Früher hat Werder mir besser gefallen
Manchmal, nur manchmal, ergeben sich perfekte Konstellationen. Nachdem ich die letzten Wochen endlose Kollegenscharen mit einem mühsam rausgepressten „Schönen Urlaub“ verabschieden durfte, war ich endlich auch mal an der Reihe. Urlaub. 15.30 Uhr, der Bleistift fällt und im Gesicht macht sich ein fettes Grinsen breit. Und könnte so ein Urlaub perfekter starten als direkt mit einem Heimspiel von Borussia unter Flutlicht? Also die Bürojeans gegen das kurze Schwarze getauscht, im Auto The Bates mit „A real cool time" (was so ganz nebenbei bemerkt ein richtig guter Song ist) aufgedreht und mich dann vom Shuttlebuskutscher ins Wohnzimmer bringen lassen. Heimspiel Werder. Klingt immer gut.
Zum Anfang schalte ich erst einmal in den Sportschau-Sprachmodus und verkünde mit betroffenem Das-süße-Hundebaby-ist-tot-Kerner-Blick: Die Bilder, die wir Ihnen am liebsten erspart hätten, aber letztendlich doch zeigen, weil sie Quote bringen, müssen wir Ihnen leider wirklich ersparen, weil es keine ersparenswürdigen Bilder gab. Oder anders ausgedrückt: Alles blieb ruhig. Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Freitagabendspiel zwischen dem Tabellenführer Borussia Dortmund und der Nummer zwei vom Weserstrand.
Von Seiten der Fanabteilung stand der Spieltag unter dem Motto „Abpfiff für Rechts". Immer wieder lobenswert, dass die FA in regelmäßigen Abständen daran erinnert, was sowieso eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Dass in Dortmund für Menschen aller Hautfarben, Herkunftsländer und Religionen ein Platz ist und Vertreter gegenteiliger Meinung eindeutig in der Minderheit sind. In der Halbzeitpause gab es dazu auch eine Videobotschaft vom Oberbürgermeister Sirau. Leider geriet sie so ausschweifend, dass man sich anschließend verwundert fragte, wie er es geschafft hat, in 15 Minuten Pause 37 Minuten Sprechzeit unterzubringen.
Auf der Tribüne dann endlich wieder das gewohnte Bild. Hochgstreckte Hände, Gesänge und Mitmachmodus. Mittlerweile dürfte sich jeder selbst ein Urteil über den Stimmungsboykott beim letzten Heimspiel gemacht haben, deshalb soll hier einfach nur festgehalten werden, was wohl unstrittig ist: Mit der ganzen Süd is' schon schöner. Fast schon zwangsläufig wurden natürlich auch die letzten... ähmm... eher unglücklich begründeten Polizeiaktionen in Plakatform thematisiert. „Das wahre Gesicht der Polizei in NRW. Sonntags bei uns, Mittwoch in GE". Dass auf der Süd ein Transparent mit dem Schriftzug „GE" hochgehalten wird, das nicht im Zusammenhang mit eher nicht jugendfreien Beschimpfungen steht, hätte man vor zwei Wochen wohl auch nicht für möglich gehalten und zeigt, dass die Bilder vom Mittwoch Abend Spuren hinterlassen haben.
Aber nun echt mal die Stollen gespitzt, die Stutzen hochgezogen und rauf auf dem Platz. Und bereits nach knapp 15 Minuten wird mir eins klar: Werder hat mir früher besser gefallen. Vorne drei Buden schießen und hinten fünf kassieren. Das macht Spaß, das kann man sich angucken und es gibt drei Punkte für den Gegner. Spaßbremse Dutt hat mit Amtsantritt aber wohl einiges umgekrempelt und so präsentieren sich die Bremer ungewohnt im Braunschweigstil. Borussia mit drückender Überegenheit in der Ballbesitzstatistik, während es sich der Gast aus dem Norden am eigenen Sechszehner bequem macht. Dagegen war selbst Ottos „kontrollierte Offensive" noch ein Feuerwerk des Angriffsfußballs. So richtig gefährlich wird's in der ersten halben Stunde eigentlich nur zwei Mal. Einen hoch an den langen Pfosten geschlagenen Ball nimmt Mkhitaryan (nie war Copy & Paste so wertvoll wie diese Saison) direkt und wemmst die Murmel am kurzen Pfosten vorbei. Ansonsten.. sagen wir einfach, dass man bei ihm die 4 Wochen Verletzung und die fehlende Vorbereitung mit der Mannschaft deutlich anmerkt. Die zweite Szene ist eigentlich gar nicht gefährlich. Bremen schlägt einen Ball der Marke „nicht gut, aber dafür weit" vor Weidenfellers Kasten. Neven joggt hin, Roman joggt hin. Und während man sich des Lebens freut und fasziniert auf das runde Leder starrt, vergessen beide wohl irgendwie zu klären, wer sich denn nun final um das Spielgerät kümmert. Und kurz bevor der Werderraner dann noch mal angelaufen kommt, schaffen es beide, sich nicht nur über den Haufen zu rennen, sondern dabei auch noch die Pille wegzuhauen.
Ansonsten, ich sagte es schon, Ballbesiztfußball. Irgendwo in meinem Hinterkopf brüllt eine Stimme: „Erna, ich krieg die verdammte Fischkonserve nicht auf". In der 37. Minute sieht man dann wirklich einmal, was für ein geiles Umschaltspiel unsere Jungs können, wenn man ihnen nur ein bisschen Platz gibt. Abgefangener Ball, Lewandoski fein in den freien Raum und Kuba rennt mit dem Ball aufs Tor zu als wäre der Jäger hinter ihm her. Im Strafraum dann ein Schuss, auf den Knut Reinhard stolz gewesen wäre und der geschlagene Mielitz guckt dem Ball hinterher.... bis das verdammte Ding unter die Latte knallt. Und schon fluppt das ganze Spiel viel besser. Lewandoski tankt sich in der Mitte durch und fragt den Bremer Keeper, wo er den Ball denn bitte hin haben möchte. Der Lump sagt „rechts" und bewegt sich hinterhältig nach links. Wieder nichts. „Erna, hol ma schweres Gerät. Die Dose klemmt immer noch". Das tut sie auch noch zwei Minuten später als Subotic eine Ecke im langen Eck unterbringen will und Aaron Hunt den Ball von der Linie kratzt. Soll ich wirklich? Eigentlich ist der ja völlig ausgelutscht. Ach, egal. Ich hab Urlaub und gönne mir den flachsten aller Bundesligaflachwitze einfach: Hunt im Strafraum – doch der Elferpfiff bleibt aus.
Und fast direkt mit der Pause dann doch endlich mal die erste Bremer Chance. Arnautovic kommt im Strafraum an den Ball und schießt aus spitzen Winkel. Roman sieht seine Chance auf die erste Ballberührung ohne vorherigen Rückpass und hechtet hin. Unterwegs sieht er aber souverän, dass der Ball eh vorbei geht und zieht die Hände wieder zurück.
Was folgt sind 15 Minuten Pausenhorrorvisionen eines Eckballs in der 89. Minute, der Bremen das 1:0 bringt. Und wo wir schonmal etwas Zeit haben, die Feststellung, dass der Bremer Mob ziemlich gut aufgelegt ist und ordentlich durchzaubert.
Die zweite Halbzeit beginnt eigentlich so wie die erste. Die Null steht bei Werder und Werder steht gut gestaffelt vor dem eigenen Kasten. So kennt man die echt nicht. Zumindest bis zur 55. Minute. Feiner Pass von Großkreutz auf Reus, man ist endlich mal bis zur Grundlinie durchgekommen und am Fünfer steht Lewandowski, dem beim besten Willen nichts anderes übrig bleibt, als einzuschieben. „Eeeeeeeeerna, ich habs geschafft. Der Fisch ist offen". Schwere Geburt, aber verdient und längst überfällig.
Folgerichtig holte Klopp das Fischbesteck raus und wechselte Aubameyang für den vor allem in Halbzeit eins starken Kuba ein. Richtig klasse, was aus dem Spieler geworden ist, der einst nach Dortmund kam, weil er es als Sprungbrett für Real Madrid gesehen hat. Wer hätte damals gedacht, dass das mal ein echter Publikumsliebling wird, für den sich das ganze Stadion erhebt und der mit lautstarken „Kuba"-Sprechchören vom Platz geleitet wird? Sei's drum, der Schachzug war genau richtig. Bremen musste hinten offen machen und genau da brauchte es mit Auba einen frischen, schnellen Spieler. Das Ergebnis konnte man knapp 10 Minuten später sehen. Der Pass aus dem Mittelfeld kommt durch und die Bremer Abwehrspieler sehen nur noch ein witzig augemachtes Bündel Haare, das mit höchstem Tempo allein auf den Kasten zusprintet. Leider macht Mielitz alles richtig, bleibt lange stehen und fährt im richtigen Moment das Bein aus. Eigentlich macht Aubameyang da alles richtig – nur der Bremer macht es besser.
Das einzige, was man unseren Jungs vorwerfen konnte war, das Spiel nicht standesgemäß mit 2:0 oder 3:0 nach Hause zu fahren. Hunt zeigt mal allen, warum es nie verkehrt ist, bei einer Ecke die Pfosten zu besetzten und klärt erneut auf der Linie. Diesmal kam der Ball von Lewandowski. Zwei Minuten später beweist Aubameyang, dass ordentlich Tempo in den Beinen nicht immer von Vorteil sein muss. Reus schiebt die Murmel einmal quer durch den Strafraum, aber leider in den Rücken von Auba, der zwei, drei Schritte zu weit vorangeilt war. „Opa" Kehl wäre vermutlich genau pünktlich für den Pass gekommen.
Kurz vor Schluss muss Taktikfuchs Dutt dann die Erkenntnis gekommen sein, dass es für ein 0:1 keine Punkte gibt und er verordnete die handelsübliche Brechstange. Aber, das muss man auch mal lobend erwähnen, die Dortmunder Abwehr präsentierte sich durch die Bank stabil und ließ nicht mehr als einen Schuss des Bremer Neuzugangs di Santo zu, den Weide parieren konnte.
Achja, zum Schluss noch die Szene des Spiels. Ein Bremer bricht durch, Subotic lässt ihm ein bisschen das Gefühl, etwas Torgefahr versprühen zu können, stellt sich dann vor ihn und räumt ihn sauber ab. Alles fair, alles mit Ball. Neven, du Tier. Der Mann für die spektakulären Abwehraktionen.
Mit diesen Worten gebe ich zurück in die angeschlossenen Funkhäuser und verabschiede mich. Urlaub. Juhu.
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Großkreutz, Subotic, Hummels, Schmelzer - Kehl, Sahin - Blaszczykowski (68. Aubameyang), Mkhitaryan (81. Hofmann), Reus (88. Bender) - Lewandowski
Werder Bremen: Mielitz - Gebre Selassie, Prödl, Lukimya, Caldirola - Makiadi - Yildirim (76. Elia), Hunt, Junuzovic, Ekici (66. Kroos) - Arnautovic (66. Di Santo)
Schiedsrichter: Zwayer (Berlin)
Tore: 1-0 Robert Lewandowski (54. Minute, Vorlage durch Reus)
Zuschauer: 80.645 (ausverkauft)
Chancenverhältnis: 12-2 (6-1)
Ecken: 7-2 (4-1)
Karten: Keine
Einzelbewertungen:
Roman Weidenfeller: Lange Zeit beschäftigungslos, rettete in der Schlussphase das 1:0. Note 2.
Marcel Schmelzer: Hinten kaum gefordert, nach vorne klasse Vorstöße. Note 2.
Neven Subotic: Wie oben gesagt: Der Mann fürs Spektakuläre. Note 2.
Mats Hummels: Die Mauer in der Defensive mit Drang nach vorne wie eh und je. Note 2,5.
Kevin Großkreutz: Solide, aber gerade angesichts von Schmelzers Vorstößen eher blass. Note 3.
Nuri Sahin: Hatte tolle Ideen, auch wenn nicht alle gelangen. Note 2.
Sebastian Kehl: Räumte im Mittefeld auf, setzte Reus einmal glänzend in Szene. Note 2,5.
Marco Reus: Startet langsam den Turbo, erarbeitete sich gute Schusschancen, auch defensiv abgeklärt. Note 2.
Henrikh Mkhitaryan: Wächst zusehends in die 10, schöne Kombinationsansätze, glänzende Defensivarbeit, teilweise am eigenen Strafraum zu finden. Note 1,5.
Jakub Blaszczykowski: Traf nach einem glänzenden Solo nur die Latte, später zurecht mit Standing Ovations verabschiedet. Note 1,5.
Robert Lewandowski: Mit Pech im Abschluss, erzielte aber das Tor des Tages. Note 2.
Pierre-Emerick Aubameyang: Mutierte erneut zum Speedy Gonzalez, vergab die Riesenchance zum 2:0. Note 3,5.
Jonas Hofmann: Lässt sich diesmal nicht benoten, ebenso wie...
Sven Bender.
Stimmen zum Spiel
Jürgen Klopp (BVB): "Wir wollten schnell spielen, was aber nicht in Hektik ausarten sollte. Wir haben auch gut angefangen, aber nach einer halben Stunde haben wir die Galligkeit verloren und nicht konsequent durchgezogen. In der zweiten Halbzeit haben wir dann aber den Fuß nicht vom Gas genommen. Nach neun Punkten aus drei Spielen ist die Chancenverwertung natürlich das coolste Thema, aber wir wollen auch diesen Teilbereich verbessern. Bremen war ein williger, galliger Gegner, aber wir haben sie brutal bearbeitet."
Robin Dutt (Werder): "Das war ein absolut verdienter Sieg, der höher hätte ausfallen könnte. In der ersten halben Stunde haben wir taktisch gut gestanden. Lange Zeit hatten wir das Problem, dass wir uns gegen das Gegenpressing nicht wehren konnten. Aber wenn eine Heimmannschaft den Sack dann nicht zumacht, dann hast Du die Hoffnung auf den Punch; entsprechend haben wir dann auch eingewechselt. Die letzte Viertelstunde hat das Potenzial gezeigt, das in uns steckt. Ein Kompliment an die Mannschaft dafür, wie sie gefightet hat. Defensiv wird es immer besser, offensiv können wir mit Dortmund nicht mithalten."