Polizei trübt den Sturm an die Tabellenspitze
Der BVB ist Tabellenführer: Mit einem 2:1-(0:0)-Arbeitssieg kletterte die Borussia an den Platz an der Sonne. Doch das Glücksgefühl wird deutlich getrübt durch das Vorgehen der Polizei am Sonntagnachmittag im Vorfeld des Spiels im Westfalenstadion.
Begründet mit dem Zeigen von Transparenten mit „strafrechtlich relevantem Inhalt“ in der Vergangenheit kesselten Einsatzkräfte der Polizei vor dem Stadion Mitglieder der Ultragruppierung „Desperados“ ein. Die Polizei teilte dazu später lapidar mit, dass „die mitgeführten Banner überprüft“ worden seien. „Strafrechtlich relevante Aufschriften konnten nicht festgestellt werden. Eine Sturmhaube wurde sichergestellt.“ Was sich im Polizeibericht so harmlos liest, wird von den Betroffenen und Augenzeugen jedoch als wesentlich schikanierender dargestellt. Demnach fanden die sogenannten „Überprüfungen“ jenseits der subjektiv empfundenen Rechtsstaatlichkeit statt, sodass sich die Frage aufdrängte, ob Grundrechte eigentlich auch für Fußballfans gelten. Infolgedessen fassten die Ultras den Entschluss, als Protest gegen die Polizeiaktionen keinen Support im Stadion zu leisten, um damit auf die Missstände aufmerksam zu machen.
Zunächst sprangen dafür während des Spiels noch andere Teile der Süd in die Bresche und sorgten für die Stimmung, doch fast schon zwangsläufig waren diese Versuche mittelfristig zum Scheitern verurteilt. Die Folge war eine teilweise irritierende Stille auf der Gelben Wand. In der 21. Minute erkundigten sich die Braunschweiger, die mit rund 8.000 mitgereisten Fans einen europapokalreifen Support hinlegten, zum ersten Mal kollektiv, warum die Dortmunder denn so leise seien. Neun Minuten später sangen sie durchaus zutreffend: „Ohne Braunschweig wär' hier gar nix los.“
Nun lässt sich darüber diskutieren, ob die Entscheidung der Ultras richtig war, letztlich die Mannschaft unter dem Protest leiden zu lassen. Die ausbleibende Stimmung, die im Alltag oftmals wie eine Peitsche für die Jungs in Schwarzgelb wirkt, hatte gerade in der ersten Hälfte eine verheerende Wirkung auf die Dortmunder Spieler. Sie wirkten ähnlich ideenlos wie der Rest der Südtribüne. Denn, selbst wenn man die Ultras für ihren Protest kritisieren möchte, es war auch den 70.000 Nicht-Ultras im Stadion nicht verboten, stattdessen für Stimmung zu sorgen. Selbstverständlich ist eine entsprechende Koordinierung nicht einfach, und genau diese Zentralstellenfunktion nutzten die Ultras wissentlich für ihren Protest - doch unmöglich ist ein Support ohne die Ultras auch wieder nicht. Insofern ist eine einseitige Schuldzuweisung fehl am Platze.
Erste Hälfte
Doch damit zurück zum Wesentlichen. Borussen-Trainer Jürgen Klopp schickte seine Elf im Vergleich zum ersten Spieltag auf vier Positionen verändert auf den Rasen: Weidenfeller kehrte nach seiner Rotsperre für Langerak zurück zwischen die Pfosten. Sokratis ersetzte Subotic in der Innenverteidigung, Blaszczykowski kam für Reus und Mkhitaryan rückte nach für den verletzten Gündogan im 4-2-3-1 zentral hinter der einzigen Spitze Lewandowski. Eintracht Braunschweig startete im „Tannenbaum“-System (4-3-2-1), das sich wahlweise bei Ballverlust in ein 4-4-2 umwandelte.
Die Gäste machten von Anfang an die Räume am eigenen Strafraum eng, für den Vizemeister gab es lange Zeit kein Durchkommen. Den ersten Akzent setzte sogar der Aufsteiger: Aber eine gefährliche Hereingabe von Reichel strich in der Mitte an Freund und Feind vorbei (2.). Nach einem Pass in die Spitze kam auf der Gegenseite Aubameyang wiederum einen Schritt zu spät, sodass der glänzende Torwart Davari klären konnte (14.). Dem BVB blieben fast nur Schüsse aus der Distanz. Sahin verfehlte das Tor dabei jedoch deutlich (28.), bei einem späteren Freistoß senkte sich der Ball nur Zentimeter über der Latte auf das Netz (37.).
Zum Ende der ersten Spielhälfte wurde Braunschweig jedoch zunehmend selbstbewusster und kam zu Spielanteilen in der Borussen-Hälfte. Die beste Chance für den BTSV hatte schließlich Theuerkauf mit seinem Schuss von der Strafraumkante, die jedoch unten am Tor vorbeizielte (33.).
Zweite Hälfte
Nach dem Seitenwechsel schienen die übrigen Mitglieder der Gelben Wand zu spüren, dass sich der ausbleibende Support negativ auf die Mannschaft auswirkte. Für die Ultras sprangen nun andere in die Bresche und mit der aufkommenden Stimmung riss auch der BVB das Spiel an sich. Die Braunschweiger wurden nun regelrecht hinten eingeschnürt. Bender verfehlte das Tor noch mit seinem Fernschuss (51.), auch Sahin scheiterte aus dem Strafraum heraus (52.). Lewandowski setzte die Kugel nach Vorlage von Blaszczykowski über das Tor (54.). Ein Zuspiel von Großkreutz von der rechten Seite konnte Aubameyang in der Mitte nicht am überragenden Torwart Davari vorbeibringen (58.). Nach Traumpass in die Tiefe von Aubameyang traf der eingewechselte Reus zwar endlich in die Maschen, doch zuvor war er aus klarer Abseitsposition gestartet (66.). Mit einem genialen Moment legte Sahin den Ball tödlich in die Gasse für Mkhitaryan, doch die Krake Davari war auch hier der Sieger im Eins-gegen-Eins (68.).
In der Folge zeigte sich, warum der Autor dieser Zeilen den BVB lediglich schreibend begleiten und nicht auf der Trainerbank Platz nehmen darf. Ja, ich gebe zu: Ich war wirklich verwundert, warum der Coach in der 67. Minute den in meinen Augen sehr agilen Aubameyang vom Platz nahm und dafür das Talent Hofmann brachte. An dieser Stelle möchte ich, Jürgen Klopp, ausdrücklich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, diesen Wechsel kritisch beäugt zu haben! Der erst 21-jährige Hofmann sollte in der Folge zum Matchwinner avancieren. Nach einem Ballverlust der Gäste im Vorwärtsgang startete Hummels einen seiner unnachahmlichen Vorstöße bis an den gegnerischen Strafraum und spielte Hofmann mit einem Doppelpass blank in den Sechzehner: Der Youngster vollendete mit einem trockenen Schuss ins lange Eck, von wo der Ball vom Innenpfosten in die Maschen sprang (75.). Zehn Minuten später konnte Bicakcic Hofmann nur mit einem Foul stoppen. Reus verwandelte den fälligen Strafstoß zum 2:0 (86.). Doch der sichere Sieg geriet noch einmal in Gefahr, als der Ball nach einer Ecke über Kratz und Lewandowskis Kopf ins Netz flog zum 2:1 (89.). Aber die Borussia spielte die letzten Sekunden - auch dank des letzten Wechsels Ducksch für Mkhitaryan - souverän herunter und sicherte den verdienten Arbeitssieg.
Nach den kritischen Worten zu Beginn seien abschließend zwei weitere Anmerkungen erlaubt. Die Südwestecke wies mit einer durchaus ansehnlichen Choreografie darauf hin, dass sie nun bereits seit 10 Jahren existiert. Und bereits vor dem Spiel gedachten Teile der Südtribüne zu den Klängen von „You’ll Never Walk Alone“ mit Bannern eines vor wenigen Wochen tödlich verunglückten Borussen - Bilder und Momente, die unter die Haut gingen. Ruhe in Frieden, Daniel!
Einzelbewertungen:
Roman Weidenfeller: Hatte einen fast arbeitsfreien Sonntagnachmittag. Note 3,5
Marcel Schmelzer: Räumte links solide auf, einige Vorstöße in die Spitze. Note 3
Mats Hummels: Der Fels in der Defensive, traumhafter Doppelpass vor dem 1:0. Note 2.
Sokratis Papastathopoulos: Ein gelungener Einstand. Hinten ohne Tadel, ansonsten im Hintergrund. Note 3
Kevin Großkreutz: Schien anfangs unsicher, dazu einige Ballverluste. Jedoch Kampfsau wie eh und je. Note 4
Nuri Sahin: Ein, zwei geniale Momente, ansonsten eher blass. Note 3,5
Sven Bender: Erledigte seine Aufgabe im Mittelfeld unscheinbar. Note 3,5.
Pierre-Emerick Aubameyang: Sorgte für Tempo im Spiel nach vorne, im Zuspiel jedoch oftmals ungenau. Note 3.
Henrikh Mkhitaryan: Durchwachsenes Debüt, ein Sahin-Zuspiel blank vergeben. Noch Luft nach oben. Note 4,5.
Jakub Blaszczykowski: Wie in der Schule: War stets bemüht. Note 4,5.
Robert Lewandowski: Licht und Schatten: Mal den Ball im Mittelfeld erkämpft, später in der Spitze teilweise zu egoistisch. Note 4.
Marco Reus: Scheint immer noch Anlauf in die Saison zu nehmen. Note 4.
Jonas Hofmann: Der Matchwinner: Tor nach formidablem Doppelpass, Elfmeter zum 2:0 rausgeholt. Note 1,5.
Marvin Ducksch durfte auch noch ein paar Sekunden ran; ohne Note.
So haben sie gespielt:
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Schmelzer, Hummels, Sokratis, Großkreutz - Sahin, Bender - Aubameyang (67. Hofmann), Mkhitaryan (90.+2 Ducksch), Blaszczykowski (60. Reus) - Lewandowski.
Eintracht Braunschweig: Davari - Reichel, Correia, Bicakcic, Elabdellaoui - Caligiuri (65. Perthel), Theuerkauf, Kratz - Kruppke (77. Ademi), Hochscheidt (65. Boland) - Jackson.
Tore: 1:0 Hofmann (75.), 2:0 Reus (86., Foulelfmeter), 2:1 Kratz (89.).
Gelbe Karte: Theuerkauf (BTSV).
Schiedsrichter: Peter Sippel.
Zuschauer: 80.200.
Stimmen zum Spiel:
Jürgen Klopp (BVB): „Wir haben uns schwer getan, weil Braunschweig sehr gut organisiert war. Außergewöhnlich war dabei, dass sie das über die gesamten 90 Minuten durchgezogen haben. Das habe ich selten gesehen, dass man so konzentriert bleibt. Aufgrund ihrer Möglichkeiten habe ich daher erwartet, dass sich die Spieler dann durcharbeiten müssen. Das ist beim 1:0 auch gelungen. Solche Tore gefallen mir besonders gut. An guten Tagen ein Tor herauszuspielen ist relativ einfach, aber sich so ein Tor zu erarbeiten ist deutlich schwerer. Zwischendurch ist uns zwar etwas die Konzentration abhanden gekommen, doch am Ende haben wir hochverdient gewonnen.“
Torsten Lieberknecht (BTSV): „Wir stehen jetzt schon das zweite Mal in Folge nicht auf einem Abstiegsplatz (lacht). Es tut aber weh, dass wir nach zwei Spielen auf taktisch so gutem Niveau mit leeren Händen dastehen. In unserem Spiel war mitunter jedoch zu viel Unruhe, sodass wir den Ball zu schnell hergegeben haben; es sind uns auch technische Fehler unterlaufen. Unsere Gefahr lag im Umschaltspiel, alles in allem waren wir ein unbequemer Gegner. Die Gegentore waren unnötig, so ist das 0:1 nach einem Ballverlust gefallen. Insgesamt war es auch eine unglaubliche Unterstützung unserer Fans.“
Daniel M., 19.08.2013