlich nicht das Maß aller Dinge. Auf den anderen Tribünen qualmte es, besonders im Block des Dortmunder Anhangs. Massenhaft Pyrotechnik wurde gezündet, darunter Kanonenschläge ebenso wie Bengalos und allerlei andere Kleinigkeiten. Nun sind die Argumente für und gegen Pyrotechnik hinlänglich bekannt, also wollen wir es dabei belassen, die Situation vor Ort zu beschreiben: Die Fans rund herum fanden es ziemlich geil, auf den Presseplätzen gab es einige schmunzelnde Gesichter zu sehen und Polizisten wurden dabei beobachtet, wie sie mit ihren Handys Bilder für ihre privaten Fotoalben knipsten. Ein Vorgehen gegen die Dortmunder Fans gab es zu keinem Zeitpunkt, ebenso wenig wie gegen einen etwa acht Jahre alten italienischen Jungen, der gut gelaunt einen Rauchtopf schwenkend vor dem Gästeblock auf- und ablief. Die Umstehenden im Block waren frühzeitig gewarnt und hatten ausreichend Zeit und Gelegenheit, um sich in einen anderen Bereich des Blocks zu bewegen oder aber mitten in der Menge stehen zu bleiben. Schade, dass aufgrund dessen so manchem Diskutanten das abendliche Bier in der Kneipe nicht mehr richtig schmecken wollte – hier wäre es in manchem Fall hilfreich gewesen, die italienischen Pyrotechnik-Maßstäbe zu kennen und sich ansonsten mit hanebüchenen Ferndiagnosen zurückzuhalten.
Die Aufstellung bot kaum Überraschungen, nur Pierre-Emerick Aubameyang war gegenüber der HSV-Gala für Kuba aus der Startelf herausrotiert worden. Das mit Hexenkessel noch untertrieben bezeichnete Stadion explodierte förmlich, von allen Seiten und Tribünen kamen alle Arten von Gesängen und Schlachtrufen. 55.800 Zuschauer brachten eine Atmosphäre in die Bude, als ob es die Gängeleien und Krisen im italienischen Fußball nie gegeben hätte. Sobald ein Borusse an den Ball kam, setzte ein gellendes Pfeifkonzert an und verstetigte sich von Sekunde zu Sekunde, bis die Trommelfelle zu schmerzen begannen. Ansonsten dominierte die linke Kurve gesanglich, während die rechte Kurve neben dem Gästeblock vor allem mit Klatschchoreos große Dynamik und massive Lautstärke ins Spiel brachten – man wollte sich gar nicht vorstellen, was diese Fans in einem akustisch guten Stadion alles zu leisten im Stande sein könnten. Denn bereits in ihrer alten, deutlich vom Verfall gezeichneten und dabei wundervoll authentischen Spielstätte reichte es mühelos, um elf Borussen in den Wahnsinn zu treiben.
Der SSC Neapel versuchte von Beginn an, sich diese Verwirrung zunutze zu machen. Statt sich in der Defensive zu verstecken, verschoben die Italiener schnell und setzten Borussia bereits in der eigenen Hälfte unter Druck. Beide Außenverteidiger drängten ins Mittelfeld und sorgten dort für ein Überzahlspiel, gegen das unsere Jungs lange Zeit kein richtiges Mittel fanden. Gelangte der BVB jedoch über eine gute Einzelsituation oder Zufall in Ballbesitz, zogen sich die neapolitanischen Mittelfeldspieler in die eigene Innenverteidigung zurück und machten die Räume eng. Es entwickelte sich damit schon sehr früh ein Spiel, in dem sich die Kontrahenten ständig gegenseitig auf den Füßen standen und die Hausherren ihren Heimvorteil gnadenlos ausspielen konnten. Torraumszenen blieben folgerichtig Mangelware, ein Torschuss von Robert Lewandowski und der anschließende Nachschuss von Marco Reus blieben die einzigen Gelegenheiten der ersten halben Stunde.
Neven Subotic verletzte sich bei einer Aktion sehr unglücklich und musste längere Zeit behandelt werden. Als die Behandlung abgeschlossen war, hatte der vierte Offizielle noch immer einen Blutfleck ausgemacht und eine erneute Versorgung angeordnet – als Subotic nach knapp vier Minuten während eines Eckstoßes das Spielfeld betreten durfte, Neapel eben diese Verwirrung zum 1:0 durch Higuain nutzten konnte, brachen bei Jürgen Klopp alle Dämme. Wütend schnaubte er den vierten Offiziellen an, fuchtelte wild in der Luft umher und ließ sich auch sonst nicht mehr beruhigen. Ein Platzverweis für Klopp war die logische Folge, ebenso der anschließende Entschuldigungsmarathon.
Obwohl es sich bei unseren Spielern um gestandene Profis handelt, die bereits mehrere Titel gewonnen und mit der Erfahrung eines Champions League Finales angereist waren, ist es eventuell möglich, dass unser Trainer in dieser Situation das Spiel verloren hat. Allerdings war es schon arg peinlich, wie diese Situation medial behandelt wurde. Statt sich darüber zu freuen, in einer Welt voller Jogi Löws, Hansi Flicks und Oliver Bierhoffs noch einen Trainer mit Esprit zu haben und darüber hinweg zu sehen, dass er in einem von 50 Spielen die Selbstbeherrschung verloren hat, musste die Moralkeule mit voller Wucht geschwungen werden. Ein Trainer, der über nichts so gerne redet wie Fußball und den Boulevard schlichtweg verabscheut, sah sich wieder einmal mit diversen Fragen nach Nebensächlichkeiten konfrontiert und musste sich obendrein noch für solche entschuldigen.
Bis zum Halbzeitpfiff folgten diverse schwache Freistöße des in der ersten Halbzeit sonst gut aufspielenden Reus, oben drein aber zwei weitere bittere Rückschläge für den BVB. Mats Hummels, bis dato einer der besten Spieler auf dem Platz, verletzte sich bei einem Zweikampf und musste mit schmerzverzerrtem Gesicht vom Platz genommen werden. Ein eingeklemmter Nerv ließ keine weitere Einsatzminute zu. Dummerweise hatte sich Papa Sokratis eine Verletzung im Abschlusstraining zugezogen, so dass eine ganz andere Option gewählt werden musste – Aubameyang kam ins Spiel, Sven Bender übernahm Hummels Part und plötzlich wurden die Räume in der Defensive immer größer. In der 45. Spielminute war es eben Bender, der nicht schnell genug schaltete – Higuain rannte alleine auf das Tor zu und hätte sich die Ecke wohl aussuchen können, wenn nicht Weidenfeller aus dem Tor herausgestürmt und sich dazwischen geworfen hätte. Dabei hatte Weidenfeller alles richtig gemacht: Torchance vereitelt, den sicheren Ausbau der Führung verhindert. Dummerweise hatte er den Ball nicht mit der Brust aus der Gefahrenzone bugsiert, sondern die Hand am Ball gehabt – zu allem Überfluss auch noch vor dem Strafraum, sodass der Schiedsrichter nur die rote Karte zücken konnte.
Die erste Halbzeit endete mit einer verdienten Führung der Italiener, die dem BVB in den entscheidenden Minuten den Schneid abgekauft hatten. Hektik, viele Unkonzentriertheiten und eher zufällige Einzelsituationen hatten zu keiner Zeit einen richtigen Spielfluss entstehen lassen, die Hausherren wirkten abgeklärter und zielstrebiger. Sie hatten mit vielen Nickligkeiten ein sehr robustes Spiel aufgezogen, das Schiedsrichtergespann mit schauspielerischen Einlagen der schlimmsten Sorte mit seiner Hektik angesteckt und Klopp sein Schärflein dazu beigetragen.
Die zweite Halbzeit stand zunächst ganz im Zeichen der Konsolidierung. Ohne allzu viel riskieren zu wollen, versuchte Borussia die Schnelligkeit Aubameyangs zu nutzen und unseren Sprinterstar gefällig in Szene zu setzen. Während das übrige Offensivpersonal immer wieder aushelfen musste und hinten gefordert war, schaffte es der Gabuner tatsächlich, die gegnerische Abwehr zu überlaufen. Leider kam bei diesen Angriffen aber nichts Zählbares heraus. Auf der anderen Seite spielte Neapel die eigene Überzahl so gut wie perfekt aus – immer wieder kamen Insigne und Higuain gefährlich nahe ans Dortmunder Tor heran, ein Ausbau der Führung schien allen Dortmunder Bemühungen zum Trotz in der Luft zu hängen. In just diesem Moment trat Insigne zu einem Freistoß an, ein Sonntagsschuss an die Unterkante der Latte ließ alle Hoffnungen der Gäste wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Weil das alles noch nicht reichte, brach sich Mitch Langerak bei seinem Zusammenstoß mit dem Pfosten auch noch einen Zahn ab – ein gebrauchter Tag.
Borussia kam nach diesem erneuten Rückschlag besser ins Spiel. Neapel zog sich etwas stärker zurück und verließ sich auf pfeilschnelle Konter, die Gäste mussten kommen und wollten mindestens auf 2:1 verkürzen. Chancen dafür gab es einige – Aubameyang traf die Latte, Jonas Hofmann brachte neuen Schwung und scheiterte an Reina, Nuri Sahin trat einen Freistoß nur knapp über den Querbalken – hinten hielt Langerak mit guten Paraden die Mannschaft im Spiel. Kurz vor Schluss, Neapel hatte hohen Tribut für das schnelle Spiel zahlen müssen, fiel das zu diesem Zeitpunkt dann auch verdiente Tor für die schwarzgelben – passend zum Spielverlauf ein Eigentor Zunigas. Der BVB versuchte sich nun am Ausgleichstreffer und bekam noch einige gute Chancen, die der starke Reina im italienischen Tor jedoch zu verhindern wusste. Borussia verlor das Spiel in der Höhe verdient mit 2:1, musste schmerzliche Verluste wie den Ausfall von Weidenfeller, Klopp und Hummels verkraften.
Auf den Rängen zeigte sich dabei ein ungewohntes Bild: Die berühmt-berüchtigten Fans des SSC Napoli applaudierten dem BVB und vor allem seinem Anhang. Dieser hatte über 90 Minuten alles gegeben und sich den Respekt der Hausherren verdient. Die übliche Blocksperre nach dem Spiel blieb locker, die schwarzgelben Anhänger durften sich auf der Tribüne und den großen Freiplätzen darunter verteilen. Essens- und Getränkeverkäufer liefen durch die Reihen, die Polizisten machten einen lockeren Eindruck und behielten ihre Helme in den Händen. Trotz Pyrotechnik schien auch hier überhaupt kein Gefährdungspotential vorhanden zu sein, die neapolitanische Polizei ein gutes Gefühl für die Situation zu haben. Nach einem dennoch etwas chaotischen Marsch zu den Bussen ging es wieder zurück nach Rom – nochmals hielten italienische Fans ihre Daumen nach oben und klatschten dem abfahrenden Gästemob Beifall. Dank Polizeieskorte ging es diesmal sogar richtig schnell – die Busse bretterten über sämtliche roten Ampeln, Kreuzungen und Kopfsteinpflaster hinweg, ein intensiver Fußballtag fand sein Ende bei McDonald’s und Diskussionen über das Erlebte.
Die Fotostrecke zum CL-Spiel beim SSC Napoli findet Ihr wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
Spiel 2: SS Lazio vs. Legia Warschau
Der folgende Tag wurde wieder für Sightseeing genutzt und stand ganz im Zeichen des Aufeinandertreffens des SS Lazio und der Legia Warschau. Gut über 2000 Polen hatten sich auf den Weg nach Rom begeben, hatten sich in Gruppen quer über die Stadt verteilt und einen großen Hauptmob im Zentrum gehalten. Zwischen Kolosseum und Vatikan waren immer wieder Gruppen von fünf bis sechs Polen zu sehen, alle in weißen T-Shirts gekleidet und stets mit mindestens drei Vertretern der Marke „doppelt so groß und dreimal so breit“ besetzt. Bereits grobe Blicke machten deutlich, dass diese Herrschaften kein Interesse an einer verbalen Beilegung möglicher Konflikte hatten – beeindruckend und zugleich respekt- oder furchteinflößend.
Wir wollten uns das Spektakel aus der Nähe anschauen und kauften uns für 20 Euro Tickets am äußeren Rand der Curva Nord, um zumindest ein bisschen Respekt vor der Heimkurve zu wahren und uns nicht mitten rein zu stellen. Vormittags im Lazio Shop den Personalausweis zeigen, nachmittags problemlos die bedruckten Karten abholen – wir hatten uns das etwas komplizierter vorgestellt, als es letztlich war. In den Bussen und vor dem Stadion war so gut wie gar nichts los, weit und breit waren keine Fans zu sehen. Direkt vor der Sicherheitskontrolle wurden pyrotechnische Artikel verkauft – Rauchtöpfe gab es bei den fliegenden Händlern ab fünf Euro, unmittelbar vor den Augen der Ordner und Polizisten. Dennoch beschränkte sich die Eingangskontrolle auf die Kontrolle des Personalausweises, ein Abtasten blieb aus.
Im Stadion fanden wir dann recht schnell heraus, warum davor rein gar nichts zu sehen gewesen war – etwa 2500 Polen und 6500 Laziali hatten sich im riesigen Rund verteilt, unsere Plätze waren bereits weit außerhalb des Stimmungskerns. Hatte Neapel noch die fantastische italienische Fußballatmosphäre geboten, zeigte dieses Spiel alle Probleme und Sorgen des italienischen Fußballs. Die Stimmung der Römer war mit enttäuschend noch sehr euphemistisch beschrieben, bis auf durchgehende Pöbeleien einiger Fans war nur selten etwas zu vernehmen. Auf der Gegenseite spielte sich der wahre Punk ab – Legia hatte Pyrotechnik für eine ganze Saison am Start, durchorganisiert bis zum geht nicht mehr.
Auf Kommando stand der gesamte Block innerhalb von etwa drei Sekunden oberkörperfrei, es wurde geklatscht und gehüpft und gesungen und geschrien, dass es eine Freude war. Leider konnten wir aus unserer Position nur wenig davon hören (etwa 400-500 Meter Luftlinie, dank Laufbahn etc.) und mussten uns auf das Gesehene und von anderen Gehörte verlassen – hier war es fast doch schade, nicht die 40 Euro für die Plätze in die Hand genommen zu haben. Lazio gewann das Spiel letztlich mit 1:0, die polnischen Anhänger faszinierten –keine großen Emotionen oder spielbezogenen Anfeuerungen, sondern Kampfmaschinen mit unfassbar hoher Mitmachquote und Disziplin. Der Abend endete bei Fangetränken in einer mittelgroßen Gruppe in Bahnhofsnähe, die immer wieder vorbeilaufenden Gruppen polnischer Fans flößten nun noch mehr Respekt ein als zuvor.
Spiel 3: 1. FC Nürnberg vs. Borussia Dortmund
Direkt aus Italien ging es für einige Fans auf den Weg zum Auswärtsspiel nach Nürnberg. Dort sollte die blütenweise Weste der bisherigen Bundesligasaison beibehalten und die kleine Scharte aus Neapel wieder ausgewetzt werden. Leider gestaltete sich die Anfahrt nicht für einen großen Teil der der Dortmunder Fanszene nicht ganz so erfreulich – ein defekter Bus und dichter Verkehr verzögerten die Ankunft bis kurz vor Spielbeginn. Zu allem Überdruss hatte bereits zuvor eine Gruppe vollkommen bescheuerter Dortmunder einen Bus des Fanprojekts (!) Münster angegriffen – eine Besatzung bestehend aus Kindern, Frauen und harmlosen Fans so sehr einzuschüchtern und einem jungen Fan auch noch die Nase zu brechen, wird hoffentlich Konsequenzen haben. An dieser Stelle hört einfach alles auf, was irgendwie mit Verständnis zu tun hat.
Während die Busse noch auf der Autobahn standen, hatte sich am Mannschaftshotel eine wahre Menschentraube angesammelt, die Autogramme abstauben und Groupie spielen wollte. Am Gästeeingang wurden haufenweise Tickets, die für einige Fanclubs eher schwer zu bekommen waren, zu Schleuderpreisen unter das Volk gebracht. Leichtsinnige Borussen bewegten sich ziemlich freizügig rund um das Stadion und ihre Doppelhalter, die später in der Nürnberger Kurve präsentiert wurden. Eine Gruppe Nürnberger Fans lief die bekannten Gassenhauer (BVB Hurensöhne, etc.) skandierend direkt vor dem Gästeblock auf und ab, was die daneben stehende Polizei jedoch nicht zum vorsorglichen Aussprechen eines Platzverbots bewegte. Nach Spielende kam es an dieser Stelle zu Auseinandersetzungen, mindestens drei BVB-Fans (wohl aus dem Nürnberger Umland) wurden von der Polizei in Mannschaftswagen verfrachtet und zur Stadionwache gebracht. Man fragt sich manchmal schon, ob das alles noch normal ist und was sich manche Menschen eigentlich denken, wenn sie zu einem Fußballspiel fahren.
Die Stimmung auf den Rängen war jedoch fantastisch. Nürnberg stellte eindrucksvoll unter Beweis, die derzeit mit Abstand beste Heimkurve der Liga zu haben – viele kleine und mittlere sowie einige große Schwenkfahnen vermittelten das Bild einer lebendigen Kurve, gesanglich war es eine Glanzleistung. Auffallend war, dass ein Vorsänger die ganze Halbzeitpause durchsang und etwa 100 Nürnberger mitriss – das erlebt man nicht allzu oft. Andererseits hielt der Gästeblock extrem gut dagegen und war auf Nürnberger Seite immer wieder zu hören. Dieser Auftritt gehörte damit wohl zu den besten, die das Frankenstadion in der letzten Zeit gesehen hat.
Die Mannschaft präsentierte sich in einem komplett neuen Gewand. Erik Durm und Marvin Ducksch waren überraschend in die Startelf gerutscht, Robert Lewandowski und Henrikh Mkhitaryan auf der Bank geblieben. Klopp nannte später das harte Spiel gegen Neapel als Grund für die Wechsel – mehrere Spieler waren leicht angeschlagen oder noch nicht wieder voll auf der Höhe, sodass ein Überrennen durch motivierte Nürnberger oder eine mögliche Serie neuer Verletzungen gerade vor den harten Wochen der Mehrbelastung aufgefangen werden sollte. Damit tat Klopp genau das, was in der vergangenen Saison nicht möglich war und letztlich zur Niederlage im Champions League Finale führte – die Rotation sollte Spieler für die kommenden Aufgaben schonen und zugleich den hoffnungsvollen Talenten, die bei den Amateuren seit Wochen brillieren und eine fantastische Vorbereitung ablieferten, die nötige Spielpraxis geben. Zweifelsohne eine riskante Strategie, keinesfalls jedoch eine B-Elf – wie richtig Klopp die Verletzungsanfälligkeit nach dem intensiven Neapelkick eingeschätzt hatte, zeigten die frühen Ausfälle von Marcel Schmelzer und Reus noch vor der Pause.
Überhaupt hatte sich ein eher komisches Spiel entwickelt. Nürnberg spielte deutlich besser als in den letzten Partien, verbaselte aber regelmäßig gute Szenen durch fahrlässige Abspielfehler, mangelnde Konzentration und einen viel zu umständlichen Spielaufbau. Die Schwarzgelben hatten ihrerseits das Spiel gut im Griff, kamen bereits nach sieben Minuten über Reus zu einer guten Situation. In der Heimkurve setzte sich ein Spruchband „Die schlimmste Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit – DFB Sportgericht abschaffen“ mit den als willkürlich empfundenen Bestrafungen aus Spielen der Vorsaison auseinander. Die Nürnberger SKBs hatten damals zum Auswärtsspiel in Frankfurt wohl das Mitführen von hirnrissigen 250kg (!) Pyrotechnik angekündigt, weshalb es an den Eingangskontrollen zu großen Problemen kam und nennenswerte Teile der Nürnberger Fanszene vor den Toren stehen blieben – hier hatte es nun für den Club eine Geldstrafe in Höhe von 80.000 Euro gegeben.
Es folgten ein Lattenschuss von Mike Frantz nach butterzarter Flanke von Timothy Chandler, diverse Großchancen von Aubameyang und eine riesige Chance von Schmelzer, der nach toller Vorarbeit von Reus und Kuba jedoch an Raphael Schäfer scheiterte. Der Führungstreffer für Borussia fiel dann zum genau richtigen Zeitpunkt: 37. Minute, eine klare Schwalbe von Kuba hatte einen Freistoß etwa 25 Meter vor dem Tor eingebracht, und Schmelzer zauberte den Ball mit einem traumhaften Freistoß in den rechten oberen Winkel. Ein eigentlich gutes Spiel mit relativ wenigen klaren Chancen hatte seinen ersten Höhepunkt gefunden, dem leider wenig später zwei Rückschläge folgten: der gut aufgelegte Reus musste nach einem Pferdekuss ausgewechselt werden, ebenso Schmelzer mit einer Verhärtung der Oberschenkelmuskulatur.
Nach der Halbzeitpause ging es munter weiter. Der Gästeblock sang das neue Lied „Und wenn du das Spiel gewinnst…“ in beeindruckender Lautstärke, die Heimkurve hielt mit den erbeuteten schwarzgelben Utensilien dagegen und nach einem Freistoß drosch Per Nilsson den Ball über Weidenfellers Gesicht in die Maschen. Dass Handspiel und Abseits übersehen worden waren, war unschön, angesichts des Führungstreffers aber wohl ausgleichende Gerechtigkeit. Kubas guter Distanzschuss, die großen Chancen von Ducksch sowie den ins Spiel gekommenen Lewandowksi und Hofmann brachten keine Veränderung mehr – da auch Alexander Esswein in der letzten Spielminute den Ball nicht mehr ins Dortmunder Tor bringen wollte (es hätte das 2:1 sein müssen), konnten sich beide Mannschaften letztlich über ein verdientes Unentschieden freuen.
Die Fotostrecke zum Unentschieden im Frankenland gibt es wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.
So haben sie gespielt:
SSC Neapel: Reina – Maggio, Raul Albiol, Britos, Zuniga – Behrami, Inler – José Callejon, Hamsik, Insigne – Higuain
Wechsel: Mertens für Insigne (73.), Pandev für Higuain (78.), Mesto für Hamsik (90.)
Borussia Dortmund (Noten): Weidenfeller (4) – Großkreutz (2), Subotic (3,5), Hummels (2), Schmelzer (4) – Bender (3,5), Sahin (4) – Kuba (4), Mkhitaryan (4), Reus (4) – Lewandowski (4)
Wechsel: Aubameyang (3) für Hummels (45.), . Langerak (2,5) für Kuba (45.), Hofmann für Mkhitaryan (75.)
Tore: 1:0 Higuain (29.), 2:0 Insigne (67.), 2:1 Zunigma (Eigentor, 87.)
Gelbe Karten: Behrami, Britos, Insigne – Schmelzer
Rote Karten: Weidenfeller, Klopp
1. FC Nürnberg: Schäfer – Chandler, Nilsson, Pogatetz, Plattenhardt – Hasebe, Stark – Kiyotake, Frantz, Hlousek - Ginczek
Wechsel: Esswein für Hlousek (67.), Pekhart für Ginczek (81.), Angha für Kiyotake (89.)
Borussia Dortmund (Noten): Weidenfeller (2,5) – Durm (2,5), Subotic (3), Sokratis (2,5), Schmelzer (2,5) – Bender (3) – Kuba (2), Großkreutz (3), Aubameyang (2), Reus (3) – Ducksch (3)
Wechsel: Sahin (3) für Schmelzer (46.), Hofmann (2,5) für Reus (46.), Lewandowski für Kuba (65.)
Tore: 1:0 Schmelzer (37.), 1:1 Nilsson (51.)
Gelbe Karten: Chandler – Reus, Subotic
SSC, 22.9.2013